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Die Judengemeinden
des Mittelalters,
insbesondere die Judengemeinde der Reiclisstadt Uim.
Ein Beitrag
cor
deutschen Städte- nnd Wirtschaftsgeschichte
▼on
Elisen Kübüng.
ULM, 1896.
Verlag von Gebrüder Nflbling.
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Die Judengemeinden
des Mittelalters,
insbesondere die Judengemeinde der Reichsstadt Ulm.
Ein Beitrag
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deatschen Städte- nnd Wirtschaftsgeschichte
von
Eilten KübUn^.
ULM, 1896.
Verlag von Gebrfider Nfibling.
Dm VeberMtmiiginelit In firtmde Bpnehen wird Torbehalten.
Inhalts-yerzeichiii&
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inleitmig.
I. Die politiselie nnd wirtichaftliche Bedeatnng dei Joden«
tnnis seit dem Anfang unserer SSeitrechnang.
a. Von Kaiser Augnstos bis Kaiser KonsUnÜn (81 y. Chr.
bis 828 n. Chr.) XVII
b. Von Kaiser KonsUntin bis Kaiser Jostinian (828-525) XXIV
c Von Kaiser Jostinian bis Kaiser Karl dem Grossen
(625-789) XXVin
d. Von Kaiser Karl dem Grossen bis Kaiser Friedrich
Barbarossa (769 - 1151) XXX
IL Die Stenenrerhaitnisse der Joden.
a. Der Jodenscbots XXXVI
b. Die eioielnen Steoerleistongen«
a. Die Reichssteoem XXXVII
ß. Die VogieigebOhren XU
/. Die Landfriedensgebohren XLII
m. Der Gewerbebetrieb der Joden.
a. Der freie Gewerbebetrieb XLII
b. Die sfinftige Gewerbeth&tigkeit des Joden.
flt. Der Unterschied Ton Zins ond Wocher .... XLIV
ß. Die öffentlich-rechtliche Gestaitong des Darleih-
gesch&fts L
rV. Der Kampf der Kirche gegen die Joden im 18. ond
14. Jahrhondert.
a. Das 13. Jahrhondert LX
b. Das U. Jahrhondert IJCV
V. Die Grondscholdenablösong in Schwaben LXXIII
VI. Der RQckgang des abendländischen Jodentoms seit dem
15. Jahrhondert LXXXVI
Vn. Die allm&hliche Besserong der Lage der abendl&ndischen
Joden seit dem 17. Jahrhundert XCn
Kurzer BKck auf die Stellung der Ulmer Juden bis sum Beginne
des 14 Jahrhunderts 1
Die Uimer Judengemeinde des 14. Jahrhunderts bis zum Juden-
krawall Ton 1848 16
Die Einrichtungen der Jndengemeioden des 14. Jahrhunderts.
a. Das Judenborgerrecht und der Judengemeinderat .... 26
b. Das Gerichtswesen der Juden 29
c. Die Synagoge 88
d. Die Schule 36
e. Der Friedhof 89
f. Das SpiUl 45
g. Das Bad, der Brunnen und das Tanzhaus 46
b. Das Schlachthaus 47
i- Der Lebensmittelverkauf und das Judenbackhaus .... 50
— IV —
4. Die bMchrftokenden Vortchriflen gegen die Jaden des Mittelelteri.
a. Die Kleiderordnung der Jaden 5fi
b. Die Beicbriakang der Jaden an christlichen Feiertagen . . 54
c Die Beschriakang der Juden betreffi ihres geselligen Ver-
kehrs mit Christen 56
6. Der Gewerbebetrieb der Jaden 56
a. Die freie Qewerbeth&ttgkeit der Jaden.
a. Der Grosshandel der Jaden 56
ß. Die Jadea als HandelsTennittler 65
/• Die Jaden als Sklavenhändler 74
d» Die Jaden als Aerste Si
b. Die Jadengemeiode als Darleibergenostenschaft 89
c. Der Wettl^werb der Lombarden aud Kowertschen .... 99
6. Die EntwieklangBgeschichte des Darlehensgeschäfts bis snin
JadenkrawaU Tom Jshre 1348.
a. Das Darleheosgesehäft bis snra 11. Jahrhandert 106
b. Die Jodenverfolgang von 1096 122
c- „ „ „1146 196
d. ,, ^ „1196 1S2
e. Die französische Graodscholdenablösang Ton 1289 .... 134
f. Die Lage der deatschen Jadeagemeinden während des 18. Jshr*
hiinderts 140
g. Das Darlehensgeschäft in der ersten Hälfte des 14. Jahrhanderts 147
7. Die sanehmende geselischafüicbe Beschränkung der Jadeo-
gemeinden rom 18. Jahrhandert bis zum Jadenkniwall von 1848 152
8. Das Pfandrecht der Jaden.
a. Die Judenschalden der deatschen Grundbesitzer 173
b. Die Judenschalden gegen fahrende PfiUider.
or. Das Darleihen auf Kirchengut 165
ß. Das Darleihen auf Tiere, Harnische, blutige und feuchte
Gewänder 191 1
c. Das Personalpfand und das BQrgschaftsrecht 196 1
d. Die Förmlichkeiten des Judendarleihgeschäfts. |
a. Die Gerichtszuständigkeit, der zeugenbeweis und der {
Reinigungseid der Juden 197
/)• Der Uebergang der jadischen Pfandgerichstbarkeit an die
gemeinen bürgerlichen Gerichte 200
e. Die allgemeinen pfandrechtlichea Grundsätze des Mittelalters 20S
f. Der Zinskleiahandel der Juden , . 216
g. Die Beschränkung des Zinsfnsses 225
h. Die Haftpflicht des Pfandinhabers und die Heimzahlung der
Darlehen 23T
9. Die Steuerverhältnisse der Jadengemeinden im Allgemeinen und
die Reichskammerknechtschaft 241
10. Die einzelnen Steuerleistui^en der Juden.
a. Der goldene Opferpfennig ^
b. Die Schätzungen der Jndengemeinden 2w
c. Das Dienstgeld (servitium) der Juden 261
d. Die ümlegung der Judenstener 2^
e. Das Zogsrecbt der Juden 27v
f. Die Grund- und Gebäudesteuer der Juden 2?1
g. Das Judengeleitgeld 2^
h. Die JndenschutzTogtei des Papstes ^
i. Das Freiheitsrecht der Juden auf den Landfrieden - • • • ^
11. Die Judenkrawalle von 1848 281]
12. Die weitere Entwicklung der Judengemeinden vom Jadenkrawall
des Jahrs 1348 bis zur Judenschätzung des Jahrs 1873 ^
a. Die Folgen der Judenkrawalle von 1348 ^
— V —
8«ite
b. Die Rflckkehr der Jaden nach Frankreicb 810
c Die Aufnahme der Jaden in den Schatz der Landesherrachafteu
auf bestimmte Zeit 816
d. Die znnehmende wirtschaftliche Erstarkong der Juden . .818
e. Die steigenden Anforderungen der Reichskammer an die
Stenerkraft der ReichsbOigeigemeinden und der Reichajuden-
gemeinden • 819
13. Die Jndensch&tzung Ton 1373 828
14. Der Judo J&cklin und der Kauf der Herrschaft Werdenberg
durch die Stadt Ulm 827
15. Der Verkauf der Herrschaft Helfenstein an die Stadt Ulm . . 843
16. Das Vorgehen der Reichsregiemng bebufs AbKVsung der Juden-
schulden im Jahre 1885.
a. Blick auf die ZeitTerh<nisse 862
b. Die ersten Schritte der Reichsregierung gegen die Juden . 867
c. Die JudenschuldenablOsung von 1885 874
17. Das weitere Vorgehen gegen die Juden im Jahre 1890.
8. Der Pariser Judenkrawall vom Jahre 1887 887
b. Die Judenschuldentilgung vom Jahre 1890 • 891
c. Das Abdienen des Schuldrestes seitens der Schuldner . . . 898
d. Die weitere Durchfahrung der JudenschuldentUgung im Aus-
lande, am Rhein, in Sachsen, Franken und Bayern .... 402
e. Die DurchfOhrang der JudenschuldentUgung in Schwaben.
er. Die Schulden der Grafischaft Wirtemberg 413
ß> Die Schulden der Herrschaft Landau und die Blaubeurer
Fehde 419
}• Der Ausgleich zwischen der Grafschaft Wirtemberg und
der Reichsstadt Ulm 428
18. Die Steuerverhaltnisse der Juden im 15. Jahrhundert
a. Die Jahressteuer und der goldene Opferpfennig unter König
Ruprecht (1400-1410) 485
b. Die Landfriedenssteuer oder das Judengeleite, die Kieiderstener
und das Reichskanzlergef&ll 442
c. Das Reichsjudenhochmeisteramt 444
d. Die Konzil- und Kriegssteuem König Sigmunds 446
e. Die Hauszinsen der Juden 462
f. Die Judensteuer unter König Rudolf U. (1488-1439) und
unter Kaiser Friedrich m. (1489-1498) 465
19. Die Juden des Auslands im 15. Jahrhundert 467
20. Die zunehmende Beschrilnkung der deutschen Judengemeinden
seit dem 15. Jahrhundert.
a. Die räumliche, politische und gesellschaftliche Abgrenzung
der Judengemeinden 475
b. Die Glaubensverfoigungen der Juden im 15» Jahrhundert • 481
21. Die Austreibung der Juden aus den deutschen St&dten.
a. Die ersten Judenanstreibungen in Köln, Augsburg u. s. w. • 489
b. Das Aufkommen der öffent&chen Darlehenskassen .... 497
c Die Judenanstreibungen in Nfimberg und Ulm 502
d. Die Ulmer Jndengrabsteine 508
22. Die Verhältnisse der Juden Ins zum Ulmer Judenfreiheitabriefe
Tom Jahre 1541.
a. Die Ulmer Judenyerh<nisse bis zum Jahre 1541 .... 513
b. Die Glaubensyerfolgungen der Juden im 16. Jahrhundert. . 516
23. Die Freiheitsrechte der liBidisstadt Ulm wider die Juden Tom
Jahre 1541, 1561 und 1571.
a. Das Dimer Jndenfreiheitsrecfat Kaiser Karis V 522
b. „ n „ „ Ferdinands L . . . 524
c. „ „ „ „ MaTJmiliang HL . . . 584
— VI —
24. Die Schicksale der Ulmer Jaden im 17. und 18. Jahrhundert ^^^
a. Die ülmer Juden im 17. Jahrhundert 541
h» ,1 ti ,, w 18. „ 543
25. Die Schicksale der Ulmer Juden im 19. Jahrhundert.
a. Die Ulmer Juden bis zum Judengesets vom Jahre 1828 • • 549
b. Die Eingabe des Ulmer Handelsstands gegen die Jnden vom
Jahre 1828 . 554
c. Die Neuentwicklung der Ulmer Judengemeinde seit dem
Jahre 1828 561
Schlusswort 563
Quellen.
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Manuskript, Ulmer StadtbibUothek.
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Rotes Buch, Uteste Gesetzsammlung der Stadt Ulm. Manuskript KgL
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Ulmer Stadtbibliothek. Eine weitere Abschrift befindet sich im
Ulmer Stadtarchir.
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WürflBl, Andreas, Diakonus in Kirchenstettenbach , Hist Nachrichten von
der Judengemeinde, welche ehehin in der Reichsstadt NOmbeif
angerichtet gewesen. Nürnberg 1753.
Vorwort
Der Verfasser wollte ursprünglich nur ein kleineres
Heft bearbeiten, das die Ulmer Jadennrknnden enthalten
sollte, welche sich seit der schon im Jahre 1878 erfolgten
Heraasgabe der Pressel'schen Ulmer Jadennrknnden-
sammlang noch vorgefunden hatten, und im Anschlnss
hieran eine knrzgefasste Darstellung der Verhältnisse der
alten, im Jahre 1499 aufgehobenen Ulmer Judengemeinde
geben» In dieser Absicht wurde das Schriftchen begonnen,
als unter der Arbeit dem Verfasser bei seinem Bestreben,
noch ungeklärten Dingen nachzuspüren, immer neuer Stoff
zuwuchs, aber ihm auch die Thatsache immer bestimmter
vor Augen trat, dass eine lesbare zusammenfassende
Behandlung gerade der Wirtschaftsgeschichte des
Judentums im Mittelalter für die heutige Zeit ein
dringendes Bedürfnis ist. Die beiden Werke, welche
wir in Deutschland heute für ähnliche Zwecke, wie sie
das vorliegende Buch verfolgt, besitzen, sind veraltet : das
Depping'sche Buch über die „Juden im Mittelalter**
stammt in seiner deutschen Uebersetzung vom Jahre 1884,
das Stobbe'sche Werk über die „Juden in Deutsch-
land** vom Jahre 1861. Beide Arbeiten sind wie die
Heg er sehe Abhandlung über die Judenschuldenablösung
von 1385/92 nicht mehr den Anforderungen der Zeit
entsprechend, weil seither die Forschungen von Aronius
und Wiener, die Untersuchungen von Höniger, Stern,
Weizsäcker und anderen ein reichhaltiges neues Material
zu Tage gefördert haben.
Seit bei den Juden selbst sich mit der Erstarkung
ihrer wirtschaftlichen Macht auch der Sinn für die hoch-
interessante Geschichte ihres Volks neu belebt hat, seit sie
es wieder wagen, sich öffentlich als Juden zu fühlen,
statt aus Elugheitsgrfinden ihre Zugehörigkeit zum Juden-
tum thunlichst zu verschleiern, ist viel Neues gefunden
worden. Qerade darum schien es dem Verfasser aber
auch an der Zeit, einmal offen darauf hinzuweisen, dass
die Sage von der unsäglich schlechten Behand-
lung, welche das Judenvolk im eigentlichen Mittel-
alter erfahren haben soll, ein Märchen ist und die
— X -
eigentlich schlechte Behandlung der Jaden erst
mit der Beformationszeit beginnt Der Jade hat
es hente, und wir wollen ihm das herzlich gönnen und
uns mit ihm darttber freuen, nicht mehr wie in den
Zwanzigerjahren notwendig, seine Stellang durch die Er-
regung des christlichen Mitleids zu verbessern.
Wenn sich die Juden in irgend etwas als Meister der
sogenannten „Närnbergerei^, d. h. der sophistischen
Verdrehungskunst, wie sie auf der Nttrnberger Judenhoch-
schule des 15. Jahrhunderts im Schwang war, erwiesen
haben, so ist es in der Verschleierung der wahren Ent-
wicklung ihrer Geschichte. Um so angezeigter ist es aber
darum auch, daraufhinzuweisen, dass der Jude in alten Zeiten
kein so bedauernswertes Geschöpf war, wie sich der Durch-
schnittschrist den „Juden des Mittelalters'' ausmalt
Der Jude hat unter den Karolingern und den Sachsenkaisern
wie unter den Saliern genau die gleiche bevorzugrte
Stellung eingenommen, die er heute wieder geniesst, and
auch die Ereuzzüge des 12. und 18. Jahrhunderts haben
ihm nur vorübergehend schlimme Tage gebracht, wie
auch das 14. Jahrhundert trotz der Judenhetze von 1349
den Juden uns in mächtiger Stellung zeigt. Erst das
15. Jahrhundert hat seine Stellung erschüttert und ihn
in jene Lage gebracht, welche die Zeiten der Re-
naissance ihm bescheerten. Die Wiedergeburt des
Bomanismus, d. h. des politischen und wirtschaftlichen
Abschlusses der romanischen Völker von Byzanz and
der Levante, das Aufhören des internationalen, gross-
römischen Weltreichs mit Byzanz als Weltmittelpunkt,
wie es die Entdeckung des Seewegs nach Indien and
Amerika mit sich brachte, der endgültige Sieg der Türken
und Tartaren, des Halbmonds über das Kreuz, des
Silbers der Levante über das Gold der Ponente, wie
es die Entdeckung der Goldfelder am Cap und in
Venezuela herbeiftkhrte, hat als Folge des Abschlusses
der griechischen Kirche und des Protestantismus
von Bom in den romanischen Ländern den Lombarden
an die Stelle des Juden gesetzt
Die Art der Behandlung des Stoflßä, die der Verfasser
gewählt hat, war das System, vom Einzelnen aufs All-
gemeine zu kommen, d. h. im vorliegenden Falle vom
Gesichtspunkte der Erforschung der Geschichte einer
einzelnen Judengemeinde der Geschichte des ganzen Juden-
tums näherzutreten und so zu allgemeinen Schlüssen zu
gelangen. Aus diesem System heraus ist die vorliegende
Arbeit entstanden und wenn der Verfasser das Gesamt-
bild, das sich ihm dabei vor Augen gestellt hat, kurs
— XI —
zasammenfassen soll, so möchte er zunächst betonen, dass
die so oft namentlich von sogenannter „antisemitischer^
Seite aufgestellte Unterscheidung ihm durchaus verfehlt
erscheint, als ob die Judenfrage des Mittelalters ausschliess*
lieh eine Religions frage gewesen, die Judenfrage der
Gegenwart und Zukunft dagegen lediglich eine Rassen-,
Sitten- und Eulturfrage sei. Die Judenfrage ist nach
Auffassung des Verfassers, so lange es eine solche giebt
— und eine Jsdenfrage hat es thatsftchlich gegeben, seit
es Juden giebt, — stets dieselbe gewesen, die sie noch
heute ist, nämlich eine Sittenfrage. Ist Sitte die
Summe von sittlichen Grundsätzen, nach denen eine
bestimmte Vereinigung von Menschen zu leben pflegt, so
ist damit gesagt, was den Juden von jeher vom Nicht-
jaden geschieden hat: nicht das Dogma, nicht die Form
seines Gottesdienstes, sondern der anders geartete Inhalt
seiner Lebensanschauung. Diese Lebensanschauung
aber gerade ist ein untrennbarer Teil der Volksseele, sie ist
eine unvermeidliche Folgerung der Sitten und Gebräuche
einer bestimmten Volksart oder Rasse, und deshalb ist
noch zu allen Zeiten jedem Renegatentum der Fluch
des Unglücks aufgedrückt gewesen. Der Mensch soll sich
geben als Erzeugnis des Bodens und der Einflüsse, aus
denen er sich heransentwickelt hat; jedes Abweichen von
diesem Entwicklungsgang ist eine Störung der innem
Einheit des Einzelwesens, welche äusserlich und innerlich
abschreckend wirken mnss.
Die natürliche Zuchtwahl, die Wichtigkeit der Rein-
haltung der Rasse, auf die der Landmann bei seinem
Stück Vieh mit Recht alles hält, ist sie der Mensch nicht
in erster Linie sich selbst schuldig, mag er nun ein Nicht-
jude oder ein Jude sein? Was die Rassenkreuzung
für Früchte zeitigt, daftr sollte uns doch der Spanier als
abschreckendes Beispiel dienen. Dort hat man die Ver-
schmelzung der semitischen Rasse mit dem Eaukasier prak-
tisch durchgeführt: das Ergebnis ist namentlich in Bezug
auf den Charakter kein zur Nachahmung ermunterndes
gewesen. Der reine Rassenspanier heisst sich nicht um-
sonst „Hidalgo'*, d. h. „Sohn von Einem"; der Geringste
nach Chara]d;er aber, auf den der reinere Eastilianer
mit Verachtung herabsieht, ist der Katalane, jener Misch-
ling aus wes^otisch-maurisch-jüdischem Blute. Mögen
also lieber Eaukasier und Semite sehen, wie sie neben
einander auskommen; es wird am besten gehen, wenn
jeder hübsch in seinem Rahmen bleibt und der Hofherr
dafür sorgt, dass die beiden Teile keinen Grund zur Klage
wegen Bevorzugung haben.
— xn —
Wenn man sich firagrt, was dem Jaden zn allen Zeiten
seine heryorragende Stellang im politischen and
wirtschaftlichen Leben der Völker verschafft hat, so geht
die Antwort dahin, dass er dies seiner Eigenart rer-
dankt Der Jade ist der geborene Grossh&ndler, d. h.
Exporteur und Importeur; er nimmt dem Prodazenten
des einen Lands sein Erzeagnis ab and giebt ihm dafBr
die Ware des andern Lands ,• bringt die gekaufte Ware
in das Land, wo sie mangelt, und nimmt daf&r die
entbehrlichen Erzeugnisse des andern Lands. Er nimmt»
was man gerne los sein m(k^hte, und giebt, was man
gerne haben möchte. Geschieht die Handelsth&tigkeit
des Juden in dieser Weise, so ist sie berechtigt und
segensreich Ar die Völker beider Länder wie fflr den
Juden, der in den beiden Ländern als Einkäufer waltet
und deshalb als willkommener internationaler Oast
erscheint
Ist so die Aufgabe des Juden, den Warenaustausch
zu vermitteln, so erscheint als notwendiges Hilfsmittel zu
dieser Thätig^eit des Juden eine gewisse Summe von
Freibandeisrecht und das Bestreben des Juden ist
deshalb auch — und man kann ihm das yon seinem Stand-
punkte aus nicht verdenken — zu allen Zeiten gewesen,
diese Summe von Freihandelsrecht möglichst umfassend
zu gestalten; denn jede Beschränkung seines Frei*
handelsrechts durch nationalwirtschaftliche Massregeln ist
eine Einschränkung seiner Thätigkeit Solche Massregeln
werden indes nur durchgef&hrt, wenn sich die Bewohner
des einen oder andern Lands durch die Thätigkeit der
Juden erheblich geschädigt fUüen und das Verlangten
nach solchen beschränkenden Massregeln, wenn es erheb-
lich geäussert wird, muss deshalb, zumal wenn damit
eine erhebliche jüdische Bevölkerungszunahme ver-
bunden ist, den Machthabem der Länder immer ein Zeichen
sein, dass die Thätigkeit des Juden als Austauschvermittler
nicht im Interesse des Lands vor sich geht; denn
diese Thätigkeit des Juden bedarf wegen ihrer hervor-
ragenden Wichtigkeit ftir die Wirtschaft der Völker genauer
Aufsicht in der Richtung, dass sie nicht zum Vorteil der
Juden auf Kosten des Volks geschieht, sie muss vielmehr
derart geordnet sein, dass das betreffende Land dabei
mögliebst viel, der Jude möglichst wenig Nutzen hat
Als Mitglied der Nation aber wird der Jude nie
betrachtet werden dürfen, seine Aufgabe ist eine inter-
nationale, soll der Jude national gemacht werden, so
muss er aus der Haut fahren und aufhören, Jude zu sein.
Wohl hat auch der Jude ein nationales Bewusstsein, auch
— xm —
er kennt das Geffihl der Treue; ja diese Treue ist oft bei
ihm entwickelter als beim Landesbewohner, aber
des Jaden Treue ist nar Treue zum Juden, nicht
Treue zum Lande, zur Heimat: „Ubi bene, ibi patria!^
Der Jude ist überall zu Hause und nirgends, das ist sein
Schicksal yon jeher gewesen. Das „Unstät* und Flttchtig-
sein" ist der Fluch gewesen, der ihn von jeher in die Welt
getrieben hat, es ist aber auch seine Freude gewesen, denn
der Jude hat es so gewollt. Wie es deshalb verkehrt er-
scheinen muss, den Juden national machen zu wollen, von
ihm Vaterlandsliebe, Regententreue u. s. w. zu verlangen,
yon ihm zu erwarten, dass er Freud und Leid mit dem an-
gestammten Fürstenhause und den Volksgenossen teile,
80 muss es unrecht erscheinen, den Juden deshalb zu
verachten, weil er diese Eigenschaften nicht besitzt.
Es ist von jeher das charakteristische Merkmal der
Juden gewesen, dass sie, geeint durch ihre alle NichtJuden
verachtende Weltanschauung, inmitten von Feinden
allen Angriffen zum Trotz sich als ein zusammen-
gehöriges Volk erhalten haben, dass sie in oft heldenhafter
Abgeschlossenheit gegen die Nichtjuden durch eine be-
wundernswerte Geduld und Geschicklichkeit sich
allen Widerwärtigkeiten entgegen immer wieder grossen
Reichtum verschafften und sich damit ihren Verfolgern
immer aufs neue unentbehrlich zu machen und sich die
wirtschaftliche Herrschaft über dieselben zu verschaffen
wnssten. Diese Zähigkeit, mit der sie inmitten fremder
Völker mit anderen Lebensgewohnheiten an ihren ange-
stammten Sitten festhalten, gereicht den Juden im höchsten
Ghrade zur Ehre und wenn man dem Juden darum schon vor-
warf, dass er anderes Brot als die ihn umgebenden Landes-
bewohner esse, dass er bestimmte Fleischsorten verschmähe,
dass er nur seinen koschem Juden wein trinke, dass er
andere Ansichten in Bezug auf geschlechtliche Sitte und
Beligion habe, so musste man doch — und mochte man
nun von diesen Dingen denken, wie man wollte, — immer
einräumen, dass dieses Festhalten an seinen dem Juden
heiligiNi Gebrauchen eine Willensstärke ersten Rangs
verriet Thatsächlich war es denn auch, wenn hierüber
£lage gefuhrt wurde, nicht sowohl der Neid und Aerger
der nichtjüdischen Kreise darüber, dass es den Juden
mit Hilfe dieser Dinge und des bei ihnen in höchster
Weise entwickelten Genossenschaftsgefühls, des Ein-
tretens für den jüdischen Nächsten, aber eben auch
nur für diesen, gelang, über den weniger genossen-
schaftlich veranlagten Landesbewohner Herr zu werden,
sondern es war die hässliche Kehrseite dieses
— XIV —
Genossenschaftsgefbhls , die traarige Thatsache, dass dem
Jaden dem Nichtjaden gegenüber jedes Mittel erlaubt
schien. Diese Gepflogeäieit, mit welcher der Jude, wenn
er derselben huldigte, der Jadengenossenschaft den Stempel
der Ver&chtlichkeit aufdrückte, ist es denn auch
gewesen, welche die Völker von jeher als Ausfluss der
spezifisch pharisäisch -talmudischen Lehre aufs
schärfste als gegen die gute Sitte und das Völker-
recht verstossend bekämpften. Dieser verirrte Standpunkt
aber, gegen den sich die jüdischen Sadducäer, die
Karaiten, vergeblich gewehrt haben, ist es auch immer
wieder gewesen, welcher der mit so viel Mühe und
Fleiss aufgebauten wirtschaftlichen Stellung der Juden
den Hals gebrochen hat, welcher ihnen bei aller Achtung
vor ihren schätzenswerten Eigenschaften und Talenten den
Fluch der Nationen zugezogen hat Erklärlich freilich
ist dieser Standpunkt des Jaden recht wohl aus seiner
Beschäftigung. Sein Geschäft ist ein internationales,
erlaubt also kein Vaterland. Verfehlt ist es deshalb auch,
dem Jaden ein Vaterland geben zu wollen. Wir brauchen
den Juden so, wie er ist, als internationalen Juden,
warum sollen wir ihn also durchaus als national and
unsersgleicben betrachten ?
Ist das ausgeprägte jüdische Nationalitätsge-
fühl von jeher des Juden Stärke gewesen, so hat er
den Bückhalt, den ihm dieser feste Bund mit seinen
Glaubensgenossen gewährte, mit bewandemswerter Schlau-
heit auszunützen verstanden: Indem er allen Nichtjaden
den Eosmopolitismus , das Weltbürgertum, predigte,
machte er die „nationale Genossenschaft^ zu einem
jüdischen Monopol und siegte so, in der Einheit
stark, über die zersplitterten Gegner. Der einzige
Gegner, der sich dem Juden gewachsen zeigte, war deshsdb
auch die ascetische Scholastik und Mystik des Mittel-
alters. Nar die scharfen Speise- und Mässigungsgesetze
der christlichen Kirche konnten mit ihrer willenstärkeudeu
Kraft ein Geschlecht zeugen, welches die jüdische Rasse
und den auf ähnlichen Grandsätzen aufgebauten Mosaismus
derselben übertrumpfte und dem darch seine Bedürfnis-
losigkeit die Hilfe des Juden entbehrlich wurde.
Der kommunistische Gedanke der internationalen
römischen Kirche hat dem Socialismus des inter-
nationalen Judentums stets den erfolgreichsten Wettbewerb
bereitet, ja dasselbe zeitweise völlig in die Ecke gedrückt ;
am schlimmsten aber ist es den Völkern gegangen, wenn
beide internationale Genossenschaften, Kirche und Juden-
tum oder Beamtentum und Judentum — denn das
— XV —
Beamtentam der nachkircblichen Zeit entspricht inhaltlich
der Kirche des Mittelalters — im festen Bunde ein Volk
gemeinsam beherrschten.
Wenn man die Geschichte des Jndenyolks am
geistigen Ange yorttbergleiten lässt, kann man sich in der
That das schwere Bedauern nicht versagen, dass ein so
hoch begabtes Volk durch seine Masslosigkeit, seine
Unfähigkeit, sich selbst zu beherrschen und zu beschränken,
immer wieder selbst zerstören muss, was es mit beispiel-
losem Fleisse und Geschick geschaffen hat Will man
aber im Besondem die Stellung der Juden zum
deutschen Volke betrachten, so sagt der Volkswitz
wohl nicht umsonst: „Jedes Volk hat die Juden, die es
verdient" So hat sich auch das heutige deutsche Volk
die jüdische Herrschaft, unter der es steht, durch seine
politische und wirtschaftliche Einsichtslosigkeit selbst zu-
gezogen. Die Selbstsucht, die alt hergebrachte Trunksucht,
Völlerei und Liederlichkeit, das den Nächsten im Stiche
lassende Wesen, die leider heute, teilweise durch schwere
Fehler der massgebenden Kreise, einen nicht unbedeutenden
Teil des deutschen Volks wie mit einem Bann umstricken
durften, haben die Herrschaft der Juden gezeitigt,
die wir heute in Deutschland wieder haben. Segen aber
hat noch niemand vom Juden gehabt und am besten ist
stets der gefahren, welcher sich so eingerichtet hat, dass
er des Juden nicht bedurfte. Das gilt vor allem für
diejenigen Staatsmänner, welche ihren Fürsten und dem
Volke gegenüber die Verantwortung für die herrschenden
Regierungsgrundsätze tragen. Möge das so oft mit Becht
als Muster gerühmte deutsche Beamtentum nicht das gleiche
traurige Ende nehmen wie die deutsche Ministerialität des
Mittelalters. Die Erhaltung der Bechtsbegriffe , des Ver-
ständnisses für die Bedürfnisse und Forderungen, welche
der gesunde Volksgeist an seine Vögte von Gottes Gnaden
und deren Ministerialen stellen muss, sollte stets der
oberste Leitsatz der Staatsraison sein und darf nicht
durch ein System fiskalischer Plusmacherei ersetzt werden.
Zum Schluss möchte der Verfasser noch denjenigen
herzlich danken, welche ihm bei dem Zustandebringen
seiner Arbeit mit Bat und That zur Seite gestanden
sind. Vor allem dankt er seinem hochgeschätzten Lehrer,
Herrn Universitätsprofessor Dr. Gustav Schmoller in
Berlin fEbr die freundliche Beratung, die er ihm durch
Angabe von Quellen u. s. w. zu teil werden Hess. Dank
schuldet der Verfasser weiter dem Herrn Oberstudienrat
Dr. Julius Hartmann in Stuttgart, der ihm durch
gütigen Hinweis wertvolle Nachrichten fBr die Ge-
— XVI —
schichte der Ulmer Juden des 14. Jahrhunderts verschaffte.
Weiterer grosser Dank gebtthrt dem Herrn Professor
Dr. Gustav Veesenmeyer, dem bewährten langjährigen
Vorstand der Ulmer Stadtbibliothek, der seitens der Stadt-
behörde mit der Bearbeitung des zweiten Bands des
Ulmer Urkundenbuchs beauftragt, dem Verfasser in
liebenswfirdigster Weise den jederzeitigen Einblick und
die Benützung der ihm zur Verfügung stehenden Urkunden,
Begesten u. s. w. ermöglicht hat Herzlichen Dank schuldet
der Verfasser endlich dem Ulmer StadtbibUothekar, Herrn
Präzeptor C. F. Müller, der ihm das reiche Material
der Ulmer Stadtbibliothek in umsichtiger Weise zugäng-
lich machte und namentlich den seither unbekannten
Judenfreiheitsbrief der Stadt Ulm vom Jahre 1541 dem
Verfasser herbeischaffte.
Ist dem Verfasser vielleicht gelungen, manche seither
weniger genau festgelegte Thatsache der Judengeschichte
des Mittelalters sachgemässer zur Darstellung zu bringen,
so steht doch fest, dass noch unendlich viel gerade auf
diesem (Gebiete zu thun ist, und so wäre des Verfassers
schönster Dank fiir seine Mühe, wenn die vorliegende
Arbeit Anlass zu weiteren Lokalforschungen und
Einzelarbeiten gäbe. Die Geschichte der Herren von
Landau, eine Geschichte der Pfandschaft Beichenweiher,
Aalen u. s. w., weitere Einzeluntersuchungen über die
Grundschuldenablösung von 1385—1392, über die Steuer-
gesetze Kaiser Sigmunds u. s. w. wären vortreffliche
Aufgaben, wert der Behandlung durch berufene Federn.
So übergiebt der Verfasser das Werk langer arbeits-
voller Jahre der Oeffentlichkeit mit der Bitte, die Arbeit
so aufzunehmen, wie sie gemeint ist: in sachlicher Weise
die Wahrheit zu fördern.
Ulm, im März 1896.
Dr. Eugen Nfibling.
Einleitung.
I) Die politische und wirtscliaftiiclie Bedeutung des
Judentums seit dem Anfang unserer Zeitreclinung.
a. Von Kaiser Augnstas bis Kaiser Konstantin (81 t. Chr.— 828 n. Chr.)
Man kann den lebhaften Einfluss, den das Jaden tnm
seit den ältesten Zeiten anf den Gang der inneren nnd
äusseren Dinge ausgeübt hat, nicht hoch genug anschlagen.
Weil die Juden immer da sind, wo der Mittelpunkt
des Weltverkehrs ist, sind sie auch stets im Mittel-
punkt des geistigen Lebens, der wirtschaftlichen Fragen
und der Politik. Längst ehe das römische Reich
die Judengemeinde in Jerusalem aufhebt und die dortige
Judenstadt mit Fremden bevölkert, sehen wir mit dem
Schwinden der Bedeutung Jerusalems als Welthandels-
mittelpunkt die jüdischen Eaufleute sich nach den Orten
ziehen, welche die Stelle Jerusalems übernommen haben,
und so ist nicht nur in Bom zur Zeit der Geburt des
Heilands längst eine ansehnliche Judenstadt jenseits des
Tiber, sondern auch in den beiden anderen grossen Welt-
städten, welche damals als gefährliche Nebenbuhler der
Stadt Bom zur Seite treten, in Alexandria und An-
tiochia am Orontes, sind grosse Judengemeinden. Soll
doch Aegypten damals eine jfidiBche Bevölkerung von
1 Million Seelen gehabt haben. Aber auch sonst findet
man die Juden fiberall. Sie begleiten die römischen Heere
als Armeelieferanten bis nach Mesopotamien
und Persien, nach Syrien, Armenien und Kappadocien,
nach Aegypten nnd Mauretanien, nach Spanien, GaUien
und Germanien, nach Bhätien und den Donauländern.
Sie sind rechtsfähig im ganzen Beiche und haben das
Recht, eine Beihe von wichtigen Aemtern zu bekleiden.^)
Trotzdem sind sie schon damals wenig zufrieden mit
ihrer äusseren Lage. Ihr Ideal ist die vor 1000 Jahren ge-
wesene Zeit König Davids nnd Salomos, als Jerusalem den
Mittelpunkt des Weltverkehrs bildete, als hier die Waren
aus Aegypten, Phönicien und Arabien aus einer Hand in die
andere wanderten und sich eine gewaltige Fülle politischer
iSchfirer, Geschichte des jOdischen Volks im Zeitalter Jesu Christi,
8. 498 IT.
11
— xvin —
niid wirtschaftlicher Macht in der Hand der Herrscher
dieser Stadt vereinigte. Es ist den Juden ein Dom
im Ange, dass fiberall , wo ihre Geschäftsinteressen in Be-
tracht kommen, der römische Zoll- nnd Steaerpächter sitzt
nnd seine Gebühren namens des Reichs erhebt, Gebflhren,
welche in hohem Grade den freien Handelsverkehr
des jüdischen Weltvolks beschränken. So spielt schon
damals ein scharfer Kleinkrieg zwischen den römischen
G^neralpächtem, den „Zöllnern und Sündern", und dem
jüdischen Handelsvolk, welches sich gegen die Tempel-
ond Vermögenssteuern, Hanszinsen und Umgelder des
römischen Reichs wehrt, bis die römische Beichsregierang
den jüdischen BandenfÜhrem wie dem Ganlonäer Judas
immer schärfer entgegentritt und mit dem Beichsland-
pfleger Pontius Pilatus in Gäsarea ein Mann nach
Palästina kommt, der das jüdische Tempelstift namens
des Reichs in Besitz nimmt, den römischen Adler auf
demselben aufrichtet nnd das Patronat auf das Hohe-
priesteramt mit den hiezu gehörenden Gefallen *) für das
Reich einzieht. Aber schon im Jahre 40 wieder erklärt
es P. Petronius, der Reichslandvogt von Syrien, für ge-
fährlich, die Juden zu einer feindseligen Stimmung gegen
Rom zu reizen, und als unter Kaiser Vespasian der Krieg
gegen die Juden erneut ausbricht, drohen ernste Feind-
seligkeiten der Juden jenseits des Euphrat'), bis schliesslich
Titus im Jahre 70 die Judengemeinde in Jerusalem
völlig aufhebt, wobei der Tempel in Flammen aufgeht
Wie wir so die Juden in Jerusalem im Hader mit
dem Reiche um die Steuerleistungen sehen, so finden
wir ähnliche Kämpfe im zweiten Mittelpunkte der damaligen
Judenschaft, in Alexandria. Hier und in Cyrene ist
der Hauptsitz der politischen Machenschaften des Juden-
tums gegen das Römerreich. Im Jahre 89 befiehlt Kaiser
Galignla, sein Bild in den Synagogen von Jerusalem und
Alexandria aufzustellen, um damit das römische Reich zum
Patronatsherm der betreffendenTempelgefäUe zu erklären und
die Würde des römischen Staatsoberhaupts als Augustus
oder oberster Religionsherr des Reichs festzustellen.
Aller Widerstand der Juden gegen diese Verordnungen
ist vergeblich; umsonst macht sich eine Gesandtschaft
unter Führung des Hochmeisters Philo aus Alexandrien
namens der Alexandriner Judengemeinde auf den Weg:
die Reichsregierung beharrt bei ihrem Beschluss.*)
Weitaus den stärksten Prozentsatz an jüdischen Be-
wohnern hatte Syrien mit seiner Hauptstadt Antiochia
«) Vergl. Makkabfter, Buch 1, Kap. 10, V. 28-45.
■} Scbarer, Geschichte der Juden, Bd. 2, S. 500 ff., 510.
— XIX —
am Orontes, wie anch Damaskus and andere Städte
dieses Lands Tansende von Jaden z&hlten and aach in
den Städten Eleinasiens eine Unmasse von Jaden bis in
die hintersten Winkel des Schwarzen Meers wohnte,
während in Italien namentlich Bom der Sitz einer
starken Jadengemeinde war. Mit dem römischen Bürger-
rechte beschenkt, siedeln sich hier die Jaden schon anter
Pompejus jenseits des Tiber (Trastevere) an. Beim Tode
Cäsars klagen sie an seinem Scheiterhaufen, anter Kaiser
Aagastas ist die Gemeinde bereits 8000 Seelen stark
and nnter Kaiser Tiberias wird im Jahre 19 die ganze
Jadengemeinde aas Bom verwiesen, weil sie zahlreiche
begüterte heidnische Bürger zum üebertritt bewogen, ihnen
grosse Summen ids Tempelsteuern abgenommen und nach
Jerusalem geschickt hatte, so dass sich die römische
Reichskammer in ihren Gefallen geschädigt gesehen
und 4000 waffenfähige Juden durch den jadenfeindlichen
Burggrafen Sejan zur Bekämpfung der dortigen Auf-
ständischen nach Sardinien geschafft hatte.®) Es ist
darum auch sehr wahrscheinlich, dass die Juden an dem
im Jahre 31 erfolgten Sturze des Burggrafen Sejan
einen hervorragenden Anteil hatten; wenigstens wird be-
richtet, dass Kaiser Tiberius nach dem Sturze Sejans ein-
gesehen habe, dass die Juden von diesem bei ihm verleumdet
worden seien, und den Befehl erliess, die Juden künftig
überall im Reiche zu dulden und an der Ausübung ihrer
Gebräuche nicht mehr zu hindern. So kehren die Juden
wieder nach Rom zurück und zur Zeit Kaiser Galigulas
(37—41) ist die Gemeinde wieder sehr stark, ja die
Kegierung des Kaisers Claudius (41 — 54^ beginnt mit
einem allgemeinen Toleranzedikt für die Juden, dem
freilich später einschränkende Bestimmungen folgen, ver-
anlasst durch Unruhen, welche die steigende Bedeutung
des Christentums in den Judengemeinden hervorruft.
Wie die Juden in diesen grossen Weltmittelpunkten
die Grosshandelsthätigkeit in Händen haben, so sind sie
ebendaselbst mannigfach wenn auch nicht die öffentlichen,
so doch die thatsächlichen Leiter der grossen geistigen
und politischen Bewegungen der Zeit Jüdische
Gelehrte sind es, welche auf der alezandrinischen Hoch-
schule den neuplatonischen Ideen mit ihrem inter-
nationalen Eklekticismus zum Durchbruch verhelfen. Es
ist ein Gemengsei von jüdischen, persischen und griechischen
Gedankenschnipfeln, das hier in gewandter Mache zu einem
religiös-philosophischen Weltsystem zusammengearbeitet
wird, ein wissenschaftliches Vermittlungsgeschäft, bei dem
jeder seine Rechnung finden soll, bis man schliesslich einsieht.
dass der ^Spiritus sum Teufel^ ist JAdische M&nner sind
es, welche in Jerasalem, Antiochia a. s. w., scharf be-
aufsichtigt Ton der Reichsgewalt, die ersten Christen-
gemeinden gründen; in Jerasalem streiten sich der
heidenfreondliche Apostel Panlus and der mehr dem
Judentum zuneigende Petrus um die wichtige Frage, ob
man es lediglich dem Gewissen des Einzelnen ttberlaseen
dflrfe, dem Menschen den Weg zum Heil zu weisen, oder
ob dazu die Beobachtung einer Reihe von Gesetzen zu
verlangen sei, ob auch f&r den Christen die jüdischen
ascetischen Speisegesetze gelten sollen, Fragen, die
sp&ter wiederholt lebhafte Meinungskämpfe zwischen den
mehr paulinisch denkenden Griechen und den Lateinern
hervorrufen.
Bereits ist denn auch das Judentum derart mit dem
römischen Reich verwachsen, dass die kaiserlichen Erlasse
gegen dasselbe nicht mehr von dauernder Wirkung sind.
Fehlt es schon zur Zeit des Kaisers Augustus nicht an
politischen Beziehungen der Juden zum römischen
Hof e, so wird ihre Stellung zur Zeit Kaiser Neros (54 — 68)
noch einflussreicher. Im Bunde mit dem Alexandriner
Josephus gelingt es der dem Judentum ergebenen
buhlerischen Kaiserin Poppäa, auf den dem Magismas
und der Dämonologie zugeneigten Kaiser Nero einen
schwerwiegenden Einfluss auszuüben, der darauf hinzielt,
den Hoflereisen eine bessere Meinung über die Juden
beizubringen, eine Thatsache, der gegenüber die Streitig^-
keiten des Apostels Petrus mit dem Magier Simon,
die sich in der Legende bis nach Rom vor den Kaiser
fortpflanzen % ebenfalls einen politischen Beigeschmack be-
kommen. Der Magier Simon gilt als Stammvater der
Simonie, der Zuwendung öffentlich-rechtlicher Vorteile
um Geld, und man hat von Seiten der Anh&nger des
Petrus bekanutlich der Lehre des Apostels Paulus vor-
geworfen, dass sie Simonie treibe, wenn sie, den Glauben
in den Vordergrund stellend, die Aufnahme in die Gemein-
schaft lediglich von der Bezahlung der Gemeindesteuer
abhängig mache und nicht auch die Beobachtung des
Gesetzes verlange, und so ist dieser legendenhafte Streit
um die Gunst des Kaisers Nero ein interessantes Problem
auch für die Wirtschaftsgeschichte.
Immer schärfer treten damals gerade die wirtschaft-
lichen Fragen in den Vordergrund. Die entscheidende
Stimme des Staatswesens haben die selbstherrlichen Kaiser, |
welche wie Nero als Freunde des persischen Magismus j
^) KurU, Lehrlmch der Kircheogetchichte, Bd. 1, 8. 60.
— XXI —
mit dem Begriff des persönlichen Gottes auch den
Begriff des Herrschertums von Gottes Gnaden ver-
binden. Sie ziehen daraas die wirtschaftliche Folgerang,
dass sie anf Grand ihrer Unyerantwortlichkeit gegenüber
den Menschen ohne weitere Bficksicht auf die Würdigkeit
des Bewerbers die Aemter des Beichs nach Gatdttnken
vergeben dürfen, and laden so den Vorwarf der Simonie
aaf sich. In der äassem Politik je nach Gutdünken der
hinter ihnen stehenden Interessenkreise national oder inter-
national betrachten sie die Geifälle des BOmerreichs als ein
ihnen kraft göttlicher Verleihung gebührendes persönliches
Recht, mit dem sie thnn and treiben dürfen, was sie wollen.
Sie öffnen das Beich der fremden Einfahr oder hemmen die-
selbe, indem sie das Beicbsgebiet mit der grossen Zoll-
schranke des Limes nmgeben and von der Skotengrense
in Britannien zur Porta Westphalica, zam Bhein-Donaalimes
and zam Botentarmpass bis hinüber zur Porta Gaspia and
zar modischen Maoer im Eaphratthal einen Kranz von
Zollbargen ziehen, der dem freien Handelsverkehr
hemmend im Wege steht.^)
Neben ihnen steht das Judentum. Den Nationalis-
mus als Domäne des jüdischen Priesterstaats betrachtend,
predigt es allen Nichtjnden den Internationalismus, möchte
thunlichst alle Schranken niederreissen und das Beich
der freien Einfuhr der innerasiatischen Waren aus
Kaschmir, Hindostan und Turkestan öffnen und begünstigt
deshalb den Zerfall der nationalen Beichsgewalt und die
Kleinstaaterei. Scharf bekämpft von den Persern,
welche darin fllr ihren seitherigen Handelsverkehr mit
dem Westen den Untergang ihres Handelsmonopols
erblicken, wird das Judentum unterstützt von den
Parthern und Griechen und man begreift es, wenn
im Jahre 114 unter Kaiser Trajan der Parther krieg
dadurch als besonders gefährlich erscheint, dass sich
im Bücken der Bömer die reichen Juden Mesopo-
tamiens in Nehardea und Nisibis erheben, weil Kaiser
Trajan den Krieg an Parthien erklärt; man versteht
es aus diesen Gründen heraus, wenn die Juden der
partherfeindlichen Haltung der Begierung entgegen
auf Gypern, in Cyrene, in Palästina Aufstände
erregen^, bis Kaiser Hadrian im Jahre 135 die Juden-
gemeinde in Jerusalem erneut aufbebt, die dortige
Judenstadt mit NichtJuden bevölkert und scharfe Gesetze
gegen das mosaische Gesetz und dessen Lehren erlässt,
die zwar von Kaiser Antoninus Pius gemildert, aber
") Herd, Geschichte des LevantehaDdeU, Bd. 1, 8. 5 ff.
") BcnOrer, Geschichte der Jaden, Bd i, 8. 497.
— XXTI —
Yon Kaiser Markns Aurelius wieder verschärft werden.
Man begreift aber aach die furchtbare Strenge, mit welcher
die römische und die persische Staatsgewalt gegen die ge-
lehrten Häupter der damaligen reUgiös-philosophischen
Parteien yorgeht Diese geistigen Bestrebungen, wie sie
sich in den Alexandrinern Philo und Josephus, in den
Lehren des gotisch-parthischen Kaufmanns Manes,
wie sie sich nicht zum wenigsten im Christentum zeigten,
hatten eben auch ihre ganz bestimmte wirtschaftspoli-
tische Bedeutung: Sie waren epochemachend auch f&r
den Durchbruch neuer wirtschaftlicher Ideen, wie z. B. die
Lehren Leckes für die Physiokratie und damit die
Emanzipationder Juden und desKapitals im 18. Jahr-
hundert Jedes dieser religiös-philosophischen Systeme
hatte auch seine wirtschaftspolitischen Folgerungen. Der
Paulinismus, welcher die christlichen Onadenmittel als
Gtewissenssache des Individuums, d. h. nach damaliger
politischer Auffassung entsprechend der Auffassung der
Reform ationszeit der Landesherrschaft (cujus regio,
ejus religio) betrachtete, läugnete das Aufsichtsrecht
des Augustus als summus pontifex und erschien darum
reichsgefährlich, den Absolutismus der Kleinen be-
günstigend. Man hielt ihn f&r wirtschaftlich-kosmopolitisch
und damit universell-freihändlerisch, und so ergieng es ihm
wie dem Frelmaurertum des 18. Jahrhunderts. Der Petri-
nismus dagegen war wirtschaftlich national, nur setzte er
an die Stelle der weltlichen Staatsgewalt die Macht der
Kirche. Ein „Kauft nicht bei Juden, bei Parthem, bei
Oriechen'* konnte es nicht mehr geben , wenn diese Völker
im universell-paulinischen Sinne von den einzelnen Landes-
herren ohne Zustimmung des römischen Reichs aus
„Barbaren^ zu „Nächsten^ gemacht wurden, und der
nationale Beichsgedanke söhnte sich deshalb mit dem
Christentum erst aus, als es durch Kaiser Konstantin zur
Beichsreligion erhoben und damit entsprechend der
Lehre des Petrus der Begriff des „Nächsten'' dem Begriff
„römischer Reichsbfirger'' gleichgestellt wurde. Damit trat
der „Ketzer'' an die Stelle des „Barbaren" und man war
wieder auf dem alten national-wirtschaftlichen
Boden angelangt.
Dem römischen Cäsarentum erschien als gefährliche
wirtschaftspolitische Beigabe aller dieser neuen Richtungen
die Gefährdung des absoluten Königtums und der
Macht der Krone und so sehen wir als wirtschaft-
liches Seitenstück zum politischen Kampf zwischen
priesterlichem Mosaismus und weltlichem Cäsarentum und
dem als versöhnende Kraft zwischen beide tretenden gallisch-
— xxm —
Iiellenischen Christentiim im wirtschaftlichen Kampf
zwischen Juden und Heiden als Ausgleich den gallisch-
hellenischen Freihandelsgedanken. Dieser Gedanke
aber hat zwei Bichtongen, den heidenchristlichen nniyersell-
paulinischen and den jndenchristlichen national-petri-
nlschen. Wie es der erstere dem Gewissen des Indi-
viduums, d. h. praktisch kirchenrechtlich gesprochen dem
Landesbischof, ttberlässt, sich selbst das Gesetz zu geben,
80 muss er auch wirtschaftlich liberal wirken. Der Petrinis-
mus aber beschränkt das commercium auf diejenigen, welche
das „Gesetz** halten, identifiziert seit Kaiser Konstantin
die christliche Kirche mit dem römischen Beich und
damit wirtschaftlich mit dem Kontinentalzollverband
des römischen Reichs, eine Einrichtung, wie sie der Cäsaris-
mus des ersten Napoleon neu aufleben liess. SeiÜier bilden
die Griechen und Lateiner eine kirchliche und wirt-
schaftliche Interessengemeinschaft gegen die nicht dem
Romanismus eingegliederten Völker, die sich aber nur
kurze Zeit aufrecht hält, bis um das Jahr 896 mit dem
Aufhören der wirtschaftlichen Interessengemeinschaft auch
der politische Verband zwischen Bom und Byzanz wieder
zerfällt
Der grossrömische oder romanische Kirchenstaats-
gedanke beruhte auf der persönlichen Verbindung der
beiden Schwerter, des kirchlichen und des weltlichen, auf
der Vereinigung von Augustus und Kaiser (Cäsar).
FlUirt der Augustus als „tribunus'^ die Aufsicht über die
innere oder Markungssicherheit und übt das wichtige,
gerade vom jüdischen Hohenpriestertum so viel um-
strittene Asylrecht der Tempelstätten, ist er als
„pontifex^ Herr über den Landfrieden, das „jus circa
Sacra'' die „treuga Dei'', und bezieht die Binnenzölle
für die Instandhaltung und Sicherung der Brücken und
Wege, die Münze und Wage u. s. w., so sorgt der Kaiser
als Herr in den Burgen, als „summus praetor'', für die
äassere oder Beichssicherheit und bezieht die Grenz-
zölle. So ist die Vereinigung beider Aemter eine Ver-
bindung yon summus pontifex und summus praetor, von
Bischofsgewalt und Grafengewalt, yon Civilverwaltung
und Militärrerwaltung , yon geistlichem Landfrieden und
weltlichem Beichsfrieden , yon Kreuz und Hand, wie sie
uns in den Bischofsstädten des Mittelalters als getreues
Spiegelbild altrömischer Verhältnisse in neuem Gewände
entgegentritt Zu Grunde aber geht im Bömerreich diese
Verbindung daran, dass der Westen, in welchem der
Bischofsgewalt die erste Bolle zukommt, dem Osten,
in welchem die Vogtsgewalt tonangebend ist, nicht
— XXIV -
mehr die Mittel gewährt, die barbarischen, die ketzerischen
Völker abzuhalten, und so der Brach zwischen Westrom
nnd Ostrom erfolgt
Sind seit der Aufrichtung des römischen Kreuzes
in Palästina die von dort vertriebenen Juden mit Vor-
liebe nach Parthien, Innerasien und China gezogen,
wo sie in Eaifongfu eine grosse blühende Gemeinde
gründen, hatten sie von Mesopotamien aus die Parther
gegen das sie verfolgende römische Reich gehetzt, 8o
bessert sich seit Kaiser Septimius Severus (193 bis
211) ihre Stellung im Bömerreiche wesentlich. Die
zunehmende wirtschaftliche Bedrängnis der Reichs-
regierung zwingt dieselbe, den Juden gegenüber sich zu
Einräumungen herbeizulassen, um deren Hilfe zu erhalten.
So gelingt es den Juden wieder, im römischen Reiche
nicht allein Duldung ihrer Religionsgebräuche,
sondern auch erneut in steigender Anzahl das römische
Bürgerrecht zu erhalten. Als römischer Bürger aber
ist der Jude frei von jeder unmittelbaren Steuer
(tributum) und darf mit keiner entehrenden Strafe belegt
werden; er ist reichsunmittelbar, freier vollberechtigter
Genosse des Reichsverbands, der keinem Landesherm
zu Diensten verpflichtet ist, sein Gerichtsherr ist der
Viztum, der Procurator des Kaisers; gefällt ihm dessen
Spruch nicht, so steht ihm das Recht der Berufung
(provocatio) an das Reichskammergericht zu. Der Jude
ist auch zur Erwerbung von Aemtem berechtigt, d. h. er
kann Münzstätten, Zollstätten u. s. w. pachten und namens
des Reichs verwalten, und darf nicht gezwungen werden,
in eine öffentliche Körperschaft einzutreten. Es
sind die ersten Bestimmungen über die bürgerlichen
Rechtsverhältnisse der Juden, welche uns die Juden in
geradezu bevorzugter mächtiger Stellung zeigen. Die
Juden machen von dieser Stellung denn auch ausgiebigen
Gebrauch, indem sie ihre zum Christentum übergetretenen
Landsleute in Palästina in harter Weise verfolgen.'^
b. Von Kaiser Konstantin bis Kaiser Jastinian (d28— 527).
Seit dem 3. Jahrhundert sind neben Rom, Galiläa
und Syrien vor allem die Euphratländer die Mittel-
punkte des Judentums. Hier wohnen die gelehrtesten
Talmud isten, hier sitzen die reichen jüdischen Gross-
händler und vermitteln den Warenaustausch der Völker.
Rom zehrt als Hauptstadt des Reichs nur noch vom
alten Ruf, es hat die alte Ehrenstellung bewahrt, die
*) Depping, Jaden im Mittelalter, S. 26.
— XXV —
fentlichen beiden wettbewerbenden Reichsmittelpankte
er sind Antiochia am Orontes nnd Byzanz, während
exandrien immer mehr in den Hintergrand tritt Wie
Antiochia der Jnde anter Kaiser Heliogabal and der
nobia tonangebend ist, so spielt er in Byzanz eine her-
rragende Bolle. Immerhin aber geht man, seit die Jaden
re Thätigkeit mehr in das den Oriechen feindliche
rsische Sassanidenreich verlegen, denselben im
mischen Beiche immer schärfer anf den Leib.
Seit anter dem im deatschen Trier geborenen Kaiser
on st antin (328—387) die Römer die Herrschaft daaernd
ch Byzanz verlegt haben and das erste gallisch-
5llenische Kaisertam im Osten fest begrflndet worden
t, haben sich der Staat and die christliche Kirche znr
igenseitigen Wahrang ihrer Interessen zasammengefanden
id die weltlichen Machthaber sehen sich veranlasst, die
acht der Vertreter der Heilandslehre als gleich-
srechtigten Machtfaktor neben der göttlichen
acht des Aagastas anznerkennen. Um den wachsenden
astritten aas der christlichen Oemeinschaft za
eaem, wird der Uebertritt zam Jadentam mit Ver-
ögenseinzag belegt, damit die Steaerkraft der
hristlichen Bischofsgemeinden nicht noch mehr
eschmälert wird, man hebt das Heiratsrecht zwischen
aden and Christen anf, man beschränkt den Wacher
arch gesetzliche Massnahmen, man schQtzt die zam
hristentam Qbergetretenen Jaden gegen ihre jüdischen Ver-
»Iger. Die Jadengemeinden, welche seither anter ihren
adenbischöfen den Christengemeinden and ihren Christen-
ischöfen in den Reichskolonien gleich gestanden hatten,
erden der Vogtei der Christengemeinden anterthan,
nt Kaiser Konstantin das Christentam zar Staats-
eligion erhoben and damit alle NichtChristen za
lossen Beisitzern gemacht hat Der Aafenthalt
i Jerasalem wird den Jaden verboten; ihre Hinter-
issen za beschneiden oder christliche Hintersassen
1 haben, wird ihnen nntersagt and im Jahre 321 in
^öln bestimmt, dass die Jaden ebenfalls zam Eintritt
I die Zwangskörperschaften and zar Teilnahme an
en städtischen Lasten verpflichtet sein and nar
bis 3 Jadenfamilien gemeindesteaerfrei als Reichs-
ammerknechte in der Stadt sitzen dflrfen sollten. Es war
ffenbar der Schlnss einer Reihe von harten Kämpfen
er christlichen Bürgergemeinden gegen die
teaervorrechte der römischen Reichsbürger,
kämpfe, die anter Kaiser Jnlian (361—368) freilich
inen RAckschlag erfahren, welcher, der wirtschaftlichen
— XXVI —
Unterstfttzang der Jaden bedürftig, ihnen die Gründung
neuer Judengemeinden, namentlich in Jerusalem,
gestattete.®)
So ist das 4. Jahrhundert eine der glänzendsten
Zeiten des Judentums im römischen Itoiche und unter
Kaiser Theodosius (379 — 395) dem Grossen, welcher
ebenfalls wie Kaiser Julian der wirtschaftlichen Hilfe
der Juden dringend bedarf, kommt es denn auch, wie schon
unter Kaiser Julian, wegen der Steuerbevorzugungen,
welche die Juden als unmittelbare Beichskammerknechte
in den Städten geniessen, in den Jahren 384 und 390 in
Mailand, Saloniki, Alexandria und anderen Frei-
städten des Reichs zu grossen Jadenkrawallen.®) Die
athanasischen Bischöfe zeigen sich^ dabei als heftige
Gegner der Juden und hintertreiben den Befehl der
Reichsregierung zum Wiederaufbau der Synagogen und
namentlich veranlassen der Bischof Ambrosius von
Mailand und der italienische Feldhauptmann Stilich o
scharfe Gesetze gegen die steigende Einfuhr
griechischer und levantischer Erzeugnisse nach
Italien. Die Juden dagegen gebrauchen die griechisch-
arianische Gegenpartei zu ihren Zwecken und als im
Jahre 408 der hellenen- und jndenfeindliche Parteigänger
Stilicho ermordet wird, bringen sie es dahin, dass in
Italien das seitherige Einfuhrverbot fbr griechische
Waren aufgehoben, so dem Einfuhrmonopol der Perser
nach Italien ein Ende bereitet und allen griechischen
Kaufleuten und damit auch den Juden die Niederlassung
in Italien erlaubt wird.®) Seither schärft sich freilich in
Byzanz der Kampf mitPersien, dessen Handelsinteresse
durch diese Einräumungen an die Parther und Goten
schwer geschädigt wird.
Hatten die Judengemeinden des Reichs seither wie
die Christengemeinden ihren Reichshochmeister oder
Patriarchen gehabt, der den Titel „illustris" ffthrte
und den Judenbann selbstständig verhängte, so standen
sie in Streitigkeiten unter sich zunächst unter dem
Gericht der Judengemeinde, von dem aber eine
Berufung an das Reichskammergericht möglich war,
während bei Streitigkeiten mit Andersgläubigen das
bürgerliche Gericht zuständig war. Eine Verordnung
der Kaiser Honorius (395 — 423) und Arkadius (395
bis 402) erneuerte die Freiheitsrechte der Synagogen-
vorstände und sicherte ihnen erneut den bestrittenen
gleichen Rang mit den christlichen Kirchenvor-
") Depping, Juden im Mittelalter, S. 28 f.
*) Fischer, Deutsche Handelsgeschichte, Bd. 1.
— xxvn —
Händen. Man erlaubte den Jaden wieder, christliche
Leibeigene als Schaldsklayen zn haben, nur sollten
diese nicht an der Ansflbnng ihrer Beligion gehindert
(werden, Zustande, die im Frankenreiche im 6. Jahr-
Imndert zn schlimmen Folgen führten. Dagegen wurde
jie Gründung neuer Judengemeinden und der
Bau weiterer Synagogen untersagt und den Juden
die Erwerbung der Bitterwflrde verboten, ohne dass
dies jedoch ihrem Ansehen schaden sollte, wohl weil die
Christen sich weigerten, gemeinsam mit Juden Heeres-
dienste zu leisten, während ihnen das Becht, Aemter zu
erwerben, nach wie vor erhalten blieb.
Wie immer, wenn es ihnen schlecht geht, suchen
auch diesmal die Juden Hilfe gegen ihre Feinde bei aus-
wärtigen Völkern, und wie es im 3. und 4. Jahrhundert
die tartarischen Part her und die türkischen Hunnen sind,
die ihnen Hilfe bringen, so baut sich ihreHoffiiung im 5. und
6. Jahrhundert auf die Goten und Alemannen, deren
Fürsten sich in ihrer schweren Geldnot den Juden zur
Verfügung stellen und mit der Juden Geld ganz Gallien
diesseits und jenseits der Alpen wie die spanischen Länder
erwerben. In Orleans, Arles, Barcelona, Toledo u. s. w.
entstehen jetzt erneut unter dem Schutze der Goten blühende
Jadengemeinden. So ist die Stellung der Juden in den
gotisch-arianischen Gebieten damals wesentlich besser
als im katholischen Bömerreiche und es scheint die
Ansicht Menzels nicht unberechtigt, der den Wunsch
der Italiener, wieder unter die Herrschaft der
Byzantiner zu kommen, darauf zurückführt, dass sich
die Italiener von der dortigen Begierung kräftigeres
Auftreten gegen die Juden versprachen.*®)
Unter dem Schutze der Goten entwickelt sich denn
auch vor allem in Spanien und der Provence eine
neue Litteraturperiode der Juden, die, wenn auch
durch harte Verfolgungen unterbrochen, die besten Blüten
der jüdischen Litteratur und Poesie zeitigt.
Den Juden ist diese Zufluchtsstätte in Spanien um so
erwünschter, je mehr ihnen sonst der Boden damals
unter den Füssen schwindet; denn wesentlich ungünstiger
als die arianischen Völker des Nordens stehen den
Juden die engverbundene römische Staatsgewalt und
römische Kirche gegenüber. Kaiser Justinian I.
(527—565) ist kein Freund der Juden. Seine Gesetzgebung
beraubt im „Titulus de Judaeis^ die Juden auf ewige
Zeit des Bechts, öffentliche Aemter zu erwerben
^*j Deppiog, Jaden im Mittelalter, B. 27, 81 f.
— xxvm —
and Zeagnis vor Gericht gegen einen Christen ab-
zugeben, and verbietet den Jaden, ihre zum Christentum
flbergetretenen Kinder des Pflichtteils zu berauben, i?fthrend
ihnen das Becht unbenommen bleibt, in Olaubenssachen
sich selbst Recht zu sprechen.*^) Auch die rOmische
Kirche geht seit dem 5. Jahrhundert immer schärfer
gegen die Juden vor. Sie verbietet den Christen, mit
Juden gesellig zu verkehren, untersagt die Ehe mit
Juden, verbietet den Juden, an christlichen Feiertagen die
Häuser zu verlassen ; sie zwingt die Juden zur Ehrerbietung
gegen die katholischen Geistlichen, wahrt das Asylrecht
der Kirchen, verbietet den Juden, Steuer- und Zollpächt«r
zu werden. Papst Gregor I. (590—604) verlangt zwar,
dass man den Juden die gemachten Zusagen ehrlieh
halte, er macht den ehrlichen Schiedsrichter in der
Steuerstreitigkeit der Jndengemeinden von Rom und
Sizilien; aber als er erfährt, dass der Jude Nasas dem
Elias Christenblut opfere, giebt er der Präfektar
Sizilien strengen Auftrag, in der Sache einzuschreiten,
und verbietet allen Juden ernstlich, heidnische Leibeigene
zu beschneiden und zu Juden zu machen. Getaufte
Juden bevorzugt der Papst in jeder Beziehung, in-
dem er ihnen zwei Drittel bis drei Viertel ihrer seit
herigen Steuern erlässt und ihnen geschäftliche
Vorteile zuwendet, wie man auch solche Konvertiten
schon seit dem 4. Jahrhundert in den höchsten Kirchen-
stellen findet.
c. Von Kalter JastiDian bii Kaiser Karl dem Grossen (525-769^.
Hatte, nicht zum wenigsten infolge der jfldischen Bei-
hilfe, im 5. und 6. Jahrhundert die römische Kirche nicht
vermocht, mit den am Arianismus hängenden Ooten
fertig zu werden, so wird es freilich im 7. Jahrhundert
anders, als die Goten, um dem steigenden Druck der
Juden he rrschaft zu entrinnen, sich um Hilfe an den
Krummstab wenden. Die Goten, die ursprünglich die
Juden günstig behandeln, treten ihnen aufs schärfste
gegenüber, als sie um das Jahr 600 vom Arianismus zom
Katholicismus fibergehen. Das damals neu bearbeitete
westgotische Gesetzbuch nennt die Juden eine flach-
würdige Sekte, untersagt ihnen, ihre Feste zu begehen
und die Beschneidung rituell zu vollziehen, und befiehlt
ihnen, Schweinefleisch zu essen und keinen Unterschied
zwischen reinen und unreinen Gerichten zu machen.
Ehen zwischen Juden und Christen sind nichtig,
jüdische Leibeigene, die Christen werden, sind frei-
zulassen. Die Aufsicht über den Vollzug dieser
— XXIX —
Gesetze f&hrt die Kirche, deren Strafen allen welt-
lichen Richtern in Aassicht gestellt werden, die sich,
dnrch Oeschenke oder andere Gründe veranlasst, als
Jnden freunde beweisen. Kein Christ darf ferner
Patron eines Juden werden und alle christenfeindlichen
Bücher, vor allem der Talmud, werden verboten.*')
Ebenso wenig günstig wie das 5. und 6. Jahrhundert
ist den Juden, wenigstens zeitweise, das 7. Jahrhundert
in Byzanz. Ist der zum Kaiser ausgerufene Feld-
hauptmann Phokas (603—610) ihnen freundlicher gesinnt,
so ist ein um so schärferer Gegner der Juden der
Kaiser Heraklius der Karthager (610 — 641V weshalb
die griechischen Juden von Palästina dem König
Kosru IL von Persien zur Eroberung dieses Lands
verhelfen.'*) Als freilich bald darauf Mohammed die
Glaubensfahne gegen die Juden und ihre persischen
Schutzherren erhebt, geht ihnen diese Heimstätte verloren ;
wenn wir aber sehen, wie die Araber im Jahre 672
den Koloss von Rhodus an einen jüdischen Alteisen«
händler auf den Abbruch verkaufen, so zeigt uns das schon
damals das wirtschaftliche Verhältnis des Araberreichs
in wenig günstigem Lichte und so steigt der Stern der
Juden ganz erheblich im 8. Jahrhundert. In Spanien
ist man den Juden, welche das Erbkönigtum als Feld-
zeichen gegen die das römische Wahlkönigtum ver-
teidigende Kirche aufgepflanzt haben, bei Hofe derart
verpflichtet, dass diese ein Vorgehen der Regierung gegen
die katholische Kirche veranlassen können, bis eine
Verschwörung der katholischen Partei unter dem Grafen
Roderich gegen den Hof die Austreibung der
Juden durchsetzt, was die Judenschaft damit beant-
wortet, dass sie die Araber ins Land ruft, welche nun-
mehr seit dem Jahre 710 5 Jahrhunderte lang das Land
für sich und die Juden behaupten.*') Ebenso günstig ge-
staltet sich die Lage der Juden in Byzanz, wo der Kaiser
Leo m. der Isaurier (717—741) den Juden derart ver-
pflichtet ist, dass er, um ihnen und den Parthem zu Willen
zu sein, angeblich um ihnen die Bekehrung zum Christentum
zn erleichtern, mit roher Gewalt den dem Volke in Fleisch
und Blut übergegangenen Bilderdienst abschafft, um
die Macht der Kirche zu schwächen, während die katho-
lischen Geistlichkeit von Damaskus aus unter dem Schutze
des Islam gegen dieses Vorgehen des griechischen Staats
Verwahrung einlegt.**)
") Depplnff, Jaden im Mittelalter, 8. 84, 14.
'*) Kam, Lehrboch der Kirchengeachichte S. 836.
d« Von Kaiier Kari dem Gronen bis Eaiier Friedrich Barbanma
(769-1161).
Wie die arabischen Abbasiden in Persien, nament-
lich der Ehalif Harnn al Raschid za Bagdad, im unter-
schied zu dem ihnen feindlichen Hanse Omar in Damaskus
die Jaden als ihre besonderen Lieblinge behandeln, wie sie
ihnen einen besondem Exilarchen mit dem Fflrstentit^l
„Oeon'* geben, so ist es anch unter dem Freonde des EhaUfen
and der Perser, dem fränirischen Kaiser Karl dem Grossen.
Die Jnden sind es, welche die damals neu eröffneten
Handelsbeziehungen zwischen dem Frankenlande
und Persien anbahnen, ein Jude ist es, der die fränkische
Gesandtschaft zum Ehalifen nach Bagdad bringt; die
Juden sind es, welche von Persien aus seit dem 8. Jahr-
hundert, als der Welthandel sich wieder seine Bahn durch
Innerasien schaiFt, in zunehmender Menge nach dem
parthischen Gasaren- oder Zigeunerlande an der Wolga
strömen, wo sie ein grosses yom Easpisee bis zu den
Earpathen sich erstreckendes Reich mit der Hauptstadt
Itil oder Astrachan gründen, dessen Ffirstenfamilie dem
jüdischen Glauben angehört, bis im Jahr 969 der
Russenzar Swätoslaas von Eiew sich dieses Reichs be-
mächtigt, wie auch das grosspolnische Reich des
Franken Samo jüdischen Einflüssen unterworfen gewesen
zu sein scheint^')
So stehen seit der Mitte des 9. Jahrhunderts die
Juden mächtiger als je da. Ihre Macht ist wieder
einmal auf einem Höhepunkt angekommen, der einen
Rückschlag als unausbleiblich erscheinen lässt, und in
der That zeitigt das 9. Jahrhundert die ersten Erschei-
nungen dieses Rückschlags. Seit in Byzanz die Mace-
d onier an der Spitze der Regierung stehen, weht dort eine
judenfeindliche Luft Man will die Juden helle-
nisieren, man bringt die Bilder in die Eirchen
zurück und schränkt die Juden erneut ein. Auch im
Frankenreiche wird ihre Stellung immer schwieriger.
Wohl haben sie eine eifrige Schfitzerin an Judith von
Bayern, der Gemahlin Eaiser Ludwigs des Frommen,
welche ihnen am Hofe die Stange gegen die Bischöfe
und die SJrche hält, ihnen erneut volle Freizügigkeit
und bürgerliche Gleichstellung, Bevorzugung ihrer Handels-
thätigkeit und eigene Vertretung durch das Amt eines
obersten Judenhochmeisters, ähnlich dem Bagdader
Exilarchen, verschafft, aber schon der Vertrag von
Verdun bringt mit seiner erhöhten Stärkung der
t«) Deppiag, Juden im Mittelalter, S. 49 ff.
~ XXXI —
Kirche Angriffe auf die Jaden and Schritt am Schritt
gewinnen ihnen Männer wie die Erzbischöfe Agobard
und Amnlo von Lyon den Boden ab, indem sie ent-
schieden gegen den Menschenhandel and Grand-
wacher der Jaden auftreten. Sie erzwingen die
Aafhebnng des Gesetzes, dass jfidische Eigenleate aar
mit Einwilügnng ihrer Herren getaaft werden dürfen;
sie setzen es durch, dass den Metzgern verboten wird,
die von der ifidischen Religion den Jaden zam Verzehren
verbotenen Fleischteile anfzakaafen, da man den Jaden
nachsagt, dass sie diese Teile vorher darch Urin ver-
unreinigen, um die Christen zu verderben; sie bewirken,
dass den Juden verboten wird, die christlichen Beligions-
gebräuche lächerlich zu machen, dass die Märkte nicht
mehr der jüdischen Feiertage wegen auf andere Tage
verlegt werden, dass den Juden das Halten von christ-
lichen Dienstboten verboten wird. Nicht mit Unrecht
sieht man in der Judenschaft den Schuldigen daf&r, dass
es an billigen Arbeitern auf dem Lande fehlt, dass
die Landwirtschaft immer schlechtere Erträge gewährt.
Bittere Klagen ertönen namentlich seit dem 10. Jidir-
hundert, dass manche Bischöfe ihr Amt haben nieder-
legen müssen, weil sie nicht mehr die Mittel besitzen,
ihre den Juden verpfändeten Güter und Eigenleute bei
den jüdischen Gläubigem auszulösen, dass zahlreiche
weltliche Grundherren nur dadurch sich über Wasser haben
halten können, dass sie einen grossen Teil ihres
Grund und Bodens an die Juden verkauft und damit den
Best gerettet haben, und in Born ist man entrüstet, dass
die karolingischen Herrscher den Juden die Erwerbung
von Grundeigentum gestattet haben, dass fiberall neue
Judengemeinden in Menge entstehen, dass die Begierung
den Menschenhandel der Juden aus Frankreich nach
Spanien und den Barbareskenstaaten stillschweigend duldet,
ja dass christliche Geistliche zum Judentum übertreten. Das
alles aber kann die Kirche nur erreichen, wenn es ihr
gelingt, die Macht der Juden bei Hofe zu brechen.
Der Grund des Mangels an Arbeitskräften in
den alten Ländern Europas ist die zunehmende, nicht zum
wenigsten von den Juden geförderte Erschliessung
neuer Kulturländer. Wie die Juden sich seit dem 9. Jahr-
hundert in Südrussland und an der Wolga festsetzen,
so strömen sie seit derselben Zeit, nachdem durch die
Besiegung der Sachsenstämme durch das Frankenreich
die Bahn für sie freigeworden ist, in Scharen aus
dem Frankenlande und Alemannien nach dem eigentlichen
Germanien, nach den Ländern nördlich dem Thüringer-
— xxxn —
wald and den ostelbischen Ländern, die bis dahin
eine von Grossgrandbesitzern and deren Söldnern schwach
bevölkerte Landschaft mit extensivem Wirtschaftsbetrieb
gewesen waren, am von den dortigen L&ndereien Besitz
za nehmen, dort Handel za treiben and Geld aaszaleihen.
Je mehr die Zafahr von Bodenerzeagnissen aas den nen-
erschlossenen östlichen Bohstoffländern steigt, am so mehr
verlassen die alten Staaten Enropas die seitherige Betriebs-
weise and beginnen die Waid wir tschaft, die Forst-
wirtschaft and den Flachsbaa. Wo seither der Wind darch
die Boggenhalme gestrichen war, waidet seit den Sachsen-
kaisern das deatsche Pferd, das gesachte wertvolle Hand-
werkszeag des jetzt za erhöhter Bedeatang gelangenden
deatschen Beiters; man findet es einträglicher, den Pferde-
hedarf im Lande selbst za decken, statt ihn wie seither
ans Ungarn za kaafen. Der darch diese Betriebsänderang
flberflfissig gewordene Landbewohner aber zieht nach den
Städten, welche jetzt in immer grösserer Menge entstehen
and in welchen sich seit den Sachsenkaisern jene erste
Blütezeit des deatschen Indastrialismas entwickelt, welche
ihren Zasammenbrnch mit dem Aaf hören des Absatzes
nach Innerasien im 13. Jahrhnndert findet. Die Donaa-
länder, Bnssland and Innerasien sind die Länder, nach
welchen die gewerblichen Erzeagnisse der Abendländer
seit dem 10. Jahrhnndert wandern, and so ist es der
Bedeatang vor allem Spaniens als Aasfahrland ent-
sprechend, dass dort immer wohlhabendere Jndengemeinden
entstehen, deren Babbiner and Hochmeister sich ans den
Spitzen der geistigen Kräfte der Enphratländer,
Aegyptens and Syriens ergänzen and welche dort eine
neae Blütezeit der hebräischen Li tteratar zeitigen,
während mit dem wirtschaftlichen BQckgang der per-
sischen Jadengemeinden eine Ebbe anch in den littera-
rischen Leistnngen der dortigen gelehrten Jadenschaft
eintritt, die erst im 12. Jahrhnndert einer nenen geistigen
and wirtschaftlichen Hochflat des dortigen Jadentmns
Platz macht
Die Zeit städtisch-gewerblicher Blüte, wie sie
das 10. Jahrhnndert im Abendlande zeitigt, ist freilich
nar von knrzer Daaer. Schon mit Kaiser Heinrich IH.
hat sie ihren Höhepnnkt erreicht and im notleidenden
Volke gährt es gegen die Jaden, welche bei all der
Not der Zeit sich immer mehr bereichern, während der
gemeine Mann mit der Verzweiflang ringt Während in
Persien die seitherige bevorzagte Stellang der Jaden
immer mehr notleidet, während man ihnen dort ihre be-
vorzugte Stellang nimmt, klagt im Abendlande die Kirche
immer schärfer, wie die Jadenschaft ihren Bilder-
dienst und den Glauben an einen persönlichen Gott ver-
höhne, wie sie die Heilkraft der Reliquien anzweifle.
In Syrien und Aegypten, den Mittelpunkten des da-
maligen Welthandels, zanken sich Christen und Juden
um die schmäler werdende Beute, und als in Persien die
jadenfreundlichen Abbasiden im 10. Jahrhundert die Herr-
schaft verlieren, ziehen die Juden sich in steigendem Masse
nach Gyrene, Marokko und Spanien. Da der abendländische
Absatz nach den Donauländern und Innerasien stockt,
sieht sich der Kaufmann des Westens veranlasst, selbst
nach den seitherigen Absatzgebieten zu reisen, dort seine
Erzeugnisse abzusetzen und dafür die Erzeugnisse Inner-
asiens einzutauschen. So wachsen seit dem 10. Jahrhundert
die persönlichen Beziehungen der Abendländer zu
den romanischen Ländern, zu Griechenland, Syrien und
Aegypten. In Deutschland wie in Italien, Gallien, Spanien
and Britannien wächst das Interesse fDr die griechische,
syrische und hebräische Sprache und Litteratur und
in den Pflanzstätten des damaligen Wissens, den Kloster-
schnlen der Benediktiner, wie St Gallen, sind fleissige
Mönche, wie Ekkehard, eifrig bestrebt, dem neuen Zuge
der Zeit gerecht zu werden und von geistreichen
Juden den Judäo-Hellenismus des Alexandriners Philo
and den Geist der Romantik, vor allem Piatos, wie
die Geheimnisse der levantischen Sprachen sich beibringen
ZQ lassen.
Mit dem Schwinden der Ausfuhr der westlichen
Länder nach der Levante sinkt aber auch die seit der
zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts so mächtige Stellung
der Juden in den westlichen Ländern und mit dem
Schwinden der wirtschaftlichen Stellung der Juden
als gesuchter Aufkäufer der Landeserzeugnisse hört
auch die Blüte ihrer geistigen Kultur auf. Der erste
Zusammenbruch der westeuropäischen Wirt-
schaftsverhältnisse erfolgt am Ende des 11. Jahr-
honderts. In Antiochia und Byzanz, in Rom und
Venedig hasst man die Juden wie in Deutschland,
wo sie den besten Grundbesitz, Salzsiedereien, Bergwerke
a. s. w. in Händen haben. Man beschuldigt sie, die
Zerstörung der Heiliggrabkirche durch die Araber
veranlasst zu haben, man zwingt sie zur Taufe; der Staat
zankt sich mit der Kirche, in deren Schutz sie stehen,
tun ihre Steuer gefalle. Schon unter Kaiser Heinrich IV.
müssen die Juden um das Jahr 1060 von den gegen sie
erfolgenden Angriffen des Volks geschützt werden.
Kaiser Heinrich IV. ist ihnen wenig günstig gesinnt und
m
— XXXTV ~
die Jnden stellen sich deshalb auch im Kampfe zwischen
Vater und Sohn aof die Seite des jungen Kaisers
Heinrich V. nnd verraten an diesen die Stadt Nürnberg
znr Ansplfindemng , eine Hilfeleistung, die Heinrich Y.
damit belohnt, dass er allen durch Zwang znr Taofe
veranlassten Jnden die Rückkehr zum Judentum frei-
stellt")
Der steigende Druck, den die damals fortwährend
wachsende Einfuhr aus den Ländern der Levante
auf die Warenpreise der wie Spanien von jüdischen
Ministern regierten westlichen Länder übt, hat seine
Schuldigkeit gethan: der Landedelmann wie der Bauer
sind wirtschaftlich zu Grunde gerichtet und zu jeder That
bereit; auf dem Handwerker der Städte, der auf den
innem Markt angewiesen ist, lastet erschreckend die
mangelnde Kaufkraft des Landes. Es gilt, die west^
europäischen Länder von diesen gefährlich gewordenen Be-
völkerungsklassen zu säubern, indem man ihnen Gelegenheit
verschafft, im fernen Osten ein neues Heim zu finden.
So haben die Kreuzzüge auch ihre gute wirtschaftliche
Bedeutung, so hat aber auch die damit verbundene erste
grössere Judenverfolgung ihren erklärlichen wirtschaft-
lichen Hintergrund. Der Durchmarsch der fränkischen
Heereskörper nach der Levante bringt auch für die
Rheinlande und Alemannien starke Quartierlasten, welche
die Stadtgemeinden und deren Juden mit Geld ablösen,
so dass die Truppen vorwiegend dem platten Lande
zur Last fallen und damit grosser Unwille erregt
wird. Trotz allen Bemühungen können die Truppen-
führer Ausschreitungen der ausmarschierenden, meist
schwer verschuldeten Landedelleute und ihrer in der
gleichen Lage befindlichen bäuerlichen Hintersassen nicht
ganz verhindern. Es geht beim Durchzug meist über die
Juden her, welchen die Ausziehenden die Schuld zu-
schieben, dass sie die angestammte Scholle verlassen
müssen, um im fernen Kleinasien und Syrien ein geföhr-
liches Würfelspiel um Tod oder Leben auf neuer wirt-
schaftlicher Grundlage zu wagen. Die Folgen dieser ersten
Judenkrawalle sind denn auch lediglich vorübergehende.
Sobald die gefährlichen Gäste im fernen Syrien sind,
blühen fiberall die Judengemeinden wieder herrlicher
denn zuvor, und beim zweiten grossen Bauernabschub
vom Jahre 1146 geht die Sache wesentlich glimpflicher
ab, da die Behörden bei Zeiten die nötigen Yor-
sichtsmassregeln treffen. Die Führer erklären ihren Aus-
wanderern, man könne von den Juden doch wahrlich
^*) Würfel, NOmbergs Jadengemeinde, S. 11 and 170 t
— XXXV —
nicht mehr yerlangen, als dass sie den Ansmarschierenden
ihr Kapital standen; wenn man die Jaden ans dem Lande
jage, werden es gewisse Christen noch schlimmer als die
Jaden treiben.
Die grossen Kriege aber mit ihren Lösegeldem and
Entschädigangen wie ihren Qnartierlasten für die
Klöster, die prankvollen Ritterspiele and Volksfeste,
welche der Hof der Hohenstaafen dem Volke veranstaltet,
das flotte Leben der adeligen Kleriker, die gestiegene
ansprachsYoUe Lebenshaitang weiter Beyölkerangskreise
haben die wirtschaftliche Abhängigkeit farchtbar gesteigert.
Bischofsinsignien and Altargeräte liegen neben Sceptem
and Kronen in den Trnhen der Städtejnden, fast alle
Klöster and Stifter mfissen den Jaden Zinsen. In Scharen
setzen sich anter den Hohenstaafen die Jaden in Frank-
reich, England, Polen and Lombardien in den bischöf-
lichen Städten fest. In der Provence vor allem sind
sie mächtiger als irgendwo; in Arles, Marseille, Nar-
bonne, Beziers, Montpellier, Genna, Barcelona
a. s. w. giebt es grosse Jadengemeinden mit berühmten
Jadenhochschalen. In London stellen ihre Häaser des
Königs Palast in Schatten, ganz Unteritalien and
Sizilien ist voll von Jaden; in Palermo and Neapel,
in Capaa and Amalfi, in Benevent and Trani
haben sie grosse Gemeinden, deren Mitglieder den reich-
entwickelten Grossyerkehr zwischen Spanien and der
Provence einerseits and der syrisch-ägyptischen Küste
anderseits vermitteln. Ganz Syrien, vor allem
Damaskas, ist deshalb aach von Jndeo belebt wie
Persien, Medien and die Enphratländer, nar Jera-
salem begnügt sich mit einem einzigen Jaden. Aber
aach die Donanländer mit ihrem lebhaften Handels-
verkehr nach dem Osten, der Handelsmittelpankt
Regensbnrg, dann Böhmen, Polen, Bassland nnd
Armenien sind wirtschaftlich in den Händen des aaser-
wählten Volks, welches einen seltsamen Stern, der am
Himmel erschienen ist, als Botschaft des näherkommenden
Messias and der Weltherrschaft des Jadenvolks
betrachtet. Im heiligen Lande f&hrt das christliche Janker-
tam im Bande mit dem jüdischen Grosskapital ein zügelloses
Schlemmerleben, so dass die Moslems den Krenzfahrcm höh-
nend znrofen, mit welchem Bechte sie das heilige Grab an-
sprechen, da sie doch die Mörder des Heilands bei sich füttern,
von denen es jetzt in Palästina wimmle, nnd immer lanter
geht die Klage, dass verschaldete Christen den jüdischen
Glaaben annehmen, am sich wieder aaf die Beine za
helfen. Wie die Stellang der Jaden im Westen aber immer
m*
— XXXVI —
m&chtiger wird, so blQht jetzt eine nene jüdische Litteratnr«
Periode empor. Geht die BlOte des spanischen Talma-
dismus mit Maimondes am das JiJir 1200 za Ende, so
gedeiht jetzt die Fracht der kabbalistischen Stadien
in der Provence and in Sfiddentschland, z. B. in
Botenbarg a. d. Taaber, das seither einen hervorragenden
Mittelpankt des dentschen Jadentams bildet
II) Die Steuerverhftitnisse der Juden.
a. Der Jadenichats.
Wohl die wichtigste Folge der Ereazzttge and des
darch sie bewirkten BevOlkerangsabschabs ist, dass
es die Jaden seit dem 11. Jahrhnndert für richtig finden,
vom Lande mehr nach den bischöflichen Städten za ziehen
and sich dort anf den ihnen verpfändeten reichssteaerfreien
Besitzangen niederznlassen. Die Jaden thnn dies einmal
der bessern Sicherheit wegen, dann aber, am auf
diese Weise das f&r sie jetzt immer wichtiger werdende
Marktrecht in den Bischofsstädten za erhalten. Nach
dem reinigenden Gewitter der Kreazzfige and der damit ver-
bandenen GrandschaldenenÜastang nimmt die Bedeatang
des Eornbaas wieder za and der Bewohner des platten
Lands bedarf deshalb des Jaden nicht mehr derart, wie
der nnnmehr immer mehr notleidende St&dter. Dieser
Wegzag der steaerkräftigen Jaden vom Lande schädigt
freilich die Einkünfte der gräflichen Landes-
herren ganz gewaltig and erhält seither als Pf ahl-
bttrger frage eine steigende Bedeatang in dem Kampfe
zwischen Staat and Kirche, zwischen Land and Stadt
Wie im 11. Jahrhnndert der wirtschaftliche Zu-
sammenbrach der Landwirtschaft erfolgt ist, so
fallt jetzt im 12. Jahrhnndert der städtische Wohl-
stand im Abendlande znsammen, die Jaden aber sitzen
stolz wie die Könige als wirtschaftliche Machthaber der
Nationen anf ihren gemeindestenerfreien Höfen sicher hinter
Maaer and Tarm wie die Edelknechte and Klosterpfaffen.
Aach der Jade amgiebt wie der Klosterpfaffe nnd
Edelknecht seit dem 11. Jahrhnndert seinen fSreihof aus
Sicherheitsgründen mit Maner nnd Tarm; wie diese
hat anch der Jade seine Hänser, Höfe, Gärten, Weinberge,
Aecker nnd Eigenlente, seine Synagogen, Friedhöfe,
Spitäler, Bäder, Tanzhäaser, Schlachthäaser, Backöfen und
Keltern anmittelbar vom Beiche za Lehen. Der Jade ist
stolz daranf, Beichskammerknecht za sein, niemands
Dienstmann als des Königs; er hat volle Handelsfreiheit im
— xxxvn —
ganzen Belebe, zahlt nnr die Eeichszölle nnd Reichsstenern,
kein Landesherr oder kirchlicher Stadtherr, kein Bischof
oder Abt darf Zölle, Steuern, Quartier- oder Spann-
dienste von ihm fordern. Seinen Hof bewacht er mit seinen
Eigenlenten um sein eigen Oeld, dem Christen giebt er
Becht nach Judenrecht; seinen Babbi, Hofmeister und Ote-
meinderat setzt der Burggraf des Orts namens des Königs,
seine Streitigkeiten mit Christen schlichtet der Burggraf,
seine Streitigkeiten mit Juden der Judenhofmeister. Und
wie seit dem 12. Jahrhundert die der Beichskammer steuer-
pflichtigen Bürger in den Beichsburgen und die landesherr-
lichen Handwerker in den Vororten dieser Burgen, nachdem
sie die Pfandschaften auf die Beichsämter erworben haben,
beginnen, ihre Vorsteher selbst zu wählen und so aus
Beichskammerknechten Freileute, bezw. aus Leib-
eigenen Beichskammerknechte werden, indem sie aus
ihren Bürger- und Handwerkskörperschaften adelige
Zwangsgenossenschaften bezw. Zünfte machen, so
legen sich auch die jüdischen Beichskammerknechte teilweise
die freie Wahl ihrer Hofmeister zu, bis der Meister
der Bürgergemeinde sich über die Handwerkszunftmeister,
den Judenmeister, die Elosterherren und Freihöfe erhebt,
denen er ursprünglich gleichstand, indem er sich das
Bnrggrafenrecht und damit das fürstliche^Becht auf
die freie Wahl des Beichsyogts erwirbt, die seither
meist der am Orte angesessene oder reichbegüterte Bischof
oder Abt yomBeiche zu Lehen gehabt hatte, so dass mit
der Zeit aus zahlreichen Beichsstädten , d. h. dem Beiche
steuerpflichtigen Städten, Freistädte, d. h. steuerfreie,
im Fürstenrang stehende Städte werden. Wie unter
den Karolingern und Sachsen das Beich in seiner wirt-
schaftlichen Not seine burggräflichen Bechte und Vogtei-
gebühren an die geistlichen Herren hatte abtreten müssen,
so müssen diese jetzt in ihrer wirtschaftlichen Not diese
Oebühren den demokratischen Stadtkörperschaften zurück-
geben und so kommt es, dass z. B. König Ludwig der
Bayer den Juden solche Bechte einräumen muss, dass das
Volk murrt, und dass die Juden mit den Städten, in
deren Patronat sie treten, solch günstige Schutzy ertrage
schliessen, dass das Beich nicht mehr die rechtliche Mög-
lichkeit hat, ausserordentliche Schätzungen bei ihnen zu
erheben oder ihre Jahressteuer zu erhöhen.
b. Die einzelnen Steaerleistongen.
or. Die Seiokssteaen.
Unter den einzelnen Steuerleistungen der Juden
ist die erste der goldene Opferpfennig, die alte, für
arme und reiche Juden gleiche Tempelkopfsteuer.
— xxxvm —
S[ai8er Titas hatte diese Eopfstener im Jahre 70 fBr das
römische Reich eingezogen and aaf ewige Zeit dieses zum
Oberlehensherrn oder Patron fbr das Hohepriesteramt ge-
macht and seither war der Jade Reichskammerknecht,
„servas*' des römischen Reichs wie der Edelknecht and der
Reichsstadtbürger, kein Leibeigener eines Landesherm. Sein
Leib and seine Habe gehören dem Reiche; wo er in dieson
wohnt, ist der Reichskammer gleich, er hat Freizügigkeit
im ganzen Reiche, nar mass er im Reiche bleiben
and diesem Steaer zahlen. Wohnt er im Gaa, d.h. in
der freien Reichspirsche, so schätzt ihn der Oaograf
oder Landgraf and dessen Vogt als Patronatsherr namens
des Reichs, wohnt er in einer Reichsstätte, so schützt
ihn der Barggraf dieser Stätte and dessen Vogt ebenfalls
namens des Reichs; gefällt dem Jaden der Patron nicht
mehr, so sacht er angehindert einen andern Wohnort Stellt
er sich wie der Edelknecht and der Reichsbfirger seit dem
10. Jahrhandert mit Vorliebe in den Schatz der Kirche
and verschafft deshalb dieser die Pfandschaften aaf die
kaiserlichen Barggrafenämter, so erwerben im 18. and
14. Jahrhandert die Reichsstädte wieder die Barg-
grafenämter and damit den Jadenschatz and der Ertrag
wird zwischen ihnen and dem Reiche geteilt, eine
Teilang, die indes nar die Jahressteaer, die
Gerichtsgebtiihren and Erbschaftsstenem betrifft, während
der Opferpfennig stets dem Reiche bleibt. Das
Reich zieht diese Reichsgefälle teils anmittelbar darch
Reichsbeamte ein, teils ttberlässt es den Einzag jüdischen
Generalpächtem and von allen ReichsjadengefaUen bezieht
das Erzbistum Mainz ein Zehntel als erblicher Lehensherr
des Reichskanzleramts zar Bestreitang der Kosten der
Reichskanzlei, eine Leistang, die übrigens schon anter König
Raprecht scharf bestritten wird. Bald aber bemächtigen
sich die Landesherren wieder des Opferpfennigs, die Reichs-
städte der dem Reiche gehörigen Hälfte der Jahressteaer,
so dass das Reich immer mittelloser wird and die
„Reichsstädte'* sich za steaerfreien „Freistädten^
heransbilden.
Nachdem so die ordentlichen Einnahmen des Reichs
yerschleadert sind, bleibt nichts übrig, als den Reichs-
bedarf dnrch aasserordentliche Stenererhebangen
aafzabringen , sogenannte „Schätznngen^, wie sie seit
dem 14. Jahrhandert immer mehr ankommen. Christen
and Jaden leiden gleichmässig anter diesen Stener-
erhebangen, welche als abgeschätzter Wert schaldiger
persönlicher Dienste (servitia) oder Ablösangsgelder
anter dem Namen Krönangsstenern , Kreazzagssteaem,
— XXXIX —
Beichskriegssteaem, Bomfahrtstenern, Eonzilssteuern a.s.w.
namentlich seit Kaiser Sigmund eine immer weitere
Ansbildnng erfahren. Za diesen Serviüen oder Ablösungs-
geldem gehörte auch das Federlappengeld, die Betten-
besorgong, wenn der König kam, die Pfeffer- and Ingwer-
lieferang für den Hof, die Edelmetalllieferang f&r die
Mfln2e, die Kleiderstoffliefemng fQr die Hofstaaten, das
Quartier-, Wachen- und Befestigungsgeld. Die letzte Steuer
endlich war die Kl ei der Steuer der Juden, eine Zahlung,
welche die Juden dafOr leisteten, dass man ihnen ge-
stattete, ohne das vorgeschriebene Judenabzeichen
öffentlich zu erscheinen.
Die Umlage der Judensteuern besorgte die Juden-
gemeinde, die Gemeindegenossdn waren solidarisch haftbar.
Das freie Zugsrecht der Juden endlich wurde mannig-
fach dadurch beschränkt, dass die Juden nicht eher aus dem
Schntzverband entlassen wurden, bis sie die vorhandenen
Landesschulden, soweit sie an denselben beteiligt waren,
bezahlt hatten. Die Zusammenfassung der Juden nach
Provinzen u. s. w. zu einem Reichs verband ist ernstlich
nie vorhanden, sie geht über den Landesverband nicht
hinaus. Anläufe zu einer politischen Zusammenfassung
der Beichsjudenschaft, wie sie unter König Ruprecht
erfolgen, verlaufen im Sande.
Die Erhebung der „Schätzung'', die bei den
freien Reichsständen meist als Vermögenssteuer
in Gestalt des 100. Pfennigs geschah, erfolgte bei den
Juden, die als Knechte keinen Grundbesitz hatten, als
Einkommenssteuer vom dritten Teil ihres gesamten
Zins- und Geschäftsertrags; Hausgeräte u. s. w. war dabei
ausgeschlossen. Die Steuer traf nur die reichen Stadt-
jnden, nicht die armen Schacherjuden auf dem Lande.
Die Steuererträge der einzelnen Judengemeinden betrugen
z. B. im 15. Jahrhundert von 900 Gulden (Ulm) und
weniger bis zu 12000 Gulden (Nürnberg) und 84000 Gulden
(Köln), was ein Gesamteinkommen der Juden dieser Stadt
von 252,000 Gulden und dies als 15prozentige Rente
vom Vermögen gerechnet ein Gesamtvermögen der Kölner
Juden von 1,680,000 Goldgulden darstellen würde, eine
Summe, die, den Goldgulden zu rund 50 Mark Ge-
brauchswert gerechnet, etwa einem heutigen Vermögen
von 84 Millionen entspräche. Wie reich in der That
einzelne Juden in den Städten damals noch waren,
zeigt das Beispiel des Juden von Windsheim in Franken,
der 2400 Gulden Schätzung bezahlte, also ein Renten-
einkommen von 7200 Gulden und ein Vermögen von
48,000 Goldgulden, d. h. nach heutigem Gebrauchswert
— XL —
2,4 Millionen hatte, wobei anzunehmen ist, dass wie heute
auch damals wohl vielfach zu nieder fatiert wurde.
Die Juden gewährten diese Schätzung indes nur unter
der Bedingung, dass künftig nie mehr eine derartige
ausserordentliche Steuer, sondern lediglich die her-
gebrachte Jahressteuer von ihnen sollte erhoben werden
dürfen und dass niemand, auch das Beich nicht mehr,
jemand einer Judenschuld sollte ledig sagen und
damit die Judengemeinschaft nötigen dürfen, diese Schuld
dem betreffenden Judengläubiger zu ersetzen. Femer sollte
kein Jude mehr anderswo als an seinem Wohnsitze
verklagt werden und niemand mehr einen höheni
Geleitzoll von den Juden erheben dürfen, als von
den Christen. Niemand sollte weiter bei Fehden die
Juden einer feindlichenHerrschaft als Geiseln behandeln
dürfen, auch durfte niemand mehr die Hauszinsen
der Juden steigern und die Wuchergebühren for
ihre Darlehen herabsetzen. Verpfändete das Reich
eine Judengemeinde, so durfte nur der regelmässigeStener-
betrag verpfändet werden. Als Steuer aber sollte künftig
statt des seitherigen, nur bei ausserordentlichen
Veranlassungen, also unregelmässig, erhobenen dritten
Pfennigs vom Einkommen jeder Jude alljährlich
regelmässig den zehnten Pfennig seiner gesamten
Habe mit Ausnahme der Nahrungsmittelvorräte, Bett-en,
Kleider und Hausgeräte geben. Es haben eine Beihe
von Gelehrten diese Steuern vom dritten und vom zehnten
Pfennig entsprechend dem 100. Pfennig der Beichsstände
als Vermögenssteuer aufgefasst. Der zehnte Pfennig
war dies thatsächlich nicht, sondern er war ein „Zehnter*'
vom Einkommen') und so ist es wohl sicher auch mit dem
„Dritten" gewesen. Der Jude besass keine Liegenschaften
wie der freie christliche Reichsstand oder „römische Bürger^
und war schon aus diesem Grunde steuertechnisch anders zu
behandeln als ein freier Beichsstand. Er war Reichskammer-
knecht und deshalb zehntenpflichtig wie jeder andere
Eammerknecht Die Steuer wurde deshalb vom Juden
in der Art erhoben, dass man ihm alljährlich den zehnten
Teil seiner gesamten Barschaft abnahm, d. h. den zehnten
Teil der Beträge, welche er als Rente aus seinen Pfand-
briefen bezog. Dem Juden alle Jahre den zehnten Teil
seiner Pfandbriefforderungen zu konfiszieren, wäre denn
doch ein Verfahren gewesen, wie es selbst im Mittelalter
undenkbar erscheint, und eine Einkommenssteuer von
Zehn vom Hundert war gewiss schon drückend genug.
>) Lang, Hist. Entwicklang der deutachen StenenreHlaBSiing.
— XLI —
Von diesen Reichsgefällen sah die Beichskammer freilich
in der Begel keinen Pfennig; sie wanderten unmittelbar
in die Hände der jüdischen Generalpächter der-
jenigen grossen Landesherren, welche das Geld zum Kriege
vorgeschossen hatten*
ß* Die YogUigiMluni.
Keine eigentlichen Stenem waren die Hanszinsen
der Jaden y ein Mittelding zwischen privatrechtlicher
Leistung und Grundsteuer. Hatten die Juden schon im
10. Jahrhundert den besten Grundbesitz in den Städten,
meist unmittelbar yom Reiche zu Lehen gehende und des-
halb landesherrlich steuerfreie Häuser, im Besitz gehabt,
so hatten sie es seit diesem 10. Jahrhundert, dem Beispiel
der Edelknechte und anderer Leute folgend, aus wirt-
schaftlichen und Sicherheitsgründen vorgezogen, ihre
Liegenschaften in den Schutz der Kirche zu stellen, weil
eben „unterm Krummstabe^ damals „am besten wohnen"
war. Seit im 13. Jahrhundert dieser Schutz indes immer
weniger kräftig wurde, schössen die Juden der Beichs-
gewalt das Geld vor, die Judenhäuser von der Kirche
einzulösen, und kamen so in den Schutz der Beichs-
bttrgergemeinden, welche die Burggrafenämter in den
Städten von der Geistlichkeit erworben hatten. Es geschah
das namentlich, weil die Kirche begonnen hatte, die Juden
wegen allzuhoher Wuchergebühren zu strafen, und es
erhob sich ein scharfer Streit zwischen Staat und Kirche,
ob die Ejrche das Becht habe, einen Juden um Geld
zu strafen, oder ob sie lediglich ihm das „commercium"
mit den Christen entziehen, d. h. den geschäftlichen
Boykott über ihn verhängen dürfe. Seither wohnt
der Jude wieder lediglich im Schutze des Beichs
und ist ausschliesslich Beichskammerknecht, d. h.
reichssteuerpflichtig, nicht landessteuerpflichtig. Er zahlt
dem Belebe durchschnittlich für ein Judenhaus mit
3 Familien Wohnungen wöchentlich einen Gulden Haus-
zins oder 52 Gulden jährlich, was rund einem Ge-
brauchswert von 2700 Mark entsprochen haben mag;
reiche Grossjuden zahlen wesentlich mehr, weniger
bemittelte Juden wesentlich weniger. Zieht ein Jude
neu an, so muss er am letzten Aufenthaltsort abgerechnet
haben und schwören, dass er alles erhalten hat, was
man ihm früher schuldig gewesen ist, damit es keine
Streitigkeit mit der frühern Schutzherrschaft giebt
Fällt dem Juden Grundbesitz zu, so hat er ihn, wie der
Geistliche, binnen Jahresfrist an einen Stadtbürger zu
verkaufen. Li der Begel ordnete der Jude sein Steuer-
— XLH —
yerhältnis zur Reichsstadt darch eine „Lösung^ (sors),
d. h. er kontingentierte seine Gesamtleistung yertrags-
massig auf eine bestimmte Snmme, so dass die Stadt,
wenn das Reich höhere Anforderungen an die Steuerkraft
der Juden stellen wollte, selbst sehen musste, wie sie mit
dem Reiche in der Sache zurechtkam. Die Schlichtung
der hiedurch entstehenden Streitigkeiten erfolgte meist
durch Vergleiche, wie z. B. seit 1394 die Juden dahin
gebracht wurden, dass sie an der Abtragung der
hochangeschwollenen älteren städtischen Verpflichtungen
entsprechenden Anteil nahmen, oder in der Art, dass die
Juden sich zu ausserordentlichen „Schätzungen'' zu be-
sonderen Zwecken freiwillig verstunden.
/• Di« La]idM«d«isgt1>ft]ix«ii«
Keine eigentliche Reichssteuer endlich war der 6e-
leitzoll der Juden. Er war der Beitrag derselben zu den
Landfriedenskosten und gehörte dem betreffenden
Landfriedensyerband. Die Juden standen wie die Laien
der Städte sowie alle Geistlichen, Mönche, Nonnen, Bauern,
Jäger und Fischer im Schutze des Landfriedens, der dem
Versicherten gegen sein Geleitgeld entschädigungspflichtig
war, wenn ihm unterwegs ein Schaden erwuchs ; der Jude
trug deshalb auch wie alle die genannten Personen keine
Wehr wie der nichtstädtische Laie. Dieser Königs fr ieden
der Juden wurde dem Kaiser Vespasian zugeschrieben,
der bekanntlich den Friedenstempel in Rom erbaut und
damit eine Art „Gottes frieden" geschaffen hat, wie er
tausend Jahre später wieder in christlicher Form auf-
gelebt ist, und die Juden waren stets bestrebt, es dahin zu
bringen, dass von ihnen kein höherer Geleitzoll als von
anderen Personen hiefOr gefordert wurde. Eine besondere
Rolle spielten dabei die zahlreichen Judenleichen,
welche bei der Seltenheit geweihter Judenfriedhöfe oft
grosse Strecken geführt werden mussten, um ihre letzte
Stätte zu finden, Transporte, welche gerne zu hohen Zoll-
forderungen benOtzt wurden.
III) Der Gewerbebetrieb der Juden.
a. Der freie Gewerbebetrieb.
Der Gewerbebetrieb der Juden des Mittelalters
scheidet sich in deren freie Gewerbethätigkeit und
in deren zünftigen Gewerbebetrieb. Zu der freien Ge-
werbethätigkeit gehörte vor allem der Grosshandel
und das Wechselgeschäft wie der Beruf des Arztes
— XLm —
und Gelehrten, zur zflnftigen Gewerbethätigkeit das
Discontgeschäft, d. h. der Zwischenhandel mit
Forderungen oder der Ankauf von anerkannten
Forderungen zum Zweck des Wiederverkaufs mit Ge-
winn. Von jeher haben die Juden als Grossh&ndler,
d. h. als Eaujfleute, welche sich damit befassen, den fbr den
innem Kleinbedarf nicht erforderlichen Ueberschuss an
Erzeugnissen eines politischen Bezirks nach einem andern
politischen Bezirk auszuführen und dagegen die fbr den
Eleinyerkehr des eigenen politischen Bezirks erforder-
lichen Erzeugnisse des Auslands einzutauschen und einzu-
fUiren, die ausschlaggebende Bolle gespielt und wir sehen
dabei die ganze Unternehmungslust, den weiten gesch&fts-
männischen Blick der Juden im hellsten Lichte, so dass
man ruhig sagen kann, die Geschichte des Welt-
handels ist die Geschichte des Judentums und die
Geschieh teder Welthand eis wegeist die Geschichte
der Wanderungen des Judenyolks. Wo der Mittel-
punkt des Welthandels ist, da ziehen die Juden hin.
Als unter Alezander dem Grossen das Easpimeer erhöhte
Bedeutung f&r den Weltverkehr erhält, erscheinen dort die
Juden; als unter Kaiser Vespasian sich der Welthandel
nach Persien zieht, füllt sich dieses mit Juden, als unter
Kaiser Markus Aurelius der Seeverkehr mit Indien
und China w&chst, wandert der Jude nach diesen Ländern.
Im 8. Jahrhundert blühen die Juden in Spanien, Frank-
reich und Südrussland, im 9. Jahrhundert sind sie
am Rhein, im 10. in Venedig, im 11. im heiligen
Lande, im 12. in der Provence, im 13. in Bom und
London, in Wien und Madrid, im 14. in Franken
und Alemannien. Die Juden werden reich im Lande,
die Bauern werden arm, schreibt schon im 13. Jahr-
hundert ein kastilianischer Schriftsteller und ebenso klagen
die Oesterreicher über ihren Handel. Wo es etwas zu
handeln giebt, steht der Jude lange unübertroffen da als
Grosshändler, als Einfuhrhändler und Ausfuhrhändler.
Wflrzwaren, Seidenzeuge, Kattune, Brokate führt er aus
Indien, Persien, Griechenland und Aegypten im frühen
Mittelalter über das rote Meer und Aegypten ein und
holt dafür die Erzeugnisse des Abendlands, um sie nach
der Levante zu führen. Gold ist dabei das Tauschmittel,
dessen er sich im internationalen Verkehr bedient
Eine weitere Thätigkeit ist dieHandelsvermittlung
des Juden, die Maklerei und Agentur, als ergänzende
Thätigkeit des Einfuhrhandels. Die Ware an den Mann
zu bringen, ist die interessanteste Aufgabe des gewandten
Jaden; der HoQude des Mittelalters ist der unvermeidliche
— XLVI —
zweifelhaften Rente oder Dividende wnrde ein Teil
als fester Zins oder Zehnte aasgeschieden und vor-
weggenommen and zwischen den Herrn der darch den
Gebraach nicht yerzehrbaren Sache, des capat, den Kapi-
talisten, and den Gebrancher der Sache, den Arbeiter,
trat eine dritte Person, der Zinsmann oder Unternehmer.
Der Unternehmer bezieht jetzt das Gesamterzengnis , den
nsasfractas, fiberlasst dem Arbeiter den Arbeitslohn
(frnctas^, zahlt dem Kapitalisten den Zins (censas) nnd
behält aen Kest, den nsas minns censas, als Unternehmer-
gewinn. Nehmen wir ein Beispiel: Der Eigentümer einer
nicht yerzehrbaren Sache, z. B. der Grandherr eines
Ackers, leiht diesen Acker einem Zinsmann oder Dienstmann
and erhält dafßr die Schätznng, den censas, wahrend
der Dienstmann als Unternehmer das Recht aaf den
Wirtschaitsertrag des Ackers erwirbt, den er sich dadarch
verschafft, dass er den Acker darch einen Söldner bestellen
lässt, diesem den fractas daftir überlässt and den asas
einstreicht
Man sieht, aach der Ohrist darf im Mittelalter
Zins kanfen. Was aber darf er nicht? Verfolgen wir
das Beispiel weiter. Der Dienstmann kann den censas,
d. h. die festgesetzte Anzahl Garben, Weihnachtshtthner,
Landesmünze oder ähnliches, nicht bezahlen, weil die
Schätzung des Natzens (usas^ fbr das laafende Jahr za hoch
war; da er nan Gefahr länit, dass ihn der Zinsgläabiger,
also in diesem Falle der Grandherr, vom Acker jagt, wenn
er mit dem censas drei Jahre im Rückstande bleibt, so geht
er daranf ein, dass der Eigentümer des Ackers sich vom
gewerbsmässigen öffentlichen Natzangshändler oder
asararias die rückständige Summe heranszahlen lässt, und
verpflichtet sich, dem asararias die Nutzung oder den usus
des von ihm gepachteten Guts, also seinen Untemehmer-
gewinn, seinen Arbeitslohn als Unternehmer, so lange zu
überlassen, bis die Forderung des Juden an den Gutsherrn
zuzüglich der Gebühr des usurarius für die Stundung
der Schuld, aus dem Ertrage des Guts oder sonstwie
gedeckt worden ist So tritt zum census des Gutsherrn
die usura des Darleihers, der Schaden, der dem Zins-
gläabiger infolge der verspäteten Zinszahlung
dadurch entstanden ist, dass er das Geld beim Darleiher
holen musste.
Das Recht des usurarius besteht also in dem An-
kaufe von fälligen Fordernngen für Nutzungen zum
Zweck der Stundung gegen eine Stundungsgebühr
(usura) und der Zweck des usurarius ist, die Folgen des
jährlich wechselnden Wirtschaftsertrags, welcher die Ein-
— XLvn —
nahmen des Kapitalisten gefährdet, für den Kapitalisten
dadurch weniger ffthlbar zu machen, dass der nsararius
gegen Verpfändung künftig zu erhoffender bes-
serer Wirtschaftserträge dem Gutsherrn die aus-
gebliebenen Barmittel zur Verfügung stellt. Der dominus
oder signore wälzt das Odium des Pfändungsge-
schäfts auf den usnrarius ab, der sich nun mit den
Zinsleuten des Herrn herumschlagen kann, wenn ihnen der
Hagel die Felder verwüstet hat, und es ist' darum
auch der Wert des usurarius für die Gesundung einer
notleidenden Wirtschaft immer ein sehr zweifelhafter
gewesen, da er notwendig stets eine erhöhteBelastung
der Wirtschaft herbeiführte. Eine kluge Regierung hat
es deshalb stets vorgezogen, durch Herabminderung
der Zinslasten und Steuern selbst eine Gesundung
zu ermöglichen, als nach dem Kezept der englischen
Physiokraten und des Liberalismus mittelst des usurarius
vom Begen in die Traufe zu kommen.
Derünterschied zwischen census und usura ist also
der, dass der Zins oder census das im Voraus abgeschätzte
Entgeld für die Ueberlassung einer Nutzung oder den usus
einer nicht verzehrbaren Sache, der Wucher oder die
usura aber das Entgeld für die Nutzung einer verzehr-
baren Sache, eines zum Lebensunterhalt bestimmten
Arbeitslohns, des Unternehmergewinns, ist Zins
(census) ist die Gebühr fQr eine überlassene Nutzung (usus),
ist die fallige Forderung, Wucher (usura) ist die Gebühr
für die Stundung eines fälligen Zinses (census) oder einer
überlassenen Forderung und der grundlegende Unterschied
zwischen beiden mit Bücksicht auf die Weggabe an einen
andern ist der, dass die Ueberlassung einer Beute (usus)
an einen Unternehmer gegen einen Zins, also der Kauf
einer Forderung als Entgeld fDr das Darleihen einer
nicht verzehrbaren Sache, der Ankauf des voraussieht*
liehen Ueberflusses am Gesamtertrag der Sache über
den Untemelunergewinn ist, die Ueberlassung eines dem
Kapitalisten zustehenden Zinses oder einer anerkannten
Forderung an den öffentlichen Darleiher, also der Kauf
einer verzehrbaren Sache wie Landesmünze als
Entgeld für die Abtretung einer Forderung, aber in der
Begel die Wegnahme von zum Leben notwendigen Ein-
kommensteilen des Schuldners nach sich zieht und damit
zu Not und Elend führen kann.
Census und usura, Zins und Wucher, seit Auf-
hebung des Wncherverbots gleichbedeutend,
sind also im Mittelalter grundverschiedene Dinge.
Census, Zins, Zehnter, Dienst, ist die fest vereinbarte
— XLvm —
Leistung des Beliebenen f&r eine dargeliehene, durch den
Gebrauch (usus) nicht yerzehrbare Sache; es kommt
her von censere, und heisst auf deutsch Schätzung, d. h.
durch Schätzung im Voraus in Naturalien, Oeld oder
persönlichen Diensten festgesetzter Itentenanteil au einer
nicht yerzehrbaren Sache (res inconsumptibiUs). Es ist
dabei aber, vollends in Zeiten mit sinkendem Warenpreise
und steigendem Geldpreise durchaus notwendig, dass der
Beliehene die als eigentlicher Nutzungserzeuger wirkende
unyerzehrbare Sache selbst empfängt Der Einwand ist
dabei nicht stichhaltig, dass der Nutzeffekt derselbe sei,
wenn z. B. ein Unternehmer mit der dargeliehenen Landes-
währung des Kapitalisten ein Schiff kaufe; denn dieses
werde ihm Bente (usus) tragen und er werde einen Teil
dieser Bente als Zins dem Kapitalisten geben, den andern
als Untemehmerlohn selbst behalten können. Dies stünmt
deshalb nicht, weil dann der Unternehmer dem Lehens-
herm eben kein Sehiff, sondern Landesmünze schuldet
und bei steigendem Geldpreise und sinkendem
Warenpreise bei der Bückgabe des Lehens dadurch in
Schaden kommt, dass er sein Schiff mit Verlust wieder in
Geld umsetzen muss. Man sieht daraus, der Feudalismus^
d. h. die Lehenswirtschaft, die Beschränkung der
Darleihe auf durch den Gebrauch nicht verzehrbare Güter,
erhält den Unternehmer und damit denjenigen, der
zwischen Kapitalist und Arbeiter steht, den Mittel-
stand; die freie Darleihe aber, die Geld Wirtschaft,
die Aufhebung der Wucherbeschränkung, der Liberalismus,
zerreiben das Unternehmertum und zerstören den
Mittelstand und damit auch den Ast, auf dem die Ar-
beiterschaft sitzt, zum Nutzen des Kapitals.
bt also Zins das Entgeld für eine nicht durch den
Gebrauch yerzehrbare Sache, so ist Wucher (usura) das
Entgeld für eine durch den Gebrauch yerzehrbare Sache.
Verbraucht der Beliehene das dargeliehene Gut nicht zur
Beschaffung yon Bente tragenden, yon produktiyen Werten,
sondern yerwendet es zum Lebensunterhalt, so ist das
dargeliehene Gut durch den Gebrauch yerzehrt. Wucher
fusura gleich Gebühr für einen usus, eine Nutzung) ist
deshalb nach mittelalterlichem Begriff die allwöchentlich
fällige Gebühr des Beliehenen für eine gestundete durch
den Gebrauch yerzehrbare Sache (res consumptibilis) wie
Landesmünze, Getreide, persönliche Arbeitsleistung u. s. w.
Hat diesen durchaus berechtigten unterschied zwischen
beim Gebrauche yerzehrbaren und nicht yerzehrbaren
Dingen das heutige Becht auf die Seite geworfen, so spielte
er im Mittelalter die grösste Bolle. Zu den durch den
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Gebrauch nicht yerzehrbaren Dingen gehörten nicht nur
alle liegenden Gfiter, sondern aach alle freien
Grosshand elsgfiter wie Tücher, Leinwand, namentlich
aber auch gemünztes Gold in Silberwährnngsländern,
kurz alle Dinge, welche keinen obrigkeitlich
festgesetzten Wert hatten. Man nannte diese
Sachen freie oder Abenteuer guter, und jedermann
dorfte mit ihnen thnn und treiben, was er wollte, im
Unterschiede zu den zünftigen oder Währungsgütern,
welche nur der hiezn von der Obrigkeit besonders berech-
tigte Monopolist im Lande einkaufen und unter Zuschlag
einer Bemühungsgebühr wiederverkaufen durfte. Alle
diese Dinge, die sogenannten Währungsgüter, hatten einen
obrigkeitlichen Marktpreis, eine Taxe, und zu ihnen ge-
hörten namentlich die Landesmünze, Getreide, Eisen, Salz,
Brot, Vieh u. s. w., vor allem aber die persönliche Arbeits-
kraft des Nebenmenschen. Mit ihnen sollte der mit ihrem
Vertrieb Beliehene keinen Handels- und Eonjunkturen-
gewinn machen, sondern er sollte lediglich bei dem
Handel mit denselben eine ein gewisses Mass nicht über-
schreitende Gebühr für seine Bemühung erhalten. Man
sieht, der Socialismus des Mittelalters hat nicht nur
das Getreidemonopol des Staats, sondern auch
den Staatshandel mit allen im Lande selbst zu be-
schaffenden Erzeugnissen vollständig durchgeführt
gehabt und das Mittelalter hat in Europa den Socialismus
thatsächlich praktisch zur Geltung gebracht.
Ein Zinsen verbot, d. h. ein Verbot, ein Entgeld für
dargeliehene Sachen zu nehmen, hat es also auch im Mittel-
alter nie gegeben, sondern nur ein Wucherverbot.
Jedermann hatte auch im Mittelalter das Becht, einem
andern eine Sache zu leihen und sich dafür ein festes Ent-
geld in Landeswährung auszubedingen, nur durfte es eben
keine Sache sein, welche durch den Gebrauch verzehrt
wurde, kein Währungsgnt. Man durfte einem andern
einen Acker, ein Haus, ein Schiff, ein Trinkgefäss, eine
freie Handelsware wie Gold, Tücher u. s. w. gegen Entgeld
leihen, nicht aber eine bestinmite Menge Landesmünze,
Getreide, Vieh, wie man auch niemand seine persönliche
Arbeitskraft zur Herstellung von Marktware auf feste
Zeit abkaufen durfte, ausser man war hiezu als Angehöriger
der damit beliehenen Zwangskörperschaft oder Zunft von
der Behörde ausdrücklich monopolisiert.
Der Grund dieser Unterscheidung war, dass zwischen
dem Gebrauch der nicht verzehrbaren und der verzehr-
baren Dinge ein grundlegender Unterschied besteht Das
nicht verzehrbare Gut lässt einen wiederholten Ge-
IV
_ L —
braach (secandas asns) zu, das yerzebrbare Gut nur einen
einmaligen Gtobranch (primas asns). Man dnrfte im
Mittelalter einem andern eine Anzahl Tachballen oder
Ooldstücke leihen und sich dafttr die Bezahlang einer
bestimmten Menge Landessilbermünze, Gtotreide oder eines
andern Wfthrangsgats aasbedingen, das war kein Wacher,
denn der Beliehene konnte mit dieser vertretbaren Sache
als „Unternehmer^ einen Handelsgewinn (fenns
jnstnm) machen, während das bei einem mit festem Preis
versehenen Währangsgnt nicht möglich war. So hatte das
Darleihen also anch im Mittelalter keine Schwierigkeit fnr
den Christen, solange er sich mit einem jus tam fenas, dem
gemeinen Kaufmannsnntzen, dem obrigkeitlich genehmigten
Gewinnsatz begnügte. Streng verboten aber war es d^n
Christen, bei einer rückständigen Forderang eine Oe-
bfihr fQr die Stnndnng zn nehmen; dazu war nur der
öffentliche Darleiher, der nsararias pnblicus, befugt
Enrz, Zinsgeschäfte dnrfte anch der Christ machen,
Wachergeschäfte nor der Jade, d. h. aach der Christ
durfte nicht durch den Gebraach verzehrbare Dinge einem
andern gegen Entgeld verleihen, nur der Jade aber
durfte durch den Gebrauch verzehrbare Dinge einem andern
gegen Entgeld standen. Die Leihgebfthr fQr nicht
verzehrbare Dinge biess Zins, die Leihgebühr für
verzehrbare Dinge hiess Wucher.
ß^ Bio SflbatUoli-nolitliolit Gtitoltaag d« DttUihgMobifti.
Das Handwerksrecht des öffentlichen Darleihers, des
usurarius publicus, war ein öffentliches Lehen wie jedes
Hand Werksmonopol. Nur dem privilegierten Wucherer
stand der Zwischenhandel mit Forderungen, der
Aufkauf von anerkannten Schuldforderungen zum Zweck
der Stundung gegen Gewinn, zu. Die Sicherang
dieses Rechts der öffentlichen Darleiher geschah dadurch,
dass der Wettbewerb auswärtiger Darleiher ver-
boten wurde. Für dieses Recht hatte der öffentliche
Darleiher aber auch die Pflicht, das Geldbedftrfnis
der Landesherrschaft und ihrer Hintersassen gegen ge-
nügende Pfandsicherheit ausreichend zu befriedigen,
wie der zünftige Metzger und Bäcker die Pflicht hatten,
genügende Fleisch- und Brotmengen zu beschaffen. Der
öffentliche Darleiher hatte die Aufgabe, dem Geldbedürfnis
jedes Angehörigen des betreffenden politischen Bezirks
jederzeit bis zu den mit ihm obrigkeitlich vereinbarten
Grenzengegen doppelte Sicherheit gerecht zu werden,
wobei die Aufnahme von Staats- und Gemeindeanlehen
meist bei der Gesamtheit der Darleiher als Darleiher-
- LI -
genossenschaft unter solidarischer Haftbarkeit der Genossen
für die Beschaffung der Anleihe erfolgte.
Da also der Christ nur nicht verzehrbare Dinge gegen
Entgeld (Zins) ausleihen, nur der öffentliche Darleiher
aber durch den Gebrauch verzehrbare Dinge wie Landes-
münze gegen Entschädigung stunden durfte, so war
es allgemeine Sitte, dass der Käufer der Leistung bei
allen Zeitgeschäften, also wenn eine Leistung yon
Währungsgut wie Landesmftnze, Getreide, persönlichem
Dienst u. s. w. auf einen spätem Zeitpunkt vereinbart
wurde, also auch der Darleiher einer nicht verzehrbaren
Sache, sich ausbedang, dass falls der Verpflichtete mit
der Zahlung, also z. B. mit dem Zinse, im Rückstande
blieb, der Gläubiger das Recht haben sollte, den ihm
hiedurch entstandenen Schaden dadurch auszugleichen,
dass er sein Forderungsrecht an einen öffentlichen
Darleiher (usurarius) verkaufte und dieser das Recht
erhielt, die rückständige Forderung zuzüglich seiner Dar-
leihergebühr (rückständiger census als caput + usura)
beim Schuldner nötigenfalls mit Gewalt einzutreiben.
Hiess die Gebühr ftkrUeberlassung einerNutzung
als abgeschätzte Entschädigung für den dadurch dem
Weggebenden entgehenden Vorteil der eigenen Benützung
(lacrum cessans) census, so hiess die weitere Forderung,
welche der Gläubiger bei Nichteinhaltung des Zahl-
ungstags geltend machte, im Mittelalter der Schaden
(damnum emergens), weil sie durch den Nachteil entstand,
der dem Gläubiger dadurch verursacht wurde, dass er
sein Geld nicht zur Verfügung bekam. Die Forderung
dagegen, welche der öffentliche Darleiher für seine Be-
miihung geltend machte, hiess das „Gesuch^ (provisio),
weil sie die Unkosten darstellte, welche der jüdische Dar-
leiher durch das Suchen des nötigen Bargelds auf sich
nahm. Blieb der Schuldner auch beim Darleiher mit der
Zahlung im Rückstande, so entstand diesem ebenfalls ein
Schaden (damnum emergens), weil er sein fällig ge-
wordenes Gild nicht anderweitig verwenden konnte, und
so setzte sich die Wuchergebühr (usura) aus dem
„Gesuch*' (provisio, lucrum) und „Schaden" (damnum)
zusammen. Der öffentliche Darleiher des Mittelalters
war also wie der heutige gewerbsmässige Wechsel-
händler gewissermassen eine Art Gerichtsvollzieher,
VoUstreckungs- oder Pfändungsbeamter, der die Ein-
treibung vonForderungen gewerbsmässig besorgte,
wie jener die Eintreibung von Wechselforderungen. Der
öffentliche Geldwechsler des Mittelalters entsprach
der heutigen Reichsbank, für den öffentlichen Dar-
IV*
— LH —
leiher des Mittelalters giebt es heate noch kein Gegen-
stttck, da das Hypotheken- nnd Lombardgeschäft
noch nicht öffentlich-rechtlich organisiert ist
Die Einrichtung der Darleiherkörperschaften
erfolgte ans der Erkenntnis heraus, dass ein politischer Be-
zirk sich nicht mehr in der wirtschaftlichen Lage fflhlte, den
Wechsel der Eonjanktar selbst za tragen ; die Einrichtung
von Darleiherzfinften war deshalb auch, wie fiberhanpt
die Einrichtung von Handwerkszfinften oder öffentlichen
Monopolbetrieben, ein Stück Socialismus, wie sie nur
wirtschaftlich sinkende Zeiten einem Volke bringen.
Wirtschaftlich steigende Zeiten bedttrfen derartiger Ein-
richtungen nicht, erst das Sinken des Wohlstands schafft
für ein Volk mit seinem Eleinerwerden der wirtschaftlichen
Durchschnittsportion die Oefahr des Priyatmonopols
und durch diese Entwicklungsstufe hindurch sieht sich
endlich der Staat veranlasst, lieber Staatsmonopole zu
schaffen, wie das öffentliche Bordell vom Staate eingerichtet
wird, weil sich dieser nicht in der Lage sieht, die Bordelle
ftberhaupt aus der Welt zu schaffen und darum das
kleinere Uebel dem grossem vorzieht Es ist deshalb
auch dieselbe Erwägung, mit welcher die Kirche fort-
während die Duldung des jüdischen öffentlich-rechtlich
gestalteten Darleihermonopols rechtfertigt, dass wenn
man die Juden heute verjage, die Christen es morgen
doppelt so schlimm treiben werden.
War die Gefahr für den öffentlichen Wechsler und
Zinshändler, sein Qeld wieder zu erhalten, nicht
gross, so war die Aussicht, dasselbe durch gericht-
liches Vorgehen zu erpressen, eine Sache, welche
eine gewisse Härte des Gemüts bedingte, und dies hat
das Darleihergewerbe von jeher zu einem anrüchigen
gemacht und den Vertretern desselben, den Juden,
den „Schand fleck'' aufgedrückt, wie man die rote
Judenbrnstscheibe des Mittelalters, das Judenabzeichen,
nicht umsonst taufte. Es lag nun aber bei diesem
Darleihermonopol wie bei jedem Handwerksmonopol die
Gefahr nahe, dass die damit Beliehenen es im Ueber-
masse ausnützten, und diese Gefahr war es denn
auch, welcher die Kirche mit ihren Wuchergesetzen
entgegenarbeitete. Was die Kirche bezweckte, war, den
Gewinnanteil des Darleihers nicht übermässig
werden zu lassen. Die Kanonisten giengen davon aus,
dass niemand mehr erhalten solle, als er zu seinem
Lebensunterhalt bedürfe. Dieser berechtigte Anteil am
nationalen Wirtschaftsertrage hiess fenus justum; jeder
Mehrbezug war ungerecht Die Gebühr für UeberlaMong
— Lm —
einer Nutzung, der „census^ eines „usus'', sollte deshalb
eigentlich keine im Voraus festgesetzte Höhe haben,
sondern sie sollte thunlichst einen Anteil am wirklichen
Ertrage bilden. Schon beim Naturalzehnten war
dies, sofern er nicht einen yerhältnism&ssigen Anteil
am Ertrag, sondern wie dies seit dem Jahre 1420 meist
vereinbart wurde, die alljährliche Leistung einer festen
Anzahl Garben, Früchte, Oeflügel, Haustiere u. s. w. be-
traf, wie bei der Gfiltenleistung, d. h. der Leistung in
barem Gelde, in der That nicht mehr der Fall. Wenn
dem Gutspächter viel wuchs, so kam er gut weg, wenn
dem Pächter aber wenig wuchs, so kam er schlecht
weg. Die Kirche hätte darum am liebsten auch den
festen Zins vollständig verboten, der eben thatsächlich
nichts anderes ist, als Spekulation, als Verkauf einer
Sache um festen Preis, welche noch nicht vorhanden ist,
ein Verkauf einer bestimmten Menge Frucht auf dem
Habn mit der Gefahr, dass sie der Wirtschafter liefern
muss, auch wenn ihm ein Hagel die Hoffnung vernichtet.
Da dies aber sich als praktisch undurchführbar erwies,
war sie redlich bestrebt, die Auswüchse des Zins-
geschäfts thunlichst zu beschränken, indem sie sich
bemühte, den Gewinnanteil (census) des Kapitalisten
an den Nutzungen (usus) nicht übermässig werden
zu lassen. Der Zins, die feststehende Leistung des mit
der Nutzung eines nicht verzehrbaren Guts beliehenen
Mietmanns, sollte keine drückende Abgabe sein, die den
Pächter zu Grund richtete, sondern lediglich der Ausdruck
der Verbindung des bedürftigen Wirtschafters mit dem
Lehensherm zu einer Erwerbsgesellschaft mit gemeinsamer
Tragung von Nutzen und Schaden.
Lag die Gefahr der Verwischung dieses Verhältnisses
schon dadurch nahe, dass z. B. der Grundherr den Boden
um eine feststehende Leistung verpachtete und so
dem Pächter als Unternehmer die Folgen des Kon-
jnnkturenwechsels des Jahrgangs zuschob, indem er diesem
die zweifelhafte Menge des usus gegen die feststehende
Menge des census verkaufte, so wurde es noch schUmmer,
wenn der census so hoch angesetzt wurde, dass der usus
nicht mehr ausreichte, um dem Beliehenen die Begleichung
des census und die Bestreitung seines Lebensunterhalts zu
gewähren, und es war deshalb ein Schritt weiter auf der
schiefen Ebene, wenn der Wirtschafter in der Hoffnung
auf künftige bessere Zeiten die Nutzung dieser Zukunft
im Voraus an einen Darleiher verkaufte und dafür
diesem eine Gebühr bezahlte. Das Natürlichste, erklärten
die Kanonisten, sei dieGütergemeinschaft und niemand
— LIV —
sollte eigentlich mehr haben, als er zum Lebensanter-
halt brauche. Beichtom sei gerade keine Sflnde, aber
eine Oefahr fBr die Seele, der Eigennutz als Triebfeder
sei verwerflich. Das negotium, die Spekulation, der
Handel mit freiem Gut, im Unterschied zur mercatura,
zum Handel mit Wfthrungsgnt, mit Waren, welche
einen durch staatliche Taxe festgesetzten Preis haben,
und bei denen es deshalb keinen Eonjunkturenwechsel
gebe, raube dem Menschen den Frieden. Des Menschen
vornehmste Beschäftigung sei der Ackerbau; Industrie und
Kaufmannschaft missfallen zwar Gott nicht, Spekulation
aber sei ihm nicht wohlgefällig: das waren die Grund-
gedanken der christlichen Eigentumslehre. Der praktische
Versuch zur Durchführung dieses kommunistischen Ideeds
war der ungeheure Eirchenbesitz des Mittelalters mit
seinem „Noblesse oblige'^ gegenfiber dem Zinsmann, der
„unterm Erummstab am besten wohnen^ sollte.
Jeder Mehrgewinn Ober den landesfiblichen
Eaufmannsgewinn, den gemeinen Gewinnanteil, galt
als Wucher (usura). Mehr als den usus, als des
thats&chlichen Ertrag der Grundrente oder Eapitalrente
zu nehmen, war dem Christen verboten. Wer dies that,
ohne wie der öffentliche Darleiher hiezu berechtigt zu sein,
war selbst ein usurarius und damit ein unehrlicher Mann,
ein Dieb und Bäuber. Wer einem andern etwas verkaufte
oder lieh, sollte nur soviel dafür nehmen, als die Sache
zuzüglich des ihm durch die Weggabe entstehenden Ge-
winnentgangs wert war. Der Gläubiger sollte ausser
der dargeliehenen Sache (caput) nichts weiter beanspruchen
als den Verlust (Interesse), der ihm nach gemeinem Urteil
(judicio bonorum mercatorum) dadurch entstanden war,
dass er sein Gut nicht selbst verwaltet hatte (iucrum
cessans et damnum emergens). Beides zusammen, Hanptgnt
(caput^ und entgangener Gewinn (Interesse), bildeten die
Dchuldsumme (sors, Lösungssumme^. üeber diese hinaus For-
derungen zu stellen, war dem Christen verboten, und unter
keiner Form sollte er dafQr eine Entschädigung nehmen,
dass der Schuldner mit der Heimgabe im Rflckstande
blieb (Stundungsgebfihr), sondern er hatte, wenn dieser
Fall eintrat, lediglich das Recht, seine Forderung an einen
öffentlichen Darleiher zur Eintreibung zu ver-
kaufen, der dann dem Gläubiger die Summe auszahlte
und dieselbe vom säumigen Schuldner gerichtlich eintrieb
oder dem Schuldner die Summe gegen eine obrigkeitlich
festgestellte Gebfihr (usura) länger stundete.
Dabei war es bis auf Justinian dem Darleiher erlaubt,
falls der Schuldner mit der Stundungsgebühr (usura) im
— LV —
SOckstande blieb, diese znm Kapital zu schlagen und
StandungsgebOhr Ton der Standungsgebühr (asora asorarom)
za nehmen, seit dem 5. Jahrhundert wurde dies verboten.
Wenn deshalb ein Christ etwas verkanfte and dabei den
Preis höher stellte, weil die Zahlung später erfolgte, so
galt er als Wacherer, ebenso wenn er den Preis niederer
stellte, weil die Zahlung früher erfolgte» Sconto, d. h.
Abzug der Zeit wegen, Säumnisgebühr, war Wacher und
eines Christen unwürdig. Wer mehr als den usus nimmt,
d. b. die Entschädigung f&r den entgehenden Oebraach,
ist ein asnrarius, dem die Kurchengemeinschaft verboten
wird and der kein ehrliches Begräbnis erhält, und es ist
Grundsatz, dass der Staat nicht gestatten soll, dass za
viel Grundzinsen entstehen, d. h. dass die Schätzung,
der census, der Anteil des Darleihenden am Nutzen
(usus) der dargeliehenen Sache, zu hoch angesetzt wird,
da sonst eine üeberschuldung des Lands entsteht.
In dieser Erwägung galten namentlich die Leibrenten,
die Lebensversicherungen des Mittelalters, fttr unsittlich,
weil sie auf den frühen Tod spekulierten.
Verstand die Bechtssprache des Mittelalters unter
fenus jedes Wechselgeschäft mit der subjektiven
Hoffnung auf Gewinn, mochte es nun gegen Landes-
münze als Kauf oder gegen Ware als eigentlicher Aus-
wechsel erfolgen, so war das fenus jedermann gesiattet,
nur galt bis zum 5. Jahrhundert der Grundsatz, dass
der Handel sich für den Geistlichen nicht schicke und
den Laien zu überlassen sei. Aber schon seit dem
6. Jahrhundert findet die Kirche nichts mehr dahinter,
wenn die niedere Geistlichkeit Handelsgeschäfte
treibt. Verboten war dagegen auch den Laien das über-
mässige fenus. Edelleute, galt im 8. und 9. Jahr-
hundert als Grundsatz, sollen nicht mehr als 4 vom
Hundert, Bürger nicht mehr als 6, Kaufleute nicht mehr
als 8 vom Hundert als fenus oder Ebtndelsnutzen nehmen
und unter Konstantin galt als fenus justum oder be-
rechtigte Nutzungsabschätzung (census des usus)
die centesima, der 100. Pfennig im Monat, also ein
Handelsgewinn von 12 vom Hundert oder der halbe
Jahresertrag bei Früchten. Man bestimmte dies damals,
weil mannigfach sogar Geistliche das Wncherverbot durch
die Pfandnutzung umgangen hatten.
Ist also das Nehmen von fenus jedermann gestattet,
60 hinge es ein fenus justum bleibt, so ist es Sünde, so
bald fenoris redundantia, also übermässiger Nutzen,
vorliegt Man umgieng nämlich vielfach das Wucherverbot
dadurch, dass man sich ein benutzbares Pfand geben Hess
— LVI —
und sich am Ertrage desselben schadlos hielt, weshalb die
Kirche bestimmte, dass der Ertrag des Pfands nur bis
zur Höhe des fenns jnstnm dem Darleiher gehören, aller
weitere Natzen aber dem Schuldner an der sors abge-
zogen werden sollte. Ein anderer Weg zur Bewnchenmg
war, dass man den Schuldner mehr unterschreiben
liess, als er erhalten hatte, oder dass der Oeldbedflrftige
vom Kapitalisten eine Ware gegen Kredit über dem
Marktpreise kaufte, um sie sofort gegen bar um weniger
Oeld wiederzuverkaufen, oder dass der Geldbedürftige ein
sogenanntes Handgeld gab. Die S^irche schritt gc^n
alle diese Umgehungen dadurch ein, dass sie die Darleiber
schwören liess, die ganze Summe ausbezahlt zu haben,
und dass sie bis zum Jahre 1420 grundsätzlich verlangte,
dass auch das liegende Pfand, nicht nur das fahrende
Pfand, stets in den Besitz und die Verwaltung des
Gläubigers überzugehen habe, der davon den gesamten
usus (Rente) und fructus (Arbeitsertrag) bezog, seine Kosten
für entgangenes justum fenus und Verwaltung abzog und
den Rest, falls sich ein solcher ergab, dem Schuldner
an der Forderung abschrieb bezw. die Mehrkosten
demselben belastete, wenn solche eintraten. Erst seit dem
Jahre 1420 wurde es gestattet, dass das liegende Pfand
im Besitze und der Verwaltung des Schuldners blieb
und trotzdem mit einem dinglichen, also gerichtlich klag-
baren. Rechte auf einen jährlichen festen Rentenertrag
(census als geschätzter Durchschnittsusus) belastet wurde;
eine Einräumung, welche die Kirche damit rechtfertigte,
dass der Schuldner ja bei einem liegenden Pfände aus dem
Pfandgegenstande die Rente beziehe und diese deshalb wohl
verpfönden könne. Der Grund war der, dass die Verpflichtung
des Gläubigers, das Gut selbst zu bewirtschaften, bei dem
damaligen Sinken der Grundrente viele Kapitalisten
abschreckte, überhaupt Geld zu leihen. Strenge verboten
bUeb dagegen die sogenannte „Satzung^, d. h. der Ver-
kauf eines Guts an einen andern mit dem Recht der
Wiedereinlösung.
Was die Förmlichkeiten des Darleihgeschäfts
betrifft, so galt als Grundsatz bei der Judenanleihe
doppelte Sicherheit. Als Pfänder dienten Liegen-
schaften, Fahrnis oder persönliche Bürgschaft.
Den Pfandbrief fertigte bis zum 13. Jahrhundert die
Judenkanzlei mit ihrem Siegel aus, seither musste, um
Betrügereien zu verhindern, der Pfandbrief von einem
königlichenNotar beglaubigt sein, wenn er gerichüich
klagbar sein sollte, wobei der Jude schwören musste,
lediglich die gesetzliche Wuchergebühr zu nehmen
— Lvn —
Blieb der Schuldner mit der Wuchergebfihr oder der
Heimzaliluiig im Bückstande, so durfte der Jude das
Pfand verkaufen. Hatte die Wuchergebühr die Höhe
des Darlehens erreicht, so dass also der volle Wert des
zur Hälfte beUehenen Pfands erreicht war, so musste
abgerechnet, d. h. die Oesamtrfchuld heimbezahlt oder
das Pfand verkauft werden. Die rückständigen Wucher-
gebühren zum Kapital zu schlagen und davon wieder
Wuchergebühr zu nehmen, durfte nur mit Oenehmigung
des Beichs geschehen, wie dies im Jahre 1885 in Deutsch-
land, im Jahre 1387 in Frankreich geschah. Gieng ein
Pfand verloren, so musste der Olftubiger nach ale-
mannischem Pfandrecht den Verlust dem Schuldner
ersetzen. Nach romanisch -heutigem Rechte ist dies be-
kanntlich umgekehrt und das untergegangene Pfand dem
Schuldner verloren. Das für den Juden gültige tal-
mudischeBecht, das am härtesten namentlich in Frank-
reich im 13. Jahrhundert angefochten wurde, machte den
Gläubiger nur verantwortlich bei Verlust durch Dieb-
stahl und Fahrlässigkeit, nicht aber bei Feuers-
brunst und üeberschwemmung, eine Auffassung, die
namentlich in dem Falle eine Hauptrolle spielte, wenn
Schuldner, deren Judenschulden die Beichsregierung
übernommen hatte, ihre Pfandscheine mit Gewalt
herausverlangten. Die Juden zündeten dann ihre
Häuser an und konnten so auf Grund des Talmud
nicht mehr wegen Herausgabe der Pfandscheine belangt
werden, die dann einige Zeit nachher als Inhaberpapiere
in Venedig oder bei anderen auswärtigen Gerichten
gegen beliebige deutsche Beichsangehörige geltend gemacht
wurden.
Betreffs der Heimzahlung galt der Grundsatz, dass
wenn der Schuldner dem Gläubiger das Geld brachte, das
Pfand zurückzugeben war. That er dies nicht, so durften
weiter keine Leihgebühren berechnet werden. Brachte
der Jude sein Pfand dem Christen und dieser gab nicht
das Geld zurück, so hatte er jeden Schaden zu tragen, der
dem Pfände fortan zustiess.
Man muss, um diese ganze Entwicklung richtig zu
verstehen, in Betracht ziehen, dass das Judenpfand des
Mittelalters ein reines Inhaberpapier und der Schuldner
jedem Pfandinhaber erfüllungspflichtig war. Während
sonst jeder angebliche Schuldner sich durch den Eid, dass
er nichts schulde, von der Klage frei machen konnte, war
dies anders, sobald der Gläubiger einen Pfandschein hatte.
Mit diesem in der Hand stand dem Gläubiger das Becht zu,
seinerseits zu schwören, dass er darauf eine bestimmte
— Lvm —
Forderung habe. Durfte der christliche Gläubiger dabei
lediglich dieEapitalfordernng beschwören, so durfte der Jude
auch die Stundungsgebührenforderung in seinen
Eid einbeziehen. Hatte der Christ seinen Zins, seine Gülte,
Miete oder sonstige Forderung nicht erhalten, so blieb
ihm nichts übrig, als dd!6 Pfand zu verkaufen und sich so
zu decken oder seine Forderung an einen Juden zn Ter-
kaufen, der dann sehen musste, wie er mit dem Schuldn«'
einig wurde. Der christliche Gläubiger liess sich die im
Bfickstand befindliche Summe yom Juden unter Bürgschaft
seinerseits für den Eingang der Forderung ausbezahlen
und überliess dafür dem Juden seinen Pfandbrief. Es
war, wie man sieht, der gleiche Hergang, wie wenn man
heute einen Wechsel beim Bankier „discontiert*".
Löste dann der Schuldner den Pfandschein nicht ein,
so hielt sich der Jude wie heute der Bankier an den
Garanten, der ihm denselben yerkauft hatte. Der Jude
hatte deshalb auch ganz wie heute der Wechselglänbiger
beim Konkurs das erste Becht.
Die Darlehensverträge schieden sich nach ihr^
Beschaffenheit in zwei Arten, einmal in solche mit be-
schränkter Haftpflicht, bei welcher lediglich das
Pfand haftete, und dann in solche mit unbeschränkter
Haftpflicht, bei welchen das ganze Vermögen des
Schuldners haftete. Bei ersteren durfte der Gläubiger das
Pfand verkaufen, sobald der Schuldner seinen I%ichten
nicht nachkam, doch hatte er das Pfand erst dreimal
yor Gericht aufbieten zu lassen; bei letzteren hatte der
Schuldner gelobt, die volle Schuld zu bezahlen, und war
hiezu mit seinem ganzen Vermögen verbunden.
Wie der Metzger, der Bäcker, der Sattler Meisttaxen
hatten, so hatte eine solche auch der Jude. Sie betrug
für den Goldgulden im 13. Jahrhundert bis zu 4 Pfennig
und sank im 16. Jahrhundert bis auf 1 HäUer. Bei Qülten
und Grundzinsen wie sie auch der Christ kaufen durfte.
war das Maximum 10 vom Hundert im Jahre.
Strenge verboten war den Juden schon seit den Karo-
lingern das Darleihen auf Kirchengut, wie kirchUche
Gewänder, Altarkelche, Reliquien u. s. w., da sie schon
damals begonnen hatten, die Kirchen und Klöster zn
plündern, wie früher in Spanien die Moscheen. Ebenso
war den Juden das wissentliche Leihen auf ge-
stohlenes Gut, auf Militärausrüstungsstücke, auf
blutige und nasse Gewänder und auf zerdrückte
Edelmetallwaren verboten. War es alemannischer
B^chtsbrauch gewesen, dass auch der gutgläubige Käufer
eine gestohlene Sache ohne Entschädigung heraus-
— MX —
geben mosste, so hatte allmählich der Jnde das talma-
discbe Gesetz dorchgebracht, dass er ein&ch schwören
durfte, die gestohlene Sache gntgläabig erworben zu
haben, um Entschädigung beanspruchen zu dürfen. Seither
wurden denn auch die Juden die straflosen Helfers-
helfer bei den zahllosen Ba üb anfallen auf Eirchen-
gut und Haustiere, welche jene wilden Zeiten mit
sich brachten, und diese Bestimmungen haben nicht zum
wenigsten zu den Verboten des talmudischen Bechts
und zum Hass des Volks gegen dieses Becht gefUhrt
Das schlimmste Pfand aber war das Personalpfand
oder die Bürgschaft. Es ist die gefährlichste Klippe
ftlr die deutsche Freiheit gegenüber den Juden. Kann der
Schuldner nicht bezahlen, so muss er oder der Bürge in die
Schuldknechtschaft wandern. Es ist ein altdeutscher
Eechtsbrauch , der nach jüdischem und nach römischem
Becht nicht zulässig ist. Während der christliche Gläubiger
deshalb den Schuldner im Hause bei Wasser und Brot fest-
setzt, darf der Jude seinen Schuldner nur einem ehrsamen
Christenmann in Gewahr geben und es entwickelt sich
hieraus im 14. Jahrhundert die sogenannte Leistung,
indem der Bürge auf Ehrenwort verpflichtet ist, so lange
in einem bestimmten offenen Gasthause zu wohnen, bis
der Schuldner bezahlt, bis das Gesetz bestimmt, dass der
Jade die Kosten dieses „Einliegens^ bezahlen müsse.
Am schwersten hielt es für die Juden, ihre Staats-
a n 1 e h e n zurückzuerhalten. Verschuldeten Landesherr-
schaften musste meist die Beichskasse die Schulden
abnehmen, was daraufhinauskam, dass die reichen Beichs-
städte die Schulden des platten Lands heimzahlen
mnssten, das sie ausgewuchert hatten. Da die grössten
Steuerzahler der Beichsstädte aber wieder die Juden
waren, so kam also die Sache praktisch darauf hinaus,
dass die Begierung den Juden in der Gestalt von Steuer-
schätzungen den Baub wieder abnahm, den sie yorher
an den leichtfertigen Edelleuten vom Lande ausgeübt
hatten, wenn es der Jude nicht verstand, sich rechtzeitig
durch Wegzug zu drücken.
Der Gerichtsstand des Juden war der Patronats-
herr. Streitigkeiten von Juden mit Juden gehörten vor
das jüdische Gemeindegericht, Streitigkeiten von Christen
mit Juden vor das bürgerliche Gericht. Seine Eide schwur
der Jude vor dem Judengericht, der Christ vor dem
Christengericht; erst seit dem 18. Jahrhundert erhielt der
Jadeneid auch vor dem bürgerlichen Gericht eine mehr
religiöse Form und damit auch ftr den Christen
erhöhte Sicherheit, wie auch die jüdische Pfandge-
— LX —
richtsbarkeit seither der Aafsicht der bflrgerlichen
Gerichte unterlag.
IV) Der Kampf der Kirche gegen die Juden
im i3. und 14. Jaiiriiunderi
a. Das 18. Jahrhandert.
So ist die Macht des Judentums am Anfang des
13. Jahrhunderts eine geradezu furchtbare geworden.
Ueberall in Westeuropa, in England, in Spanien,
in Frankreich, am Bhein, vor allem aber in Oester-
reich und in den Donauländern, dem klassischen
Boden des Judenwuchers und der unterwertigen
Währung, sind die Juden die allmächtigen General-
pächter und Münzmeister und stehen als solche an
der Spitze der Finanzverwaltung , während die Klagen
fiber den Mangel an sittlichem Halt innerhalb der
Christenheit wie über den Uebermut der Juden
und die Missachtung, welche die Juden und Araber
der christlichen Kirche zu teil werden lassen, taglich
wachsen. Die Wuchergebühr hat eine erschreckende
Höhe erreicht und schwankt von 30 — 87 vom Hundert, die
verlotterte Staatsgewalt ist machtlos gegen die Juden.
Bitter klagt die Kirche, wie die städtischen Aemter,
die seither die Bischöfe und Aebte im Besitze gehabt
hatten, mit Hilfe dienstwilliger Juden in die Hände der
Städtebfirger und des Beichs zurückkehren, wie die
Kirche, welche sich seither aus wirtschaftlicher Not der
Juden angenommen hatte, wenig Segen von diesem Dienste
erfahre.
Diesen Schäden tritt der thatkräftige Papst Inno-
cenz in. mit gewaltiger Hand entgegen. Neben die
versumpften Benediktiner treten die kampfesfreudigen^
von sittlichem Ernst getragenen Bettelorden, voran die
rede- und schriftkundigen Dominikaner, um mit Wort
und Schrift den christlichen Glauben gegen die zer-
setzende Kritik des Judentums in Schutz zu nehmen.
Man errichtet hebräische Lehrstühle, man veranstaltet
Beligionsgespräche, wo christliche und jüdische Ge-
lehrte vor den Gebildeten der Nationen ihre gegenseitigen
Ansichten verteidigen; man erneuert die allmählich ausser
Gebrauch gekommenen, schon aus dem 3. Jahrhundert
stammenden Einschränkungen des gesellschaftlichen
und geschäftlichen Verkehrs zwischen Christen and
Juden, man hebt die rechtliche Giltigkeit des Talmud
als Gesetzbuch auf, bestraft die Juden, wenn sie die
— LXI —
Einrichtnngen der christlichen Kirche, namentlich
den Bilderdienst, verhöhnen, man verbietet bei Todes-
strafe den Bücktritt von zum Christentum übergetretenen
Jaden zum Mosaismas. Verlangt ein Jade zu hohe
Wuchergebühren oder nimmt er sonst übermässigen
Geschäftsgewinn, so verbietet die Kirche allen ihren An-
gehörigen den Geschäftsverkehr mit demselben, woraus
sich allmählich ein vollständiges kirchliches Wucher-
recht heraasbildet; hat ein Jude Kirchenzehnten durch
Pfandschaften an sich gebracht, so verlangt die Kirche,
dass die betreffende kirchliche Körperschaft für den da-
durch entstehenden Einnahmeausfall schadlos gehalten wird.
Als Mittel, den bedrängten Schuldnern zu helfen, gebraucht
die Kirche seit den Kreuzzügen vor allem die Auf-
hebung der Stundungsgebühren. Diese Aufhebung
geschieht in der Art, dass der Gläubiger nur den wirk-
lichen Nutzen der Pfandschaft, den usus, über die
Dauer der Stundung beanspruchen darf. Beicht der Ertrag
der Pfandschaft, welche im Besitz des Gläubigers stehen
mass, wenn sie rechtsgültig sein soll, zur Deckung der
Wucherforderung nicht aus, so ist dies der Schaden des
Gläubigers. Die Kirche bringt auch diese Einräumung bei
den Juden dadurch zu stände, dass sie über jeden Juden,
der sich nicht auf die Stundung über die Dauer der
Abwesenheit des Schuldners einlässt, den Geschäfts-
boykott verhängt
Die Staatsgewalt verhält sich diesem Vorgehen
der Kirche gegenüber anfänglich durchaus ablehnend.
Ein Aufruf des Papstes an die Landesherren, worin er
diese auffordert, der Kirche im Kampfe gegen die Juden-
schaft beizustehen und nicht länger zu dulden, dass die
Geitslichen schlechter gestellt seien als die Edelknechte
und Beichskammerknechte, macht anfänglich nur wenig
Eindruck und nur langsam gelingt es der zielbewussten
Arbeit der Bettelorden, der Dominikaner und Franziskaner,
den Juden den Pfandbesitz des westeuropäischen
Bodens abzujagen und ihn mit Hilfe der Lombarden
in die Hände der Kirche zu bringen. Es ist wiederholt
ein Stück Grundschuldenablösung, deren Durch-
führung die Kirche gegen die verjudete Staatsgewalt
übernimmt, ein Stück praktischer internationaler
Kommunismus, der, im Geiste der ersten Christen-
gemeinde des Petrus und Jakobus durchgeführt, den
national-jüdischen Socialismus übertrumpft und der
Kirche damals nicht umsonst den Buf einträgt, dass
„unterm Krummstabe gut wohnen^ sei. Immer
mehr tritt der bessere Teil der Ellostergeistlichkeit, dem
- Lxn —
es in den Tom Feadaladel bewohnten, geistig und sitüich
veijudeten, prassenden Benediktinerstiften nicht mehr
gefällt, in die neu aufkommenden judenfeindlichen Bettel-
orden über und der Kampf ist ein so thatkräftiger,
dass die Judenschaft, ihrer alten Gewohnheit folgend, von
einem Uebermass ins andere, vom Uebermut in die Unter-
würfigkeit gerät Sie sieht ein Ende mit Schrecken vor
sich, wenn es so weiter geht, und sucht darum den Schutz
der Kirche, den sie seither höhnend zurückgewiesen
hatte, jetzt mit immer dringenderen Vorstellungen nach
und dieser Schutz wird ihr denn auch in reichem Masse
zu teil. Je weniger sich die Staatsregierungen in der
Lage sehen, den ihnen obliegenden Judenschutz der
yon der Kirche losgelassenen Volksmacht gegenüber zu
handhaben, um so mehr zeigt sich die Kirche in der Ver-
fassung, diese Bewegung einzudämmen. Sie hat den Juden
die Peitsche gezeigt, sie kann auch das Zuckerbrot reichen,
wenn ihr der Jude den Willen thut. Sie yerbietet deshalb
strenge, die Juden zur Taufe zu zwingen, sie zu
schmähen, wenn sie sich taufen lassen, oder sie am
Laubhüttenfeste zu misshandeln. Dabei stellt sie den
Grossjuden, die sich taufen lassen, die höchsten
Kirchenstellen zur Verfügung, so dass gar bald derartige
Benegatengestalten in Menge sich zeigen und eine
zum Teil recht hässliche Bolle spielen.
Immerhin bilden diese Uebertritte yon Juden zum
Christentum die yerschwindende Minderheit und der Jude
zieht es yor, sein Vermögen noch mehr als seither statt
in den Schutz der gräflichen Landesherren in den
Schutz der unter dem Begiment der Kirche stehenden
städtischen Burggrafen zu stellen, indem er sein steuer-
freies Grundeigentum der Kirche schenkt unter
der Bedingung, dass sie ihm dasselbe gegen einen massigen
Pfeffer-, Ingwer-, oder sonstigen Jahreszins als Erblehen
zurückgiebt, oder dass er seine bewegliche Habe dadurch
anlegt, dass er steuerfreies Gut der Kirche damit als
Lehen erwirbt
Beeinflusst yon der Geistlichkeit erfolgt denn auch
jetzt namentlich in Frankreich yon Staatswegen
eine Ablösung der unerträglich gewordenen Grund -
schulden, indem die Begierung alle Leihgebühr-
forderungen für ungültig erklärt, die nicht älter als
ein Jahr sind, und alle über 5 Jahre alten Pfand -
schulden derart ablöst, dass die Patronatsherr-
schaften der Juden diesen ihre Forderungen an
Hauptgut und rückständigen Leihgebühren unter Abzug
yon einem Drittel der Forderung heimzahlen und sich
— Lxm —
dafBr deren Pfandbriefe ausfolgen lassen, deren Aus-
lösung nun die Schuldner binnen drei Jahren in
bestimmten Baten vornehmen mussten. Zur Durchffihrung
der Massregel wurden alle Juden in ganz Frankreich „g e-
heimt'', d.h. es wurde ihre Patronatsherrschaft oder
Landeszugehörigkeitfestgestellt, worauf im Jahrel239
alle Judenpfandbriefe, betreffs deren eine Verst&n-
digung der Patronatsherrschaften des Schuldners und des
Gläubigers nicht zu erzielen gewesen war, fQr gericht-
lich unklagbar erklärt wurden. Es war genau derselbe
Weg, der 100 Jahre später auch in Deutschland betreten
wurde und den Thomas von A quin o damit rechtfertigte,
dass er erklärte, wenn es zu einem solchen Zwangsyergleich
gekommen sei, so sei das die eigene Schuld der Juden
and die Regierung habe zweifellos das Becht, einen solchen
gerichtlichen Zwangsyergleich mit Ledigsagung eines
Teils der Forderungen durchzuführen Nur werde es sich
empfehleu, dass der Staat hiebei durchaus mit Mässigung
yerifahre, da es Pflicht des Christen, also auch des christ-
lichen Staats, sei, sich mit Andersgläubigen wohl zu
yertragen, damit das Ansehen der Kirche nicht geschädigt
werde. Das Bichtige werde darum sein, den Juden ausser
ihrer althergebrachten Jahressteuer keine weitere
Steuerleistung zuzumuten, ihnen aber all' das wieder
abzunehmen, um was sie durch Nehmen allzuhoher
Leihgebühren ihre Schuldner in ungesetzlicher Weise
geschädigt haben. Diese Summen seien dann denjenigen
heimzugeben, denen sie die Juden abgenommen haben,
auch wenn die Geschädigten im Auslande wohnen.
Dem Zwangsyergleiche yom Jahre 1239 folgte eine
weitere Massregel in Frankreich im Jahre 1260. Auch
diesmal hatte die Patronatsherrschaft dem jüdischen
Gläubiger zwei Drittel der rückständigen Hauptsumme
samt Zinsen namens des Schuldners auszuzahlen, während
der Schuldner seine reduzierte Schuldsumme in zwei
Jahreszielem an den Patron heimzuzahlen hatte, und kein
Jade sollte mehr das Becht haben, sich durch Zwangs-
yoUstreckung oder Gefangensetzung des Schuldners
eigenmächtig Zahlung zu yerschaffen. AUen ünterthanen
aber wurde weiter strenge verboten, künftig wieder
Geld bei Juden au&unehmen, und kein Jude sollte mehr
das Becht haben, Geld gegen eine Stundungsgebühr
auszuleihen, wie auch kein französisches Gericht mehr
einen jüdischen Darlehensvertrag besiegeln durfte und
Staatsyerträge mit den benachbarten Ländern ge-
schlossen wurden, nach denen diese sich yerpflichteten,
keine Klage eines Juden gegen einen französischen
- LXIV —
ünterthanen wegen einer in Frankreicii eingegangenen
Schnldyerpflichtang anzunehmen. Dagegen wurde allen
Juden nach wie vor der Aufenthalt in Frankreich unter
der Bedingung gestattet, dass sie ein Handwerk oder
die Kaufmannschaft wie die christlichen Ünterthanen
ausübten. Es ist der gleiche Weg, den schon die lici-
nische Gesetzgebung im alten Rom im Jahre 367
T. Chr. beschritten hatte. Man zog die von den Gläubigem
zu viel erhobene Leihgebühr von der Schuld ab und
verlangte yon den Schuldnern, dass sie den Rest in
drei Jahreszielem abtragen.^)
War es den Juden seit dem 9. Jahrhundert gelungen,
die alten Kleid ervorschriften allmählich in Abgang
zu bringen, so leben auch diese jetzt wieder aufs neue
auf. Die Kirche verlangt, dass der ortsangesessene Jude
wieder den vorgeschriebenen roten Juden hu t, den roten
Judenmantel und die Judenscheibe, der fremde Jude
aber die gelbe Judenkappe und die gelbe Scheibe und die
Judenfrau die himmelblaue Judenborte am Kleide trage.
Die Erneuerung der Vorschrift entspricht dem damaligen
Zuge der Zeit, der Abgrenzung der Stände auch
äusserlichen Ausdruck zu geben, und wie die Kirche vom
Ordenspriester verlangt, dass er sich des Ordenskleids
bediene, dass er die „Uniform" trage, statt in „Civil"
galanten Abenteuern nachzugehen, so sollen auch der Ritter,
der Stadtgeschlechter, der Zunftbürger, der Jude durch
eine eigene Tracht kenntlich sein. Die Landestracht
und Standestracht verdrängt die Weltmode der vorüber-
gezogenen grossen Zeit der Kreuz zu ge. So ist auch der
rote Mantel keine Judentracht, sondern eine Standes-
tracht für den „öffentlichen Darleiher", den „usurarius
publicus," der „Freimann" ist wie der Henker und dem
deshalb die rote Tracht wie diesem gebührt.
Neben der alten Kleidervorschrift erhalten die Juden
die Auflage, christliche Gasthäuser und Bäder zu
meiden. Da der Jude die Speisen der Christen verschmähe,
da er anderes Fleisch, andern Wein, anderes Brot geniesse,
da er andere Begriffe von Reinlichkeit habe als der
Christ, erklärt die Kirche, so zieme es sich nicht, dass
der Christ mit ihm zusammen speise und bade, und es
wurde deshalb auch den Metzgern verboten, die von den
Juden verschmähten Fleischteile anzukaufen und an
Christen wiederzuverkaufen, sondern dieses „Juden-
fleisch" durfte nur auf der Freibank vom Judenmetzger
mit rotem Judenhut verkauft werden.
^) Ut dedocto eo de capite^ qaod uBaria penmmeratoin esset, id quod
tuperesset, triennio aequis portionibos penolveretur.
- LXV —
Ebenfalls wieder schärfer angewendet wurden die
Beschränkungen der Juden an christlichen Feier-
tagen. Sie durften an Fasttagen kein Fleisch mehr
essen, da sich der Bflrger sagte, dass auch der Jude die
Pflicht habe, sich der zur Erhaltung des Viehstands
nötigen Schonzeit fDr dasselbe zu fQgen, und durften sich
bei der Fronleichnamsprozession nicht mehr auf die Strasse
stellen; auch war es ihnen verboten, öffentlich über den
Christenglauben zu sprechen oder zu schreiben.
Des weitern wurde der Ghettozwang mehr
and mehr durchgeführt; Zaun und Mauer trat zwischen
Christen und Juden, eine gegenseitige Liegenschaftsbe-
reinigung förderte die Durchführung der Massregel in
den Städten. Verboten wurde ferner erneut strengstens
die Heirat zwischen Christen und Juden und der
geschlechtliche Verkehr mit Juden, da der Christ
Ober das Weib anders denken sollte, als der Jude, der
seine Tochter wie eine Sklavin verkaufe. Strenge unter-
sagt wurde endlich, mit Juden im gleichen Hause zu
wohnen oder Dienstbote oder Amme bei einem Juden
zu sein. Unterstützt wurden diese kirchlichen Vorschriften
durch die öffentlichen Predigten der Geistlichkeit
gegen die Juden, üeberall ermahnten die Priester das
Volk, sich nicht durch die Lästerreden der Juden im
Glauben wankend machen zu lassen. Man solle den Juden
nicht zu nahe treten, lehrten die kirchlichen Wander-
prediger, denn sie seien auch Menschen und der Blut-
aberglauben, den man ihnen nachsage, habe insofern
mit ihrer Religion nichts zu thun, als der Mosaismus
denselben verbiete und die Juden selbst im Glauben
uneins seien, wie die Christen vielerlei Glauben haben;
man solle sie darum schützen an Leib und Leben, aber
jeden weitem Verkehr mit ihnen meiden.
So war die Lage der Juden um die Mitte des
13. Jahrhunderts eine ziemlich bedrängte geworden und
mit Freuden begrüssten die Juden die anstürmenden
Tartaren, Gasaren oder Zigeuner, welche sie als
Nachkommen der von Alexander dem Grossen nach
dem Easpisee verbrachten Judenkolonisten hielten
und von denen sie deshalb hofften, dass sie der ihnen
allzu machtig gewordenen abendländischen Eirchen-
gewalt den Garaus machen werde.
b. Das 14. Jahrhundert.
Im Jahre 1306 geht man in Frankreich erneut gegen
die Juden vor. Man verschlechtert die Währung,
um den Schuldnern durch Hebung der Warenpreise
V
— LXVI —
die Heimzahl ang za erleichtem, zahlt den Juden
von Belchswegen ihre Forderungen aus und verweist sie
dann des Lands, nachdem alle nicht zur Auszahlung ein-
gereichten Jndenpfandbriefe für klaglos erklärt sind.
Dabei dürfen die auswandernden Juden ihr Vermögen
lediglich in Waren, nicht aber in Edelmetall ausfühien.
In Scharen strömen jetzt die Juden aus Frankreich
nach Burgund, den Bheinlanden und dem übrigen
Deutschland herein, aber schon im Jahre 1315 haben sie
es durch ihren Einfluss am französischen Hofe dahin ge-
bracht, dass ihnen das Aufenthaltsrecht in Frankreich
erneut auf 12 Jahre, also bis zum Jahre 1327, eingeräumt
wird. Sie dürfen Kaufmannschaft und Handwerk treiben
und Geld auf Pf&nder leihen, aber die rückständige
Wuchergebühr nicht zum Hauptgute schlagen.
Ihre früheren Synagogen und Häuser dürfen sie von
den Personen, an welche sie die Krone verkauft hatte,
wieder einlösen, dagegen sollte das talmudische Recht
keine Gültigkeit haben. Wird ihr Aufenthaltsrecht
im Jahre 1327 nicht verlängert, so haben sie ihr Ver-
mögen flüssig zu machen und binnen Jahresfrist das Land
zu räumen. So sitzen die Juden bald in Frankreich
wieder fester als je. Sie sind nicht mehr dem Sterbfall-
recht, d. h. der Erbschaftssteuer, unterworfen und
ihre Besteuerung darf nur noch im Verhältnis zum
Vermögen erfolgen; bei Verfehlungen sind sie gegen
Bürgschaft freizulassen.
In den Jahren 1320 und 1321 erneut vertrieben, be-
nützen die französischen Juden die wirtschaftliche Not der
Krone, wie sie sich als Folge der Gefangennahme König
Johanns durch den Vertrag von Bretigny im Jahre 1353
einstellt, um wiederholt die Rückkehr nach Frank-
reich durchzusetzen. Den Abschluss des Vertrags besorgt
der jüdische Generalpächter und Hofbankier Manasse
von Vesoul, der zum Seichsjudenkommissär von
Frankreich ernannt wird, während Seichsjudenvogt
ein Fürst von Geblüt wird. Die Bedingungen sind dies-
mal noch günstiger als beim letzten Vertrag. Die Juden
sind von allem Zwang zum Anhören der christlichen
Predigten und von jeder Verpflichtung zur Anwohnung
bei den christlichen Gottesdiensten befreit und der
Talmud wird ihnen als Gesetzbuch erneut gestattet
Im Jahre 1363 kommt ein neuer Vertrag zu stände, in
dem bestimmt wird, die Juden sollen noch drei weitere
Jahre in Frankreich bleiben dürfen, aber künftig wieder
das Judenabzeichen tragen. Während im Jahre 1370
die Juden ausBrabant, im Jahre 1374 aus dem Elsass
— Lxvn —
aasgetrieben werden, erhalten sie ihre Stellung in Frank-
reich, dank der einflussreichen Persönlichkeit Manasses,
unangefochten aufrecht, bis im Jahre 1380 auch in Paris
das Volk die Judenyiertel stürmt und die Juden sich
immer mehr aus Frankreich ziehen und sich wieder im
Elsass (Strassburg 1382) und in Burgund (1384) oder
in Polen und Italien eine Unterkunft schaffen, nachdem
ihnen im Jahre 1392 in Frankreich entschieden entgegen-
getreten wird. Man hebt damals die Bestimmung auf, nach
der jeder Jade, der sich taufen liess, sein Vermögen
der Judengemeinde abtreten musste, da diese eine
eigene körperschaftliche Steuergenossenschaft bildete,
welche der unmittelbaren Besteurung der Erone und
nicht der Kirche unterstand. Diese Bestimmung wird
jetzt abgeschafft, wodurch den Judengemeinden der Grund-
pfeiler ihrer Macht verloren geht. Aber auch das Recht des
Personalpfands, d. h. der Yerhängung der Schuldhaft
über saumselige Schuldner, wird den Juden genommen,
wie auch ihre Pfandbriefe nur dann noch gerichtliche
Gültigkeit haben sollten, wenn sie auf den königlichen
Kanzleien ausgefertigt waren. Jetzt löste sich die Juden-
herrschaft in Frankreich auf. Der Sohn des Grossjuden
Manasse von Yesoul und zahlreiche andere reiche Juden
traten zum Christentum über; die strenggläubig ge-
bliebenen Juden von Paris antworteten mit Gewaltthätig-
keiten und es gab zahlreiche Klagen, dass die Juden ihre
getauften Genossen umbringen. Von christlicher Seite
dagegen gieng man gegen die Juden wegen Wucherge-
bühren Überforderung vor und im Jahre 1394 wurden sie
wegen Vergehens gegen die Gesetze der christlichen Kirche
auf immer aus Frankreich ausgewiesen. KeinJnden-
pfandbrief hatte mehr gerichtliche Gültigkeit, sondern die
Krone trieb selbst alle Judenforderungen ein, zog davon
die Forderungen ab, welche die Staatsglänbiger für die
ihnen verpfändeten Judensteuern hatten, und folgte
den Juden den Rest aus. An die Stelle der Judenschaft
aber trat als öffentlicher Darleiher die lombardische
Orossfinanz.
Wie im eigentlichen Frankreich, so sassen auch
im englischen Aquitanien an der Garonne und in
der Provence die Juden als reiche Grosshändler und
drückten durch Einfuhr fremder Schafwolle für
die dortigen Webereien derartig die Wollpreise,
dass in den Jahren 1320 und 1321 die Schafhalter
(pastourenx) einen grossen Aufstand erregten, gegen
den sich alle Bannbullen der Kirche als unwirksam
erwiesen. Ebenso wurde in Deutschland jetzt die
V*
— Lxvm —
Stimmung gegen die Jaden immer erregter. ^Die
Habsucht der Gliristen und der Juden heimliche
Sünden haben die Juden erschlagen", melden die Zeit-
genossen von den grossen Judenkrawallen des Jahr-
hunderts. Das Beich hat einer Reihe von schwerver-
schuldeten Landesherrschaften dadurch zu helfen
gesucht, dass es die Schulden dieser Beichsstände oder
Einzelstaaten bei den Juden, welche in erster Linie
durch die gesteigerten Anforderungen des Reichs,
namentlich durch die furchtbar angeschwollene Heeres-
last, entstanden waren, auf die Reichskammer über-
nommen hatte, und den Reichsstädten lag nun die
wenig erfreuliche Aufgabe ob, den dadurch entstandenen
Abmangel der Reichskammer zu decken, diese For-
derungen namens des Reichs heimzuzahlen und die ihm
vom Reiche dafür überlassenen Scbuldobligationen der
bankerotten Reichsstände bestmöglichst zu liquidieren.
Die Juden waren von dieser Transaktion indes keines-
wegs erbaut; ihnen schien die Fortsetzung des seitherigen
Schuldverhältnisses der kleinen Reichsstände weit vor-
teilhafter, als die Zwangsliquidation durch die Reichs-
städte. So flüchteten sie ihre Schuldobligationen und ihre
Person in den Schutz der Reichsstädte und erklärten,
sie haben ihre Pfandbriefe an Christen verkauft, worauf
nach einiger Zeit die Pfandscheine bei irgend einem
Landgerichte eingeklagt und Vollstreckungsbefehle gegen
die verschuldeten Reichsstände ausgewirkt wurden, da
der Judenpfandschein des Mittelalters völlig der heutigen
Obligation au porteur, dem Inhaberpapier, entsprach.
Wohl schon damals lebte in Ulm, wenn sie auch erst
im Jahre 1376 erstmals urkundlich vorkommt, eine der
interessantesten Figuren der reichbewegten Judengeschichte
des 14. Jahrhunderts, der Ulmer Grossjude Jäcklin.
In Ulm wohnhaft ist er lange Zeit der allmächtige Geld-
geber der Stadtgemeinde wie namentlich der tief ver-
schuldeten benachbarten Landesherren, der Grafen von
Wirtemberg, von Werdenberg, von Helfenstein,
von Landau-Markgröningen. Seine Frau war die
Tochter des Grossjuden Moses von Ehingen, seine Söhne
waren grosse Geschäftsleute in Strassburg und Ried-
lingen und die Geschäftsteilung der Familie fand offenbar
in der Art statt, dass Moses von Ehingen aus die
Finanzen des vorderösterreichischen Hauses Habsburg
dirigierte, während Jäcklin von Ulm aus die Herrschaften
Helfenstein, Werdenberg und Wirtemberg, der
Strassburger das Haus Mömpelgard und der Ried-
linger das Haus Landau bewucherte. Schwer hatte
~ Lxrx —
namentUch Wirtemberg seit Jahrzehnten nnter den
gewaltsamen Pfändungen des Städtebnnds, den
sogenannten „Judenbränden", gelitten und schon im
Jahre 1346 hatte das Seich die elsässische Herrschaft
Reichenweiher auf das Beich übernommen und Wirtem-
berg von der Pflicht befreit, den Bärgen auf diese Pfand-
schaft die ihnen von den Juden auferlegten Leistungen
za ersetzen. Mit dieser Ledigsagung war die be-
treffende Landesherrschaft, war das Haus Wirtem-
berg seiner Zahlungspflicht gegenüber den Juden für
das Gebiet des deutschen Seichs enthoben und an
seine Stelle die Seichskammer getreten, aber den
solidarisch haftbaren Bärgen war damit nicht geholfen
and auf diese richteten sich deshalb jetzt die Angriffe
der jüdischen Gläubiger. Dabei war ausserdem auch für
den Schuldner, das Haus Wirtemberg, selbst bei der Eigen-
schaft der in Betracht kommenden Judenpfandscheine als
Inhaberpapiere, als acceptierte Wechsel, die Ge-
fahr nicht ausgeschlossen, dass ein beliebiger Geschäfts-
mann mit einem solchen Pfandschein in der Hand von
einem ausländischen Gericht, z. B. in Venedig,
Beschlag auf das Eaufmannsgut deutscher Seichs-
angehöriger legen Hess. So blieb, wenn der Zweck der
Massregel, die Sicherung der verschuldeten Seichsstände
vor weiteren gerichtlichen Zugriffen, erreicht werden
wollte, nichts übrig, als sich der betreffenden Jnden-
pfandbriefe mit Gewalt zu bemächtigen, und dieser
Grund scheint es in der That in ersten Linie gewesen zu
sein, der die grossen Judenkrawalle der Jahre 1848
und 1349 in den deutschen Seichsstädten hervorrief.
Als Mittel, die Erbitterung weiterer Bevölkerungs-
kreise gegen die Juden hervorzurufen, diente die Be-
hauptung, die Juden haben die Brunnen verunreinigt
und so den schwarzenTod, die Cholera des Mittelalters,
ins Land gebracht. Die Behauptung mochte nicht ganz aus
der Luft gegriffen sein. In steigender Menge war damals
das fremde Volk namentlich aus Frankreich ins Land
hereingeströmt und seine Unreinlichkeit war bald un-
angenehm aufgefallen. Man zieh die Juden, dass sie ihre
Nachtstähle in die öffentlichen Brunnen leeren,
dass sie die von ihnen nach ihren Speisegesetzen ver-
schmähten Fleischteile mit Urin verunreinigen, ehe
sie dieselben an die christlichen Metzger zum Verwursten
verkaufen, man erzählte sich, die Mauren und Juden und
Bonstigen Aussätzigen aller Länder haben sich ver-
schworen, alle Christen zu verderben, und steigerte so den
Haas gegen die Juden. Vergeblich waren die Proteste
S^*u '' Wirtemberg seit Jahrzehnten unter den
sofffin ®° Pfändungen des Städtebands, den
Jahr^*"/»*'' '>J"*'*i'tt*"änden", gelitten und schon im
U j . '3^ hatte das Reich die elaäasiache Herrschaft
bft-„ ^°*«'her auf das Reich übernommen und Wirtem-
gp^l.^'Jfoer Pflicht befreit, den Bürgen auf diese Pfand-
za a * ''"'®'' ^°'"^«ii Juden auferlegten Leistangen
trefffinH^V®"*" **'* dieser Ledigsagnng war die be-
bg"™"® Landesherrsehaft, war das Haus Wirtem-
das G ^'?'^'' ZaMungspflicht gegenüber den Juden flJr
seine St if * ^^ deutschen Reichs enthoben und an
solidar il *^'* Reichskammer getreten , aber den
lud an? ri ■ ''^*'''*'^*'^ Bürgen war damit nicht geholfen
der ifld 1,*^^ richteten sich deshalb jetzt die Angriffe
den Sch'^^ Gläubiger. Dabei war ausserdem auch für
sch^ dfi ■*'"' ^** ^*"* Wirtemberg, selbst bei der Eigen-
luhaber "* Betracht kommenden Judenpfandscheine als
fahr nicht^^''^^'"^' ^^ acceptierte Wechsel, die Ge-
mann mit *?*Se8chlo88en , dass ein beliebiger Geschäfts-
eiaem an f*"^"" solchen Pfandschein in der Hand von
5escii/a^ *°**'8*'hen Gericht, z. B. in Venedig,
ÄUBft>vR ■ **^ Kanfmannsgut deutscher Keicha-
Uw«Y. i'^®^ legenliess. So blieb, wenn der Zweck der
^v ^ V ' ^*^ Sicherung der verschnldeten Reichsatände
^e/tet-^n gerichtlichen Zugriffen, erreicht werden
-i^jhta übrig, als sich der betreffenden Juden-
'^ «fe mit Gewalt zu bemächtigen, und dieser
^■^int es in der That in ersten Linie gewesen zu
die grossen Judenkrawalle der Jalire 1348
L n den deutaehfin Reichsstädten hervorrief.
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Jorzurafen, diente die Be-
Bruniien verunreinigt
|e Cholera desMiltelalters
fing moclite nicht ganz ans
Mengo war damals
"kreich ijis Land
eit war bald u-
■en, dass sit iin
runneii Iwra.
'isetreseu» vtr-
- LXX —
der Juden gegen diese Beschuldigungen. Unter den
Medizinern waren zwei schroflf getrennte Lager, das der
Lokalisten und das der Kontagionisten, und obgleich
die Juden durch die bedeutendsten gelehrten Autoritäten
der Kontagionisten erklären Hessen, dass die Pest lediglich
auf Ansteckung beruhe und nicht durch ortliche
Ursachen entstehe, so stellte sich doch das Volk auf
die Seite der Lokalisten und erschlug, von fanatischen
Geisselbrttdern erregt, die Aerzte samt den Juden,
obgleich die Kirche durch Bullen feierlich erklärte, die
Juden seien unschuldig an der Pest, denn sie sterben
daran wie die Christen.
Bevor der Sturm ausbricht, haben sich meist die
Zünfte in den Städten an die Spitze der Begierung gesetzt.
Die Bürgermeister und Stadträte werden abgesetzt
und in Anklagezustand gebracht , weil sie mit den Juden
unter der Decke gesteckt und die Städte leicht-
fertig in Schulden gestürzt haben, und an die Stelle
des seitherigen verlotterten, in den Händen reicher
jüdischer Hintermänner befindlichen Regiments der alten
verschuldeten Stadtgeschlechter tritt die Herrschaft der
Zünfte. Der gesunde, sittlich unverdorbene Mittel-
stand nimmt das Regiment in seine kräftige Hand and
die Grundlage der Stadtverwaltung wird eine andere. Da
bei den Krawallen indes vielfach die Häuser der Juden,
vielleicht absichtlich durch Brandstiftung seitens der Juden
selbst, in Flammen aufgehen, steht den Juden bei den
nach Ledigsagung der verschuldeten Reichsstände
erfolgenden Klagen derselben gegen ihre jüdischen
Gläubiger auf Herausgabe ihrer Pfandscheine der
Rechtseinwand zu, dass diese Pfandscheine durch höhere
Gewalt ans ihrem Besitze gelangt seien. So ist der Jude
der Pflicht enthoben, das vom Schuldner rechtskräftig
zurückgeforderte Pfand zu ersetzen, das dann nach
einiger Zeit anderwärts gerichtlich zur Vollstreckung
präsentiert wird und nach talmudischem, im Ver-
kehr mit Juden gültigem Rechtsgrundsatz eingelöst werden
muss, da der Kläger beschwört, dass er die Forderung
gutgläubig erworben habe.
Man hat sich die Entwicklung der städtischen
Judenkrawalle der Jahre 1348 und 1349 also in der
Art zu denken: Die Stadtgemeinden kommen in grosse
Verlegenheit, als die Schuldner, welche das Reich ihrer
Schuld ledig gesagt hat, von ihnen als Patronatsherren
der jüdischen Gläubiger ihre lediggesagten Pfandbriefe
herausverlangen. Da die Städte hiezu nicht in der Lage
sind, weil die Juden erklären, die Pfandscheine nicht mehr
— LXXI —
zu besitzen, mttssen sie fttr diese Forderungen aufkommen,
deren anderweitige Geltendmachung jeden Augenblick
droht So erscheint als einfachstes Mittel, sich der Juden-
pfandscheine mit Gewalt zu bemächtigen, und die
Städte bringen dieses Mittel nach dem Sturz der Be-
gierung der alten verjudeten Stadtgeschlechter zur
Anwendung. Sind damit die Judenpfandscheine teilweise
in die Hände der Stadtgemeinden gelangt, so steht dieser
Forderung der Stadtgemeinden an die verschuldeten
Landesherren die Gegenforderung dieser Landesherren
für geleistete Beichsdienste gegenOber und das
Beich weist diese Summen den Landesherren auf die
Steuern der Judengemeinden an. Es sind darum bei
dem Judenkrawall vom Jahre 1848 zweierlei Inte-
ressen im Spiele, einmal das Literesse der Landes-
herren, denen die Judensteuern fBr ihre Beichsdienste
verpfändet sind, und dann die Beichsstädte, welche
als Patronatsherren der Juden fBr die Ledig-
sagung der Landesherren zu sorgen haben. Der Aus-
gleich der Sache geschieht darum auch in der Weise,
dass zwischen den Landesherren und den Beichs-
städten ein Abkommen dahin getroffen wird, dass sich
beide Teile verpflichten, künftig nie mehr einen Juden
eines andern Teils ohne Einwilligung des andern Teils
insPatronat aufzunehmen, worauf die Stadtgemeinden
ihren Juden deren Forderungen bei den Landesherren
durch Erlass der den Städten vom Beiche fiberlassenen
Jndensteuern auf eine Beihe von Jahren heimzahlen
und so das Patronat Ober die Juden erwerben, wobei
die Beichskammer sich verpflichtet, künftig die Juden-
steuem an niemand mehr höher zu verpfänden, als die
gewöhnliche Jahressteuer betrug.
Auf Grund dieses Ausgleichs entstehen wenige Jahre
nach der Zerstörung vom Jahre 1348 wieder überall in
den Beichsstädten blühende Judengemeinden und
J n d en h ö f e. Man überlässt den Juden lehensweise reichs-
stadtische Plätze zu ihren Synagogen und Friedhöfen,
Tanzhäusern und Badstuben; das Beich erklärt die
Jaden aller ihrer Steuerpflichten gegen ihre seitherigen
landesherrlichen Patrone ledig und bestimmt, dass
die Juden künftig wieder lediglich Beichskammer-
knechte sein und ausschliesslich der Beichskammer und
den Beichsstädten zu „dienen" haben (servire gleich
Steuer zahlen) sollen. Wo sich ein königlicher Burggraf
befindet, also in den „reichssteuerfreien Städten", beziehen
jetzt das Beich, das Burggrafenamt und das städtische
Anmiansamt je den dritten Teil der Judengefälle, wo kein
— Lxxn —
solcher ist, also in den „Reichstädten", bekommt die eine
Hälfte das Reich, die andere Hälfte die Stadt Betreffe
des Gerichtsstands der Juden wird bestimmt, dieselben
sollen nnr vor dem königlichen Gericht der betreffenden
Reichsstadt Recht zn geben und zu nehmen schuldig sein.
Kurz die mit dem Rechte zur Aufnahme von Juden be-
liehenen Reichsstädte haben jetzt auf Zeit ein ähnliches
Recht im Besitz, wie es im Jahre 1355 durch die goldene
Bulle Kaiser Karls IV. den Kurfürsten auf ewige
Zeiten verbrieft wird. Die Aufnahme von Juden seitens
der Städte erfolgt lediglich auf Zeit, meist auf 10 Jahre,
während deren der jüdische „Pfahlbürger" sein Bürger-
recht nicht aufsagen darf, wie dies bei den Edelknechten
und Klosterpfaffen ebenfalls gehalten wird. Bei aus-
wärtigen Kriegen hat der Judenbürger keine Beihilfe
zu leisten, wohl aber hat er an den Kosten fEkr die In-
standhaltung der Stadtbefestigung und deren Bewachung
seinen Anteil zn tragen.
Im Jahre 1370 sind die Juden bereits wieder so
mächtig in den deutschen Reichsstädten, dass das Reich
bei der Stadt Nürnberg Klage führt, weil die dortigen
Juden angefangen haben, ihren Vorsteher ohne Ein-
willigung der Burggrafschaft zu wählen, sich eine
eigene Ordnung gemacht und ein eigenes Gericht
gewählt haben. Es ist eine Bewegung, wie sie entsprechend
der zünftigen Entwicklung der Handwerkerkreise auch
die Juden damals ergriffen hat. Je mehr die Anfor-
derungen des Reichs, des Staats, der Gemeinden
an die Steuerkraft der Einzelnen wachsen und je mehr
gleichzeitig die Erwerbsverhältnisse zurückgehen,
um so mehr schliesst sich das Volk zur Selbsthilfe in
Zünfte unter selbstgewählten Vorstehern zusammen,
da die alten Handwerksämter unter von den Be-
hörden gesetzten Vorständen sich nicht mehr be-
währen, und so tritt auch an die Stelle der alten Hand-
werkskörperschaft der „usurarii publici'' unter einem vom
Reiche gesetzten Meister die freie Judendarleiher-
zunft des 14. Jahrhunderts.
Es ist die wilde Zeit, in welcher der Kampf um die
Steuervorrechte der Ausbürger und Pfahlbürger,
vor allem um die reichen Steuerquellen der Judenhöfe,
Klosterhöfe und Herrenhöfe zwischen der Kirche
undd er Reichsgewalt immer schärfer tobt Die Reichs-
städte verlangen von den als römische Reichsbürger
gemeindesteuerfreien jüdischen Reichskammerknechten,
Edelknechten und Pfaffen die gleichen „Dienste" wie von
den Angehörigen der Gemeinde und so verlieren diese
— Lxxm —
Kategorien immer mehr das Secht, gemeindesteuer-
freien Besitz in den Reichsstädten zu haben, nnd
werden gezwungen, entweder in den Oemeindeverband
einzutreten oder auf das Land zu ziehen. So wird der
Streit zwischen den gräflichen Vögten der kirchlichen
Landesherren einerseits nnd den Reichsstädten
andererseits immer schärfer. Die Städte wollen die
Klöster, auf deren Grand die Jaden in den St&dten
wohnen, in ihre Vogtei zwingen, die Landesherren
wehren sich gegen den Verlust dieser Vogteirechte.
Seit dem Jahre 1381 werden alle geistlichen Körper-
schaften, welche das Stadtbürgerrecht nicht annehmen
wollen, aus den Städten geschafft, so die Cisterzienser
von Bebenhausen und die Benediktiner von
Seichenau in Ulm, die beide in wirtembergischer
Vogtei stehen, wie die in werdenbergischer Vogtei
befindlichen Augustiner zu den Wengen sich der
Vogtei der Gemeinde f&gen müssen.
V) Die GrundsGhuldenablösung In Schwaben.
Je härter seit den 70er Jahren des 14. Jahrhunderts
die Zeiten werden, je schmäler die Durchschnittsportion
des Einzelnen sich gestaltet, je mehr die Steuerbedörf-
nlsse des Reichs wie der landesherrlichen Elostervögte
nnd der Stadtgemeinden wachsen, um so schärfer wird
derAerger gegen das fremde Volk, das es versteht, in
dieser allgemeinen Notlage nicht nur aufrecht zu bleiben,
sondern sich immer mehr zu bereichem. Man ist empört,
dass die Juden nur noch auf Gold, Silber und Edelsteine
leihen wollen, dass sie das Geld kippen und wippen,
d. 1l die Stücke auslesen, die guten Stöcke aus dem
Lande führen und dieses dafür mit unterwertig
geprägtem Geld überschwemmen.
Ln Jahre 1370 klagt Baden beim päpstlichen
Stahl wegen der allzuhohen Wuchergebühren, welche
die Juden von Strassburg nehmen, worauf der Papst
die Stadt Strassburg mit dem Interdikt belegt, weil sie
dies ihren Juden gestattet, auch in der Ulmer Gegend
ist der ganze hohe und niedere Adel in den Händen der
Juden. Dem Bestreben der reichen Grossjuden, die
Städte zu verlassen und sich in das Patronat benach-
barter verschuldeter Landesherren zu begeben, treten
ihre jüdischen Gemeindegenossen hindernd entgegen, da
die Judensteuern in einer nahezu unerschwinglichen
Höhe auf Jahre hinaus an einzelne Landesherren für
— LXXIV —
Leistoiigen im Dienste des Reichs verpfftndet sind
and die jüdischen Gemeindegenossen keine Lost haben,
ihre Steuerkraft darch den Wegzog der reichsten
Steuerträger geschmälert zu sehen. Im Jahre 1876 erklagt
Graf Eberhard von Wirtemberg beim Reichshofgericht
4000 Oalden gegen den Juden Jäcklin and die Stadt
Ulm^ welche diese zu zahlen verweigert hatten« Die
Summe war wohl eine Forderung f&r nicht ausgefolgte,
vom Reiche lediggesagte Judenpfandscheine der
Grafschaft Wirtemberg. Die Folge dieser Auflehnung der
Stadt gegen die Reichsgewalt war, dass Kaiser Karl IV.
mit den Bayern, Wirtembergern und der Reichs-
armee vor die Stadt zog, um wie im Jahre 1354 yor
Zürich mit Spott und Hohn abziehen zu müssen, und der
Friedensschluss brachte der Stadt Ulm und dem
Juden Jäcklin die Aufhebung der Reichsacht
Ulm löste namens des Reich bei dem Juden JäckUn die
diesem verpfändete Stadt Langenau der Grafen Wer-
denberg ein und brachte deren Herrschaft Alb eck
durch Kauf an sich, indem sie Jäcklin hiefür den Ertrag
der Ulmer Thorzölle verpfilndete. Kaum war dies Ge-
schlecht um Hans und Hof gebracht, so geriet das Haus
Helfen stein in gleiche Not und auch dessen wichtigste
Gebietsteile löste Ulm bei Jäcklin ein, so dass dieses
seither den Grafen von Wirtemberg an Macht gleich-
gestandene Haus teilweise buchstäblich an den Bettel-
stab kam. Beide Vorgänge waren typische Beispiele für
die Berechtigung der im Jahre 1385 erfolgenden allge-
meinen Grundschuldenablösung durch das Reich;
denn wenn auch nicht so schlimm wie diese zwei Familien
so doch schlimm genug waren Hunderte von anderen
grossen und kleinen Edelleuten den Juden verschuldet.
Die Reichskammer, welche bei der abnehmenden
Steuerkraft dieser Edelleute wie der Reichsstädte, deren
Reichssteuergefälle auf Jahre hinaus verpfändet waren,
sich nicht anders zu helfen wusste, schlug in ihrer Not
eine alljährlich zu zahlende Reichsjudeneinkommen-
steuer von Zehn vom Hundert vor, die später sogenannte
„Kowertsche".*) Die Judengemeinden aber stützten sich
auf die Schutzverträge mit den Städten, nach denen ihre
Steuerleistungen an das Reich genau festgesetzt waren,
und weigerten sich, die Steuer zu zahlen. So waren die
Städte in einer Zwickmühle. Das Reich drohte, es werde
die Juden einzeln vorladen und die Steuer ohne Hilfe
der Städte einziehen, die Juden beharrten auf ihrem Schein.
^) Lang, Bist. Entwicklung der deutseben Stenerverfassung.
— LXXV —
Das Beicb, die Landesherrschaften, die SUldte, die kleinen
Beichsstände, die Landedellente wie die Stadtebflrger und
Bauern aber sind derart mit Pfandschnlden überlastet,
dass an eine Heimzahlong nicht zu denken ist
Der Grand dieser Erscheinung war der, dass durch
den Abschluss aller dieser Pfandverbindlichkeiten in
Gold bei dem fortwahrenden Steigen des Goldwerts und
dem Sinken der Warenpreise der Ertrag der yer-
pfandeten Domänen und Grundstücke derart zurückge-
gangen war, dass er dem seitherigen hohen Zinsfasse nicht
mehr gerecht zu werden vermochte. Es war eine Ueber-
beleihung des Volksvermögens eingetreten und so
eine Menge künstlicher Werte geschaffen worden,
welche nicht effektiv vorhanden waren, deren scheinbares
Vorhandensein aber auf den Leihgeldmarkt drückte, und
80 blieb nichts übrig, als entweder die Leihgebühr
herabzusetzen oder durch Abschreibung eines Teils
der Grundschuldenforderungen den Leihgeldmarkt
zn erleichtem. Die Reichsregierung schlag zunächst den
letzten Weg ein, indem sie im Jahre 1385 auf einem
Städtetag in Ulm zwei einschneidende Masregeln vor-
nahm. Sie führte einen allgemeinen Zwangsvergleich
durch, welcher alle rückständigen Leihgebühren für
Grundschuldforderungen und Jaden forderungen auf
fahrende Pfänder dem geliehenen Kapital zuschlug und
sodann die neugebildete Gesamtford er ung des Gläabigers
am 25 vom Hundert kürzte, so dass dieser also nur
75 vom Hundert seiner Forderung bekam, und nahm weiter
eine Aenderung des Münzwesens dahin vor, dass sie
die seitherige Verpflichtung des Schuldners, eine in Gold
eingegangene Verbindlichkeit in diesem bezw. in Silber
nach dem laufenden Marktwertverhältnis zu be-
zahlen, aufhob und bestimmte, dass künftig alle neuen
Schulden nach einem ein für allemal festgesetzten
Wertverhältnis zwischen Gold und Silber bezahlt
werden, alle älteren Goldschulden aber nach dem Wert-
verhältnis heimbezahlt werden sollten, das an dem Tage
der Eingehung der Schuld zwischen Gold und Silber
geherrscht hatte.
Die Durchführung der Massregel erfolgte mit
grosser Energie. Im ganzen Reiche wurden an einem
bestimmten Tage alle Juden „geheimf^, d. h. man stellte
ihre Heimatsverhältnisse fest und bestimmte, dass kein
Beichsstand vor Ablauf eines Jahrs einen Juden eines
andern Beichsstands solle aufnehmen dürfen, so dass also
das Freizugsrecht der Juden ein volles Jahr aufgehoben
wurde. Dann wurden alle Papiere und Bücher der
— LXXVI —
Juden darch die Steuerbehörden mit Beschlag belegt,
eine genaue Aufnahme ihrer Schuldforderungen auf-
genommen, alle nicht landesangehörigen Juden in ihre
Heimatgemeinde abgeschoben. Die Pfandbriefe der
Juden aber wurden diesen abgenommen, es wurde eine
genaue Aufstellung gemacht, was jeder Jude an ausgeliehenen
Kapitalien und rückständigen Leihgebühren zu fordern hatte,
und diese Forderung wurde dann in der Art neu berechnet,
dass zunächst bei allen Forderungen, die nicht älter als
ein Jahr waren, die LeihgebOhrforderung gestrichen und
nur noch das Kapital gerichtlich anerkannt wui'de, bei
allen älteren Forderungen aber die rückständige Leih-
gebühr zum Kapital geschlagen und dann von dieser neu
gebildeten Schuldsumme der Betrag von 25 vom Hundert
abgezogen wurde. Die so festgestellten Forderungen
zogen nun die Stadtgemeinden von den einzelnen Reichs-
ständen, Landesherren, Edelleuten u. s. w. ein, indem sie
ihnen dafür die von den Juden abgelieferten Pfandbriefe
ausfolgten. Die Bezahlung seitens der Schuldner konnte
aber natürlich nur in den wenigsten Fällen in barem
Gel de erfolgen, sondern sie geschah dadurch, dass sie
die den Städten schuldig gewordenen Summen durch neue
Pfandscheine auf ihre Festen, Städte, Dörfer u. s. w.
versicherten und sich verpflichteten, diese Pfandschaften
bis zum Jahre 1887 einzulösen und in der Zwischenzeit
mit 10 vom Hundert zu verzinsen.
Betrachtet man den Wert dieser Massregel, so war
dieselbe sicher eine grosse Erleichterung für die
Schuldner; denn erstens wurden sie 25 vom Hundert ihrer
Schuld los, zweitens hatten sie nur noch 10 vom Hundert
Zins zu zahlen, während sie seither oft 20 vom Hundert
hatten den Juden bezahlen müssen. Aber dies war nicht
der einzige Weg der Heimzahlung. Viele Reichsstände
hatten Gegenforderungen an die Reichsstädte bezw.
an deren Judengemeinden, indem ihnen die Reichskammer
als Bezahlung für ihre persönlichen Dienste und die Dienste
ihrer Hintersassen die Erträgnisse der Judensteuern
der einzelnen Städte verpfändet hatte. Diese Gregen-
forderungen für verpfändete Judensteuern betrugen allein
für die dem schwäbischen Städtebund angehörigen
Judengemeinden 40 000 Goldgulden und das Reich benutzte
die Gelegenheit, sich dieser Schulden ledig zu machen,
indem es die Judengemeinden zwang, diese Steuern fQr
das Reich wieder einzulösen. So gestaltete sich das
ganze grossarfcige Abrechnungsgeschäft folgender-
massen: Die verschuldeten Edelleute u. s. w. zahlten
den Städten ihre Schulden bei den Städtejuden heim, die
— liXXVU —
Städte benützten dieses Oeld, soweit sie es hieza bedurften,
dazn, der Reichskammer ihre verpfändeten Judensteaern
einzulösen, und die Reichskammer entband dafür die
Städtejuden nach der Tilgung aller seitherigen Steneryer-
pflichtungen auf zwei weitere Jahre aller Steuerver-
pflichtungen gegen das Reich und versprach, sich in
alle weitere Zukunft mit der Hälfte der von den
Städten seither erhobenen Judensteuern und der alther-
gebrachten Reichsjudenkopfsteuer, dem Opferpfennig,
zu begnügen. So stand den Forderungen der Juden an
die Städte fflr ihre ausgelieferten Pfandbriefe die For-
derung der Städte an die Juden für deren eingelöste Juden-
stenern gegenüber und der zu Gunsten der Juden sich
ergebende Saldo wurde in der Art ausgeglichen, dass die
Städte den Juden ihre Hauszinsen und Steuergefälle
auf eine Reihe von Jahren erliessen.
Dass das Gesetz von 1385 keine Judenberaubung
war, erhellt z. B. aus den Nachrichten über die Herren
von Hornstein in Bussmannshausen bei Ulm. Der
Bitter Magnus von Hornstein war dem Juden Moses
in Ulm die Summe von 400 Goldgulden schuldig gewesen
und hatte diese auf Grund des Reichsgesetzes im Jahre 1385
diesem Juden unter Abzug von 25 vom Hundert bei Häller
und Pfennig bis auf 37 Gulden heimbezahlt, welche im
Hockstände blieben. Das Geld hiefflr hatten ihm die Stadt
Ulm und der reiche Ulmer Geschlechter Ritter Heinrich
Eaib gegen Pfandsicherheit auf die Homstein'schen
Festen und Dörfer vorgestreckt, dem er es noch im
Jahre 1393 nach der Judenschuldentilgung schuldig war.
Von einer Beraubung der Juden kann also bei der
Sache keine Rede sein. Es war ein schwerer Staats-
bankerott, wie er auch zu anderen Zeiten vorgekommen
ist, der auf einem Vergleich mit 75 vom Hundert beruhte,
was bei einem Zinsfusse von 20 vom Hundert gewiss sehr
anst&ndig war, und der das deutsche Reich zwar von
seinen unerträglich gewordenen Schulden befreite, aber
auch seiner wichtigsten Steuergefälle, der Ein-
kommenssteuer der reichsten Staatsbürger, der
Städtejuden, auf zwei Jahre ganz und auf ewige
Zeiten zur Hälfte beraubte.
Dass es nicht möglich war, mehr zu bieten, dass im
Gegenteil die Verhältnisse einen noch stärkern Eingriff
bedingt hätten, zeigte die weitere Entwicklung. Die Heim-
zahlung seitens der Schuldner an die Reichsstädte,
in denen die Juden wohnten, sollte bis Lichtmess 1388
erfolgen; geschah das nicht, so lag es im Belieben der
Städte, den Betrag noch länger zu stunden oder die Pfand-
— Lxxvm —
Schäften unter den Hammer zu bringen. Während also der
Jude verpflichtet war, den Vergleich yon 75 vom Hundert
anzunehmen, stand es dem Schuldner frei, dies zu than
oder zu unterlassen. Nur gieng er, wenn er sich gegen
den Vergleich sperrte, auch der Wohlthat des Nach-
lasses yon 25 vom Hundert der Schuld verlustig. Die
Massregel wirkte denn auch entschieden reinigend und
der Nachlass von 25 vom Hundert gewährte zahlreichen
Schuldnern wenigstens wieder einige Luft. Diese Art
der Heimzahlung der Judenschulden brachte es denn
auch mit sich, dass alle sogenannten Freistädte, wie
Regensburg, Zürich, sowie alle Fürsten, wie die
Eurfflrsten, Markgrafen u. s. w. nicht in das Gesetz
einbezogen wurden. Da diese Stände, entsprechend den
senatorischen Provinzen des alten Römerreichs, reichs-
steuerfrei waren, so konnten die Forderungen ihrer
Juden auch nicht durch Einlösung der betreffenden Jnden-
reichssteuern ausgeglichen werden, wie dies bei den
kaiserlichen Provinzen, den Reichsstädten, der Fall
war, und so fiel die Grundlage der ganzen Massregel
allen freien Reichsständen gegenüber weg.
Weitere Schwierigkeiten entstanden indes, als es sich
im Jahre 1888 zeigte, dass bei zahlreichen Schuldnern
trotz der gewährten Erleichterung an eine Heimzahlung
nicht zu denken war, und den Städten fiel nun die
schwierige Aufgabe zu, den christlichen Geldherren
der Städte, welche den Edelleuten die nötigen Summen zur
Heimzahlung ihrer Judenschulden dargeliehen hatten,
dadurch zu ihrem Rechte zu verhelfen, dass sie diese
dargeliehenen Gelder bei den Schuldnern eintrieben.
Die Durchführung dieser Schuldeintreibung
führte denn auch mannigfach zu gezwungenen Ge-
bietserwerbungen der Reichsstädte, wenn die
Schuldner nicht in der Lage waren, die nötigen Geldmittel
zu beschaffen, und ganze Grafschaften fielen auf diese Weise
den Reichsstädten zu, indem die Städte den anderen
Gläubigern ihre Forderungen herauszahlten. In den meisten
Fällen freilich klopfte der städtische Gerichtsvollzieher
vergeblich an die Burgthore der Schuldner und die Folge
waren neue Jndenbrände und Viehbeschlagnahmen
und endlich der Schrecken des grossen Städtekriegs,
bis die Schlacht bei Dö ff in gen den Städten einen Damm
entgegensetzte.
So versteht man es, wenn auf dem grossen Reichs-
tage zu Nürnberg, einem der wichtigsten jener interes-
santen Zeit, auf welchem König Wenzel empört über die
Haltung der auf ihren Geldsack pochenden Städteboten
i/V AI A
vom Throne aufstand, sein Pferd befahl und in loderndem
Zorn unter Verwfinschungen gegen die jeden höhern Ge-
sichtspunkts bare Interessenpolitik der verjudeten Städte
anf seine nahe Feste ritt, Graf Eberhard der Greiner sich
bitter Ober seine Gläubiger in den Reichsstädten
beschwerte, welche sein Land mit Pfändungen ver-
wüsten und seinen Edelleuten und Bauern das Vieh im
Zwangsverfahren wegtreiben. Der Reichstag bestimmte
deshalb, es sollen die Reichsstädte alle verpfändeten Festen
und Dörfer der Grafschaft Wirtemberg und ihrer Hinter-
sassen herausgeben und die gegenseitigen Fordernngs-
ansprüche dann durch ein Schiedsgericht erledigt
werden, inzwischen aber die Gläubiger das Haus Wirtem-
berg mit den Zinsen massig halten.
Wie im Jahre 1387 in Paris ein wilder Haufen die
Jadenviertel stflrmt und die Pfandbriefe derEdel-
lente vernichtet, so dass die Gerichte die Juden dem
talmudischen Recht zufolge der Verpflichtung entbinden,
fftr diese ihnen gewaltsam abgenommenen Pfandscheine
Ersatz zu leisten, wenn sie von den Ausstellern zu-
rückverlangt werden sollten, so kommt es im gleichen
Jahre in Nördlingen zu einem Sturm auf das Juden-
viertel. Auch hier werden eine Reihe von wichtigen
Pfandbriefen der Juden vernichtet und zahlreiche
Jaden erschlagen, aber auch hier greifen die Reichsbe-
hörden mit kräftiger Hand ein und der Nördlinger Rat
mass die Pfandbriefe der erschlagenen Juden zum
grossen Aerger des Städtebunds unmittelbar der
Beichskammer abliefern, welche diese Summen namens
der Hinterbliebenen den Landesherrschaften der
Schuldner gegenüber geltend macht. So ist z. B. der
Ulm er Geschlechter Hans Er äfft von seinem Vater her
dem Juden Jäcklin 400 Goldgnlden schuldig, die der
Jude so lange gestundet hatte. Jetzt verlangt das
Reich, wahrscheinlich durch die Grafen von Wirtemberg,
Zahlung dieser Schuld von der Stadt Ulm, die nicht
erfolgt und zu einem Rechtsstreite führt, der erst mit
dem allgemeinen Friedensschluss im Jahre 1393 seine
Erledigung findet. Der Erfolg des Nördlinger Krawalls
war also jedenfalls, dass eine Anzahl wichtiger Pfand-
briefe den Händen der Nördlinger Juden entrissen und
in die Hände des Reichs gebracht wurde.
Wie man in Frankreich damals alle Stundungs-
briefe erloschen erklärt, so ist dies auch in Deutsch-
land auf Lichtmess 1388 beabsichtigt, nachdem auch in
Deutschland wie in Frankreich den Juden die Wucher-
forderung zum Kapital geschlagen worden ist,
und wie in Frankreich die Juden aas der Massregel er-
neute Kraft gewinnen, so ist es auch in Deutschland der
Fall. Die Luft ist wieder rein geworden. Immer mehr
macht sich aber jetzt in den Städten eine entschiedene
Strömung gegen die Juden geltend. Die Juden
haben es klug verstanden, ihre Forderungen auf die
Stadtgemeinden und ihre christlichen Mitbürger Aber-
zu wälzen und diese den nötig gewordenen Streich
gegen die verschuldeten Edelleute führen zu lassen.
So ist auch der Zweck der Massregel wohl begreiflich,
die am 25. August 1387 auf dem Esslinger Städtetag
beschlossen wird und dahin geht, kein Städtekaufherr
solle künftig mehr weder in Deutschland noch in
Welschland einem Juden einen Wechselbrief ab-
kaufen und niemand solle mehr erlaubt sein, Edel-
metall nach Welschland auszuführen. Man wollte um
jeden Preis verhindern, dass die Juden ihre ung<ig
erklärten Pfandscheinean christliche Personen abstiessen
und diese dazu benützten, ihre Forderungen einzutreiben.
Weniger war man freilich mit dem sonstigen Verlauf des
Esslinger Tags einverstanden. Nürnberg nameatlich
klagte bitter über diese Verhandlungen. Die verschuldeten
Edelleute, meinten die Nürnberger, hätten gerne ihre
Streitigkeiten ausgeglichen, aber die Städte sitzen kleinlich
auf den letzten schuldigen Pfennig hinauf und überlegen
nicht, dass sie die Zahlungsunfähigkeit der Landesherren
durch die Ausbürgeraufnahmen selbst verschuldet
haben. Jeder einzelne städtische Kapitalist verlange wo
möglich, dass man seiner Forderung wegen Krieg anfange,
und übersehe dabei, dass die im Schutze der Städte
stehenden Wucherer z. B. dem Hause Wirtemberg
20 vom Hundert Wucher abgenommen haben. Wohl mit
Recht beschwerte sich Nürnberg, dass die Reichsstadt
Nördlingen nach dem dortigen Judenkrawall im
Jahre 1887 dem Bundesbrief zuwider die Pfandbriefe
der erschlagenen Juden unmittelbar an das Reich
ausgefolgt habe, statt diese Pfandbriefe an den
Schwäbischen Bund nach Ulm abzuliefern, so dass
die Reichskanmier diese Forderungen nunmehr namens
der Hinterbliebenen der erschlagenen Juden bei der
Bundeskasse geltend mache. Die Mahnung war vergebens,
die Städte gaben nicht nach, bis die Schlacht bei Döf-
fingen zu Gunsten der Edelleute entschied und die
Städter gefügiger machte. Des Greiners einziger Sohn
freilich, Graf Ulrich, lag entseelt auf der Wahlstatt, aber
auch die Städter hatten ihren Stadthauptmann Heinrich
Besserer verloren. Nun kam die Heidelberger Ueber-
— LXXXI —
einkauft zu stände, der Krieg war zu Ende, die Ed ei-
len te nnd Elosterffaffen, die seither in zunehmender
Zahl in die Vogte' der Städte und des Reichs als
Ansbfirg er übergetreten nnd so mit ihrer Stenerkraft
den Landesherren entgangen waren, mnssten wieder
ans den Städten austreten nnd die Städte dem Hanse
Wirtemberg eine Entschädignng zahlen. Der Krieg hatte
die Städte viele Tansende gekostet und die Steuern
wachsen ins Ungeheure, so dass jeder, der es machen
konnte, das Land aufsuchte nnd die Stadträte verordnen
mnssten, dass kein Jude oder Christ 10 Jahre lang
mehr sein Bürgerrecht sollte aufgeben dürfen, bis die
Kriegsschulden heimbezahlt seien.
Die Niederlage hatte die Städte gefügig gemacht, auf
die Pläne König Wenzels einzugehen, der nichts anstrebte,
als die wuchernden Schösslinge des Grosskapitals zu be-
schneiden, und in seinem Streben, es beiden Teilen Recht
zu machen, zwischen zwei Stühle sass, so dass die gross
angelegte Natur des Fürsten, vom Ekel gegen seine Zeit
erfasst, sich dem Trünke und der Jagd ergab. Im
Februar 1390 setzte die Reichsregierung den Städte-
abgeordneten in Nürnberg auseinander, wie es so nicht
weiter gehen könne, wie die Fürsten und Freiherren
ihren Grund und Boden verlassen und ausser Land
werden ziehen müssen, wenn man so weiter wirtschafte,
und wie auf diese Weise das Reich seine erprobtesten
und treuesten Kriegsleute und Beamten verlieren
werde, und man kam überein, die Edelleute u. s. w.
sollten den Städten, denen sie Geld schuldig seien, eine
Abschlagszahlung machen und den Rest ihrer Schulden
darch persönliche Leistungen im Dienste des Reichs
and seiner Städte abverdienen.
So kam das wichtige Grundschuldentilgungs-
gesetz vom Jahre 1390 zu stände. Es erfolgte zunächst
eine allgemeine Abrechnung; jede Reichsstadt
verhandelte mit den einzelnen Schuldnern und stellte
die Höhe ihrer Forderung an Hauptgut und rück-
ständigem Wucher, an Leibrenten u. s. w. fest; hatte
man sich auf diese Weise vereinbart, so wurde die Höhe
der Anzahlung des Schuldners und die Art der Dienst-
leistung festgesetzt, welche gewöhnlich in der Art erfolgte,
dass der Schuldner als Kastenvogt, Burgvogt oder in einer
ähnlichen, eines Edelmanns würdigen Stellung gegen
festes Jahrgehalt auf eine Reihe von 6 bis 8 Jahren in
den Dienst einer Reichsstadt trat und die Reichsstadt
die Hälfte des Gehalts zur Schuldentilgung ver-
wendete. DafElr hatte dann die Reichsstadt die Pflicht,
VI
— L
den Gläubigern deren Forderungen heimzuzahlen. Die
Reichsstädte ziehen jetzt je nach Bedarf von ihren Hinter-
sassen, welche den Juden Geld schulden, 15 bis 30
yom Hundert der Schuld ein und lösen damit yon der
Beichskammer die von derselben yerpfändetenjuden-
steuern ihrer Judengemeinden ein, ferner zahlen sie
allen ihren Hintersassen, welche Geld bei anderen
Reichsständen oder deren Hintersassen zu fordern haben,
mit denen eine Vereinbarung zu stände gekommen ist,
deren Forderungen aus; reicht der Betrag nicht aus, so
wird ein Anlehen bei den städtischen Juden gemacht
und damit die Sache heimbezahlt Nach Abwicklung dieser
Geschäfte zwischen den einzelnen Städten und Landes-
herrschaften spricht dann das Reich beide Teile aller
ihrer Judenschulden ledig und bestimmt durch
Reichsgesetz, dass alle auf diese Weise heimbezahlten
Judenschulden gerichtlich klaglos gemacht sein sollen.
Das alles war aber nur dann möglich, wenn eine Ver-
einbarung mit den Schuldnern zu stände gebracht
und yon diesen eine annehmbare Anzahlung geleistet
werden konnte, wie z. B. Wirtemberg seine sämtlichen
Mühlen, Häuser, Gärten, Vogteirechte u. s. w., die es in
der Stadt Ulm und der Vorstadt Schweighofen (Neu-Ühn)
hatte, mit Ausnahme des Patronats auf die St Georgs-
kirche, an Ulm abtrat und dem Reiche eine Barzahlung yon
2000 Goldgulden machen musste, ehe der Graf Eberhard
der Milde und seine Hintersassen ihrer Judenschulden
ledig gesagt wurden, so dass die Stadt Ulm mit Recht
diesen Ausgleich einen „guten Brief*' nannte.
Wie schwierig diese Abrechnungen zum Teil waren,
zeigen gerade die schwäbisch-wirtembergiscben
Verhältnisse, welche bis zum Jahre 1393 bedürfen,
um endlich in Ordnung zu konunen, das zeigt der Streit
der Stadt Ulm mit dem Grafen von Wirtemberg-
L and au um die yerpfändete Feste Ruck bei Blaubeuren.
Die halbe schwäbische Ritterschaft ist bei dem Fall als
Bürge und Selbstzähler und leistungspflichtig
beteiligt und die neuerfundenen Kanonen brummen wieder-
holt yon und nach der Feste, bis der Ulmer Rat and der
hauptsächlich beteiligte Ulmer Grosskapitalist, der Ritter
Eaib, ihre Pfandschaft in Besitz nehmen können. Zahl-
reiche andere Schulden bei den Juden aber konnten
überhaupt nicht getilgt werden^ indem jegliche Grundlage
zu einem annehmbaren Vergleich fehlte: in diesem Falle
bestand die Forderung einfach fort und es kam mannigfach
das 15. Jahrhundert heran, bis alles endlich in Ordnung
gebracht war.
— Lxxxrn —
Das Beicb hatte sich bei dem ganzen Rechtsgeschäft
den Städten gegenüber verpflichtet, flr jeden Schaden
einzustehen, der ihnen aus bestrittenen Pfand-
s chaftsf ordernngen, Zahlangsanfähigkeit der Schuldner
n. s. w. entstehen sollte. Blieb also ein Schuldner im
finckstand, so zog die Stadt ihre Forderung der Beichs-
kammer ab. Das Reich aber trat den Städten, nachdem
diese die verpfändeten Jndens teuer n der Reichskammer
eingelöst hatten, erneut das Recht ab, Juden zu halten
gegen Ablieferung des Opferpfennigs und der halben
Steuer-, Gerichts- und Erbschaftsgefälle an die
Reichskammer, während die Städte sich den Juden gegen-
über verpflichten mussten, das Eigentum derselben künftig
an niemand mehr verpfänden zu lassen. Bei Streitig-
keiten mit Bürgern sollte sich der Jude mit dem bürger-
lichen Stadtgericht begnügen müssen und bei keinem
Hof- oder Landgericht Berufung einlegen dürfen.
Alle Judenforderungen für Handelsgeschäfte blieben
gültig, nar alle vor der Vereinbarung abgeschlossenen
wucherpflichtigen Judenforderungen wurden un-
gültig erklärt, soweit eine Vereinbarung zu stände kam,
und wer sich gegen eine solche getroffene Vereinbarung
auflehnte und einem Juden half, wurde wegen Land-
friedensbruchs bestraft Ferner wurde bestimmt, es
soUe bei der Heimzahlung von den Schuldnern kein
Aufgeld wegen der inzwischen verschlechterten
Goldwährung verlangt werden dürfen. Betreffs der
Stundung der Schuldbeträge hatten die Städte als
Gläubiger freie Hand. Hatte sich ein Schuldner nach
Inkraf^eten des Gesetzes mit seinem Judengläubiger
unmittelbar derart abgefunden, dass der Jude das Pfand
verkauft und sich damit bezahlt gemacht hatte, so blieb
es dabei und der Schuldner hatte kein Elagrecht mehr
auf das Pfand. War ein Städtebürger nach Inkrafttreten
des Gresetzes einem fremden Juden noch Geld schuldig,
so hatte diese Schuld keine Gültigkeit mehr, sondern
der Jude hatte sich diesfalls an seine Landesherr-
schaft zu halten und diese hatte für seine Bezahlung zu
sorgen. Alle Pfandsicherheiten, die vor dem Tage
des Inkrafttretens des Abkommens des Reichs mit dem
betreffenden Reichsstand, also z. B. vor dem 1. Oktober 1390
eingegangen worden waren, hatten die Juden auszufolgen
und mit der Landesherrschaft zu verrechnen. Hatte der
Jude das Pfand nicht mehr im Besitz, so hatte er eine
rechtsgültige Ledigsagung auszufertigen. Weigerte
sieb der Jude, weil er angeblich den Pfandschein sdion
vor dem Tage der Uebereiakunft an einen Christen
VI*
— LXXXTV —
verkauft hatte, and der Schuldner bezweifelte die
Angabe, so hatte sie der Jade zu beschwören. Eonjit«
er das nicht, so hatte er den Pfandwert dem Schuldner zu
ersetzen. Alle Schuldner, welche von der Ledigsagung
ihrer Schuld bei den Juden Gebrauch machen woUten.
hatten deshalb dies der Landesherrschaft, ihres
Judengläubigers anzuzeigen, worauf sie Stundung
ihrer Schuld nach Vereinbarung erhielten. Hatte der Jade
sein Pfand in eine Freistätte geflüchtet, so war
es von derselben auszufolgen. Die Kosten des Ver-
fahrens hatten die Judengemeinden zu zahlen.
Borgern, welche frOhere Judenschulden an sich
gebracht hatten, waren diese von den Städten zu ersetzen.
Die Termine der Ledigsagung waren sehr verschieden;
bei einzelnen Städten erfolgte die Ledigsagung auf den
1. Oktober 1890, bei anderen auf den 9. März 1391, wie
eben die Verhandlungen zustande kamen. Wer sich bis
zu dem betreffenden Zeitpunkt nicht mit der Landesherr-
schaft seiner Gläubiger verständigt hatte, blieb vorerst
zur Bezahlung seiner vollen Schuld verpflichtet; kam
nachträglich noch ein Uebereinkommen zu stände, so
war die Judenforderung ungültig. Keine Stadt aber
durfte mehr eine Herrschaft, welche dem Gesetz beigetreten
war, wegen einer Forderung ihrer Juden anfordern, dagegen
hatte jede Stadt volle Macht, die Schulden ihrer EUnt^r-
Sassen bei ihren eigenen Juden nach Belieben ohne
Einspruch des Reichs zu stunden oder ganz aufzuheben.
Man sieht aus dem ganzen Verlaufe, dass es sich auch
bei diesem Staatsgeschäft in keiner Weise um eine Be-
raubung handelte; es war eine nötig gewordene Zwangs-
liquidation grössten Massstabs, die freilich teilweise den
Gläubigern schwere Verluste brachte und einen allgemeinen
Staatsbankerott darstellte, aber die ganze Abwicklung
der Massregel war eine gesetzlich durchaus korrekte
und unantastbare. Wäre das nicht der Fall gewesen, so
hätten die Städte doch nicht die Judenforderungen
mit solcher Strenge einkassieren können, wie sie es
thatsächlich den Edelleuten gegenfiber gethan haben. Die
Massregel brachte denn auch zahllose Schwierigkeiten mit
sich. Vor allem gieng die Klage der verschuldeten
Edelleute dahin, dass die Städtejuden ihnen ihre
Pfandscheine nicht ausfolgen, nachdem sie sich mit
den Stadtgemeinden der Juden verständigt hatten, und es
kam deshalb teilweise bis zu Fehdebriefen an die
Städte, in deren Schutz die jüdischen Gläubiger standen,
weil die Juden die Pfandbriefe verschleppt hatten
und sie anderwärts durch Christen gegen die Edelleute
— LXXXV —
einklagen Hessen. Dann nahmen manche Schuldner an,
auch die nach dem Gesetzerlass eingegangenen Schulden
seien ungfiltig, weshalb das Reich erklärte, das sei nicht
der Fall, wie denn auch z. B. die Stadt Nürnberg über
diesen Punkt mit ihren Juden wegen eines städtischen
Anlehens streitig wurde.
Wohl eine der letzten Herrschaften, mit der die Ver-
einbarung zu Stande kam, war die Grafschaft Wirtem-
berg. Am 18. März 1392 hatte Graf Eberhard der
Grein er die Augen mitten im besten Wirken geschlossen
und sein Enkel, Graf Eberhard der Milde, war ihm
gefolgt. Die Aussöhnung mit den Städten verzögerte sich,
weil die Ulmer Grossjuden sich weigerten, einen erheb-
lichen Teil der gewaltigen Eriegskosten zu zahlen,
welche das Zwangsverfahren gegen Wirtemberg ge-
bracht hatte, weshalb das Reich der Stadt am 5. Juni 1392
erlaubte, diese Steuer mit Gewalt von den Juden zu
erheben. Erst am 11. August 1392 traten Ulm und Augs-
burg der Vereinbarung bei und schlössen Frieden mit
dem Reiche. Das Reich verzieh den Städten, was sie im
Städtekrieg gethan hatten, und erlaubte ihnen, auch
ferner Juden zu halten und zu besteuern gegen Ab-
tragung der halben Steuergefälle an das Reich. Die
Stadt aber erklärte alle fremden Edelleute ihrer
Judenschulden bei den Ulmer Juden ledig, während
die Pfandschaften, welche diese Edelleute der Stadt
neuerdings gesetzt hatten, in Kraft bleiben sollten. Hatte
ein Jude eine Pfandschaft nicht ausgefolgt, so musste
der Schuldner denselben beim Ulmer Stadtgericht einklagen
und sich mit dessen Spruch begnügen, der Stadt aber
sollte der Ausgleich keinen Schaden bringen und das
Reich gestattete ihr, zur Heimzahlung ihrer Schulden-
last 10 Jahre lang ein Um gel d zu erheben. Am gleichen
11. August 1392 schloss Augsburg einen ähnlichen
Frieden mit dem Reiche. In Masse aber zogen jetzt die
christlichen und jüdischen Grosskapitalisten aus der Stadt
aufs Land und aus dem Lande, um nicht die steigen-
de nStenerlasten der Städte tragen zu müssen, so dass
die Städte mit schweren Strafen gegen solche ungesetz-
liche Auswanderungen vorgiengen, das Vermögen der
Juden genau aufnahmen und sie Bürgschaft für ihr
ferneres Bleiben stellen liessen, wie auch ein schlimmes
Nachspiel für die Stadt Ulm war, als am 15. August 1392
der Ritter von Landau die Stadt Blaubeuren durch
einen Handstreich eroberte, so dass die Ulmer das
Nachsehen hatten.
— LXXXVl —
Vi) Der Rflckgano des abendlintllechen Judentuns mH
dem 15. Jahrhundert
Mit dem 15. Jahrbnndert hat die Stellung des
Jadentums in Westeuropa endgültig ihren Höhe-
punkt erreicht Seither geht es mit der Macht der Juden
im Westen rasch abwärts.
Blickt man nach den einzelnen L&ndern, so ist
ihre Stellung in Spanien und Portugal noch am
Anfang des 15. Jahrhundert eine sehr mächtige. An-
dalusien und Portugal sind der Mittelpunkt des
Judentums und des Welthandels. Hier trifft man
ihre gelehrtesten Talmudisten, Mediciner, Mathematiker,
Dichter und Philosophen; Lissabons Judenhoch-
schule ist der Mittelpunkt der geistigen Bestrebungen
der damaligen Judenschaft Aber auch hier geht es
mit ihnen seit dem 15. Jahrhundert rasch abwärts.
Im Jahre 1413 ist ein grosser Weltkongress in Tor-
te sa, auf dem sich die hervorragendsten christlichen und
jüdischen Theologen mehrere Monate streiten. Ein ge-
taufter Babbi, Joseph Lorka ans Murcien, der Vertraute
des Gegenpas tes Benedikt Xlli., war der Veranstalter
des Tiel Geschrei yerursachenden öffentlichen Schauspiels,
das nach 89 Verhandlungen zahlreiche üebertritte yon
Juden zum Christentum herbeifOhrte. Seither yerbietet
man den Christen immer schärfer den Umgang mit Juden
und das Betreten ihrer Häuser , die Juden dürfen keine
christlichen Dienstboten mehr haben, man yerschliesst
ihnen alle zünftigen Berufe, namentlich die Heil-
kunde, das Apothekergewerbe, den Lebensmittel-
handel, die Gastgeberei, den Zollpacht, nimmt
ihnen den Titel Herr, unterstellt sie den bürgerlichen
Gerichten und Steuerbehörden, kurz hebt ihre
politischen Staatsverbände auf und macht sie ledig-
Uch zu Gemeindeverbänden; sie dürfen sich nicht
rasieren lassen, keine Prunkgewänder tragen, müssen
abgesondert wohnen. Man verbietet strenge den
Talmud und die Anwendang der talmudischen Rechts-
vorschriften, alle neu erbauten Synagogen werden
geschlossen, man verlangt, dass die Juden jährlich
drei christliche Predigten anhören, man wirft ihnen
Lasterhaftigkeit und Blutaberglauben vor. Die
zahlreichen getauften Juden erhalten zwar, wenn sie
sich durch grosse Geldmittel auszeichnen, hohe Staats-
ämter, führen aber ein trauriges Leben voll Kummer und
Sorgen. In Menge wandern darum die Juden namentlich
aus Eastilieu nach Afrika, Portugal und Syrien aus,
wo sie die Araber gegen die Christen hetzen, oder nach
— LXXXVll —
Sizilien und Neapel, Florenz und Venedig, während
Genna and Mailand nichts von den Jaden wollen.
In ähnlicher Weise geht es den Jaden in der Pro-
vence zanächst noch recht gnt anter König Ben6, denn
der ästhetisch angelegte Tronbadoarfürst braacht Oeld för
seine „Liebeahöfe." Aber aach hier steigert sich wie
überall der Hass gegen die Jaden. Der Städter wirft ihnen
vor, dass sie das Getreide aas dem Lande fähren
and so das Brot yerteaern and die Löhne steigern
und dass sie darch ihre Haas i er er den angesessenen Ge-
schäftsleaten die Nahrang nehmen, während der Landmann
klagt, dass sie ihm zn wenig t&r seine Fracht zahlen.
Da die Begierangen that- and verständnislos der
bedrohlichen Entwicklang der wirtschaftlichen Verhältnisse
zusehen, greift das Volk anter dem klagen Beistand der ein-
sichtsvolleren Kirche zur Selbsthilfe, indem es der
Macht der Jaden darch ein Vorgehen die Spitze abbricht,
welches auf denselben Grandsätzen wie die Jadengemein-
schaft aufgebaut ist, durch die genossenschaftliche
Gestaltang des Darlehensgeschäfts. Dieselbe zeigt
sich in ihren ersten Anfängen in der zweiten Hälfte des
14. Jahrhanderts in der burgundischen Freigrafschaft
und in der Lombardei, von wo aus sie sich dem Zuge
der Zeit auf freiwillige körperschaftliche Gestaltang des
Erwerbslebens folgend immer kräftiger herausbildet.
Ist diese Organisation des Hilfskassenwesens
der Thätigkeit der Franziskaner zu danken, so werden
weit gefahrlicher f&r die Judenschaft die Dominikaner.
Dir Einfluss bringt es zu stände, dass der reichste und
massgebendste Jude der damaligen Zeit, der Grossjade
Abarbanel, aus Lissabon nach Kastilien fliehen muss,
bis auch hier die Dominikaner unter Arbues und Tor-
qaemada das Oberwasser gewinnen. Wie in der Pro vence
die Stadt Marseille die Juden ausweist, so geht man
in Spanien und Kastilien gegen dieselben vor. Auch
hier dürfen die Juden nur Wechselbriefe und Waren
mitnehmen, kein Edelmetall. Die Städte lösen die
verpftndeten Judensteuern auf Kosten ihrer Juden ein
und weisen die Juden aus dem Lande, die sich meist
nach Navarra, Biskaja und Portugal wenden, bis
sie aach dort, wie in der Provence und in Frankreich,
aasgewiesen werden und nach der Levante oder
nach Avignon, Oranien und Neapel wandern, von
wo z. B. der reiche jüdische Grossbankier Abarbanel nach
Venedig zieht und dessen Finanzen beherrscht
Gleichzeitig beginnt auch die deutsche Juden-
ausweisung. Man schafft eigene Gerichtshöfe für
~ Lxxxvm —
Jadenwnchersachen unter Mitgliedern des west-
phäÜBchen Gerichts. Missionsprediger Sachen die
Juden zum Uebertritt zu bewegen, man raubt Jaden-
kinder, um sie zu taufen, und bezichtigt die Jaden der
Kirchenschändung und des Bitaalmords, so dass
die Juden offen mit Bache am Hause Habsbarg
durch fremde Kriege drohen.
Die Juden hatten trotz aller Massregeln der Behörden
bei der Schuldentilgung yom Jahre 1390 noch eine
Menge yon Pfandbriefen zurückbehalten und es
kamen immer wieder neue Forderungen durch Christen zu
Tage, welche erklärten, sie haben diese Pfandbriefe yor
dem Tilgungstermin von den Juden erworben.
König Buprecht bestätigte deshalb das Gesetz von 1390
und erklärte nochmals alle zurfickbehaltenen Pfand-
briefe fbr ungültig und alle Zugriffe auf Grund solcher
Pfandbriefe fürLandfriedensbruch. Man sieht daraus,
wer das Baubrittertum gezeitigt hat Im Jahre 1421
werden die Juden aus Steiermark und Kärnten ver-
trieben, im Jahre 1424 aus Zürich, 1426 aus Mähren,
aus Köln, 1429 aus Bayensburg, 1439 aus Augsburg,
1454 aus Znaim, Brunn, Wien. Die Gründe der
Ausweisung sind Getreidewucher, Geldwucher,
persönlich anmassendes Auftreten. Nach der Aus-
treibung werden die Synagogen in Kirchen yerwandelt,
die Friedhöfe niedergelegt und deren Grabsteine zu
öffentlichen Bauten verwendet, die dem Bei che gehörigen
Judenhäuser aber an Privatpersonen verkauft
In Ulm sind nur noch 6 Judenfamilien in 11 Juden-
häusem. Die dortige Judengemeinde hat der Stadt
6000 Gulden unverzinslich zu leihen oder 800 Gulden
Jahressteuer zu zahlen. Ausserdem zahlt jeder er-
wachsene Jude 2 Gulden Kopfsteuer, nur der Schul-
rufer und der Friedhofaufseher der Gemeinde sind
steuerfrei, während für die Synagoge und den Fried-
hof die 6 Juden 312 Gulden Hauszins, also den Gold-
gulden zu 50 Mark Gebrauchswert gerechnet 15,600 Mark
aus 312,000 Mark Kapital zahlen. Heilbronn will da-
mals seine Juden ausweisen, Esslingen nimmt neuerdings
solche auf. Sie dürfen nur noch einen Pfennig Wucher-
gebühr die Woche erheben; die Männer müssen gelbe
Schäublein tragen, die Frauen blaue Schleier. Bald
darauf hat U 1 m nur noch 3 Juden, alle dauernd ansässigen
fremden Juden werden aus der Stadt geschafft
Wollen sie dennoch in die Stadt kommen, so unterliegen
sie dem Geleitszwang und einer Tagessteuer von
einem Gulden, während der angesessene Jude 1 Gulden
— LX
Wochensteaer zahlt. Im Jahre 1457 befiehlt das Reich den
Städten, die Juden nicht durch ungerechte Steuern
ZQ drficken, da diese sonst aus den dem Reiche steuer-
pflichtigen Reichsstädten aufs Land ziehen und so
die Steuerkraft des Reichs notleide. Die Städte
klagen demgegenüber, sie kommen durch die Pflicht, ihren
Juden die Forderungen einzutreiben, in schlimme Händel
mit den Edelleuten, femer unterstützen die Juden die
Diebe und sie wären dieselben deshalb am liebsten ganz
los. Gesteigert wird diese Stimmung gegen die Juden
auch in Deutschland in erster Linie durch die Bettel -
orden. Die Barfüsser und Dominikaner yerbieten
den Bäckern, den Juden zu backen, den Metzgern, ihnen
zu schlachten u.s.w., man verhöhnt die Stadträte, die sich
der Juden annehmen, die Bauern verlangen ein Jubel-
jahr mit Schuldentilgung und so treibt eine Stadt um die
andere die Juden aus ihren Mauern. Im Jahr 1496 verlassen
sie Neapel, 1499 Aschaffenburg, Nürnberg, Ulm.
Was den Juden ihre seither so mächtige Stellung
raubt, ist, dass man sie nicht mehr braucht. Die
riesigen Edelmetallfunde des 15. Jahrhunderts hatten
eine ungeheure Geldentwertung geschaffen, das Geld
lag auf der Strasse, die Warenpreise stiegen: so
war der Jude entbehrlich. Die öffentlichen Dar-
lehenskassen, die „montes pietatis^, versorgten den
kleinen Mann mit Geld und bald nahm man den Juden
ein Recht um das andere. Sie durften keinen Grund-
besitz mehr erwerben, womit ihnen der wichtigste Teil
des Pfandgeschäfts, dieDar leihe aufliegende Pfänder,
verloren gieng und die Judengenossenschaften ihren
Charakter als Hypothekenbanken verloren, den sie
seither dadurch bewahrt hatten, dass sie zwar auf liegende
Pfander hatten darleihen dürfen, aber dieselben binnen
eines Jahrs wie die Geistlichen hatten wieder-
verkaufen müssen. So hatte der Jude jederzeit einen
gesetzlichen Entschuldigungsgrund, wenn er in hart
wirkender Weise mit dem Zwangsverkauf vorgieng. Jetzt
aber hatte der Ueberfluss an Leihgeld den Zinsfus
ungeheuer gedrückt Die Fruchtpreise stiegen unter
diesem Verhältnis von Jahr zu Jahr und erhöhten den
Wert der Grundstücke, so dass die Schuldner immer
mehr in die Lage kamen, der Judenhilfe sich zu ent-
schlagen. So ward der einst so gesuchte Jude rasch
unwert, seit Geld um 3Vs Prozent in Menge zu haben
war, seit die Kirche den Christen die Belastung eines
Grundstücks mit einem dinglichen Recht gestattet hatte,
ohne dass dieses in den Besitz des Gläubigers übergieng.
— xc —
Da die Leihgebühr sank, konnte der Jnde nicht mehr
mit Gewinn arbeiten, es gieng ihm mit seiner Handels-
ware, dem Geld, wie in Zeiten des Warenpreisdrncks
dem Unternehmer mit seiner Ware. Er verlor danUf
statt zn gewinnen. Trotzdem haben noch im Jahre 1490
die Jaden in Ulm eine grosse Macht nnd noch im
Jahre 1510 erklärt ein Begensbnrger Jade dem
dortigen Bat feierlich die Fehde, aber immer mehr
ziehen sich die reichen Grossjaden der Stftdte ans
dem Lande nach den nen erschlossenen Rohstoff-
ländern des Westens nnd Südens and nnr die armen
Schacherjaden bleiben aaf dem Lande zarück, um
hier ein mehr oder minder kflmmerliches Dasein welter
zn fristen, bis andere Zeiten dem Treiben der Jaden auch
im dentschen Lande wieder nene Bahnen erschliessen.
Hat so das 15. Jahrhundert die Stellang der Jnden
in Westenropa TöUig erschfittert, so zieht das
16. Jahrhandert die Folgerungen dieses VerfiEÜirens:
es ist die schwerste Zeit des Jadentnms. Der Jnde,
der znr Stadt kommt, darf nur einkaufen, nicht yerkanfen.
Bleibt er, z. B. in Ulm, länger als 3 Tage, so mass er
täglich einen Gulden Aufenthaltssteuer zahlen. Kauft ein
Bfirger einem Juden etwas ab, so hat der Bflrger 10 Oulden
Strafe zu geben. Klagt der Jnde in Ulm, so unterliegt
er dem Anwaltszwang und kann sich nicht selbst ver-
teidigen wie der Bärger. Einzelne Jnden dürfen in den
Landstädten der Herrschaft Ulm ausnahmsweise
Wohnung nehmen, aber nur gegen fahrende Pfänder
leihen, nicht auf Grundeigentum. Die Wuchergebühr
beträgt nur noch 1 Häller für Ortsangesessene, 1 Pfennig
für die Angehörigen der Herrschaft Ulm, 2 Pfennig f&r
ausser Lands wohnende Personen, wie auch der Gülten-
zins Ton früher 10 vom Hundert auf 5 yom Hundert
herabgesetzt ist, seitdem die Wald-, Fischerei- und Waid-
rechte den Gemeinden überwiesen worden sind. Von
sonstigen Gewerben dürfen die Juden nur noch Kleinhandel
mit wertvollen Einfuhrwaren, nicht aber mit eigentlicher
Krämerware oder Währungsgut und zünftigen Erzeugnissen
treiben, wie ihnen überhaupt jedes zünftige Gewerbe
verboten ist. Auf Wein am Stock und Frucht auf
dem Halm darf der Jnde nicht leihen, gestohlene
Güter muss er herausgeben. Er ist umgeldpflichtig,
feuerwehr- und stadtdienstpflichtig und muss deshalb
in Kriegsfallen die Stadtsoldner unterhalten helfen.
Nachts darf er nicht ausgehen. Sein Wohnhaus
erstellt der Bat, da der Jude keine eigene Liegenschaft
haben kann, und der Jude zahlt dafür Hauszins und
— XCI —
Ballkostenbeiträge und leiht gewisse Summen unyerzins-
lich auf einige Jahre. Pfandbriefe müssen in der
Batskanzlei gefertigt werden, am gerichtlich gültig zu
sein. Eifrig ist man dabei auf christlicher Seite immer
mehr bestrebt, die Jaden znm Glaubensübertritt za
veranlassen, und zahlreiche Gelehrte, namentlich getaufte
Jaden, aber auch Theologen wie Beuchlin suchen die
Jaden durch den Hinweis zum Christentum za bestimmen,
dass die Eabbala dasselbe lehre.
Der formelle Grund zur Ausweisung ist auch in
Dentschland meist die Bezichtigung des Bitualmords,
80 in der Mark und Berlin, wie diese Anklage aach in
Baden, Bayern, Ungarn, Polen, Galizien, Frank-
reich, Rassland damals eine grosse Bolle spielt
Daneben aber ist die Erläge über die allzuhohen Wacher-
gebühren der Juden die Haupttriebfeder, welche gegen
die Juden arbeitet Im Jahre 1530 werden die Juden
auch ans Wirtemberg ausgetrieben, das damals
unter österreichischer Herrschaft steht, wie auch
Herzog Christoph, ein Feind der Juden ist; während
Bayern denselben günstiger gegenübersteht Ulm erhält
im Jahre 1541 ein besonderes „Priyileg wider die
Jaden", nach dem künftig kein Jude mehr ohne Ein-
willigung des Rats einem Ulmer Hintersassen Geld
leihen durfte and alle solche Klagen an fremden
Hof- und Landgerichten ungültig sein sollten; nur
in Ulm durften solche Klagen angebracht werden. Ln
Jahre 1551 bestätigte Kaiser Ferdinand das Privileg Tom
Jahre 1541 und erweiterte es dahin, dass kein Jude bei
Strafe von 10 Mark Gold und Verlust seiner Forderung
einem Uhner Hintersassen mehr etwas sollte leihen dürfen.
Es wurde infolge dessen allen Juden in den Herrschaften
der Umgegend verlesen, sowie den umliegenden Land- und
Hofgerichten eine Abschrift zugestellt Alle Herrschafts-
gerichte waren verpflichtet, ihre Juden vorzuladen und
ihnen das Privileg zu verkünden und die Juden mussten
bei Verlust der Forderung genau nach Ulm berichten,
was sie noch zu fordern hatten. Die Publikation verlief
meist so, dass nur die Juden erschienen, welche keine
Forderungen hatten, die anderen aber ausblieben, und
die erschienenen Juden erklärten, sie haben ebenfalls
Privilegien vom Reiche, die sie sich nicht nehmen lassen.
Da die Juden dieses Privileg aber alsbald dadurch um-
giengen, dass sie die Schuldner schriftlich auf ihr Klag-
freiheitsrecht verzichten Hessen, so bat im Jahr 1559
Ulm um Abhilfe beim Reiche, worauf ein solcher Verzicht
als rechtsungültig erklärt wurde.
— xcn —
Vil) Die alliiifthliche Besserung der Lage der abend-
iftndlschen Juden seit dem 17. JahrliunderL
War so das 16. Jahrhundert ffir die Judenschaft
Westearopas eine schlimme Zeit gewesen, so gestaltete
bereits das 17. Jahrhundert ihre Lage wieder etwas
besser. Da die noch vorhandenen wenigen Juden meist
unbemittelte Leute waren, so stellte die Erklärung der-
selben, zum Christentum übertreten zu wollen, meist
den letzten verzweifelten Schritt sittlich und wirtschaftlich
verkommener Existenzen dar, der wenig Aussicht auf
bessernde Wirkung versprach. Von Bitualmorden ver-
lautet jetzt in Schwaben wenig mehr; die vorkoromendeo
Fälle betreffen meist die slavischen Länder, Nieder-
deutschland, Oestereich, Lothringen.
In den einzelnen Ländern Deutschlands bilden die
Juden auch damals noch politische Körperschaften unter
ihren Landesrabbinern und gewählten Gtomeindevorständen.
In der Ausübung ihrer Religion sind die Juden auch
in dieser für sie feindlichsten Zeit nicht gehindert.
Mit Steuern und Abgaben sind sie genau so über-
lastet wie der einheimische Bürger und Landmans.
Sie zahlen ihre Reichssteuem , ihre Landessteuem , ihre
Gemeindesteuern, ihr Geleitgeld an den Landfrieden, den
sogenannten Leibzoll, wenn sie verreisen, die Wehr-
steuer für die Freiheit vom Heerdienst, das Silbe rgeld
an die Münze, das Federlappengeld für die Befreiung
vom Jagddienst. War ihnen der dauernde Aufenthalt
in den Städten auch verboten, so hielt sie das nicht ab,
Einlass in die Städte zu erlangen. Die Kreistage des
schwäbischen Landfriedens z. B. führten stets eine
Menge von Juden in die Bundeshauptstadt Ulm, wo
sie als Proviantfaktore und Geschäftsträger des
Kaisers und der einzelnen Fürsten eine hervor-
ragende Bolle spielten, so dass der Ulmer Rat gegen den
Uebermut der mit Weibern und Kindern und zahlreicher
Dienerschaft sich breit machenden, in ritterlicher
Tracht mit dem Degen an der Seite auftretenden
fremden Gross Juden thatkräftig einschritt.
Vollends aber seit dem 18. Jahrhundert beginnt auch
in Deutschland das Judentum sich immer kräftiger
ans der tiefen Kluft herauszuarbeiten, in die es das
Reformationszeitalter, die Renaissance, die Wiedergeburt
des Romanismus geworfen hatte. Der Mittelpunkt der
jüdischen Thätigkeit liegt deshalb damals auch ausserhalb
des grossrömischen Interessenkreises, in den vom Katho-
lizismus abgefallenen Ländern. Die Türkei, Russland,
— xcin —
Polen, Sachsen, Preussen, Holland, die Schweiz sind die
Gegenden, wo der Jude seine Rechnung findet, es sind
die Länder, wo sich die Kitualmordbeschnldignngen
gegen ihn finden, Beschuldigungen, welche deshalb auch
wirtBchaftspolitisch bedeutsam sind, weil sie immer
dort erschallen, wo der Jude sich wirtschaftlich un-
angenehm fühlbar macht.
In Deutschland hält man zunächst noch an den
alten Einschränkungsbestimmungen gegen die Juden
fest. Noch die Halsgerichtsordnung vom Jahre 1709 setzt
auf den Rücktritt eines getauften Juden zum Juden-
tum den Tod. Aus den Städten ist der Jude meist
ausgeschlossen, aber es ist ihm gelungen, an Markttagen
wenigstens wieder Zulassung zu erhalten, wo er bald als
Rosskamm und Viehkäufer eine grosse Rolle spielt
Dagegen erlaubt der Merkantilismus der Zeit mit
seiner Begünstigung des kleinen Manns, des Mittelstands,
dem Juden in keiner Weise das Hausieren mit verar-
beiteten Erzeugnissen, den Kleinhandel mit Waren.
Vom Kleinhandel und Kleingewerbe mit Währungs-
gut, d. h. vom zwangskörperschaftlich geordneten Gewerbe-
betrieb, von der Zunftangehörigkeit, ist der Jude ausge-
schlossen. Bierbrauereien, Branntweinbrennereien
zu besitzen oder Staatsgefälle zu pachten, ist ihm
verboten, ebenso der Erwerb von Grundbesitz und
das Ausleihen von Geld auf solchen. In den Städten
darf der Jude Häuser nur in bestimmten Stadtteilen, auf
dem Lande nur solche besitzen, die schon von Alters her in
jüdischem Besitz waren. Schuldurkunden über höhere
Beträge sind nur gültig, wenn sie vor dem Richter ausge-
fertigt worden sind. Der ordentliche Schutzjude kann
sein Schutzrecht nur auf ein Kind vererben, jedes weitere
Kind muss sein Schutzrecht neu erkaufen. Fremde Juden
werden nur hereingelassen, wenn sie sehr bemittelt sind
und eine gute Steuerquelle bilden. Ausserordent-
liche Schutzjuden und die Knechte und Mägde der
Juden dürfen nicht heiraten. Bei dem Schutzerwerb
muss der Jude eine bestimmte Menge Landeserzeug-
nisse aus den grossen Staats fabriken übernehmen.
Fabriken anzulegen ist ihm gestattet, dagegen
verboten, mit Getreide und sonstigen Landeser*
Zeugnissen zu handeln; denn der Jude soll Handel und
Industrie heben, den Bodenbau aber dem Christen
lassen, damit jeder an seinem Platze bleibe. Nimmt die
Anzahl der Juden allzusehr zu, so werden die ärmsten
und unsittlichsten aus dem Lande geschafft Der Jude
zahlt das Rekrutierungsgeld und die Stolgebühr
— XCÜV —
und ist in Bezug auf dieReligionsAbnng anbeschrankt
wie sein Rabbi weitgehende Befugnisse in Ehe-, Erb-
schafts- und Yormundschaftssachen hat, dag^en
ist sein Zeugnis vor Gericht nicht voUgflltig.
Erst seit den 80er Jahren des 18. Jahrhunderts be-
ginnen sich diese Verhältnisse allmählich zu ändern. Man
hebt den Leibzoll der Juden auf und gewahrt ihnen,
erst zögernd, dann immer rascher, eine Erleichterung nach
der andern. Im Jahre 1750 erhalten die Juden im Ulmer
Städtchen Leipheim das Recht, auf den dortigen Markten
auch mit Waren zu handeln, während sie sonst nur mit
Vieh handeln durften. Auch in Ulm selbst hält sich
schon damals wieder ein privilegierter Jude aaf und
die Kriegsjahre 1799 und 1800 bringen zahlreiche
jüdische Armeelieferanten mit den österreichischen
Truppen in die Stadt herein, indem namentlich die reiche
Hofjüdin Kauila des Fürsten von Hohenzollern in
Hechingen grosse Abschlüsse mit der österreichisdien
Kriegsleitung macht Laut klagen die ehrsamen Bfirger,
wie die reichen Juden die besseren Bürger zum Hazard-
spiel verleiten, während die armen Juden stehlen and
hehlen, wo es etwas zu stehlen und zu hehlen gebe, und
die Spione für die Franzosen machen. Welche Rolle
schon damals der Jude wieder im polititschen Leben
der Deutschen spielt, zeigt der Jude Süss, der berüchtigte
Finanzminister des Herzogs Karl Alexander von
Wirtemberg.
Als dann Ulm im Jahre 1805 seine Reichsfreiheit
verliert und unter bayerische Herrschaft kommt
hört sein Judenfreiheitsrecht auf und im Jahre 1806
siedelt sich der erste Ulmer Jude wieder dauernd in
der Stadt an. Auch als Ulm im Jahre 1810 württem-
bergisch wird, geht es mit der Zuwanderung neuer
Juden sehr langsam. Im Jahre 1815 verleiht König
Friedrich auf Empfehlung des Hofjuden Kauila
einem weitern Juden das Ulmer Schutzbürgerrecht^
was grosse Aufregung in der Stadt verursacht und den
gesamten Handelsstand zu einer Beschwerde beim
Landtage in Stuttgart veranlasst, die aber vergeblich
ist, obgleich sie die schlimme Wirksamkeit der Juden
als Hausierer und Schleichhändler scharf zeichnet
Man klagtflber die bayerischen Zollsehranken, welche
den Ulmer Kanfleuten den Absatz an die bayerischen
Landkrämer geraubt und diese den bayerischen
Juden ausgeliefert haben, man schreibt den Juden die
Schuld zu, dass die Liederlichkeit und Untreue der
Dienstboten zunehmen, man betont, dass unter Bayern
— xcv —
80 etwas den Ulmern nicht angethan worden sei. Man
bittet dringend, bei der Yerfttgang Ober das Bürgerrecht
mehr auf die angesessene Bürgerschaft zu hören
und den gewerblichen Zwangskörperschaften ihr
wohlyerbrieftes altes Becht zu lassen.
Im Jahre 1816 werden die Jnden in Hessen in die
bürgerlichen Zwangsgenossenschaften oder Zünfte
zngelassen. Die seitherige Jndenznnft hört auf und an
ihre Stelle tritt dieSynagogengemeinde. Bahnbrechend
für die Aufnahme der Juden in dem neuen Königreich
Württemberg und damit in der neuen württembergischen
Kreisstadt Ulm war das Gesetz vom Jahre 1828 über
die bürgerliche Gleichstellung der Juden. Der
Gesetzentwurf von 1827 über die bürgerlichen Rechte der
„Israeliten'^, d. h. auf deutsch „Gotteskämpfer ^ , wie
jetzt die Schwäche einer den christlichen Staat yer-
läugnenden Kegierung dem Christentum zum Hohn die
Judenschaft amtlich benannte , fand seitens der Ulmer
Landtagsabgeordneten und des Ulmer Handelsstands leb-
haften Widerspruch. Man sah in Ulm nicht ein, warum
man Preussen und Bayern vorauseilen sollte, statt
die Sache gleichmässig durch einen Bundesakt zu
ordnen; man wies darauf hin, wie in Bussland und
Polen die Juden eingeschränkt werden, und be-
tonte, dass die deutschen Juden kein Haar anders seien,
als die polnischen; man war nicht gegen den Versuch,
die Juden zu bessern, aber man wies auf die schäd-
liche Wirkung hin, die ein schroffer Uebergang von
der seitherigen weitgehenden Judenbeschränkung zur
Judenfreiheit auf den Charakter der christlichen
Staatsbürger ausüben müsse, da böser Umgang gute
Sitte verderbe. Betonte der Regierungsentwurf selbst,
es fehle den Juden an Ehrgefühl, am Gemeinsinn
gegenüber den NichtJuden, er strebe nicht nach wahrer
Herzensbildung und widerstrebe den Sitten und
Gebräuchen des Lands, er scheue alle eigentlich
erzeugende Arbeit und wolle nur handeln und der
Schacherhandel sei sein Begleiter, so ftgten diesen Be-
weggründen die Ulmer bei, die Juden seien Diebshehler,
üe kaufen den Dieben und Baubem ihre Beute ab und
fordern so das Verbrechen, treiben Falschmünzerei,
Wacher, Güterzerstückelung, Gauklerei, Zau-
berei; die Kinder und Eindeskinder der christ-
lichen Bevölkerung werden diesem Schritt der
^iernng dereinst fluchen und die Begierungs vorläge
sei eine weitgehende Umwälzung der seitherigen
Verhältnisse, die von den schwersten Folgen sein
— XCVI —
werde. Nur mit Abschea könne sich der Christ von
dieser gewaltsamen Vermischung mit dem Jadenyolk
abwenden. Man solle doch für die Jaden eine eigene
Jadenstadt mit eigener Markang in der Nähe von
Stattgart baaen; das sei besser, als sie ins ganze Land
hereinzalassen. Wenn sie dort dann im Laufe der Zeit
anter Aafsicht des Staats za anstandigen Menschen ge-
worden seien, könne man ihnen allmählich mehr Rechte
einräamen. Die Herrenhater and Qaäcker wohnen ja
aach in eigenen Dörfern. Dann aber erscheine es
bedenklich, die Jaden als yollgAltige Zeagen vor Ge-
richt zazalassen, während doch ihre Glaabwürdigkeit
vor Gericht sehr zweifelhaft seL Wenn man den Jaden
bessern wolle, branche das doch nicht so za geschehen,
dass man den Christen opfere. Die Erziehang des
Christen erfordere einen wirtschaftlichen Anfwand,
mit dem der Jade nicht za rechnen habe, deshalb sei er
im Yorzng, der Christ dürfe nicht dem Nichte bristen
gegenüber lügen, betrügen und wachern wie der
Jade, ohne anfzahören, ein Christ za sein. Daram
werde es so kommen, dass der Christ werde sein müssen
wie der Jade, wenn der fiegiernngsentwarf darchgehe.
Aach diese Vorstellang freilich war vergebens, das Gesetz
kam za stände, 5 Jsihre bälder als in Hessen, wo die
Juden erst im Jahre 1838 ins Bürgerrecht zuge-
lassen wurden.
Mit dem Gesetz von 1828 war den Juden in Würt-
temberg die Bahn frei und bald wurde auch die „gute
Stadt Ulm" einer der bevorzugtesten Unterkunfts-
orte für den neuen Staatsbürger, so dass im Jahre 1845
in Ulm ein jüdischer Filialgottesdienst eingerichtet
werden konnte, nachdem die Gemeinde auf 57 Köpfe
angewachsen war. An der Spitze der Filialgemeinde stand
ein Anwalt, später ein Kirchenvorsteher. Heute hat
die Ulmer Gemeinde wieder eine eigene Synagoge mit
eigenem ßabbiner und ist mit 645 Köpfen eine der
blühendsten des Lands.
Damit glaubt der Verfasser dem Leser in kurzen
Zügen eine Uebersicht über den Inhalt des vor-
liegenden Werks gegeben zu haben, in dem derselbe
systematisch geordnet der Oeflfentlichkeit wiederzugeben
suchte, was er in jahrelangem Sammeln an Nachrichten
über die Judengemeinden überhaupt und über die Juden-
gemeinde der Stadt Ulm im Besondern gefunden hat
1) Enrser Bllek mnf die Stellung der ülmer Jaden Ms
snin Beginne des 14. Jnhrliiuiderts.
Mit den römischen Eanflenten sehen wir auch die
Juden seit Eroberung der neuen Provinzen jenseits der
Alpen in Scharen nach Rhätieu und Wendelicien
hereinstr5men , wie die in unserer Gegend gefundenen
Jadendenkmale aus dem 4. Jahrhundert hinlänglich
beweisen^) und es ist deshalb die Nachricht des Ulmer
Chronisten Felix Fabri, der um das Jahr 1490 schrieb,
nicht unwahrscheinlich y dass sich in Ulm schon längst
Yor der Geburt des Heilands eine blühende Juden-
gemeinde befunden habe. Der Chronist meldet , man
habe, als man nach dem Judenkrawall des Jahrs 1349
die Hinterlassenschaft der erschlagenen Hebräer geordnet
habe, unter anderen Schriftstücken Briefe aus der Zeit
der Hinrichtung des Heilands entdeckt, in welchen die
Judengemeinde Jerusalem diese Thatsache der Ulmer Juden-
gemeinde mitgeteilt habe^, eine Legende, die immerhin
zeigt, dass man im Jahre 1349 mannigfach der Ansicht
war, dass es in Ulm schon in solch früher Zeit Juden
gegeben habe. Ueber die Schicksale jener ältesten Zeiten
dieser etwaigen Judengemeinde freilich weiss man nichts.
Sind durch schwäbische Judengrabsteine des 4. Jahr-
hunderts schwäbische Juden in dieser Zeit nachgewiesen,
80 mag es auch damals, als Kaiser Julian der Abtrünnige,
von Paris kommend, da, wo die Donau schiffbar wird,
ein Schiff bestieg und, mit kleinem Gefolge dem Heereszuge
der gallischen Legionen vorauseilend, auf dem Strome nach
Belgrad (Sirmium) fuhr, in Ulm eine Judengemeinde
gegeben haben, wie auch unter den Alemannenherzögen
und unter den Karolingern in einem so wichtigen
Eeichsweiler wie Ulm mit seiner Kaiserpfalz, wo
wiederholt Hoftage stattfanden, auch die für den Hof
unentbehrlichen jüdischen Hofagenten und Faktore
nicht gefehlt haben werden.
Die ersten eigentlichen Nachrichten von Ulmer
Juden geben uns die gefundenen Judengrabsteine,
>) Stalin, WirtembergiBche Geschichte, Bd. 1, S. 106. Jftger, ÜIm*8
Verfaflsungtleben im Mittelalter, S. 6.
*) Veesenmeyer, Tractatns Felicia Fabri, S. 17.
1
— 2 —
welche der Leser im spätem Laufe der Darstellang ge-
legentlich der Schilderung der Aufhebung des Ulmer
Judenfriedhofs näher beschrieben erhält Der älteste dieser
Judengrabsteine stammt vom Jahre 124S und meldet den
Tod der Tochter des Rabbi Salomon Halevy. Weitere
Grabsteine aus den Jahren 1255, 1274, 1305, 1306, 1307,
1331, 1341, 1342, 1344 bestätigen uns das Vorhandensein
eines Judenfriedhofs und damit einer Judenge-
meinde in Ulm um jene Zeit Wann dieser älteste
Ulmer Judenfriedhof — denn es kann sich auch in
Ulm je nachdem wie in Nürnberg und anderen Orten um
zweierlei Jndenfriedhöfe handeln, Ton welchen der
zweite erst angelegt worden wäre, nachdem der erste
zerstört worden war — in Ulm entstanden ist und
wo er sich befand, lässt sich freilich nur vermuten
und es kommt für diese Vermutung eine Anzahl yon
Nachrichten in Betracht, welche uns die Urkunden bieten.
Im Jahre 1183 übergiebt der Edelmann Witegau
yon Alb eck zu seinem Seelenheile und zu dem seiner
Angehörigen den Michaelsberg bei Ulm mit allen seinen
Zubehörden dem Kloster Reichen au und der Kirche mit
allem Eigentum und allen Besitzrechten. Dem Kate geist-
licher Männer folgend bestimmt er dabei, dass dieser Berg
in ewige Zeiten zu einem Hospital für arme Sieche, d. h.
Kranke, und Fremde gemacht werden und dass der Propst
dieses Spitals und dessen Kanoniker der Regel des heiligen
Augustinus angehören sollten. Die Brüder des Spitals
sollten das Recht haben, den Propst frei zu wählen, dem
Abt von Reichenau aber sollte das Recht der Investitur
zustehen. Sollten die Brüder aber bei der Wahl keine
Einigung erzielen, so sollte der Abt yon Reichenau unter
Beirat des Schutzvogts des Spitals die Entscheidung
treffen. Die Schutzvogtei sollte als ewiges Mannlehen
den Herren von Alb eck zustehen und jeder Hintersasse
dieser Herrschaft sollte das Recht haben, seine fahrende
oder liegende Habe zum Heile seiner Seele dem neuen
Kloster zu übertragen. Allen Hintersassen der Abtei
Reichenau, den Eigenleuten wie den freien Knechten
(Ministerialen) aber sollte erlaubt sein, freien Markt-
verkehr mit dem St. Michaelspital mit all' ihrer liegenden
und fahrenden Habe durch Schenkung, Wechsel und Ver-
kauf zu unterhalten.^ Der Aufenthalt der Augustiner auf
dem St. Michaelsberge dauert freilich nur kurze Zeit,
denn schon in der Zeit zwischen 1190 und 1206 gestattet
der Bischof Dithelm von Konstanz als gleichzeitiger
*} Presse], ülmiscbes Urkundenbucb, S. 25.
— 8 —
Abt TonBeichenaa den Augastinern von St Michael
in Ulm, ihre Wohnstfttte nach freier Wahl vom Berg
herab an einen geeigneten Ort in der Ebene zu verlegen,
bestätigt dem Kloster den freien Marktverkehr mit
den Ulmer Hintersassen der Abtei Beichenau und be-
droht alle mit dem Kirchenbann, welche sich künftig
wieder unterstehen sollten, das ülmer Aagnstinerkloster
an diesem freien Marktverkehr zu hindern. Worin
diese Behindemng des commerciom bestand, zeigt eine
weitere Urkunde vom 8. Mai 1199, in welcher Papst
Innocenz UL das Ulmer Angostinerkloster in den Schatz
der Kirche nimmt nnd das dem Kloster angefochtene
Begrftbnisrecht seiner Hintersassen bestätigt.^) Seither
ist das Kloster nicht mehr auf dem Michaelsberg bei Ulm,
sondern auf der Blauinsel westlich der Stadt, die man
die „ferne Wenge^ nannte, und hiess deshalb Wengen-
kl oster, und da zu dem Kloster eine Fruchtmühle, ein
Eisenhanuner und eine Bierbrauerei gehörte, lag dieses
Kloster wohl an der Stelle des heutigen Kupfer- und
Eisenhammer beim sogenannten „Blumenschein.^
Nun ist aber Thatsache, dass der im Jahre 1499 in
üfan aufgehobene Judenkirchhof in jener Gegend und
zwar wahrscheinlich an der Stelle des heutigen Post-
gebäudes am Bahnhofplatze, stand, wo erst im Monat
Dezember 1895 eine Menge von menschlichen Knochen
zu Tage gefördert wurden, und so liegt immerhin eine
kleine Wahrscheinlichkeit vor, dass es sich bei dem be-
strittenen Begräbnisrecht des Klosters um den
Judenfriedhof gehandelt haben könnte, da die Juden
ja mit Vorliebe ihre Friedhöfe der bessern Sicherheit
wegen in den Schutz der Kirche stellten. Es spricht
f&r diese Annahme die weitere Thatsache, dass sich Graf
Eberhard der Milde von Wirtemberg im Jahre 1392
bei seinem Friedensverträge mit der Stadt Ulm
darüber beschwert, dass die UMer im Jahre 1376 ohne
seine Erlaubnis das Augustinerkloster auf der Wengen-
insel abgebrochen haben, wo die mit ihm verbündeten
Grafen von Werdenberg-Albeck Begräbnisrechte
gehabt haben, und dass ihn die Ulmer an Christen und
*) „Specialiter antem coDoesaonem super sepeliendiB Testris fratribns,
coDTerBis et familia**! Pressel, Ulmer ürkandenbnch, 8. 82 Der
Amdmck „conrerais** der Urkunde namentlich legt die Vermutung nahe,
dau es sieb hier um sogenannte „Kowertschen**, wie man die ^Darleiher'*
vielfich nannte, gehandelt; haben könnte nnd wäre in diesem FaUe ein
Beitrag zu der yiel umstrittenen Frage, woher der Name „Kowertsche"'
kommt indem er dafQr sprftche, dass das Wort vom lateinischen ^con-
mmr^ d. h. Zugewandter, freier Beisitzer, Hintersasse, herkommt Yergl.
ipiter den Absclmitt über die Kowertschen^
1»
— 4 —
Juden geschädigt habeiL^) Man sieht, die Saehe ist
zweifelhaft, wenn auch die Lage des Ülmer Jaden-
friedhofs seine Zugehörigkeit zum Beichenauischen
Augustinerstift auf den Wengen nicht unwahrscheinlich
macht Immerhin darf diese Vermutung wohl als solche
hier eine Stelle finden, wobei freilieh in Betracht zu
ziehen ist, dass es sich bei dem Begräbnisrecht der Grafen
Yon Albeck ebensowohl um ein Familienbegräbnis der
Stifter als um einen Judenfriedhof oder auch um beides
gehandelt haben kann.
Aber nicht nur die steinernen Denkmale des Jaden-
friedhofs bezeugen das Vorhandensein einer entwickelten
Judengemeinde in Ulm im 13. Jahrhundert, auch das älteste
Ulmer Stadtrecht vom Jahre 1274 zeigt uns die Ulmer
Judengemeinde als privilegierte Darleiherge-
nossenschaft, indem sie bestimmt, dass alle Pfänder,
welche gerichtlich mit Beschlag belegt und dem Verkauf
ausgesetzt werden, sofort bei den Juden der Stadt
angelegt werden sollen, falls dies möglich sei, falls
dies aber nicht angehe, verkauft werden sollen, wovon
dem Eigentümer sofort vor Zeugen Mitteilung zu machen
sei, und bei gegen Wucher verpfiLndeten Streitgegen-
ständen einmalige Gerichtsladung als genügend
erklärt wurde. ^) Ebenso war zur Ehre Gottes verboten,
von der Septuagesima bis zur Osteroktave einen Eid in
Schuldsachen zu schwören. £>ie während dieser Zeit
beim Gericht anfallenden Eide wurden vorgemerkt, mit der
Ableistung aber bis zur Osteroktave gewartet Klagte
ein Bürger während dieser geschlossenen Zeit gegen einen
andern Bürger in Sehuldsachen, so musste eine einstweilige
Verfügung getroffen werden, wodurch eine Sicherung
des Klägers durch ein bei den Juden zu hinter-
legendes Pfand erfolgte; die hiedurch entstehenden
Kosten wurden dann den Kosten des Hauptverfahrens
zugeschlagen, so dass derjenige, welcher schliesslich Recht
behielt, von diesen Kosten freiblieb.
Ist also zweifellos in Ulm im 13. Jahrhundert eine
blühende Judengemeinde vorhanden, so weiss man
darüber nichts, ob auch die Ulmer Juden unter den da-
maligen Ausbrüchen der Volkswut gegen die Juden in
den süddeutschen Städten zu leiden gehabt haben. Bis zum
Ende des 13. Jahrhunderts ist thatsächlich der gesamte
Zwischenhandel, namentlich der Aufkauf von Korn, Wein,
Schafwolle, Flachs bei den Klöstern und Bitterorden in
^) Kornbeck, Vergleich der Grafen Ton Wirtemberg mit der Btadt
Ulm, in Üim-Oberschwaben, Ulm 1877.
^ Pressel, ülmisches Urkundenbach, S. 284.
— 5 —
Deutschland, Frankreich, England, Spanien and
der Verkauf dieser Gegenstände an den Fabrikanten, aber
auch der gesamte Geldhandel yöllig in den Händen der
Juden und Lombarden''). Dem letzten Bamberger, Herzog
Friedrich dem Streitbaren von est erreich, wird Torge-
worfen, dass er die Verwaltung seiner Kammer den Jaden
überlassen habe, welche das Volk durch hohe Steuern drücken *),
und mit Hilfe der Mauren und Juden behauptet sich etwas
später König Alphons X. von Deutschland-Kastilien
gegen seine Gemahlin Jolanthe und den agrarischen Adel
des Landes. So bestimmt das Stadtrecht, das König Philipp
Ton Schwaben im Jahre 1207 der Stadt Regensburg ver-
leiht, dass jeder, der in der Stadt Gewerbe oder Handel
treiben wolle, er möge Jude, Geistlicher oder Welt-
licher sein, die städtischen Steuern zu bezahlen haben
solle *). Man sieht aus dieser Voranstellung der Juden, welche
herTorragende handelspolitische Stellung dieselben
damals eingenommen haben. Auch die deutschen Könige
begünstigten die Juden, weil sie von ihnen grosse
Einkünfte durch jährliche Kopfgelder und andere Abgaben
bezogen. Doch war der Jude, auch in Deutschland niemals
in froherer Zeit ein vollberechtigter Staatsbürger.
Als Fremder stand er im reichsherrlichen Schutze und
der König bezog von ihm als Gegenleistung für diesen
Schutz ein jährliches Schutzgeld als Judenschutz-
vogt, wie er auch dem mittelalterlichen Fremden-
recht entsprechend im Falle des Ablebens eines Juden,
wie überhaupt jedes Fremden, das Recht auf die
Erbschaft, den sogenannten „SterbfalP* hatte ^^). Indem
die Juden so im kaiserlichen Schutze standen, war ihre Auf-
nahme und das Recht zum Bezug der hiefür von den Juden
bezahlten Gebühren auch ein kaiserliches Reservat, so dass
niemand ohne Erlaubnis des Reichs das Recht hatte, Juden
bei sich aufzunehmen und zu schützen. So verleiht z. B.
Kaiser Friedrich I. dem Herzog Heinrich in Oesterreich das
Recht „tenendi Judaeos et usurarios^, also Juden und öffent-
liche Geldverleiher zu halten, „sine imperii molestia et
offensa^^^). Der Jude hatte also gewissermassen ein ö£Eentliches
Amt inne, das darin bestand, Geld gegen Entgeld an andere
Personen auszuleihen, ein Amt, dessen Ausübung allen anderen
Personen verboten war. Da die Juden „kaiserliche
^ Flacher, DeatBche Handeliffeschichte, Bd. 2, S. 4 f. und 86 f.
^ Gemeiiier, Begentburger Chromk, Bd. 1, S. 336 f.
*) Gemeiiier, Begensborger Chronik, Bd. 1, S. 295.
*^ Fucher, Deutsche Haodelsgeschichte, Bd. 1, S. 266.
*') Lambeana, Bibliotheca Yindobonenaia, Bd. 2, Kap. 5. Hoffmann,
DUaert de advocaüa ünperaiorla Jadaica, TQbüigen 17i8. Ayrer, De jure
Jadaeoa zedpiendi, Goängeii 1741.
— 6 —
Eammerknechte*^''), cL h. anmittelbare Unter-
gebene des Monarchen waren, zahlten sie deshalb auch
bis ins 13. Jahrhundert hinein keine städtischen Abgaben,
auch wenn sie in den Städten Handel und Gewerbe trieben *).
Beginnen die Aosnahmsgesetze und die feindliche Haltung
der deutschen BcTÖlkerung gegen die Juden also auch
schon Tor den Kreuzzügen, so nehmen sie einen weitem
Umfang doch erst um die Mitte des 13. Jahrhunderts an,
als die zunehmende Entwicklung Deutschlands dieses mehr
und mehr den Charakter eines Bauern- und Eriegerstaats
verlieren und die Gestalt eines Industrie- und Handels*
Staats annehmen lässt Seit dem 13. Jahrhundert erfolgen
mehr und mehr allerlei beschränkende Verordnungen
gegen die Juden. Im Jahre 1216 verordnet das lateranische
Konzil Papst Innocenz IIL, dass die Juden und Jüdinnen in
allen christlichen Ländern eine besondere Tracht haben
sollen und im Jahre 1267 verordnet das Konzil von Vienne,
dass die Juden die in Form eines Halbmonds aufge-
krämpten roten Hüte, welche sie aus eigener Macht-
vollkommenheit abgelegt hatten, bei Geldstrafe durch
den Landesherm wieder tragen sollen, damit man sie von
den Christen unterscheiden könne; man verbietet ihnen, in
die von Christen besuchten Wirtshäuser, Zechstuben
und Bäder zu gehen, der Verkauf von geschächtetem
Fleisch in den christlichen Fleischbänken wird
verboten, es wird den Juden untersagt, an den gebotenen
Fasttagen Fleisch zu essen, zu ihren geselligen
Vergnügungen, Gastereien und Hochzeiten Christen
einzuladen, sich bei der Fronleichnamsprozession
auf die Strasse zu stellen, es wird der Bau wei-
terer Synagogen verboten und den Juden strenge
anbefohlen, mit Christen nicht über Glaubens-
sachen zu streiten und jeden Versuch zu unterlassen,
Christen zum Judentum zu bekehren; schwere
Strafe wird endlich jedem Juden angedroht, der sich bei-
kommen liesse, mit Christinnen zu verkehren^"). Dagegen
läset sich eine gesetzliche Beschränkung und räum-
liche Geschlossenheit der Judenviertel um jene Zeit
nicht nachweisen. Das geschlossene Zusammenwohnen
bestinunter National-, Gewerbe- oder Handelskörperschaften
entspricht einfach dem allgemeinen mittelalterlichen
**) Die Bezeiclmnng „SerroB camerae specialis^* kommt schon im Jahre
1237 vor. Yergl. Diplomatae Vindobonenddae , 1287. Der Aoadrack
„Knecht'' hat dabei dnrchans nichts herabaetiendoB. Die
damalige Amtssprache nennt den Jnden ,fEammerknecht'' als Hinter-
sassen der Bdchskammer, wie sie den adeligen Hintersassen einen „Edd-
Imecht** nennt,
^ Gemeiner, Begensbnrger Chronik, Bd. 1, S. 896 f.
- 7 -
Gebraach and hat mit dem spätem gesetzlichen Ghetto-
zwang der Jaden orsprünglich nichts za than'^). Wie in den
grossen Handelsmittelpankten Syriens, Griechenlands and der
ProYence die Städte ans einer Reihe von selbstständigen
nationalen Einzelgemeinden bestehen ^^), so verhält es sich
anch mit den deutsdien Jadengemeinden. Die Juden leben
iiadi ihrem eigenen Gesetze, sie haben einen eigenen „magi*
Stratos^, eigenes „consiliam^* and eigenen „episcopos'S sie haben
eine Synagoge, eigene Schalen, ein eigenes Spital and ein eigenes
SaÜiaos, wo sie ihre Yersammlangen, Hochzeiten, Festgelage,
Balle and ähnliche Dinge abhalten, aber das alles haben um
jene Zeit die anderen Genossenschafken auch; auch die
Deatschordenskommende, die Klöster and Klosterhöfe, die
Herrenhöfe, die Herrenzechen wie die Zünfte haben ihre eigenen
Gesetz, ihren Meister, ihren Rat, ihren Genossenschaftspriester,
ihren Altar, ihr Genossenschaftshans, wo sie ihre Yersamm-
Inngen, Hochzeiten, Kindstaufen, Leichenschmäuse halten, und
wie diese Genossenschaften um jene Zeit die eigene Gerichts-
barkeit sich erkämpfen, so gelingt diess gleichzeitig auch
den Juden. Während z. B. in den ältesten Eintragungen dos
Kölner Judenschreinbachs gegenüber den gleichzeitigen Be-
urkandungen über christlichen Grundbesitz ein Unterschied
nicht za Tage tritt und die Amileute der vorgesetzten
Lanrenzpfarre die gemeinschaftliche Urkundsbehörde für die
Christen and die Juden bilden und nur in streitigen Fällen
des Erbrechts, des ehelichen Güterrechts oder des Vormund-
schaitswesens eine Mitwirkung der Judengemeinde stattfindet,
wo bei christlichen Rechtsgeschäften ein Urteil der Schöffen
^tscheidety so beginnt seit Anfang der 60er Jahre des 13.
Jahrhunderts, zunächst vereinzelt, der Vollzug der Rechts-
gesdiäite vor der Synagoge zu geschehen und die hebräisch
^efasste Urkunde hierüber wird dann der öffentlichen Stelle
übeigeben, welche bezeugt, dass der Käufer in Gegenwart der
jüdischen Gemeindevertretung die hebrilische Urkunde den
Bürgern übergeben liat, welche dazu bestellt sind, die Schrift-
stüdie und Siegel über den Verkauf Ton Grundstücken auf-
zubewahren, damit es in ihrer Hand za einem wahrhaften
Zeugnis sei, bis seit dem Ende der 80er Jahre des 13. Jahr-
hunderts die Bezugnahme auf die hebräischen Urkunden zur
Begel wird und die Amtleute einfach noch bezeugen, dass die
n^Yersitas Judaeorum Coloniensium per magistratum et con-
^um eorum" das betreffende Rechtsgeschäft vorgenommen hat
Die massgebende Behörde ist seither die jüdische, der „episcopus
^ HOoigei:, Zur Geschichte der Juden DentBchlands im firOheren
MitteUter. Zdtichrift Iftr Geschichte der Juden iu Deutschland, Bd. 1,
8. 77.
") Beyd, Levantehandel, Bd. 1, 8. 864 ff.
— 8 —
(Jadenbischof), magistratos Jadaeomm ac oniTersi Jadaei ciTi-
tatia Goloniensia'S das ^^Sdiremsamt^ ist nur die Boglaubigongs-
behörde, knrzomder gesonderte Gerichtsstand ist jetzt,
soweit es sich am Rechtsgeschäfte anter Jaden
handelt, TöUig durchgeführt Das Schreinsamt kommt nur
in Betracht, wenn der Verkäufer ein christlicher Bürger ist, dann
findet die Verhandlung Tor dem Schreinsamt statt; das
hebräische Zeugnis fehlt dann und die Eintragung erfolgt
nicht im Judenschrein, sondern in den für christliche Rechts-
geschäfte bestimmten Schreinsbüchem ^*). Man sieht, es ist eine
Aenderung, die keine Beschränkung, sondern yielmehr eine
Erweiterung der gerichtlichen Befugnisse der Judengemeinde
bedeutet, wie sie dem allgemeinen Entwicklungsgang des
damaligen Verfassungslebens entspricht Wie z. B. am
28. August 1292 in Ulm eine Bürgeraufnahme und Steuer-
festsetzung lediglich durch den Oberzunftmeister (capitaneus),
die Zunftmeister und die Gemeinde ohne Mitwirkung des könig-
lichen Amtmanns erfolgt ")^ so besorgt auch die Ulmer Juden-
gemeinde jetzt ihre Angelegenheiten selbstständig. Wie der
Rat und das Gericht die ILGuidwerksämter der einzelnen an-
erkannten Zunftgenossenschaften besetzen, so besetzen sie aoch
die Aomter der Judengtnossenschalt. So bestimmt das Nürn-
berger Judenrecht betreffs des Rats und der Rechnung
der Jud en , da nach altem Herkommen in Nürnberg die Bürger
Tom Rate und die Schöffen alle Aemter, die es in der Stadt
gebe und die zu der Stadt gehören, alle Jahre neu besetzen und
entsetzen, haben diese auch das ausschliesslicho Recht, alljährlich
den Juden der Stadt ihren Rat einzusetzen und ihren Rechner
zu ernennen, damit diese im Gemach und im Frieden unter
einander bleiben, und es solle desshalb jeder Jude, der gegen
die Gewohnheit und das Recht der Bürger vom Rate, der
Schöffen und der Gemeinde der Stadt das Amt eines Juden-
rats annehme oder deren Rechner wähle, der Stadt eine
Besserung von 200 Pfd. Hlr., wer sich aber von den Juden
in dieser ungesetzlichen Weise wählen liesse, 100 Pfd. Hlr.
bezahlen müssen, ausser der Besserung und Entschädigung
für etwaige Elagekosten, welche den Bürgern daraus entr
stünden ^^l Man sieht, der Rat von Nürnberg ist ebenso be-
strebt, sich das Recht zur Ernennung der jüdischen Genossen-
schaitsbeamten zu erhalten, wie er das Recht zur Ernennung
der Beamten der einzelnen Handwerksgenossenschaften wahrt
'*) Quellen zur Geschidite der Juden in Deutschland, herausgegeben
durch die historische Kommission für Geschichte der Joden in ]>eut8ch-
land, 1 Bd., Höniger, das Judenschreinsbuch der Laurenzpfane wa Köln.
Berlin 1888, & X.
*^ Capitanens, 10 in Yulgari dicti „sunftmaestet^* et uniTerritas d-
Tiom. PresseL Ulm. Orkundenbuch, S. 202 f.
*") WOrfel, Nürnberger Judengemeinde, 8« iL
— 9 —
Die Zeit ist damals in den Tagen der untergehenden
Hohenstanfenh^Tschaft und des Zwischenreichs eine sehr
ernsta Das Haupt des letzten Hohenstaufen, König
Konradins von Sicilien, ist auf den Machtbefehl König
Karls Ton Anjou geüedlen, auf Deutschlands Königs-
thron sitzt ein englischer Fürst, der sich mit dem
jndenfreondlichen König Alfons X. von Spanien um die
Herrschaft streitet; englische und spanische Handels-
interessen kreuzen einander im deutschen Reiche; schwere
^rirtsdiaftliche Gegensätze und Yorteilskämpfe durchtobon das
Land. Immer weitere Notstände legen sich in zunehmendem
Masse auf die Völker Europas, Erdbeben, Stürme, Uober-
schwemmungen, Kriege und infolge davon Hungers-
nöte, Tor allem aber die Pest lasten sdiwer auf den Ländern
mid losen die geseUschafüichen Bande ^'). Die nähere Be-
rährong mit den innerasiatischen Ländern hatte den
europäischen Völkern die gefährliche Krankheit gebracht,
welche seither als „Schwarzer Tod^* den Schrecken der Leute
bildetei Schon im 13. Jahrhundert geht in der Donaagegend
der ,,gr08se Sterb^^ herum; so im JaJhre 1235, als die Donau
weite Gregenden überschwemmt hatte und der blutige Krieg mit
Herzog Friedrich dem Streitbaren von Oesterreich tobte.
Am schlimmsten aber trieb es die Seuche seit dem 14. Jahr-
hundert Im Jahre 1347 erscheint sie in Messina, Marseille
nnd anderen Hafenstädten des Mittelmeers, im Jahre 1348
wfitet sie in Spanien, Frankreich, Deutschland, England, im
Jahre 1349 in Schweden, Norwegen, Polen, im Jahre 13Ö1 in
Rnasland. In den Jahren 1348^1350 soll Europa 25 Mil-
lionen Menschen durch die Seuche yerloren haben. Die
Kranken starben in der Regel binnen 3 Tagen nach dem
Erscheinen der Pestbeulen. Allgemein sah man die Seuche
^ göttliches Strafgericht für den damaligen Uebermut der
Mensdien an — wohl nicht mit Unrecht, denn ein lieder-
lidiGres, unmässigeres Leben, als es jene Zeiten einer ein-
seitig industriellen Entwicklung der earopäischen Völker mit
ihrem ungesunden Hasten und Jagen nach Gewinn, äenuss
nnd Sinn^ust gebracht hatten, war lange nicht mehr da-
gewesen und wenn jeder Krankheitskeim seinen Nährboden
biaacht, so hatte die Menschheit damals jedenfalls ihr
Mißlichstes gethan, um diesen Nährboden zu schaffen. Nach
der aügemeinen Anschauung der Zeit war die Einschleppung
der Seudie durch die Juden erfolgt, welche damals in
grosser Anzahl aus anderen Ländern wie Frankreich, Eng-
land, namentlich aber aus dem Osten, aus den slayiscben
Landern, nach Deutschland hereinströmten und den be^
»'
) Gemeiiier, Begenilrarger Chronik, Bd. 1, S. 385 f.
— 10 —
kannten Schmutz mitbrachten, so dass die Ansicht eit-
stand, sie haben die Brunnen Ter giftet. Auch Ulm
wird damals Ton der Seuche hart betroffen; so wütet
im Jahre 1350 ein grosser „Sterbet*^ in der Stadt, so dass
täglich manchmal 100 Mensdien dahingerafft werden und der
Totengräber Wechteler mit seinen I^echten kaum fertig
wird, und im Jahre 1357 wütet der Sterb im bayerischen
Donauland; die Leute bekommen Drüsengeschwülste und
Schwindel im Kopf und sterben am dritten Tag^). Gleich-
zeitig kommt an Martini 1357 ein Erdbeben, das 8 Tage
lang währt und wie das vom Jahre 1349 die Menschen in
Schrecken und Angst jagt'^). Der tiefe Ernst solcher Zeiten
war es denn auch, welcher das Aufkommen jener Sekte
yeranlasste, welche den gewöhnlichen kirchlichen Sühnungs-
mitteln zum Trotz und im Widerspruch mit der Kirche
durch Geisselungen und Geisseiaufzüge den Zorn
Gottes yersöhnen wollte. Unter dem Läuten der Glocken
zogen die Geissler mit prächtigen Fahnen in ihren rotbe-
kreuzton Mänteln und Hüten in die Ortschaften ein, geisselten
sich bis aufe Blut, sangen ihre Lieder und predigten von der
Rache des Himmels ^^. Neue Gedanken durchzucken das Volk;
Bettelorden und Predigermönche dringen Ton allen
Seiten herein und ein schneller Uebergang yom Un-
glauben zum Glauben Tollzieht sich im Herzen
des schwergeprüften deutschen Volksgemüts.
Man sieht ein, dass es mit der herrschenden allgemeinen Un-
ordnung nicht weiter gehen kann und darf und ist ernstlich
bestrebt, durch Ordnungen und Gesetze dem aUgemeinen
Wirrwarr zu steuern**).
Nicht zum wenigsten war es bei der damaligen Entwick-
lung dem Einfluss des Judentums zuzuschreiben
gewesen, wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse
schwer notgelitten hatten. Hatten die Juden seither
den Kleinhandel in den Städten fast ausschliesslidi in
ihrer Gewalt gehabt, so hatten sie jetzt angefangen, den hie-
durch erworbenen Ileichtum durch wucherische Geld Ver-
leihungen weiter zu vermehren; die hiedurch erzeugten
wirtschaftlichen Krebsschäden waren es denn auch, welche
das Vorgehen der scholastigen Theologen gegen das
Grosskapital und das Zinsen nehmen heryorrief, so
dass es schliesslich zu Vermögensbeschlagnahmen, entehrenden
Strafen und Hinrichtungen wegen Wuchers kam'^). Welche
*^) Sebastian Fiflcher'a Chronik, S. 109. Manuskr. Manchen. Beichs-
archiT.
") Gemeiner, Regenabniiger Chronik, Bd. 2, 8. 102.
«^ St&lin Wirteml)erfi;i8che Oeachichte, Bd. 3, S. 246.
s^ Gememer, Regenaburger Chronik, Bd. 1. S. 895.
*«) Flacher, I>eatache HandelageKhichte, Bd. 8, S, 8 iL
— 11 —
SteUnog ab Geldmacht die Jaden im 13. Jahrhundert
einnehmen, erhellt z. B. ans der Bestimmung des Ulmer Stadt-
rechte Tom Jahre 1274, dass anerkannte Pfandrechte so-
fort bei den Juden sicherzustellen soien'^). Christ-
liche Banken kommen also damals in Ulm überhaupt
nicht in Betracht So steigert sich der Groll weiter Be-
TÖlkerungskreise g^en das im Lande lebende fremde Volk
nnd die Klagen gegen dasselbe werden immer allgemeiner.
Die Vorwurfe, welche man gegen die Juden namentlich
seit dem Ende des 13. Jahrhunderts Torbrachte, waren mannig-
&dier Art. Das Volk erklärte, sie haben Hostien in Mörsern
zeretossen, sie haben den Heiland und die Lehren der christ-
lichen Kirche Terhöhnt, sie haben unmündige Kinder zu rituellen
Zwecken grausam gemartert und getötet Der Hauptbeweggrund
bei dem Vorgehen gegen die Juden waren natürlich nicht diese
wohl TieUach erfundenen oder stark übertriebenen Beschul-
digungen, sondern die wirtschaftliche Triebfeder der
Selbsterhaltung. So geht gleich der erste Landfrieden
des grossen Rheinischen Bunds thatkräftig gegen den
Wacher der Juden Tor, indem er in § 26 yerordnet, dass
kein Jude künftig von 10 Pfund kölnisdier, hällischer oder
etnssburgischer Währung wöchenüich mehr als 2 Pfg., also Ton
2400 Hallem jährlich 104 Häller oder rund 6 Piozent, oder
wenn das Darlehen auf ein Jahr geschehen sei, mehr als
4 Unzen jährlich an Zins solle nehmen dürfen '*). Die Folgen
dieser gesellschaftlichen, gesundheitlichen und wirt-
schaftlichen Vorschriften zeigen sich auch alsbald.
So bauen sich z. B. im Jahre 1290 die Juden in Augsburg
eine eigene Badeanstalt und ein eigenes Gesell-
Bchaftshaus und wie unbehaglich es schon damals den
Juden auch in Deutschland wurde, beweist, wenn wir sehen,
wie im Jahre 1290 sich die Juden in Augsburg erbieten,
zum Dank für den guten Sdiutz, den sie während der Ver-
folgnngen der letzten Zeit seitens der Bürger von Augsburg
genossen haben, einen Teil der neuen Augsburger Stadt-
mauer auf ihre Kosten bauen zu lassen und im
Jahre 1308 die Augsburger Juden yersprechen, dem dortigen
Bat in zwei Zielem ÖOO Pfund Augsburger Pfennige zum Dank
fnr den guten Schutz zu bezahlen, den ihnen dieser habe
angedeihen lassen. Um dieselbe Zeit hat die Augsburger
Judongemeinde das Recht auf eigenes Siegel, wie das
anch in Ulm später durchw^ der Fall ist, woraus man
die geachtete Stellung derselben ersieht Schon im Jahre 1247
hatte es einmal in Augsburg Streit zwischen König Konrad
12 PmasI, UlmiicteB JlrkmdeiibDch, 8. m
, Fisdier, Deutsche Blandelsgeschichte, Bd. 1, S. 402 nnd 888 f^
Bi 2, S. 100.
— 12 —
Ton DentBchland, dem Sohn Kaiser Friedrichs IL, der sich
damals riel aaf dem Eönigsschloss Gonzlech an der Ledi-
mündnng anihielt, und der Stadt Augsburg wegen der Be-
steuerung der Augsburcer Juden gegeben und König Konradin
befreite im Jahre 1266 die Angsburger Juden gegen eine
Aversalsimime auf 5 Jahre von allen weiteren Yerpflichtungea
gegenüber der Beichskammer'^). Gegen Ende des 13. Jahr-
hunderts mehren sich denn auch die Angriffe auf die Juden.
Im Jahre 1287 werden in England die dort wohnenden
16,000 Juden wogen Falschmünzerei des Landes Ter-
wiesen und ihr Vermögen wird vom Staate einge-
zogen und nicht besser geht es ihnen in Frankreich,
Spanien und anderen Ländern. Durch dieses Einschreiten
g^en die Juden, namentlich in Frankreich, wo im Jahre
1242 24 Wägen mit talmudischen Schriften verbrannt und die
Juden im Jahre 1306 durch König Philipp IV. ausgewiesen
werden, dann wieder zurückkehren dürfon, um im Jahre 1320
von den wirtschaftlich schwer bedrohten Bauern und Schäfern
zu Hunderten erschlagen zu werden *^), und das Vorgehen gegen
sie in anderen Ländern nehmen die Juden damals in Deutsch-
land sehr stark zu. Grösseren Umfeing erreichten die
Verfolgungen der Juden in Deutschland erstmals im Jahre
1298, wo das Volk sich namentlich in den schwäbischen
und fränkischen Städten, in Würzburg, Nürnberg,
Rotenburg an der Tauber, Amberg, Neumarkt und
anderen Städten gegen sie erhoben hatte, während es ihnen
in Regensburg und Augsburg glimpflicher ergangen
war. Immer mehr beginnt man jetzt, auch bei den Juden das
Nehmen Ton Zinsen, das seither nur den Christen yerboten
war, thunlichst einzuschränken oder durch Zinsennachlassnngen
Bewncherungen seitens der als allmächtige (reldherren schal-
tenden Juden auszugleichen. So schreibt am 10. März 1300
König Albrecht Ton Oesterrcich von Heilbronn aus dem
„pontifex^* der Juden, allen Juden des Reichs und nament-
lich dem Ananias, dass das Klostor Eberbach TOn allen Zinsen
über die Hauptschuld befreit und etwaige darauf bezügliche
Bürgschaften rechtsungültig sein sollen '*).
Mit der zunehmenden Verschuldung dos Reichs seit dem
14. Jahrhundert werden wie alle anderen Reichsgetälle, z. B.
die alljährlichen Roichssteuern der christlichen Bürger
der Reichsstädte, die Erträgnisse der Reichsmünz-
stätten, der Reichszölle, der Gerichtsgobühren, der
Reichsweinsteuer (Umgeld), auch die Roichssteuern
der Judengemeinden in den einzelnen Reichstädten ein
'^ Stetteo, Augsburger Chronik, 8. 64, 75, 79 f., 84 f. and 89 f.
^) Zimgibf, Bayerische Handeligeichichte, 8. 589.
**) Böhmer, Acta imperii, 8. 402 t
- 13 -
beliebter VerpfändnngBgegenstand der deutschen Baiduh
kammer und wie die chnsüichen Reichsstädtebürger haben
auch die Jadengemeinden unter diesen Yerpfandangen yiel sn
leiden. So erlässt am 20. März 1312 König Heinridi von
Lnxembnig von Pisa aus dem Beichslandvost Konnid von
Weinsberg und dessen Sohn Eonrad ihre Schulden bei den
Juden, weist ihnen 300 Pfund Hbr. vom Ertrag der jährlichen
Jadensteuer ihrer Beichslandvogtei an und bestätigt ihnen die
Veipfändung der Reichsstadt Weinsberg unter Erhöhung der
seitherigen Pfandsumme, damit sie dem Grafen Eberhard dem
Erlaochten von Wirtemberg und anderen Reichsfeinden besser
Widerstand leisten können ^. Die Folge einer solchen Erlassung
TOn Jndenschulden seitens des Reichs ist selbstverständlich
nicht, dass damit die Juden der betreffenden Stadt ihres
RechtBanspruchs yerloreu gehen, sondern nur, dass ihnen an
Stelle des seitherigen landesherrlichen Schuldners das Reich
als Schuldner gegenübersteht, so dass die Sache that-
Schlich auf ein Zwangsanlehen des Reichs bei den betreffenden
Judengemeinden hinauskommt So ist im Jahre 1323 der
Ertrag der Reichssteuer der Regensburger Judenge-
meinde seitens des Reichs an die Herzöge Heinrich, Otto und
Heinrich von Bayern verpfändete^) und am 10. November 1324
Terpfandet in Donauwörth König Ludwig der Bayer den Grafen
Ludwig und Friedrich von Oettingen für 1000 Pfd. Hb:.,
welche ihnen das Reich für Kriegsdienste schuldig ge-
worden ist, die Erträgnisse der Reichssteuern der Juden-
gemeinden von Ulm und Nördlingen"). Am 30. Dezember
1324 vapfandet König Ludwig der Bayer dem Ulmer Bürger
Heinrich Bot den Ertrag der Korngülten und der Reichs*
Steuer der Judengemeinde der Stadt Lauingen'^; am
30. September 1326 bescheinigt König Ludwig der Bayer der
Jndengemeinde in Donauwörth den Erhalt von 100 Pfd.
Hlr. als für 2 Jahre vorausbezahlte Reichssteuer und ende
des Jahres 1326 weist König Ludwig der Bayer den (Ge-
brüdern 6ü8S in Leipheim den Ertrag der Reichssteuer der
dortigen Judengemeinde als Zahlung für Kriegsdienste an"^);
im Jahre 1333 erhebt der Rat von Regensburg bei der
dortigen Judengemeinde in seiner und des Reichs Geldnot
eine Benötigung von 1000 Pfand Pfennigen, nach deren Be-
zahlung Kaiser Ludwig der Bi^er und die bayerischen Her-
zoge beurkunden, dass es künftig bei der gewöhnlichen, auf
Hutini falligen Jahresreichssteuer der Ro^msburger Juden-
"^ Böhmer, Acta imperii, S. 451.
**) Gemeiner, B^;ensbarger Chronik, Bd. 1, S. 528 f.
") Baiing und Veesenmeyer, Ulmer Urkandeoboch, Ifakpt
2 Sttlin, Wirtembergitehe GeMhichte, Bd. 8, B. 167.
**) üayer, Oeachichte Ton Laningeo, 8.12.
— 14 —
gemeinde von 200 Pfand Pfennigen sein nnahanderK
Bewenden haben solle '^). Dass es in dieser Beziehung den
christlichen Städtebiirgern kein Haar besser gieng,
dass auch diese seitens der Reichsgewalt und der
landesherrlichen Vögte xl s. w. bei jeder Gelegen-
heiten geschröpft wurden, um die Kosten for die end-
losen Kriegszüge zu bezahlen, ist durch Hunderte Ton
Beispielen erwiesen. Wie traurig es damals mit den
wirtschaftlichen Verhältnissen der städtischen GemeinweKn
bestellt war, sehen wir, wenn in den Jahren 1311 und 1318
die Reichsstadt Esslingen den König Ludirig wiedeiholt
darum angehen moss, ihren Bürgern auf 2 Jalu^ Stundung
ihrer Schulden bei den Juden zu gewähren, damit sie ihre
Verhältnisse wieder in Ordnung bringen können, worauf ihnen
dann der König die Gnade bewilligt, dass die Juden in seinem
Machtgebiet wegen Forderungen , die sie an Esslinger Burger
haben, bis Martini 1317 kein Klagrecht haben sollen'*). So
mehrt sich z. B. im Jahre 1315 in München die dbrtige
Jadengemeinde in seither nicht gekannter Weise und da die
Art und Weise, wie die Mitglieder dieser (xemeinde ihr Ge-
werbe betreiben, den Bürgern von Mündien grossen Nachteil
bringt, so schränkt König Ludwig der Bayer die der dortigen
Judengemeinde zustehenden FreUieitsrechte in der Art ein,
dass er den Bürgern von München das Recht gibt, ihrer
Jndengemeinde gegenüber alle jene Rechte geltend zu machen,
welche die Bürger von Angsborg gegenüber der dortigen
Judengemeinde haben ^^. Wie sehr vollends die Fürsten selbst
in den Händen der Juden waren, ersieht man z. B.
daraus, dass zur Zeit Ludwigs des Bayer die Kleinodien des
Hauses Abensberg in den Kästen der Truhen der Juden
von Regensburg verpfilndet liegen'^). Auch die Städte-
yerwaltungen sind durchweg des Judengeldes dringend
benötigt; so hat z. B. im Jahre 1368, ab in Augsbui^g der
Aufstand der Handwerkergemeinde ausbricht, die Stadt eine
Schuld bei den dortigen Juden von 2000 Gulden**), auch die
Stadtgemeinde Strassburg steckt damals in erschwerter Weise
in den Taschen der Juden'*), wie im Jahre 1369 am Ende des
verderblichen Kriegs um den Besitz von Tirol die bayerische
Rentkammer völUg leer und das Land mit Judenschulden
belastet*^) und der Ertrag der Ulmer Thorzölle im Jahre 1369
an die Juden von Ulm verpfändet ist^^).
*^ Gemeiner, Regentbnrger Chronüt, Bd. 1, S. 565 u. Bd. 2, S. 165.
'^) Böhmer, Acta imperii, S. 488 f.
*^ Zimgibl, Bayerische Handelsgeschichte, 8. 589.
s«) Stetten, Augtbarger Chronik, S. 118 f.
**) Glosener, Strassburger Chronik, B. 107.
*•) Jftger, Ulm, S. 870.
— 15 —
2) Die JJlmm Jndengtnieiiide des U. Jibrhimdertt bis
zum JndeBknirftU toh 1S48.
Die erste Nachricht, die wir Ton den Ulmer Juden im
14. Jahrhundert erhalten, stammt aus dem Jahre 1316. Auch
in Ulm toben damals wie überall in den Städten die Kämpfe
w^en der Steu erpflicht der Bewohner. Auch um die
Ulmer Altstadt, um die befestigte Wohnstätto der „inneren
Bürger,^^ hat sich längst ein dichter Kreis von Gebäuden gelegt,
deren Bewohner als nicht zum politischen Bezirk der Altstadt
gehörig Immunität oder Freiheit Ton den städtischen Diensten
und Lasten geniessen; auch Ulm mit seinen Klosterhöfen,
seinen Geschlechterburgen, seiner Deutschordenskommende
besteht aus einer Reihe von selbstständigen oder inununen
politischen Körperschaften, tou denen jede ihre eigene hof-
rechtliche Verwaltung hat, und je mehr die gemeinsamen An-
forderungen bei der zunehmenden Herausbildung städtischen
Lebens wachsen, je mehr die Ulmer Stätte aus einem Konglomerat
Yon Einzelhöfen zum städtischen Gemeinwesen sich heraus-
gestaltet, um so schwerer wird es, die gemeinsamen Interessen
unter einen Hut zu bringen. Um der zunehmenden Grund-
steuerlast zu entgehen, beginnen die notleidenden altfreien
Geschlechter der Stadt, ihre Liegepschaften an die steuerfreien
kirchlichen Körperschaften der Stadt zu übertragen und die-
selben dann von den letzteren als Lehen zurückzunehmen,
wodurch die Güter aus der Steuer kommen; zu den Bedürf-
nissen der Stadt trug eben nur derjenige bei, welcher von
dem Marktrecht Gebrauch machte, d. h. Gewerbe und
Handel trieb, der Hausbrauch des Marktgenossen, des im
Marktverband Befindlichen ist steuerfrei, die Steuer ist eine
Last, die auf dem Gewerbebetrieb ruht, sie ist ein Entgelt
für das Marktrecht ^). Schon Kaiser Rudolf verbietet desshalb
auch im Jahre 1291 den geistlichen Körperschaften, künftig
in den dem Reiche gehörigen Städten weitere Ghrundstücke zu
kaufen, und bestimmt, dass die geistlichen Körperschaf ten von
allen Grundstücken, welche seit Uebergang der einzelnen Orte
an das Reich von ihnen erkauft worden seien, die Reichssteuer
zu bezahlen haben sollen^, und auch ftir Ulm erlässt Kaiser
Albrecht von Oesterreich am 17. Juni 1300 ein Gesetz, nach
dem künftig alle Güter, welche seither Steuer bezahlt haben,
diese auch dann bezahlen sollen, wenn sie an geistliche Körper-
schaften übergehen, und alle Güter von Personen, die ins
^) Fischer, Deutsche Handelsgeschichte, Bd. 2, S. 106. Jftger, Ulm,
S. 855 ff. Pressel, Ulm. Urkundenbnch, 8. 84 f., 95 and 248 f. Weyer-
nttn, Nachrichten, Bd. 2, 8. 288.
^ Böhmer, Acta imperii, 8. 864 f.
- 16 —
Kloster gehen, binnen Jahresfrist an Dimer Bürger zu yer-
kaufen sind, da nnr solche in Ulm Liegenschaft besitien
können *).
limRSt war es anch in Ulm eine HauptUage der
Burger der Altstadt, dass TOr den Mauern der zu eng
werdenden Stadt immer grössere Vorstädte entstanden waren,
deren Besitzer nicht an den öffentlichen Lasten teilnahmen,
und das Bestreben der Bfirger gieng desshalb dahin, das Recht
zur Besteuerung dieser Vorstädte und ihrer Freihöfe zu er-
langen, sie in den politischen Bezirk der Stadtrerwaltniig
einzuziehen. Diese Freihöfe ausserhalb des alten Mauerrings
gehörton teils altfreien Edelleuten, wie den Krafften, welche
ihren Hof an der Stelle des Amtsgerichts und des Nübling'schen
Hauses hatten, oder den Roten und den Strölin, oder es waren
Klostcrhöfe wie der Hof des Benediktinerklosters Beichenau
auf dem grünen Hofe, des Cisterzienserklostera Salmannsweiler
beim Krenprinzen, das Augustinerkloster zu den Wengen beim
Blumenschein, die Deutsdiordenskommende am Blaueinfluss,
das Barfässerkloster auf dem Münsterplatz am Löwenthor
mit der Sammlung der Franziskanerinnen, der königliche
Stadelhof oder das Dienstgut, das „Gebröde*' des Reichs-
amtmanns oder Roichsschultheissen der Stadt, der heutige
Weinhof, der Judenfreihof, d. h. der Dienstsitz der Ver-
waltung der königlichen Ulmer Judengemeinde, der Spital-
freihof und seit neuester Zeit ri318) das Kloster der Predigor-
mönche auf dem grünen Höre. So gestattet König Ludwig
am 23. November 1331 der Stadt Bopfingen, ein Oesetz zu erlasse
demzufolge niemand vor ihren Mauern einen Bau errichten
durfte, ohne dass er sich verpflichtete, die gleichen Lasten an
Steuern, Wachen u. s. w. zu tragen, wie die Bürger in der Stadt
selbst^). Alle diese Besitzungen genossen ursprünglich Steuer-
freiheitsrechte erheblichster Art gegenüber den Bewohnern der
Innerstadt, welche einen sehr kleinen Raum umfasste, indem die
Stadtmauer damals vom Löwenthore am Barfusserkloster, dem
alten Gymnasium, die Langestrasse ^) hinunter nach dem grünen
Hofe lief, wo das zweite Thor der Stadt, das Schnitzerthor,
war, um dann der Donau und Blau folgend wieder den Lauten-
berg hinauf sich an das Löwenthor zu ziehen. Alles andere
war Vorstadt In der Löwenthorvorstadt, d. h. in der Hirsch-
gasse bis zum späteren Glöcklerthor hinaus tl s. w., wohnten
die Kaufleute, dann kamen gegen Norden die Freihöfe des Bar-
fusserklosters , der Sammlungsfrauen, der Gisterzienser von
*) Presiel, Ulm. ürkundenbuch, S. 265 f. Dieterich, Ulm, 8. 17a
SchBud, Rötet Bach, Mgpt Ulm. Stadtbibl. Bl. 102.
*) BtiUio, Wirtembo^Bche Geachichte, Bd. 8, S. Id5.
*) „Vicas longuB.** VergL Veeaenmeyer, Tractatus frttrii Felicis
Fabn, i. 19 ff.
— 17 —
•
Bebenliaiiseii anf dem heutigen Schuliausplatze, dann der Juden-
frailiof, der Krafitenhof, der Salmansweilerhof, das Ptediger-
kloster, der Spitalhof, der Baichenauerhof u. s. w. Dass sich
Ton allen diesen steuerbevorrechteten Gruppen der Hass der ge-
werbetreibenden Bürger mit am meisten gerade gegen die Juden
richtete, war begreiflich, da ihre Thätigkeit eben dem bürger-
lichen Gewerbsmann am meisten zusetzte, womit übrigens
nicht gesagt ist, dass der Kampf der Innerstädter gegen die
Elosterhöfe und die Herrenhöfe ein weniger scharfer gewesen
wäre; auch ihnen gegenüber &nd er sein Ende erst damit, dass
diese Höfe sich a]Ue in den ToUen Burgverband auhidmien
lassen mussten, und wenn die Ulmer im Jahre 1376 das
Augostinerkloster auf der Wengeninsel beim Blumenschein aus
Jortifikatorischen Gründen^* niederreissen ^) und die Mönche
zwingen, in die jetzt erweiterte neue Stadt hereinzuziehen,
wenn sie das den Grafen Ton Wirtemberg gehörige Schweig-
hofen, das heutige Neuulm, und den ebenfalls unter gräflich
wirtembergischer SchutZTOgtei stehenden Bebenhäuser Cüster-
zienserhof und das Sammlungsstift dem „Munstarbau^* zu lieb
unter lebhaftem Widerstände des Grafen Eberhard des Greiners
niederlegen*^, so ist der wirtschaftliche Grund derselbe gewesen,
wie bei der Zerstörung des Judenfireihofs: „Wer Marktrecht
haben will, soll Marktsteuer, soll Gemeindesteuer
bezahlen.^ Will der Jude in Ulm Geldhandel treiben, soll
er nicht nur Beichssteuer, sondern auch Gemeindesteuer
leisten, will der wirtembergische Unterthan in Schweighofen
sein Eom verkaufen, will der Bebenhäuser Gisterzienser seinen
Wein in Ulm vom Zapfen schenken ^, soll er auch das Umgeld
bezahlen *). So ist das Vorgehen des damaligen Bürgertums in
den Städten gegen die beyorrechteten Interessentengruppen nichts
anderes als ein Kampf um die Rechtsgleichheit aller
Bürger. Dass bei diesem siegreichen Kampfe das Judentum
die schärfisten Hiebe wegbekam, hieng eben damit zusammen,
dass in seinen Händen die bevorrechtigte grosskapitalistische
Wucherpflanze ihre üppigsten Schösslinge gezeitigt hatte.
Wie unangenehm man damals schon in vielen Städten
die wirtschaftliche Uebermacht der Juden emp&nd,
beweisen mannig&che Nachrichten. So erhält im Jahre 1337
*) Bazing und Veesemiieyer, Uhn. Urkondenbnch, Mapt.
^ Vergleich der Grafen Ton Wirtemberg mit der Stadt Ulm. Ur*
Inmde vom Montag Tor Ambrosientag 1891; Kombeck in ,,Ulm-Ober-
KhirabeD'*, 1877, 8.57 ff. Bazing a.yee8enme7er. Ulm. Urkondenb., Mspt
^ Yeeaenmeyer, Tractatoa fratris Felids Fabri, S. 24 f.
^ „Nee est hodie civitas in imperio, aadaeter dico, liberior quam
UJnta, in qoa nulloB princeps, nnllus epiacopua, nalluB abbas qaicqoam
babet niai gab cenau ciTitatia^ berichtet atola am Ende dea 15. Jahr-
hunderts der Predigermench Felix Fabri Ton aeiner Heimatatadt Vergl.
Yeeaenmeyer, Tractetoa, 8. 144.
2
— 18 —
die Stadt Augsburg von Kaiser Ludwig dem Bayen
die Erlaubnis, einige Juden, welche sich beim Kaiser mebrere
für die Stadt Augsburg «ehr nachteilige FreiheitBrechie za
yerschaffen gewusst hatten, so lange in Yerhaft zu nehmeo,
bis die Augsburger Judengemeinde die hierüber vom KaiBer
erhaltenen Briefe dem Augsburger Bat eingebändigt oder für
deren Einhändigung Bürgschaft geleistet habe, und die kaiser-
lichen Beauftragten in der Angelegenheit, Graf Berthold tod
Neufifen, Heinrich von Gumppenberg, Peter yon Hoheneck,
Beichslandvogt tou Augsburg, und Friedrich tou Freibetg
verpflichteten sich infolge dessen der Stadt g^enüber, die tob
ihnen auf Befehl des Kaisers gefänglich eingesogenen Joden
nicht eher freizulassen, als bis sie der Stadt die betreffenden
Trostbriefe herausgegeben oder andere genügende Sicherheit
gestellt haben, und im Jahre 1340 sieht sidi die Stadt Augsburg
infolge der grossen Unkosten, welche ihr Gemeinwesen bei den
unruhigen Zeiten hatte, veranlasst, eine neue bessere Einrichtung
des städtischen Haushalts vorzunehmen, welche hauptsächlich
darin besteht, dass zur Befriedigung der Juden, hei
denen die Stadt grosse Summen zu Gemeindezwecken
aufgenommen hatte, ein Anlehen bei den Bürgen gegen
Leibrenten aufgenommen wurde, und zwar in der Art, dass
für 6 Pfund Pfg. 1 Pfand Leibrente verkauft wurda ^®) Aber
nicht nur die Reichsstädte, auch die Landesherren sind
damals den Juden grosse Summen schuldig. Im Jahre 1338
nehmen die ekässisdien Städte Strassburg, Kolmar, Schlett-
Stadt, Hagenau, Ehnheim, Rossheim, Mühlhausen, Eaisers-
berg, Türkheim, Münster, Breisach und Neuburg die Juden
gogen die Angriffe eines gewissen Amioder in Schutz ^^) und am
27. März 1346 erlässt Kaiser Ludwig der Bayer in Marhach
dem Grafen Eberhard dem Greiner von Wirtemberg und
seinem Bruder, Graf Ulrich, alle Schulden, welche ihr Vater
Graf Ulrich lU. bei den Juden in Kolmar und Schlett-
stadt gemacht hatte, und gebot diesen Juden, welche
im Bunde mit den genannten beiden Städten, deren
Bürger sie waren, die Grafen von Wirtemberg
durch Söldnerscharen mit Krieg überzogen hatten,
diese Fehde einzustellen und die betreffenden Schuldver-
schreibungen den Grafen von Wirtemberg auszufolgen. ^') Man
begreift, wenn bei solchen Verhältnissen sich beim Hause
Wirtemberg allmählich jener Hass gegen die Jaden heraus-
bilden konnte, wie er sich später in dem bekannten Juden-
testament Herzog Eberhards im Bart findet'^)
>*) StetteD, Aagsb. Chronik, S. 98 und d8.
") Fischer, DenUche Handelsgeschichte, Bd. 2, 8. 290.
") SUÜiD, Wirtembergische Geschichte, Bd. 8, 8. 228.
^*) Hersog Eberhard im Bart war bekanntlich ein grimmiger Feind
der Jaden, die er in sttnem Testament die „nagenden Wfirmer am Banne
— 19 —
Zu diesem Zündstoffe, wie er sich seit dem Ende des
13. Jahrhunderts immer mehr anhäuft, kommt seit dem Tode
Kaiser Heinrichs von Luxemburg der Kampf der Hänser Bayern
und Oesterreich um den Besitz der Reichskrone, weldier
eine Zeit lang in der Markgrafschaft Burgau, der
Gegend zwischen Augsburg und Ulm, spielt «Während Augs-
burg und Esslingen von Anfang an fest zu Bayern stehen,
halten Ulm und Konstanz bis zur Entscheidungs-
schlacht bei Mühldorf und der 6e&ngennahme König
Friedrichs des Schönen von Oesterreich am Hause Oester-
reich fest und bei der Wichtigkeit Ulms fassen die Bayern
desshalb den Plan, sich der Stodt durch einen Ueberfall
zu bemächtigen, den sie am 20. April 1316 zur Ausführung
bringen. Zweimal an einem Tage versuchen sie es unter
Hilfe der in der Stadt vorhandenen bayerischen Partei, an
deren Spitze die mächtige Geechlechterfamilie Kunzelmann
steht, sich dar Stadt zu bemächtigen, ohne indess ihren Zweck
zu erreichen, da es den Ulmem mit Hilfe des tapfem
österreichischen Landvogts der Markgrafschaft Burgau,
des Ritters Burkhardt von Erbach, und des Grafen Berg von
Schelklingen gelingt, die Feinde wieder aus der Stadt zu
treiben, wobei sich namentlich die Ulmer Mamer- oder Woll-
kämmerzunft tapfer geschlagen hatte. Bei diesem bayerischen
Anschlag nun war es ein Jude gewesen, mit dessen Hilfe es
den Bayern gelungen war, in die Stadt einzudringen ^^), womit
indess nicht gesagt ist, dass die Juden damals mehr zu
Bayern als zum Hause Oesterreich gehalten haben, wie z. B.
König Ludwig der Bayer, nachdem er am 24. November 1315
der Stadt Esslingen die Bürgschaft, welche sie gegenüber
den Juden von Ueberlingen eingegangen hatte, erlassen
hatte, am 31. Januar 1316 die Esslinger von allen Schulden
und Bürgschaften g^en diejenigen Juden befreit, welche
sich auf die Seite der Oesterreicher gestellt
hatten.")
Die nächsten beiden Nachrichten, welche wir von der
Ulmer Judengemeinde haben, stammen aus den Jahren 1324
des Yolkswohls'* nennt und betreffs derer er allen seinen Nachfolgern zw
Pflicht macht, keinen derselben im Lande zn dulden. Vergl. Zimmer-
mann, Wirtemb. Geschichte, Bd. 1 S. 860. Man hat bei Bearteilong
dieses Anssprachs selbstrerst&ndlich die Zeit schärfster wirtschaft-
licher Oegensfttse an berücksichtigen, in welcher der betreffende Fflrst
lebte.
^) Anonyme Chronik, yergl. Pressel in Yerhandl. des Vereins fdr
Konst- and Altertum. 1870, S. 42, Hertenstein, De Ulma, 8. 15. Stetten,
Angsborger Qeschlechtergeschichte, 8. 118 f. Erlanger Univ. Bibl. Cod.
man. Nr. 855. 8t&Un. Wirtemb. Geschichte, Bd. 8, S. 145. Jäger, Ulm,
8. 141. Weyermann, Nachrichten, Bd. 2, S. 57. Basing nnd Yeesenmeyer,
Ulm. ürkundenbnch, Mspt. 0>Jadaeo perfido ipsis aioiliante.*')
") Stalin, Wirtembergische Geschichte, Bd. 8, S. 146.
2*
— 90 —
und 1331. Am SO. Dezember 1324 Terpfandet König Li^wig
der Bayer den beiden Grafen von Oettingen, wddie ihm
bei der vorhergegangenen Bekgerung Ton Bnrgau Kri^gB-
dienste geleistet hatten, zur Entschädigung ihrer Analagra
den Ertrag der Reichssteuer der Ulmer Judenge-
meinde ^*) und am 9. Februar 1331 schenkt Kaiser Ludwig
der Bayer in Nürnberg dem Edelmann Berthold, Grafen Ton
Graisbach und Bfarstetten genannt von Neuffen, seinem lieben
Heimlichen, dem damaligen Lehensherm der Stadt Ulm, und
allen seinen Erben als rechtes Eigentum das Judenhaus
in der Judengasse zu Ulm, das er früher dem Ulrich
Kunzelmann gegeben hatte, so dass Neuffen und seine
Erben dasselbe innehaben sollen und damit alles sollen
thun dürfen wie mit ihrem eigenen Gut^^ Audi in
Ulm besteht also damals wie in yielen anderen Sädten neben
der christlichen unter einem Kapitän, Bürgermeister oder
Oberzunftmeister stehenden Bürgergemeinde eine eigene ,fJuden-
gemeinde'S welche sicherlich schon damals sehr umfang-
reich gewesen ist. Die Zeiten in Ulm waren damals sehr
bewegte. Hatte die Stadt bei den Kämpfen der beiden Gegen-
könige, welche ihren Streit teilweise in der unmittelbaren Nähe
der Stadt, in der österreichischen Markgrafschaft Burgau
hatten, bis zur Entscheidungs-Schlacht bei Mühldorf am
28. September 1322 unter Führung ihres Reichsamtmanns
Heinrich von Hall fest zu Oesterreich gehalten, so trat
jetzt der grosse Umschlag ein und nach den Kämpfen um
die Feste Burgau im kalten Dezember 1324 und im Januar
1325 hatte sidi König Ludwig mit den Ulmem verständigt,
er hatte den Ertrag des Ulmer Reichsamtmannnsamts
gegen ein Darlehen von 400 Pfund Häller auf 6 Jahre an
den Ulmer Bürger Heinrich Bot verliehen und am 17. März
1325 hatte der österreichische Landvogt von Burgau, Bitter
Burkhard von Erbach einen einjährigen Waffenstillstand mit
Bavem abgeschlossen, währenddessen die bekannte Aus-
söhnung mit Oesterreich und die Freilassung König
Friedrichs aus Schloss Trausnitz in der Oberpfalz erfolgt
war. In Ulm war die bayerische Partei Herr geworden und
mit ihrer Hilfe war es der Familie Kunzelmann gelungen,
den bayerischen Parteigänger Ghrafen Werdenberg von Albeck
unter dem heftigsten Widerstände der Oesterreicher zum
Reichslandsvogt in Oberschwaben zu machen, und das Ulmer
Reichsamtmannsamt war dem Ulrich Kunzelmann zugefallen,
wie dieser auch vom Reich ein diesem zugehöriges Judenhaus
in der Judengasse zu Lehen erhalten hatte. Die österreichisdien
^') Baiing d. VeeMnineyer, Ulm. Urkondenbacb, Mspt Jftger, Ulm.
im Mittelalter, 8. 22S.
«*) Badiig und Vecienmeyei, Ulm. Urkondenbucb, Mspt
— 21 —
Familien der Rote, Krafit, Strölin, Hall n. 8. w. aber waren ans
der Stadt vertrieben worden, wobei ee nicht ohne Totschläge,
Niederxeissen Yon Hausem n. s. w. abgegangen war und der Land-
friede in schwerster Weise notgelitten hatte, bis am 4. Oktober
1330 der Kaiser nach der Rückkehr von Italien ein grosses
ostschwäbisch -bayerisches Landfriedensbündnis veran-
staltet hatte, zu dessen Hauptmann der Graf von Neuffen
ernannt worden war. Zur Ausgleichung für seine 10,000 Pfd.
Hallar betragende Fordemug an die Reichskammer hatte so-
dann dieser Reichsbeamte, einer der vertrautesten Räte des
Kaisers und Statthalter von Lombardien, denn auch am 9. Fe-
bruar 1331 vom Reiche den Ertrag der Ulmer Reichs -
Steuer und am 20. September 1332 den Ertrag der Augs-
burger Reichssteuer verpfändet erhalten"). Da derlei Ver-
pfändungen in der Regel darauf hinausliefen, dass die be-
treffende Stadt den Pfandschilling bezahlen musste, war es
in Ulm zu ernsten Aufständen gekommen, die damit geendet
hatten, dass am 27. Februar 1331 Kaiser Ludwig in R^gens-
burg den Ulmem die Totschläge, Häusereinreissungen und
andere Landfriedensvergehen der letzten Zeit in Gnaden verzieh
und bestimmte, dass künftig über das Vermögen der Gemeinde
vom Reiche nur noch mit deren Einwilligung solle verfugt
werden dürfen^*). Es war denn auch im Interesse des Friedens
und Wohlergehens des Fleckens eine lautere und ewige Sühne
zwischen den äusseren und inneren Bürgern desselben zu-
stande gekommen und bestimmt worden, dass beide künftig
wieder wie früher einen Teil bilden sollten, worauf am
29./30. Mai 1331 der Kaiser bestimmt hatte, dass alle Briefe,
welche seither, so lange der Bürgor Kunzelmann die Gewalt
in der Hand gehabt hatte, ausgestellt worden waren, rechts-
ungültig sein sollten, sofern sie nicht die rechtskräftige Zu-
stimmung der Gemeinde gefunden hatten. Die Führer beider
Parteien aber waren wegen Landfriedensbruchs nach München
gebracht und ihr Vermögen mit Beschlag belegt worden und
am 18. Juni 1332 hatte der Kaiser in Donauwörth die seit-
herige Pfandschaft des Grafen Neuffen auf den Ertrag der
Ulmer Reichssteuern in eine regelrechte Beleihung bis
zum Tode des Kaisers verwandelt Die Folge waren neue
Aufstände in der Stadt, die der Graf mit Gewalt unterdrückte
und am 8. Mai 1333 war die Stadt dem Reich au& neue
unterworfen, die seither bestandene Zunftverfassung wurde
aufgelöst, die Erneuerung von Rat und Gericht in die
Hand des Reichspflegers Ghrafen Neu£Fen gelegt und
diesem das Recht eingeräumt, eine Burg in der Stadt zu
**) StftÜD, Wirtembergische Geschichte, Bd. 8, 8. 192. Nübling, Ulnu
Eanlhaai, 8. 106 f.
«•) Böhmer, Acta imperii, S« 606.
— 32 —
baaen and aber die Thonchltiflsel und die Stnnn^kMke lu
gebieten. Die Häupter dee Aufistands aber, die 5 Brüder
Uran egg (Graniggel), mufisten Urfebde schwörtti und die
Geecblediterfamilien der Rote, Hall, Strölin, Gossold,
Rammingen, Koprell (Kapoll?)und Obser miusten Büig-
schaft nach GeiBselschaftarecht steUeo« Am 16. November 13^
endlich war ein neuer Vergleich zwischen der Stadt und ihrem
Reichepfleger zustande gekommen, nach dem der Reichfisteuer-
betrag deroelben ein für allemal auf 750 Pfund Häller kon-
tingentiert und das Ulmer Reichsamtmannsamt, das dem
Bürger Kunzelmann abgenommen worden war, mit allem, waB
dazu gehörte, dem Grafen Neuffen bis zum Tode des Kaisen
verbleiben sollte. Wie wenig die Ulmer Bürgerschaft mit
der damaligen Reaktionszeit einverstanden war, zeigen die
fortwährenden Aufstandsversuche derselben gegen ihren Rüdis-
pfieger, wie z. B. am 4. Juli 1336 der Amtmann, der Rat ond
die Gemeinde bestinunen, dass jeder, der künftig wieder gegen
den Willen von Kaiser oder Reiohspfl^er und Rat „Auf-
werfungen, Aenderungen oder Stösse^' mache, als Aechter und
schädlicher Mann behandelt werden und sein Gut halb d^n
Reiche, dessen Reichslandvogt und der Gemeinde zu ilirem
Feetungsbau verfallen sein, die andere Hälfte aber seinen
Leibeserben verbleiben solle '^.
Man findet solche Ueberlassungen von dem Reiche
gehörigen Judenhäusern damals mannigfach. Die Juden
sind Sd^utsguden, welche ohne in den Gremeindeverband
aufgenommen zu sein in gemeindesteuerfreien Reichsgebänden
wohnen und hiefur als Hintersassen des Reichs der Reichs-
kammer einen Zins als Lehensleute bezahlen *^). Der Jude kann
wie der Handwerker das volle Bürgerrecht erhalten, wenn er
in Grund und Boden angesessen ist. Dann ist er nicht nur
Schutzbürger, sondern Yollbürger, er kann aber auch lediglich
als Zinsmann auf fremdem Grund und Boden wohnen, dann
ist er Hintersasse des betreffenden Grundbesitzers und steht
im Schutze seines Patrons. So weist im Jahre 1084 der
Bischof von Speier den Juden Land zur Ansiedlung an, so
stellt im Jahre 1184 in Würzburg der Jude Yivis sein Haus der
besseren Sicherheit halber und um das Marktrecht (gratia) zu
erhalten, gegen Zins in den Schutz einer geistlichen Stiftung'*).
Der Jude wohnt also in diesem Falle auf königlichem Grund
und Boden oder auf dem Boden eines andern Grundherrn
und die Judengasse oder der Judenfreihof gehört dem
Reiche und erst mit der Abschaffung der Hörigkeit und
*^ Bazing o. VeeBenmever, Ulm. ürkondenbach, Mspt. Stiülin,
Wirtembergiiche Geschichte, Bd. 8, 8. 196 f.
'^ Mauxer, Deutsches St&dtewesen, Bd. 2, S. 232 und 239.
^ Maurer, Deutsches St&dteweseo, Bd. 2, S. 499 und 601.
— 28 —
der Aendenmg der Schatzhenschaft kommen alle Hinter-
sassen unter den Schatz der Stadt und werden Beisitzer der-
selben *'). So bestimmt z. B. das Ulmer Stadtredbit vom 9. August
1296, dass Bürger, welche einem andern Bürger eigen seien,
ihrem Herrn alljäJirlich an Martini 12 Pfennige bezahlen
sollen, wogegen beim Tode des Eigenmanns die Erben des-
selben zur Leistung eines „Sterbegelds^' oder Leistungen auf
Grund des ,3terbfiEkllrechts'' nicht sollten angehalten werden
dürfen. Ebenso sollten alle Zinsbürger alljährlich an deu
Altar ihres Schutzherrn 2 Pfennige zum Heile ihrer Seele
opfern. Zogen Bauern, Angestellte (ministri) oder Müller in
die Stadt, so mussten sie das Bürgerrecht erwerben und vor-
her mit ihrem Herrn abrechnen. War diess geschehen, so
standen sie für ihre Person und ihre Habe im Schutz und
Geleite der Stadt Hauser, welche keine Lehen waren, galten
als Eigentum *% So wurden also die Juden Hintersassen oder
Schut^örige entweder der Stadtbürger oder der Gemeinde
selbst, indem allmählich ausser dem Reich auch die Kurfürsten
oder einzelne Landesherren und endlich auch einzelne Stadt-
gemeinden das Recht erhielten, Juden in ihren politischen
Machtbezirk als Hintersassen aufzunehmen**). So sind z. B.
im Jahre 1200 in Köln der Jude E^eberth und der Bürger
Hartwig Bauermeister (magistri vicinorum) von St. Laurenz;
so erhält die Stadt Augsburg im Jahre 1270 das Recht,
Juden aufzunehmen, so dass also seither in Augsburg die
Juden nicht mehr gezwungen sind, im Freihofe irgend eines
Grundherrn, wie des Bischofs oder des Reichs, zu wohnen,
sondern in den Bürgerverband der Stadt eintreten und dort
entweder als Grundbesitzer, Vollbürger oder als Hintersassen
eines Bürgers Schutzbürger werden können *^). So bekräftigt z. B.
am 14. Februar 1303 Herr Konrad Yorchtä vor dem Schult-
heissen und den Schöffen des Gerichts der Stadt Nürnberg
mit einem Eid gegenüber den Juden Bon&nt Simelin und
Jakob, dass er seine Mauer nicht weiter überbaut habe, als
ihm erlaubt gewesen sei, und am 3. Juli 1315 erlaubt König
Ludwig der Bayer dem Schuliheissen, den Ratmannen und der
Gemeinde der Büiger zu Nürnberg, die Hälse der Keller,
Kammern, Lauben und andere Angebäude vor den Häusern
der Nürnberger Juden, welche die allgemeine Strasse ver-
hindern, abzubrechen und gebietet, diese Vorhälse und
Schwellen, welche die Stadt verkrümmen, abzuehmen und
künftig nicht mehr zu bauen und wenn sie Widerspänstigkeit
finden, das Gebot des Reichs auszuführen^*). So beginnt in
^ Manier, Deutsches Städteweseo, Bd. 2, 8. 240 und 501.
"^ Pressel, Ulmisches ürkondenboch, 8. 284 ff.
*) Maurer, Deutsches St&dtewesen, Bd. 2, 8. 282 and 602.
**) WOrfel, NOmbergs Judengemeinde, 8. 125 ff.
— 24 —
Köln, seit im Jahre 1321 die wesentlichaten Hohdtsredite
endgültig vom Erzbischof aaf den städtiechen Rat äberg^angen
sind^ gleichzeitig eine räumliche Ausdehnung des Jn-
denviertels über die alten Grenzen hinaus*^, was
offenbar daher rührt, dass zu diesen Hoheitsrechten, welche
der Bat erworben hat, auch das Recht gehört, Juden in
seinen politischen Verband aufiEunehmen, und im Jahre 1328
wird in Schweidnitz bestimmt, es solle kein Hof und
kein Erbe mehr an einen Juden verkauft werden, ausser
an die bereits in Grund und Boden angesessenen Juden.
Die „geerbt^^ in der Stadt angesessenen Juden aber sollec
mit den Bürgern „schozzen und wachen** und zu anderran
Nutzen der Stadt helfen wie die Bürger^^ und am 5. Mai
1333 erlaubt König Ludwig der Bayer, nachdem seine und
des Reichs Juden aus Nürnberg flüchtig geworden seien,
damit diese wieder an das Reidb gebracht werden, zum
Nutzen und zur Ehre des Reichs dem SchultheLssen, dem
Rat und der Gemeinde der Stadt Nürnberg, dass sie ferner
des Reichs Juden und Kammerknechte, die jetzt bei ihnen in
Nürnberg sitzen oder künftig dort sesshaft werden, schirmen
sollen für ihn, für seinen Vikar, wenn er einen solchen habe,
und für alle seine Amtleute und Diener. Die Stadt sollte das
ohne Arglist halten, so lange er lebe, und es soUte dieses
Gebot nidit über£Ediren oder widerrufen werden ; sollte dies aber
dennoch geschehen oder sollten der SchultheiBS und die Bürger
oder beide etwas thun, was dem Gebot entgegen wäre, so
sollte den Juden diess dem Reiche oder sonst jemand gegenüber
keinen Schaden bringen weder an Leib, an Treue, noch an
Ehre oder Gut '*) Wie entwickelt schon damals die G^neinde-
yerhältnisse der Juden in den einzelnen Städten waren, sieht
man z. B. daraus, dass im Jahre 1338 die Aufnahme neaer
Juden in Freiburg nur mit Einwilligung der Judengemeinde
gestattet ist"^ So giebt es z. B. am Donnerstag nach dem
Frauentag 1338 in Nürnberg eine Judengemeinde von 212
steuerzahlenden Bürgern (zuzüglich der selbstständigen Witwen
u. s. w. '*) Rechnet man auf jede Feuerstelle nur 4 Personen,
so ergiebt dies 848 Juden. Bedenkt man, dass Nürnberg im
Jahre 1449 rund 20,000 Einwohner zählt und dabei nur noch
eine Judengemeinde von zusammen löO Köpfen hat '*), so sieht
*^ Höniger, Jodenscbreinsbach, S. XIII.
^ Maortr, Deutsches St&dtwesen, Bd. 2, S. 796.
**) WOrfel, Nflmbergs Jadengemeinde, 8. 14, 41 £., 127 ff.
*^ Maurer, Deutsches St&dtewesen, Bd. 2, 8. 502 and 796.
M) Bücher, BeTÖlkerong von Frankfort, S. 88. Ulm hzt heute bei
einer EinwohnerEahi Ton rand 30,000 (ohne Soldaten) 668 Juden.
Sch&tit man die BeTÖlkerong Ton Nürnberg im Jahre 1888 auf nmd die
Hftlfte, also 15,000, so hätte es nach dem heutigen Ulmer YerhAitnis nur
881 Juden staU 848 haben dürfen.
— 26 —
man den Bädcgang der dortigen Jndengemeinde binnen des
Jahrhunderts, aber man begnsift auch den Anasprach des
Nürnberger Geschlechters V. Stromer, den dieser im Jahre 1360,
als er in, Angelegenheiten der Stadt bei König Karl IV. in den
Niederlanden weilte, diesem Fürsten gegenüber that Als
nämlich der König die Stadt Nürnberg ob ihrer schönen G^ebände,
ihrer weiten Gassen und anderen guten Gelegenheiten rühmte
und meinte, wenn er das Reich erst in Buhe und Frieden
gebracht habe, hoffe er, dort seine Wohnung ständig auf-
schlagen zu können, weil die Stadt für die Krone Böhmen so
geschieh an der Hand liege, erwiderte Stromer, das sei schon
richtig, es sei nur schade, dass die Ju den gerade die schönsten
Häuser und wohlgelegensten Orte der Stadt inne haben, so
dass man nicht wisse, ob Nürnberg eine jüdischeoder christ-
liche Stadt sei.'*) Seit das Reich und die Landesherren kein
Grundeigentum mwr in den Städten besitzen, können sie keine
Juden mehr in dieselben setzen ^) und so bekonunen um jene
Zeit immer weitere Städte das Recht, Juden aufininehmen,
so z. B. im Jahre 1.S40 die Stadt Hall und im Jahre 1347
die Stadt Spei er und die Gleichstellnng der Juden mit den
übrigen Bürgern betrefib der bürgerlichen Rechte und Pflichten
schreitet in zunehmendem Masse fort So wird z. B. im
Jahre 1340 in Rain im Herzogtum Bayern bestimmt, dass
wer mit den Bürgern Wasser und Waide geniesse, auch
die gleichen Steuern solle bezahlen müssen, er möge Jude
oder Christ sein.'^
Schon damals freilich macht sich in einzelnen Städten
auch bereits das Bestreben geltend, die Juden in ihren
erworbenen bürgerlichen Rechten wieder einzuschränken. So
erfolgt in Köln im Jahre 1341 das Verbot einer weiteren
Ausdehnung des jüdischen Grundbesitzes'*) und am
20. Juli 1344 giebt Kaiser Ludwig dem Rat in Nürnberg die
Versicherung, dass weder er nodi jemand der Seinen künftig
wieder dazu Beihilfe thun wollen, dass das Haus eines Christen
in die Hände der Juden komme, wie er diess mit dem Hause
des Heinrich Holzschuher am Salzmarkt gethan habe.*')
8) IMe Einrielitiiiigeii der JadeBgemelndeii des
14. Jahrhunderts.
a. Dm JidA&Vfliftmolit nd dtr JsdtagtntiidtiEt.
Wie wir gesehen haben, hatten die Juden von Alters her
das Recht, das römische Bürgerrecht zu erwerben, und
dieses Recht ist ihnen auch im Mittelalter verblieben, wesshalb
man auch überall in den deutschen Städten des Mittelalters
^ Höniger, JadenicbreinBlmch, S. XIY.
— 26 —
findet ') Wir haben weiter icoBehen, dA8B ancfa im
romischen Reiche Karls des Ghrossen wie im arabischen Bmcfae
eine Art „Exilarch^, ein Beicherjadenschutsvogt oder Jadenober-
Zunftmeister, eingerichtet worden war, der die besondere Auf-
gabe hatte, namens des Beichsoberhanpts, des romisch^i
Kaisers oder Königs, die Juden zu schützen nnd zu schinn^i.
Dieses Amt sehen wir denn auch in der spätem Zeit des
Mittelalters weiter bestehen und zwar ist es der Erzbischol
▼on Mainz, der als Reichserzkanzler die Aufgabe hat,
den Jndenschntz nnd Jndenschirm statt des Kaisers und
Königs zu handhaben und dafür den Zehnten von allen aus
ganz Deutschland eingehenden Judensteuern erhält, *) wess-
halb auch zu jeder YerpfiLndung von Judenreichssteuem, wenn
diese rechtsgültig sein soll, seine Genehmigung einzuholen ist. ')
Ist so die gemeinsame Vertretung der Reid^udenschaft mit
dem Erzbistum Mainz und dem Reichskanzleramt verbunden,
so stehen die Judengemeinden der einzelnen Städte im 14.
Jahrhundert ziemlich selbstständig da und ihr politisches
Leben ist in ähnlicher Weise genossenschaftlich entwickelt,
wie das der einzelnen christlichen Genossenschaften. Wie die
Weber in der Webergasse, die Gerber in der Gerbergasse, die
Goldschmiede in der Goldschmiedsgasse u. s. w., so wohnen
die Juden in ihrer Judengasse. So finden sich derartigB
Judengassen in Speier, Worms, Köln, Bonn, Frankfurt, Heidel-
berg, Ulm,^) Augsburg, Schweidnitz und zahlreichen anderen
Städten. *) Nicht um die Juden in hasserfullter Weise abzu-
sperren, werden schon in früher Zeit diese Judenviertel mit
Mauern und Türmen umgeben, sondern um sich bei den damaligen
bewegten Zeiten die eigene Sicherheit zu gewährleisten, um-
feben auch die Juden ihre Ansiedlung, ihren Freihof^ mit einer
esten Mauer, sie bauen sich einen Turm mit Thorbogen, wie
dies jede Klostergenossenschaft, jedes altfreie Geschlecht am Orte
ebenso macht So wird z. B. in Speier schon im Jahre 1084
das Judenviertel zum Schutze vor Angriffen mit einer
Befestigungsmauer umgeben,') so ist auch in Köln im Jahre
1231 und 1246 die Judenstadt mit einem Thor und einem
Wachhause versehen, ebenso ist es bis zum Jahre 1591 in
Regensburg, in Worms und auch in Ulm finden wir im Jahre
1413 einen Judenturm urkundlich erwähnt^) Als Schutz-
verwandte sind die Juden Freie, haben desshalb das Recht
der Einigung und ihre Genossen sind „pares^S *) wesshalb wir
auch überaU, wo eine genügende Anzahl von Juden wohnt,
M Wftrfel, NQmbergB JadeDgemeinde, S. 89, 51, 67.
*) Maurer, Deutsches Stftdtewesen, Bd. 2, S. 80, 86, 501, 50i 506.
^ Stobbe, Die Juden in Deutschland, S. 46 ff. Speuer, Historia
Germaniae, T. 2, B. 2, Kap. 8.
*) Baiing n.yeeseiime7er, Ulmer Pfarrkirchenork., No. 78, 106,289,326.
— 27 —
•
eine wohlgegliederte JudeDgemeinde finden. „UniTermtas judae-
orom," ,,die gemain der Jnden'S „die Jadenschaff S^ „die
Jüdischheit*' (in Ukn^) sind die amtlichen Bezeidmnngen,
unter denen die Jndengemeinden des Mittelalters uns vor
Augen treten. Jede Judengemeinde hat ihren Vorsteher,
welcher verschiedene Namen fuhrt; So heisst derselbe in
Köln, Trier, Worms, Mainz, Nürnberg „Judenbischof*, in
Bamberg, in Frankfurt a.M., in Begensbmrg fJudenmeister'S
in Speier Archisynagog, in Mainz Hofmeister und
Korrektor, *) in München „Oberparnese'**). Die Stelle
des Richters der Judengemeinde hat der Hauptrabbiner
des Orts und er unterschreibt auch in dieser Eigenschaft mit
den zwei ihm beigegebenen Monatspamesen, Batsälteren, Kon-
suln, Einungem oder regierenden Bürgermeistern der Gemeinde
alle beglaubigten Urkunden, während zwei andere Juden vom
Bäte als Büchsenmeister oder Kassierer, Bechner oder Gemeinde-
fuhrer fungieren, die Steueranlagen der Gemeinde besorgen,
das Geld einsammeln und die Auslagen bestreiten.^) Was die
Anzahl der Judenkonsuln oder Pamsen betrifft, so waren es
deren wie bei den Zunftverwaltungen in der Begel 12, so dass
man ebenso von Judenzwölfmeistem sprechen kann, wie man
von den Zwölfem irgend einer Handwerksgenossenschaft redet
So besteht in Worms der Judenrat aus 12 Mitgliedern, unter
denen das Amt des Konsuls oder Pamesen monatlich wechselt
und welche wie den Judenbischof der Bischof von Worms er-
nennt ^) So hatte der Bat von Nürnberg seiner Judengemeinde
ebenfalls vor Alters solche Batsieute und Bichter sowie Bechner
gegeben. Sie wurden alljährlich nach Pfingsten entlassen und
vom Nürnberger Bat neu ernannt; nur der Haupt- oder Stadt-
rabbi als Bichter des Judenrats blieb unenüassen und
das Pflichtbuch der Stadt Nürnberg bestinunt über die ObUegen-
heiten des dortigen Judenrats, wer zum Judenrat erwählt
werde, solle geloben und schwören, alles, was darin verhandelt
werde, zu verschweigen, wenn nicht der Bat beschliesse, dass
die betreffende Sache an die Gemeinde gebracht werde; was
mit Stimmenmehrheit beschlossen werde, solle getreulich
gehalten und von jedem BatsmitgUede ohne Gefährde dazu
geholfen werden. Der Judenrat solle die Umlage der Steuer
uDter den einzelnen Genossen nach altem Herkommen vor-
nehmen und über alles Geld, das der Judenrat ausgebe, solle er
nach altem Herkommen beschliessen, aber nur bis zu 10 Gulden;
mehr zu bewilligen, solle nur der ganzen Judengemeinde gestattet
sein. Was die Zuständigkeit des Bats der Judengemeinde
betrifft, so erstreckte sich diese auf alle Ehesachen, l^bsachen
^) J&ger, Ulms Yerfassong, 8. 396.
*) Tom chaldäiflcheD „Pames** Gemeindevorsteher.
") Manier, Deatgches Stadtewesen, Bd. 2, S. 506.
— 28 —
und gegenseitigeii Streitigkeiten der Genossen, wahrend alle
Greldsachen, wie Bürgschaften, „bös gewordene Kapitalien und
derlei Irrungen*^ sowohl mit Juden als mit Christen, vor das
Stadtgericht bezw. Landgericht gehörten. Nadi altem Rechte
mnssten auch in Nürnberg wie in Köln alle Kaufs- und Verkaufs-
briefe ordentlicher Weise vor dem Stadtgericht gefertigt werden
und es war desshalb, wenn die Juden solche Briefe nach ihrer
Art ausfertigten, die Hinterlegung der betreflEenden Briefe bei dem
öffentlichen Gerichte notwendig. Die Sitzungen des Juden-
rats £Euiden in der Judenkanzlei statt ')
Alle Juden, die als Bürger oder Schutzverwandte in
eine Stadt aufgenonunen wurden, mussten den Eid der Treue nadi
Judenart leisten und sich zu den allgemeinen Bürgerpflichten be-
reit erklären. So schwuren z. B. die Nürnberger Juden, den
Schöffen und dem Rat in Nürnberg die Treue zu halten und
in keiner Weise etwas gegen die Stadt und die Ihrigen zu
thun ohne alle Gefihrde. Wenn sie etwas miteinander ausr
zufochten hatten, so mussten sie sich mit dem Christenrecht
der Stadt zu Nümberff begnügen; waren es aber Sachen, welche
ihren jüdischen Glauben und ihr jüdisches Recht betrafen, so
mussten sie sich mit dem ,,schlichten Judenrechte vor dem
Judenmeister in Nürnberg und den Juden, welche die Bürger
▼om Rate dazu eingesetzt hatten^', begnügen. Alle Juden aber,
die in Nürnberg das Bürgerrecht oder den Schutz erlangten,
mussten für die „Reception^' eine bestimmte Summe erlegen
und zur Sicherheit zwei Bürgerbürgen stellen. Verheirateten
sich die Kinder von in Nürnberg bürgerlichen Juden, so
mussten sie bei ihrer Verheiratung um das Bürgerrecht nach-
suchen, auch wenn der Vater Bürger war, sobald sie in Nürn-
berg haussässig werden wollten, oder bei Strafe von 1 Gulden
für jeden Tag binnen 4 Wochen, nachdem man sie zu-
sammen gelegt hatte, die Stadt räumen; verheiratete ein
Jude sein Kind hinaus aus der Stadt an andere Juden, so
durften diese bei Strafe von 1 Gulden für jeden Tag nicht
länger als 14 Tage in der Stadt bleiben. Wollte ein Jude
oder eine Jüdin, die in Nürnberg bürgerlich waren, ihr Bär-
gerrecht wieder aufgeben oder sagte ihnen der Rat ihr Bürger-
recht auf, so durften sie trotzdem nicht von der Stadt weg-
ziehen und einem Landesherm oder einer andern Stadt
schwören, ohne dass sie vorher vor die Bürger im offenen
Rat gegangen waren und dort amtlich ihr Bürgerrecht aufge-
geben hatten und ihren Verpflichtungen gegen die Stadt nach-
gekommen waren bei Strate von 1000 Gulden und Verlust
aller Forderungen, die sie in der Stadt hatten, und jeder, der
sein Bürgerrecht aufgab , war verbunden, den nächsten Zins
für das Jahr darauf zu geben. ®)
") WOrfel, Nürnbergs Jadengemeinde, 8. 84 f., 43 f., 48 f. u. 66 ff.
— 29 -^
b. Bm OtrloktivMti dir Jtd«i.
Was die Oerichtszuständigkeit der Oenossen der
^adeDgemeinde betrifft, so war der «Judex oompetens^ für
[nden die Landesobrigkeit, in deren Schutz sie standen. S6
;ehörten z. B. in Berlin zur Kompetenz des Hausvogts bis
n die neuere Zeit die Judensachen ^ und schon im Jahre 1090
ferden die Juden von der Verpflichtung frei erklärt, sich der
Jurisüichen Feuer- und Wasserprobe zu unterwerfen.*) Doch
latten sie, wie die anderen Genossenschaften, die Vergünstigung,
n Fällen, die ihre Sitten und Gewohnheiten betrafen, Bats-
ind Schiedsleute aus ihrer Mitte zu wählen und diese Bats-
ieate übten mit Genehmigung der Landesherrschaft, in deren
Schutz sie standen, über die Jhrigen in der Judengemeinde
in gewissen Fällen eine , jurisdictio mandata*' aus. So meldet
z. B. das alte Nürnberger Stadtgeeetzbuch vom Jahre 1290
betrefb des „Unfugs der Juden*^ die Judengemeinde zu Nürn-
berg sei an den Bat gekommen und habe gebeten, ihr ein
Gesetz über ihren „Unfug^^ um des Friedens willen zu machen,
und der Bat habe desshalb auf Bitte der Juden und zur
Mehrung des guten Friedens unter den Juden folgende Gesetze
gemacht, die aber den Bichtem und der Stadt an ihren alten
Rechten keinen Schaden bringen sollten: Schlägt ein in Nürn-
berg angeseesener Jude den andern oder rauft sich im Zorn
mit ihm, so hat der, welcher der Anheber war, dem Bichter 6,
der Stadt aber 10 Pfd. Hlr. Busse ^^) zu geben, der andere aber,
der sich nur gewehrt hat, muss nidhts geben; wehrt sich
aber der andere nicht nur zur Not, sondern mit verdachtem
Mut, so muss er dieselbe Busse zahlen. Wird ein Jude
wegen eines Unfugs vom Bichter und den Bürgern gerichtet,
80 hat er die Besserung zu geben, wenn er sich nicht mit
Semem Eide freimachen laam. Wer straffällig wird und dss
Geld nicht geben kann, muss die Stadt versdiwören, bis er
die Besserung bezahlt hat. Wer zuerst geschlagen oder ge-
rauft wird und bei dem Bichter oder bei den Bürgern klagt,
der soll wegen dieser Klage keine Missethat gegen seinen
Oenossen begangen haben. Schlagen oder raufen sich Kinder
unter 15 Jahren oder schlägt oder rauft ein alter Jude ein
Kind, das unter 15 Jahren alt ist, so erfolgt hiefür keine
Strafe. Schlagt oder rauft ein Bürger einen Juden oder
(iaat oder ein Gast einen Bürger oder ein Gast den
andern, so hat derselbe die erstere Busse zu geben.
Kann ein Missverständnis durch gütlichen Vergleich nicht
gehoben werden und man nur durch den Eid hinter die
Wahrheit kommen, so ist dem Juden, wenn er der Ange-
^ Maarer. Deutsches St&dtewesen, Bd. 4, S. 2d2, 505.
^1 Bosse ist molcta pecnniaria, qwBB penditnr laesis. Weimer, Ob-
mationeB practicae. 8. 68 t
— 80 —
schuldigte war, das «goramentam porgatorium^, der Bemignoga-
eid anfisulegen. Hat ein fremder Jode einen Rechtsstreit mit
einem in Nürnberg eingebürgerten Juden oder einer de^eichen
Jtidin, so muss er sich mit dem Christen- bezw. Judenrecht
der Stadt begnügen; wer das nicht thut, dem darf kein Jnde
Ton Nürnberg oder einer, der in ihrer Gewalt steht, weder
heimlich noch öffentlich etwas zulegen, ihm raten oder ihn
schirmen. Wird eine Judenstrafe auf einen Nürnberger Jad«i
gelegt, so darf kein Nürnberger Jude einen solchen Bestraften
in der Stadt halten, sondern einer muss dem andern trea
beistehen, damit dieser bei seinem Recht bleibt auf Koste»
dessen, den die Sache angeht, bei Strafe von 100 Gulden an
die Stadt oder höherer Strafe an Leib und Gut in gefähr-
lichen Fallen. AUe seitherigen Bündnisse der Juden unter-
einander aber sollten gänzlich abgethan sein und auch künftig
sollten die Juden keine Bündnisse machen und sich keiner,
der in der Stadt wohnte, ohne Lösung des Rats unter eine
andere Obrigkeit stellen.")
Sehen wir also die Juden betreflb der niedern Gerichts-
barkeit bei Streitigkeiten unter sich ihrer Gemeindogenossen-
schaft unterstehen, so standen sie betreib der höheren
Gerichtsbarkeit und betreflEs aller Streitigkeiten mit ausserhalb
ihrer Gemeinde stehenden Personen in der Regel wenigstens
unter dem landesherrlichen Grericht. So galt nadbi dem Augs-
burger Stadtrecht vom Jahre 1276 der Grundsatz, dass
wenn ein Christ eine Klage gegen einen Juden habe, diess
der Vogt auf ihrer Schule mit einem aus Bürgern und
Juden zusammengesetzten Grericht ausrichten solle. Standen
sich die Parteien mit Vorsprechem, d. h. mit Verteidigen,
gegenüber, so sollte der Vogt den Christen fragen und der
Judenrichter den Juden und das Urteil hatte nach dem
Mehrheitsbeschluss der Richter zu erfolgen. Sollte der Jude
schwören, so mussten ihm zur Ablegung des Eids dreimal
vierzehn Nächte Zeit gelassen werden und die AblQgung des
Eids hatte vor dem Vogt auf der Judenschule nach jüdischem
Recht zu eriolgen. Wollte ein Christ den Wahrheitsbeweis
gegen einen Juden führen, so hatte er diesen durch drei
Zeugen zu fuhren, von denen einer ein Jude sein musste.
Klagte ein Jude gegen einen Christen vor dem Gericht des
Stadtvogts oder des Burggrafen, so musste er dort den Eid
des Christen nehmen. Wollte der Jude den Wahrheitsbeweis
fuhren, so konnte er dies durch drei Zeugen thun, nämlich
durch sich selbst und zwei Christen. ^^ Man sieht hieraus,
das rechtliche Verhältniss zwischen Cnristen und Juden ist
ähnlich, wie man es im Mittelalter überall findet, wo sich
") Würfel, Nürnbergs Jadengemeinde, 8. 48 f., 06, 129 f.
^^ Meyer, Sudtbiieh von Aagtbnrg, S. 62 H.
— 31 —
Angehörige verschiedener Nationalitäten gerichtlich gegen-
übästehen. Einen Beleg hiefür bietet das spätestens dem
12. Jahrhnnd^ angehörige Stadtrecht für die deutsche
Gemeinde in Prag, in welchem es heisst: Hat ein Böhme
einen Bechtstreit mit einem Deutschen, welcher durch
zwei Zeugen zu entscheiden ist, so hat der Böhme gegen den
Deutschen zwei Deutsche und einen Böhmen anzuführen,
ebenso wie der Deutsche, welcher einen Böhmen überfuhren
will, zwei Böhmen und einen Deutschen anzuführen hat, wie
das ebenso mit den Wälschen und mit den J uden gehalten
werden sollte.**) Besonders weit gehende Vorrechte in Bezug auf
den Gerichtsstand genossen seit dem Jahre 1335 die Juden Ton
Köln; dort musste nämlich jeder Christ, der gegen einen
Jaden klagen wollte, diese Klage unter Ausschluss jeder andern
geistlichen oder weltlichen Gerichtsbarkeit beim Kölner Juden-
bischof und dessen Kapitel, wie man dort den Bat der Juden-
gemeinde hiesB, anbringen und sich mit deren Urteil begnügen,
wie auch in Köln der Judenbischof nicht Yon der Landesbe»
börde ernannt, sondern von der Judengemeinde alljährlich
gewählt wurde. Auch war der Erzbischof als Landesherr
Terpflichtet, den Bann über jeden Juden aussprechen, den
das Gericht der Judengemeinde geächtet hatte. Diese weit-
gehenden Vorrechte waren der schlimmen wirtschaftlichen
Lage entsprungen, in welcher sich damals das Erzbistom be-
fand und wel<£e den Erzbischof völlig den Händen der Kölner
Jaden ausgeliefert hatte. So kann man es begreifen, wenn
die Heiren vom erzbischöflichen Kapitel in den Jahren
1335—1341 in Köln bitter Klage darüber führen, dass man
dem Grundsatz, nach dem ein Rechtsstreit stets vor dem Ge-
richt des Beklagten zu fuhren sei, auch den Juden gegenüber
stattgegeben habe; es sei denn doch mit der Würde eines
Prälaten oder Domherrn nicht vereinbar, bei Rechtsstreitig-
keiten mit Juden in die Synagoge gehen zu müssen. Der
Erzbischof musste denn auch zugeben, dass er mit Eingehen
dieses Freiheitsrechts zu weit g^^angen sei, dass die Be-
stimmung „von dem Schicklichen und den sonstigen Begebt
abweiche,^^ imd versprach, wenn künftig wieder die Juden-
privilegien erneuert werden sollten, Ausnahmen von
diesem Gesetze für die Herren vom Domkapitel und
die Geistlichkeit auszubedingen. Er habe eben in
seiner Geldverlegenheit und in der Bedrängnis, in der er
sich mit dem Stift befunden habe, nichts machen können,
weil ihm die Judengemeinde grosse Summen vorge-
streckt habe. So genehmigte schliesslich das Kapitel das neue
Jndenprivilegium. ^<^) So bestätigt z. B. am 27. August 1348
>^ Stobbe, Jaden üi DeoticbUnd, S. 152 und 06 &
— 88 —
der Landrichter Nikolaus von Pmkberg in Nürnberg, daas
dem Landschreiber Frits Ebner gegen den Jnden Gnmbredit,
den Sohn dee Höherlein Snaemann, wegen 40 PAind Häller und
des Schadens durch Gerichtsurteil Anleit auf dessen Lob und
all sein liegendes oder fahrendes Gnt gegeben worden seL^^)
So waren in Köln Diebstahl, Fälschung, Verwundung
und Ehebruch der Juden dem Gericht des Erzbischofs
als Landesherm zur Entscheidung übertragen;'') so verordnet
das Augsburger Stadtrecht vom Jahre 1276, wenn ein
Jude einen Diebstahl begehe und auf offener Tluit erwischt
werde, so solle über ihn nach dem Recht der Stadt yerfahren
werden, werde er aber eines solchen beschuldigt, solle er
nach bestehendem Recht dieses Bezichts überwiesen werden.
Schlage ein Christ einen Juden tot oder ein Jude einen
Christen oder verwunde einer den andern oder thue ihm
Gewalt an oder begehen Juden untereinander derartige Dinge,
so solle diesä vor dem Stadtvogt nach dessen R^ht ver-
handelt werden.'*) Besonders streng bestraft wurden die
Fleischesverbrechen zwischen Juden und Christen. Ehen
zwischen Juden und Christen waren ungültig; der Christ,
welcher seine Tochter einem Juden gab, die Christin, welche
sich mit einem Juden verheiratete, wurden mit Kirchen bann
bestraft. Auch die Unzucht zwischen Juden und Christen
galt als Kapitalverbrechen und wurde auf Grund des Schwa-
benspiegels durch Verbrennen bestraft.") Im Allgemeinen
galt betrefiia des Strafrechts der Juden der Grundsatz, dass
der Jude die Verbrechen, welche er begieng, ebenso büssen
sollte, wie der Christ; ") doch kam bei der Strafvollstreckung
der religiöse Unterschied in der Weise zum Ausdruck, dass
für die Juden ein besonderer Galgen benützt wurde, wie
wir z. B. in Mainz einen eigenen Judengalgen finden, ^^)
während man in Nürnberg die Juden ausserhalb des
christlichen Galgens zu hängen pflegte.*^) Besondere Vor-
schriften bestanden auch für den Judeneid. Der Schwaben-
spiegel, Artikel 263, bestimmte hierüber, der Jude solle,
wenn er den Eid leiste, auf einer Schweinshaut stehen und
die rechte Hand auf die fiinf Bücher Mosis legen. An
anderen Orten bestanden wieder andere Vorschriften.") Wichtig
war des weitem namentlich das Recht der Juden, sich
vom Duell frei zu machen. Wohl schrieb der Schwaben-
spiegel, Artikel 260, theoretisch vor, dass wenn es ein Qirist
verlange, der Jude mit ihm kämpfen müsse, ebenso wie der
Jude den Christen zum Zweikampf fordern durfte, aber es
^^) Würfel, NOmbergs Jadengemeinde, 8. 129 und 92.
^^ Stobbe, Jaden in Dentschknd, 8. 95, 159 ff. und 155.
**) Meyer, Stadtbach von Aagtborg, 8. 56 f.
*^ SdiMb, QeMihichte der Jaden, S. 185.
— 38 —
war den Joden gelungen, eich hiegegen Freiheitarechte zu
erwerben, durch welche ihnen gestattet wurde, von der per-
sönlichen Gestellung beim Zweikampf abzusehen und sich
durch einen um Geld gedungenen Stellvertreter er-
setzen zu lassen. Wie fär den Christen, so bestand auch für
den Juden die Strafe des königlichen Banns, mit dem
einzelne Juden oder ganze Gemeinden belegt werden konnten
und durch den der davon betroffene von jeder Rechtsge-
meinschaft ausgeschlossen wurde. Mit ihm pflegten nament-
lich solche Juden oder Judengemeinden belegt zu werden,
welche mit der Steuerzahlung im Rückstände blieben. Zu
diesen weltlichen Strafen der Juden konnten wie bei den
Christen noch kirchliche durch den Judenbischof hin-
zutreten, wie denn schon im Jahre 1245 auf einer Rabbiner-
synode bestimmt worden war, dass weder der Rabbiner ohne
Zuziehung der Gemeinde noch diese ohne den Rabbiner be»
rechtigt sein sollte, den Bann über einen Juden zu verhängen.
Dieser Bann konnte der leichte Bann sein, der jeden traf,
welcher sich den religiösen oder behördlichen Anordnungen
ist Judengemeinde widersetzte, oder der schwere Bann,
in den jeder verfiel, der sich binnen 30 Tagen nach Ver-
hängung des leichten Banns nicht gefugig zeigte. Dieser
schwere Bann vereinsamte den davon Betroffenen völlig von
seinen Glaubensgenossen, seine Frau und seine Kinder waren
aus der Synagoge und Schule ausgeschlossen, seine Toten
wurden nicht bestattet, seine Kinder nicht in die Glaubens-
gemeinschaft angenommen. *^)
0. Die SyBAfog«.
Wir haben gesehen, wie im Laufe der Zeit die Juden-
freihöfe, welche ursprünglich nur in losem Verbände mit
den städtischen Gemeinwesen stehen, allmählich wie die
übrigen ähnlichen Anwesen, die Höfe der altfreien Grundbe-
sitzer und die geistlichen Höfe, gezwungen werden, sich als
zugehörige Glieder dem städtischen Verband anzusdiliessen.
So wird z. B. im Jahre 1188, als Kaiser Friedrich Barbarossa
dem Erzbischof den Schutz der Kölner Juden ülxnriässt,
durdi Vertrag zwischen dem Erzbischof und der Kölner
Judengemeinde den Juden die Verpflichtung auferlegt, ein
Thor bis auf einen Thürflügel niederzureissen und den
Stadtgraben an vier Stellen 400 Fuss lang zuzuschütten,
doch sollten sie das Recht haben, jederzeit, wenn sie es
wollten, den früheren Zustand wieder herznsteUen. Der
Judenfreihof wird also zu einem Teil der Stadt gemacht
und die Judengemeinde muss einen Teil der hiedurch
entstehenden Baukosten auf sich nehmen. Seither bildet
**) Stobbe, Juden ia Deotschland, S. 168, 161 f.
8
— 84 —
das Köluer Jadenyiertel einen TeQ d^ Stadt, wie denn andi
das Kölner Stadtbach Yom Jahre 1341 beetimmt, der Stadt-
bote solle die Schlüssel zum grossen Jadenthor and zur kleineD
Thüre haben ^ beide bei Sonnenuntergang zuschliessen nnd
morgens mit der Primiz wieder aufischliessen^ wofür die Juden
jährlich 20 Mark zu bezahlen haben; dagegen sollen die
Schlüssel zu der engen Judengasse in den Händen des Juden-
bischofa sein.^*) Wie in Köln, so findet man es denn auch
überall, nicht nur in Dentschland, sondern auch im Auslande.
So haben im Jahre 1196 die Juden in Dijon zwei eigene
Judengassen, vier Synagogen und einen Judenkirch-
hof; so besteht in London seit ältester Zeit eine eigene
Judengasse. So findet man in allen grösseren Städten
Italiens die Judengassen oder Judenviertel; sie heiasen dort
„Judaea" oder „Judaica,*' woraus die Italiener später „Giu-
decca^^ machten, eine Bezeichnung, die man bekanntlich noch
heute in Venedig und Palermo findet, während in Ferrara
diä Judengasse „Zneca'* heisst^); so hat sich in Rom die
Judengasse seit den Tagen der alten Kaiserzeit forterhalten;
sie lag jenseits des Tiber, in Trastevere, und ihre Ver-
bindung mit der Stadt erfolgte durch die ,4^udenbrücke.''
Man bekommt einen interessanten Einblick in die Blüte des
jüdischen Gemeindelebens im früheren Mittelalter, wenn man
die Schilderungen der zeitgenössischen Schriftsteller sich vor
Augen fuhrt. So gehören unter König Richard Yon England
den Juden in London die schönsten Paläste der Stadt, so
dass sie mit ihren Häusern die Burg des Königs in den
Schatten stellen.'®) So gibt uns ein ausführliches Bild über
die Entwicklung des zeitgenössischen jüdischen Gremeinde-
lebens der bekannte Jude Benjamin von Tudela in
Spanien, welcher um das Jahr 1170 eine grosse Weltreise
macht Er schildert uns den tref&ichen Stand der Judenge-
meinden von Barcelona und Gironne, von Narbonne
mit seinen 300 Feuerstellen, von Beziers, Montpellier,
Lunel mit seiner Judenunirersität und 300 Ange-
hörigen, von Beaucaire (Pothikires) mit seiner Judenschule,
von Marseille mit 2 Synagogen und 300 Feuerstellen, von
Nogres; dann kommt er nach Italien, wo er in Genua
eine Gemeinde mit 20 Judenfamilien findet, während Lucca
40, Rom aber 200 FamiUen und eine treffliche Juden-
hochschule besitzen; dann nennt er Capua mit 300 Haus-
haltungen, vor allem aber Palermo mit 500 und Neapel
mit 600 Haushaltungen : weiter Amalfi, Benevent, Malchi
und Trani, letzteres mit 200 Familien, der bedeutendste
^*) Stobbe, Die Juden in Deatschland, S. 94.
*•) Deppiog, Jaden im Mittelalter, S. 128, 125, 129, 181, 126.
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Einschiffangsplatz nach Syrien; ferner Taren t mit 200 Hans-
haltnngen, dann Barnedi, wo die Juden die Purpur-
färberei treiben, und Otranto mit 500 Juden. Man
sieht, das Königreich Neapel als Welthandelsmittel-
punkt ist auch der Hauptsitz des Judentums. Auch
in Griechenland und Syrien, wohin sich Benjamin von
hier aus wendet, findet er überall entwickelte Judengemeinden ;
weniger gjit steht es mit denselben im heiligen Lande, in
Palästina. In Sichem oder Naplusa findet er
100 Samaritaner, am Euphratufer strömen die Juden
aus Persien und Medien zusammen, um dem Grab des
Ezechiel Verehrung zu zollen. Ein anderer jüdischer
Reisender, der Rabbiner Petachia von Regensburg, ist
uns als deutscher Jude noch näherstehend. Er besucht im
Jahre 1175 den Orient, indem er durch Böhmen und Polen
nach Russland reist und Taurien durchwandert, wo die
Juden durchweg der Sekte der Karaiten angehören, welche
dem orthodoxen Juden als Ketzer gelten. Dann kommt er
nach Nisibis in Armenien, wo eine grosse Judengemeinde
mit 3 Synagogen besteht, und Mossul mit 6000 Juden, dann
nach Babylon und Bagdad mit 1000 Juden und ent-
wickelter Judenhochschule. Petachia besucht ebenfalls das
Grabmal des Ezechiel in der Wüste, anderthalb Tag-
reisen von Bagdad, wo sich am Laubhüttonfest aU-
jährlich 60 — 80,000 Juden aus allen Ländern zusammenfinden.
Dann kommt er nach Nahardea am Euphrat mit Synagoge,
nach Hill ah mit dem Grab des Rabbi Meir Yon der Mischna,
nach Susa, wo nur noch 2 Juden wohnen. Dagegen gibt
es in Damaskus, der Hauptstadt Syriens, damals
10,000 Juden und eine jüdische Hochschule, während die
Judengemeinden in Palästina sehr schwach sind, so dass
es in Jerusalem nur noch 1 Juden gibt*^)
Wie die anderen selbstständigen Genossenschaften oder
Lxmiunitätsbezirke der Städte, wie die Klostergemeinschaften
und die Herrenhöfe, haben auch die Judengemeinden in den
Städten des Mittelalters ihre eigenen Gemeindeanstalten
aller Art Hierher gehört vor allem der Mittelpunkt des
ganzen jüdischen Lebens, die Synagoge. „Judaeorum sectam
niilla lege prohibitam esse satis constat^* heisst es im „Codex
Theodosianus." Die Juden hatten desshalb auch das Recht,
Synagogen aufzurichten und darin ihren äusserlichen Gottes-
dienst abzuhalten.*^ So lag die in Köln im Jahre 1426 be-
schlagnahmte Synagoge gegenüber dem städtischen Rat-
hanse''); so war in Nürnberg das Judenyiertel ursprünglich
3
Depping, Jaden im Mittelalter, S. 186 f. und 139 f.
, Wonel, NOmbeigs Jadeugemeinde. 8. 58 und 56 f.
n Stobbe, Juden in Deatschuaid, S. bi f.
3
— 36 —
unweit der Sebaldskirche am Fusse der Beichsbnrg und die
Synagoge stand bis zum Jahre 1349 da, wo jetzt die Marien-
kirche steht Wenig Glück hatte die neue Sjnagoge der Nürn-
berger Judengemeinde; am 23. Juli 1451 schlug das Wetter
in ihr ein, so dass sie durch einen heftigen Brand beschädigt
wurde.'*) So soll die Ulm er „Synagoge^* dereinst in der Mitte
des Judenhofs und das „Judentanzhaus*^ an der Stelle
gestanden sein, die heute der „Golschenkeller*^ einnimmt,
das alte Schauhaus der Ulmer Leinwandschau, heute
das Verkaufshaus der Ulmer Schreinergenossenschaft
d. DU 8oh«U.
War der Zweck der Synagoge der, allen Angehörigen
der Judengemeinde, Gelehrten und Ungelehrten, Mannern
und Weibern, Gelegenheit zu geben, zusammen das Gebet
zu verrichten, so hatte einen engeren Zweck eine weitere
wichtige Veranstaltung mancher Jndengemeinden, die »Ju den-
hochschul e^' oder das Judengymnasium. Seine Bestimmung
war, einem beschränkteren Kreis von Gemeindeangehörigen
Gelegenheit zu geben zur Erkenntnis des Gresetzee, zum
Studium des Talmud und anderer Weisheitschriften der rab-
binischeu Gelehrsamkeit, und man findet desshalb derartige
jüdische Hochschulen im Mittelalter an allen Orten Yor, wo
grössere jüdische Gemeindeyerbände bestanden.'^ So hatte die
Judenhochschule in Regensbnrg einen grossen Namen und
eine Reihe geachteter Judenlehrer und Judengelehrter sind
aus ihr für ganz Deutschland hervorgegangen.'^) Ebenso be-
stand eine derartige Judenhochschule in Worms '^), femer
genoss namentlich hervorragendes Ansehen in den jiidischen
Gelehrtenkreisen die Judenhochschule zu Nürnberg. Rektor
derselben war der jeweilige Hauptrabbi der Synagoge , neben
dem aber eine Reihe weiterer Lehrkräfte den jüdischen Stu-
denten zur Verfugung stand. So kam im Jahre 1406 die
Nürnberger Judengemeinde wegen allzu grossen Anwachsens
der jüdischen Studenten in Nürnberg beim Rate um die Er-
laubnis ein, ein weiteres Gymnasium zu errichten, wurde
aber mit diesem Gesuch abgewiesen.") So erhielt — in welchem
Jahre ist leider nicht gesagt — der Rabbi Jakob Weil bei
seinem Aufenthalt in Nürnberg vom „Mehari** d. h. Oberrabbi, die
*^) Ipai Jadaei apad nostram dntatem „stadiam generale" ab antiquo
babaemnt. Gemeiner, Begensburger Chronik, Bd. 8. 8. 617. Diese Regens-
bnrger Judenuniversit&t soll im Jahre 1519 nach Fürth verlegt worden
sein. Zo8t, Geschichte der Jaden, Bd. 8, S. 189. Falck, Neues Staats-
bürgerliches Magasin, Bd. 1, 8. 778 f. Maarer, Dentsches 8tftdteweseo,
Bd. 2, 8. 608.
^) Jbn jähr 5882 bin ich kommen hieher in die heiUge gemeine ca
Wirmeyso , zu lernen anf der hohen schul , das selbigmal ist rabbioer
gewesen der vortrefliche und hochwürdige alte EU.** Bchaab, Geschichte
der Juden in Mains, 8. IL Maurer, Deutsches St&dtewesen, Bd. 8, 8. 608.
— 87 —
Erlaabnis, neben dem seitlierigen Lehrer Rabbi Salomon Koben,
der dort schon längere Zeit wirkte, ebenfidls als Lehrer thätig
zu sein; so wirkten eben dort nebeneinander die Rabbiner
Israel und Kuppelmann in Terträglichster Weise. Immerhin
that es in der Regel auf die Länge nicht gut, wenn mehr
ab ein Lehrer vorhanden war, indem leicht deijenige, welcher
sich mehr „applausnm^^ erwarb, vom andern, dem er die
„Lehrlinge^^ wegnahm, angefeindet wurde und so aus Neid
Uneinigkeiten unter den Lehrkräften ausbrachen, die beim
kritischen Geist, welcher dem Judentum innewohnt, manchmal
zu harten geistigen Zweikämpfen führten. So kam um das
Jahr 1406, zur Zeit des Rabbi Kuppelmann, ein weiterer ge-
lehrter Rabbi nach Nürnberg, der ebenfalls Vorträge hielt und
grossen Beifall fand. Rabbi Kuppelmann suchte infolge dessen
den Wettbewerber zu drücken und dieser Streit der beiden
Amtsgenossen drang in weitere Kreise über die Grenze der
Nürnberger Judengemeinde hinaus, so dass der Mehari Weil
ein Mahnschreiben an die Nürnberger Judengemeinde erliess,
die aus Neid entstandene Streitigkeit und Unordnung in der
Gemeinde einzustellen und alles zu vermeiden, was die Ge-
meinde in der Leute Mund bringen könnta Die guten Ab-
sichten des Rabbi Weil fruchteten indess bei Rabbi Kuppel-
mann nichts, so dass der Rat in Nürnberg einschreiten musste
und bestimmte, dass alle Juden, die in Nürnberg bürgerlich
seien, das Recht haben sollen, ilure Kinder von dem fremden
Rabbi in ihren Häusern unteorweisen zu lassen, da dies von
Alters her so gehalten worden sei. Der fremde Meister und
der Rabbi Kuppelmann sollen je einer einen Tag auf dem
Gemeinhause lesen und der andere den andern Tag tmd wer
dann nur den einen hören wolle, solle es thun, wer aber
beide hören wolle, solle dies auch dürfen.'^
Auch in Ulm bestand offenbar schon frühe eine jü-
dische Hochschule und das geistige Leben an derselben
war ein sehr reges, wenigstens lässt hierauf ein Streit
schlieesen, der am An&ng des lö. Jahrhtmderts, in einer Zeit,
in welcher das Judentum woU seine glänzendsten Tage
in Deutschland hatte, sich zwischen dem Rabbi Simelin
zu Ulm und drei anderen daselbst befindlichen Rabbinern,
nämlich zwischen dem Rabbi Seligmann, dem Rabbi Lafen
und dem Rabbi Gereon, wegen einer Sache spielte, welche
der Rabbi Simelin nicht gemäss der Ordnung der Nürn-
bergischen Rabbiner hatte befolgen woUen, obgleich
Simelin diese Ordnung selbst unterschrieben hatta Es gab
dadurch Streit zwischen ihm und den anderen Lehrern in
Ulm, der sich auf die Gemeindegenossen ausdehnte, und
*^ WflrÜBl, NOnibergs Judengemeinde, S. 56 ff.
— 38 —
das „MiflSferständnis^^ frass immer weiter, indem SimeUn nicht
nur gegen seine drei G^egn^ schimpfliche und ehrenrührige Worte
ansstiess, sondern andi zahlreichen anderen Leuten , weldie
sich ihm entgegengestellt hatten, bei der Obrigkeit üble Dinge
Torwarf^ so dass der Ulmer Gemeindeforstand schliesslich kdnen
Rat mehr wusste, was er mit dem Simelin anfEmgen sollte, und
den Entschluss fasste, mit ihm nach Nürnberg eu reisen
und der dortigen Gemeinde den Fall zum Schiedsspruch za
übertragen. Die jüdische Hochschule in Nürnberg
erkannte denn auch in dem Streitfalle zu Recht, dass der
Rabbi Simelin „wegen seiner grossen und yielfältig
begangenen Sünden'^ nicht eher Vergebung zu hoffen habe,
bis er wahre Busse wirken werde. Es hatten sich infolge
dessen der ganze Ulmer Judengemeinderat und der Rabbi
Simelin am Peterstage wieder nach Nürnberg zu verfugen
und da hatte sich Simelin mit denen zu versöhnen, die er
durch seine Hartnäckigkeit beleidigt hatte. Der R^ctor der
Nürnbergs Hochschule, Rabbi Weil, sdirieb dem Rabbi
Simelin die Art und Ordnung der Busse und Aussöhnung
genau vor unter dem Beifügen, dass bei Nichterfüllung dieser
Vorschriften der Bann üb^ ihn erfolgen werde. Das Er-
kenntnis hatte folgenden Wortlaut: Du, Simelin, sollst gehen
auf den „Migdal*^'*^ zwischen dem Gebet Asdire und Lsr
menazeach und sollst also sagen: „Höret mir doch zu, ihr,
meine Rabbiner I Ich, Simelin, bin ein Verräter gewesen, ich
habe gebrochen die Verordnungen, welche die Rabbiner ge-
macht und wobei ich mich selbst nebst ihnen unterschrieben
habe. Ich bitte Euch alle um Verzeihung meiner Sünden.''
Diese öffentliche Abbitte des Rabbi hatte in den drei Juden-
schulen von Ulm, Nürnberg und Konstanz zu erfolgen.'^)
Ob sich der Rabbi Simelin derselben in der That unterworfen
hat, ist nicht angegeben. Was bei dieser Angelegenheit, deren
nähere Untersuchung nicht in das Gebiet der Wirtschafts-
politik gehört, aber sicherlich des Schweisses eines geeigneten
jüdischen Litterarhistorikers wert wäre, von besonderem In-
teresse erscheint, ist die Thatsache, dass damals in der Zeit
der geistigen Kämpfe im christlichen Lager, in der Zeit der
Hussitenkämpfe und des Konstanzer Konzils, auch in
den j üdischen theologischen Kreisen ein geistiger Kampf geführt
wird, dass wir hier gleichlaufende Erscheinungen haben, welche,
dem allgemeinen Kriticismus des Zeitabschnitts entsprungen,
im Christentum wie im Judentum ihre Folgen äussern. In-
teressant ist weiter, dass entsprechend ähnlichen Verhältnissen
*^ „Migdal'S eigentlich Tonn, ist der erhöhte Ort in der Jadenschale,
von welchem aas diu Gesetz verlesen wird, also soviel als Kansel,
theatram, ^banzl, pro rostris, hebräisch dachan oder bimah.
**) WQrfel, Nflrabergs Jadengemeiade. S. 60 ff.
im christlichen Glaabenastreitlager auch bei den jüdischen
Geisteskämpfem sich damals unter Führung der Nürnberger
Hochschule eine Art Yon schnlmässiger Disputierknnst heraus-
bildete, welche, unter dem Namen „Nümbergerei^^ berüchtigt,
darin bestand, dass der Streitende eine Sache, die anfänglich
deutlich war, durch allerlei gewandte Einwendungen derart
verwirrte, dass sidi der Gegner nicht mehr zurecht fand und
so abgeführt wurde. '^
•. Der Fiitdbot
Wie die Judengemeinden ihre eigenen Erbauungs-
häuser und Erziehungsanstalten haben, so besitzen
sie auch ihre eigenen Friedhöfe. So bestätigt im Jahre 1266
der Erzbischof von Köln der dortigen Judengemeinde ihre
altbergebrachten Freiheitsrechte, lässt dieselben zum besseren
Gredächtnis in zwei Steintafeln einmeisseln und diese in der
Schatzkammer des Domkapitels einmauern. In diesem Privileg
nun wird den Juden seitens des Erzbischofs zugesichert, sie sollen
ohne Rücksicht auf die Todesart und ihre etwaigen
Verbrechen, gleichviel woher sie kommen, ohne
irgend eine Abgabe auf dem Judenkirchhof ausserhalb
der Mauern von Köln begraben werden; ausgenommen sollten
hievon nur diejenigen sein, welche im Judenbanne ge-
storben oder zum Tode verurteilt worden waren. Auch
sollte kein Amtmann oder Kichter von Köln auf dem Juden-
kirchhofe oder in solcher Nähe desselben, dass es als Schmadi
für die Juden erscheinen konnte, ein Todesurteil an Juden oder
Christen vollziehen lassen dürfen.^) So wird im Jahre 1296
vom König von Aragon der Judengemeinde von Montpellier
bei dessen Anwesenheit in der Stadt das Recht erteilt, einen
eigenen Kirchhof zu haben. *^) Wie die Häuser und Hofstätten,
so waren auch die Synagogen und Friedhöfe der Judenge-
meinden im Mittelalter meist nicht Eigentum der betreffenden
^*) Compellimnr credere, Judaeos, qni f aondam Noiimbergae habita-
bant, Itaine ante ceteros tribolea penpicacia ingemi et doctrinae aingolarig.
Quippe in praesena ua^ue tempoa (nee dabiam in omne volubUe aeTom
idem hoc anratanim) in eonmdem academiis, qnas Polonia freqaentei
habet, ^Vnemberger** vocantar difficiüora loca, in qniboa, qnod prins
certom quodammodo erat, fit deinde incertum et ex matao conflictn ra-
tionum utrinque allatarnm ezorinntor pronns ineztricabiles. WagenaeU,
Gommentarios de dYitate Noiimbergae, Gap. 21. Als praktisches Beispiel
fUr diese Art von Dispatterkunst wird angeführt: Ein Bauer führt einen
schwer beladenen Wagen Stroh an Markt, dem ein anderer begegnet
Er fragt: „Bauer, was führst du gen Markt?** Der Bauer antwortet:
^ e JLT Der Andere antwortet: Das ist doch kein Heu, sondern Stroh.
Der Bauer fertigt ihn ab, indem er säst: Wenn dn es weisst und siehst,
warum fragst du dennoch? Wfirfel, NOmbeigs Judengemeinde, S. 64 ff.
**) Stobbe, Jnden in Deutschland, S. 91.
*^) Aigrefenille, Geschichte von Montpellier, Buch 6. Depping, Juden
im Mittelalter, 8. 166 f.
— 40 —
Jaden, sondern irgend eines hohen geistlidien oder weUüduB
Lehensherm , sie waren reichdehenher und standen dann im
Schntie des Reichs, oder sie gehörten einem Bischoi, einem
Abte, einem Ghrafen n. s. w. und standen dann in desaen
Schnts, wie dies im Mittelalter allgemeine Sitte war. Es ist
derselbe Grund des bessern Schutzes, der die Joden veran-
lasst, auf eigenes Grrundeigentam zu verzichten und in der
Miete des Reichs oder eines sonstigen Machthabers zu wohnen,
welcher damals Tausende von kleineren Grundbesitzem ver-
anlasste, sich in den Schutz jener Grossen zu begeben. Was
manchem minder mächtigen alten Edelmann bei den damaligen
bewegten Zeiten begehrenswert erscheinen muaste, der Schatz
eines geistlichen oder weltlichen hohen Landesherm, wie vid
mehr muste diess dem fremden Juden begehrenswert sein?'^
So kaufen im Jahre 1283 die Juden von Paris dem KanonikDS
Meister Gilbert dessen Garten ab und machen einen Kirchhof
daraus. Da der betreflfende Kanonikus diesen Garten sb&
von der Krone zu Lehen trägt, bestätigt diese den Kau!**)
So bezahlen im Jahre 1283 die Juden der proven^alischen
Städte Aiz, St Mazimin, Lambesc, Pertuis und der
Dörfer Istres, Cadenet, Tretz und Lanson dem Erz-
bischof von Aiz einen Jahreszins von grobem oder fieinem
Pfeffer von einem halben bis zwei Phind für die Erlaubnis,
eine Synagoge, ein Gesetzbuch, eine ewige Lampe und
einen Kirchhof zu haben.*") So weigert sich im Jahre 1333
die Judengemeinde des Dorfes Malaucene, Diöceee Yaison,
in der Provence, gegen den Rat ihrer Vorsteher, künftig
für ihre Schule und ihren Kirchhof die seitherige Abgabe
von 1 Pfund Pfeffer, 1 Pfund Ingwer und 2 Pfund Wachs
zu bezahlen.'^ So gehören die Synagoge und der Judenkirchhof
in Schweinfurt dem Reiche, ebenso ist es in Bamberg, wo
König Mazimilian dieselben im Jahre 1487 auf 10 Jahre einem
Juden zu Lehen gihi^); so gehört auch die Ulm er Synagoge
samt dem Friedhofe nicht etwa der Ulmer Judengemeinde,
sondern zwei Ulmer Geschlechtem, welche die betreffende
Liegenschaft der Ulmer „Jüdischheif* mietweise über-
lassen. Am 5. Mai 1354 verleihen der Ritter Konrad (Rot?)
der Seffler tmd Krafffc, der Sohn des seligen Lutz Krafft,
Bürger zu Ulm, der Judengemeinde in Ulm und ihren
*^ Unde priocipes, barones et comites et nobiles, meldet Felix Fabri,
der Ülmer Gbronist. se et soa dominia sponte monasterüs sabjidebant
et vehementer dolebant, quibos impedimenta erant, quod religiosu dari
non poterant, quia in tractatiboi et diaetis nobiliom prae oeteris lioiion-
bantor iUi, qoi monaateriis inoorporati erant Veesenmeyer, Tractatns
FeUcis Fabri, 8. 28.
"*) Depping, Joden im Mittelalter, ^. 188 and 268.
■«) Wiener, S. 211, No. 706 und S. 96, No. 124. Stobbe, Jaden in
Deutadüand, 8. 169.
— 41 —
Nachkommen die Synagoge mit dem dieselbe umgebenden
Schnlhofe bis an das Hans des Zimmermanns Heinrich und in
derselben Weite hemm um die Synagoge bis an die Bfaner, an
der firüher das Tanzhaas der Jnden stand, und weiter die
Hof statte von der Mitte dieser Mauer bis an den Weg YOr, mit
dem Keller, der dazwischen ist bis an die Synagoge. Die
Jaden sollen diese liegenschaiten ewig rahig gemessen und
lediglich yerbonden sein, 11 Pfund gute Häller Zins nach
Zinsrecht jährlich zu geben, und zwar 40 Häller weniger
als 6 Vfd. Hlr. den Ulmer Bürgern und dem Pfaffen zu
St Moritz in Augsburg 13 Seh. 4 Hlr., die dieser aus
der Hofslätte mit dem Keller bei dem Brunnen an der
Synagoge als Zins erhält, und die übrigen 4Vs Pfd. Hlr. sollen
sie den Vermietern oder ihren Erben jährlich nach Zinsrecht
halb zur Sonnenwende und halb zu Weihnachten mit der Be-
dingung bezahlen, dass sie das Recht haben, diese 4 Vi Pfd.
Hlr. alunilösen, und zwar je 1 Pfd. mit 13 Pfd. Hlr., während
die übrigen 6^/2 Pfd. aus der Synagoge und der Hofstätte
ewig bleiben soUen. Die Stadt erhält also 6 Pfd. weniger
40 Hlr., also 5 Pfd. 16 Seh. 8 Hb., nach Augsburg müssen
bezahlt werden 13 Seh. 4 Hlr. und an die beiden Vermieter
Seffler und Krafit 4 Pfd. 10 Seh., was zusammen 11 Pfd.
ei^bt. Weiter wurde bestimmt, die Mauer, an welcher früher
das Tanzhaus gewesen sei, solle eine gemeinschaftliche Mauer
sein, so dass man beiderseits daran bauen dürfe, die übrige
Ho&tätte aber BoUe niemals bebaut werden und kein „Privet^^
oder eine andere „schamUche und unredliche Sache" dort
errichtet werden. Und da die Juden Sorge haben, dass der
Pfaffe zu St. Moritz in Augsburg sie wegen des Zinses
kränken könnte, den er seither aus der Synagoge und aus
ihrer Gemeinde und einigen Ho&tätten erhalten hatte, so
kommen die Vermieter mit der Judengemeinde überein, dass
sie diese 4^2 Pfd. alljährlich nach Augsburg bezahlen
wollen. Die Vermieter versprechen dabei, die Hofslätte und
deren Zinsen nie anderweit zu verleihen, zu versetzen oder
za verkaufen, ohne dass der Pfaffe zu Augsburg und die
Ulmer Jndengemeinde ihre Einwilligung dazu gegeben haben;
sollte aber der Augsburgcr Zins abgelöst werden, so sollten
sie den etwaigen höheren Zins, den sie dafür erhalten, behalten
dürfen, nur sollte der Pfaffe jederzeit seinen Zins zuerst er-
halten. Kamen aber die Vermieter mit dem Pfaffen zu Augs-
burg dahin überein, dass dieser die Ulmer Juden ihres Zinses
entband, so sollten die Vermieter mit ihren Hofstätten und
Zinsen anderweitig an&ngen dürfen, was sie wollten, ohne dass
die Juden sie daran hindern durften. Ausserdem wurde ab-
gemacht, dass wenn die Juden die 4 Vi Pfd. Hlr. ablösen
wollten, diese Summe einem ehrbaren Kramer ausgefolgt
— 48 —
werden nnd dieeer sie in Händen behalten sollte, bis die Ver-
mieter oder ihre Erben dieselbe wied^ anderswo an 2m
gelegt haben, nnd es sollten dann diese Zinsen den Juden und
dem Pfiiffen zu Augsbnrg als Haftung für die Zinsen dienen,
die sie abgelöst hatten. Als Bürgen wurden von den Ver-
mietern den Juden gegenüber eingesetzt der derzeitige Boigor-
meister Lutz K rafft und die Bürger Peter Er äfft, KomA
Erafft und Peter you Giengen mit der Bestimmung, dass
wenn die Vermieter den übrigen Zins nicht ohne Schaden für
die Juden bezahlen, diese das Recht haben sollten, die be-
treffenden Bürgen zu mahnen, dass „sie selbst oder ihie
Boten zu Haus und Hof und unter Augen leisten^\ und es
sollten ihnen diese nach der Mahnung unverzüglich mit
guten ehrbaren Pfändern Bürgschaft leisten müssen, so dass
der übrige Zins vollständig und ohne Schaden entrichtet würde.
Sollte aber ein Bürge mit Tod abgehen, „da Gott vor sei^,
so sollte binnen 14 Tagen auf Mahnung der Juden diesen
ein anderer Bürge gesetzt werden. Bürgermeister und Bat
siegeln die Urkunde.*^) Ebenso verleihen im Jahre 13ö6 da:
BürgermeiBter Ulrich Bot, der Sohn des Otto Bot, in Ulm und
Walter Bitterlin der „Jüdischheit daselbst^' den Judenkirch-
hof vor dem Neuen Thore als Zinslehen und die Ulmer Juden
stellen einen Gegenbrief dafür aus ^^) und am 4. Dezember 1354
verkauft der Ubner Bürger Krafft am Eommarkt an die
Juden daselbst das Nachbarrecht, das er gegen das Haus des
Zimmermanns Heinrich hat'^) Am 24. August 1360 beurkundet
die „gemeine Jüdischheit**, cL h. die Judengemeinde in Ulm,
Reiche und Arme, dass sie mit dem bescheidenen Juden
Fiflin von Memmingen, Bürger zu Ulm, betreffs dessen Hauses
und Hofraite bei ihrer Synagoge und ihrem Schulhofe
dahin übereingekommen ist, dass sie dem Fiflin erlaubt hat,
dieses Haus zu kaufen und darauf zu bauen, wie er es jetzt
„bezimmert und beheimt'* hat, und dass sie ihn weder mit
jüdischem noch weltlichem Recht oder sonst in irgend einer
Weise hierin verkümmern werde. Fiflin soll das Li cht recht
zu seinem Hause in den Judenschulhof haben, doch muss
er alle seine Lichter in der Art vergittern, dass man gerade
noch mit der Faust durch die Gitter stossen kann, und nie-
mand darf von seinem Hause aus etwas in den Judenschulhof
schütten oder werfen. Sollten Fiflin oder seine Erben das
Haus verkaufen wollen, so sollten sie es zuerst der Ulmer
Judengemeinde zum Kaufe anbieten müssen; soUte diese dann
das Haus nicht kaufen wollen, so sollte er es einen Monat
lang den anderen Juden zum Kaufe anbieten müssen und
erst wenn es keiner derselben woUte, sollten sie es ander-
'*) Baiing und Veeienmeyer^ Uknisches Urkundenbuch, Mipt
— 48 —
»tig Terkanfen dürfen. Der Kaufpreis, welchen Fiflin der
imer Jadengemeinde für das Hans erlegt, beträgt 13 Pfand
ite Haller und die Judengemeinde behält sich das Becht
r, ihre Synagoge höher zu rüsten und zu bauen, als sie
ither ist; ferner seil Fiflin die Verpflichtung haben, die
nne zwischen der Synagoge und dem von ihm erkauften
luse zu unterhalten. Zeugen und „Satzleute" bei diesem
iuiVertrage sind die drei Ulmer Bichter und Bürger Er äfft
1 Kommarkt und Ulrich und Eonrad Bot, welche alle drei
)geb, wie auch Bürgermeister und Bat ihr Oemeinsiegel
idrüdcen.**) Eine weitere Nachricht endlich erhält man
n der Ulmer Judengemeinde unterm 22. Januar 1386, an
ilchem Tage Biainz Walle, Bürger zu Ulm, in den Dienst
or Juden in Ulm als deren Eirchhof- und Hausdiener
itt")
Betrachtet man die Verhältnisse, wie sie sich aus diesen
achrichten ergeben, so bekommt man Licht in einige Stellen
» Friedensvertrags der Stadt Ulm mit der Graf-
3haft Wirtemberg vom Jahre 1392. Da nämlich die
eichenauer Elosteryogtei in Ulm den Grafen yon
urtemberg gehörte, welche dieselbe am 4. Januar 1259 nach
Bm Tode des Ghrafen Albert von Dillingen von den Vor-
lündem des Eönigs Eonradin von Hohenstaufen in Wasserburg
n Idb nebst der Würde und Gewalt eines Marschalls in ganz
chwaben und dem Ulmer Pirschgeiicht zu Lehen erhalten
atten^^), so versteht man es, wenn Graf Eberhard der Milde
on Wirtemberg nach dem Tode Graf Eberhards des Greiners
ich in dem Friedensverträge, den er am 15. März 1392 mit
ier Stadt Ulm schliesst, darüber beschwert, dass die
Jimer die Vorstadt Schweighof en, das heutige Neu-Ulm,
^kochen haben, wo ihm als Schirmvogt das Herbergsrecht
uid der Gerichtsstab zustehe, dass man die der Familie Bot
;ehörigen Häuser, Höfe und Gärten, welche von Wirtemberg
:u Lehen gehen, niedergerissen und die neue Pfarrkirche,
'• h. den Münsterbau, an deren Stelle gesetzt habe,
^ man das Haus des Peter Bot samt Hofraite und Baum-
a^urten abgebrochen und das neue „Salzhaus*' oder Eauf-
'^ans, die „Gret", dort erbaut habe, dass die Stadt die in
Hm wohnenden, im wirtembergischen Schutzverbande
^henden Christen und Juden durch Verlangen übermässiger
Renate, Leistungen und anderer Dinge schwer geschädigt
habe. '*) (jehen diese Gesässe durch die Abfindungen der Stadt
P Preuel, Geschichte der ülmer Joden, S. 80.
12 Buing and Veeaenmeyer, ülmiiches Urkondenbucb, Mspt.
2 StUin, Wirtembergiache Geschichte, Bd. 2, S. 488.
. 1 Fressel, Dlmisches Urkondenbuch, S. 95. Jftger, Ulms Ver-
^, 8. 168.
— 44 —
mit dem Kloster Reichenau im Laufe des 16. JalulmiidartB
an das Reich üb Besitserin der Stedt Ulm über, so ergibt od
aachf dass Kaiser Maximilian in Tollem Recht war, wenn er
nach der Answeisnng der Ulmer Jndengemeinde im Jahre 1^
den Jadenfriedhof samt dem darauf stehenden Hanse
namens des Reichs an die Ulmer Stadtgemeinde teilaiift.
Derselbe war bei der „alten^* Schwestermohle tot dem Neaen-
thore an der Ringmauer der Stadt an der Blau neben den
, JLohstocke** und die Stadt überliess denselben im Jahre 1499
der Mamerzunft, um darin ihre Rahmen zum Ausspanneii
der Mamertücher aufzuschlagen.^
Auch in Nürnberg findet man einen grossen Juden-
friedhofl So sterben im Jahre 1367 in Nürnberg so
viele Juden am schwarzen Tode, dass ihr Leichenhof
erweitert werden muss, und ebenso sterben daselbst im
Jahre 1407 yiele Juden an den Blattern, so dass der
dortige Leichenhof wiederholt vergrössert wird; andi im
Jahre 1437 sterben so yiele Juden in N&mbcffg an den
Blattern, dass der Friedhof abermals erweitert wird. ^^ Nidit
jede Jndengemeinde hatte übrigens ihren eigenen friedhot
wie auch nicht jede Gemeinde ihre eigene Synagoge hatte.
Unter König Philipp IV. Yon Frankreich (1285—1314)
dürfen die Juden in keiner Diözese mehr ab einen Kiidihof
haben und in England haben ursprünglich die Juden das Be-
erdigungsrecht nur in London/^ Die Folge war denn auch,
dass manche Gemeinden genötigt waren, ihre Leichen aus-
wärts auf einem andern Judenkirchhofe zu bestatten« So
erhalten im Jahre 1325 die Juden des Herzogtums Bayern
die Freiheit, ihre Toten zollfrei auf dem Judenfriedhofe su
Regensburg zu begraben; so war im Jahre 1370 die Be-
gräbnisstätte fQr die Juden des Herzogtums Schweidnitz
der Judenfriedhof in Schweidnitz; so hatten die Juden des
Bheingaus ihren Begräbnisplatz auf dem „Judensande'' zu
Mainz; ebenso dienten der Worms er und der Frank-
furter Judenkirchhof einem grossem Gebiete als Begräbnis-
stätte und im Jahre 1394 erlaubt die Stadt Basel der
dortigen Judengemeinde, einen neuen Kirchhof zu erwerben
und auf demselben auch auswärtige Juden zu beerdigen;
ebenso gestattet im Jahre 1381 der Rat von Zürich seiner
Judengemeinde, fremde Juden auf ihrem Friedhofe zu be-
graben, und im Jahre 1383 erteilt der Bischof von Konstanz
der dortigen Judengemeinde eine diesbezügliche Ordnung für
*^ Urkunden- und Veriragsbacb, Bd. 8, Bl. 1224. Mspt Ulm. Stadt-
arcbit. Viertes Gesetzbuch, B]. 284b, Mspt Uhn. Stadurehiv. Miller,
Ulms Wasserwerke, S. 20. Jager, Ulms Yerfassung, 8. 409.
*M Würfel, NQmbergs Judengemeinde, 8. 77 und 95.
«*) Deppng, Juden im Mittelalter, 8. 184 und 125.
— 46 —
ihren Judenfiriedhoi Für die Beerdigung der Jaden war
deeahalb anch eine bestimmte Abgabe seitens der betreffenden
Grandherrschaft eingesetzt, welcher das Grabrecht zustand.
So bezog im lö. Jahrhundert der Erzbischof YOn Mainz
Ton jedem Juden unter 13 Jahren, der in Mainz begraben
wurde, 1 Gulden, von jedem Juden über 13 Jahren 2 Gulden,
in Frankfurt am Main kostet das Begräbnis eines Juden-
kinds einen halben Gulden, eines ledigen Juden 1 Gulden,
eines verheirateten Juden 2 Gulden.^*) Daneben erwuchsen
den Angehörigen noch Kosten für die Geleitsicherung der
betreffenden Leichname auf dem Wege zum Friedhofe. So
beträgt im Jahre 1311 das Geleitgeld für einen toten Juden
for die Strecke von Passau nadi Straubing ein halbes
Pfand Passauer Pfennige und ein Pfund Pfeffer. In Augs-
burg sind im Jahre 1276 für jeden toten Juden, welcher
nach der Stadt gebracht wird, 30 Pfennige zu erlegen, wäJhrend
im Jahre 1433 die Taxe einen rheinischen Goldgulden be-
trägt; in Löwenberg zahlt jeder, der einen fremden toten
Jaden hereinführt, einen „Vierding/' ^^ So erhebt die Stadt
Ulm im lö. Jahrhundert nach der Eirchberger Jller-
brückenordnung von jedem Judenleichnam (ain toter Jud),
der Ton auswärts zum Begräbnis auf den Ulmer Judenkirch-
hoi gebracht wurde, einen Brückenzoll Yon 6 SchilL 8 Hlr.^^),
au der Ulmer Herdbrücke einen solchen von 3 SchilL 4 Hlr.
imd an der Geislinger Zollstätte 1 Pfd. Hlr.^^) Dagegen
stellen sich die älteren Zollordnungen des 13. Jahrhunderts
in dieser Beziehung auf einen judenfreundlicheren Standpunkt
So bestimmt der Judenfreiheitsbrief der Herzöge von Oester-
reich: „Yon rechte sal kein iodde czoln noch mauten, her
sie lebende oder tod, wenn also ein christenmann; wo sie die
zcolner ober daz twingen, daz ist ein roub;^' ebenso war in
Köln den Judenleichen Geleitfreiheit eingeräumte^
t Dm Spitil.
Zu nennen ist hier femer der „Juden spital", wo
die kranken Genossen der (Gemeinde oder fremde Juden ihre
Pflege erhalten, wie wir dies in Ulm sehen oder in Mar-
seille, wo im Jahre 1471 der Jude Bonias Salemas den
beiden jüdischen Spitälern einen Jahreszins von 4 Mass
Wein und 1 Mass Oel vermachtet) Wer einen Juden eine
Nacht in der Stadt oder Yor derselben beherbergt, der
nicht das Geleite hat, bestimmt das Nürnberger Judenrecht,
mii88 für jeden Juden einen rheinischen Gulden Strafe be-
^ Stobbe, Juden in Deutschland, S. 270.
n Eid- und Ordnongsbuch C, Mspt., Ulmer StadtarehiT.
*^) J&ger, Ulm im Mittelalter, 8. 899 und 410. Maurer, Deutadies
Stldteweieo, Bd. 2, S. 609. Deppmg» Jaden im Mittelalter, S. 265.
— 46 —
zalden und Niemand darf bei der Strafe Ton 1 Gnldra
ffir jeden Tag einen Jaden oder eine Jüdin länger bd ndi
behalten, als ihm die Bürger das Geleite gegeben habeo,
ebenso wie kein Jude bei Strafe von 1 Pfd. Hlr. einen Christen
über Nacht bei sich beherbergen darf, der nicht sein ge-
dingter Ehehalte ist^*) Das Ihlten von christlichen Dieostr
boten war also auch in Nürnberg wie in Ulm den Juden im
14. Jahrhundert noch gestattet und ist ihnen wohl auch dort
wie im ganzen Reiche erst am Anfang des lö. JahrhundertB
wieder yerboten worden.^*)
g. Dm Bftd, d« BruBfB vid du Vuiktat.
Weiter gehört hierher das „ J u d e n b a d.^* Nach kanonisdiem
Rechte durfte kein Jade in einem „gemeinen^, d. h. öfientlidieD
Bade baden und so errichteten die Juden fast überall, wo sie
eine Ansiedlung gründeten, ihre eigenen Badehäuser, wie wir
solche z. B. in Köln, Augsburg, Speier und Ulm finden.^^
So bestimmt z.B. die Nürnberg er Judenordnung, die Juden
sollen bei Strafe von 1 Pfd. Hlr. für den Juden oder die
Jüdin und 60 Hlr. für den betreffenden Badmeister nur in
ihren Judenbadstuben baden dürfen, während allen christlichen
Männern und Frauen das Baden in den Badstuben von Juden
bei Strafe von 60 Hlr. verboten war.^^ So bestimmte auch das
Augsburger Stadtrecht vom Jalire 1276, dass die Juden
nicht bei den Christen baden sollen, und im Jahre 1290
erlaubte der Rat von Augsburg den Juden aaf ihre dringende
Bitte, ein eigenes Bad haus zu errichten, in welchem sie und
ihre Kinder und ihr Gesinde, auch das christliche, und
fremde Juden sollten baden dürfen. Nur sollte der Bad-
meister bei 5 Schill. Augsb. Pfg. verpflichtet sein, keine andere
Christen dort baden zu lassen, als solche, welche im jüdische
Dienst standen.^^) So dürfen in Marseille die Juden die
öffentlichen Bäder nur am Freitag, und die Freudenmädchen
und Sklaven diese Bäder nur am Montag besuchen.^") So waren
auch genaue Bestimmungen über die Reinhaltung der
Judenhäuser getroffen. Die Juden müssen ihre Gassen und
Häuser rein halten, heisst es in der alten Nürnberger Juden-
ordnung und dürien keinen „Eersel^*, d. h. Kot, oder andern
„Wust*^ in ihren Häusern oder an den Brunnen ausgiessen.
Hat ein Jude einen „Krug^\ d. h. einen Abort, in seinem
Hause, so soll er das Wasser und den Kersel mit dem Regen
ablassen, und wenn es zu lange nicht regnet, soll er es bei
Strafe von 60 Hirn, des Nachts fortschaffen und ausschöpfen
lassen, damit es bei Nacht abrinne.^*) Auch hat ihr Viertel
**) Würfel, Nürnbergs JudengemeiBde, 8. 75 and 88 f.
*^ Maurer, Deataches Stadteweaen, Bd. 2, 8. 609.
*n Meyer, Stadtbach von Aogabo», 8. 58. Depping. Jaden im
Mittelaltar, 8. 855.
— 47 —
eisen eigenen «Jadenbrnnnen^^ wo sie ihr Trinkwasser
holen^ wie wir einen solchen in Köln und Ulm finden ^') und
in Montpellier, wo die Jnden schon im 10. Jahrhundert
ihren eigenen Brunnen haben, der mit Kammern umgeben ist,
die wahracheinlich den Judenfranen zur Reinigung dienten^,
wie auch im Jahre 1419 im Dauphin^ befohlen wird, die
Juden sollen künftig überall eigene Brunnen, Backöfen
und Mühlen haben. ^
Endlich gehört hierher das ^Judenspielhau8^\ wie wir
es z. B. im Jahre 1288 in Köln finden, oder das „Juden-
tanzhaus^S wie es in Ulm heisst, wo die Genossen ihre
Festmahle, Hochzeiten u. s. w. abhalten. ^^)
h. Dm SoUMhthaw.
Weiter ist Yon öffentlichen Anstalten zu nennen das
Schlachthaus. Der Aufkauf von Vieh war den Juden
nur auf den öffentlichen Viehmärkten gestattet; aller
anderweitige Viehaufkauf war ihnen wie überhaupt jedem, der
kein Ang^öriger der Metzgergenossenschaften war, verboten,
seit diese Genossenschaften von den Stadtbehörden den
Zwischenhandel mit Vieh zu Lehen erhalten hatten.
So bestimmte die Nürnberger Judenordnung, kein Jude
sollte, bei Strafe von 1 Pfd. Hlr. für jedes anderweitig gekaufte
Stuck, Rindvieh in der Stadt oder in der Vorstadt oder ausser-
halb der Stadt kaufen ausser auf dem Viehmarkt, wobei die
Hälfte der Strafe der Käufer, die andere Hälfte der Verkäufer
tragen sollte.^*) Besondere Vorschriften bestanden namentlich
für den Fleischhandel der Juden, wie dies die von den
christlichen Vorschriften betreffs des Fleischgenusses ab-
weichenden Speisegesetze der Juden mit sich brachten. Da
der Jude im Unterschied vom Christen nur ausgeblutetes oder
geschächtetes Fleisch und auch von diesem Fleisch nur
bestimmte Körperteile essen durfte, ergab sich hiedurch
die Notwendigkeit besonderer Ordnungen für den Handel mit
jüdischem Fleische. Schon in den Jahren 1254 und 1258 wird
durch Konzilbesdüüsse den Juden verboten, Fleisch an den
christlichen Fleischbänken zu verkaufen^) und im
Jahre 1310 befiehlt König Heinrich von Luxemburg, da es sich
gezieme, dass das Reich jedermann, der unter ihm stehe, Ruhe
und Gtomach nach seiner Ordnung tmd seinem Wesen bereite
und es desshalb „nicht unzienüich sei'S dass diejenigen,
welche „das Gelübde und das Leben'* betreffs der Qemein-
^ Stobbe, Die Juden in Deutschland, 8. 05.
n Depping, Jnden im Mittelalter, 8. 169 und 162.
*>) Ennon^Gesduchte der Stadt Köln, Bd. 1 , 8. 476. Baxing und
VeewniDever, Ulm. ürkondenbuch, Mnrt.
*^ WflrfiBl, MOmbergi Judengemebide, 8. 168.
— 48 —
scbaft und des Glaabens geschieden habe, zar Vermeidung
▼on Aeigernis bei den Gläubigen, abgesondert und geschieden
werden, dass alles Vieh, welches künftig von den Juden
gefleischwerkt werde, nicht unter den Fleischbänken
der Christen yerkanft werde, sondern in ordnungsmässiger
Weise von den Juden in abgeschiedenen gesonderten Bänken
▼erkauft werden solle. Da nämlich die Juden keinen
hintern Teil yom Fleische essen dürfen, pflegen sie diese
Teile um billiges Geld an die Christen zu yerkaufen und es
wurde ihnen nun damals nachgesagt, sie haben derartigeB
Fleisch angespieen und das Wasser darauf gelassen, damit
die Christen den Tod daran schlucken.^*) So empfahl es sich
im Interesse des Friedens zwischen beiden Nationen, in dieser
Beziehung Vorschriften zu erlassen. Man hatto wegen dieser
uralten Volksmeinung betreffs des Judenfleischs schon in
alten Zeiten Gesetze erlasssen, welche den Verkauf Ton ge-
schächtetem Fleisch an Christen untersagten; die Juden hatten
es indess yerstanden, sich Freiheitsrechte zu yerschaffen,
nach denen ihnen der Verkauf ihres Fleisches an Christen
wieder gestattet wurde. So erlaubte der Bischof Rüdiger
yon Speier, als er im Jahre 1084 das Dorf Altspeier mit
der Burg yon Speyer zu einer politischen Körperschaft y er-
einigte, den Juden, sich auch in Dorf Speier anzusiedeln, wies
ihnen dort ein ummauertes Stadtriertel an, damit sie sidier
leben können, tmd gab ihnen neben den Rechten zum fireien
Handelsyerkehr, zur Erwerbung yon Grundbesitz, neben einem
eigenen Begräbnisplatz, eigenem Gericht und dem Recht, chiist-
lidie Dienstboten zu halten, das weitere besondere Vorredit,
dasjenige Fleisch, welches sie selbst nicht essen
dürften, an die Christen zu yerkaufen. Der Bischof
bemerkte dabei ausdrücklich, das seien so günstige Rechte,
wie sie die Juden nur in wenigen deutschen Städten be-
sitzen.^^) So war z. B. in Nürnberg betreffs des Fleiach-
handeis der Juden festgesetzt, wenn die Juden lebendes
Vieh kaufen, soUen sie es heimtreiben und es daheim
unter den Judenbänken schlagen und yerkaufen, nicht
aber unter den Christenbänken. Jeder Fleischmann, der
ihm selbst oder einem Juden gehöriges, yon den Juden ge-
sdilagenes Fleisch unter der Hand oder unter den Christen-
bänken yerkaufie, musste für jedes Rind 1 Pfd. Hlr., für
jedes Kalb und jede Gaise aber 60 Hlr. Strafe geben oder
er erhielt 1 Jahr lang Stadtyerbot. Dieselbe Strafe traf ihn,
wenn er heimlich yon den Juden geschlagenes Fleisch kaufte,
einsalzte oder unter anderes Fleisdi mischte und es heimlich
*^ WOrfeL NOmbergB JadengemeiDde, S. 87 f. Bnxtorf, Svoagog«
Judaica, Kap. äc, 8. 618.
^) Stobbe, Joden in DeaUeUaad, 8. 9.
— 49 —
oder öffentlich feilbot, auch wenn ein Gast oder Ausmann
geschächtetes Fleisch in die Stadt hereinführte, durfte er es
nur unter den Judenfleischbänken verkaufen. Dem
Rat von Nürnberg lag an der Einhaltung dieser Bestimmungen
80 viel, dass er besondere Aufseher bestellte, welche zu ver-
hindern hatten, dass irgend welches Judenfleisch unter den
Christenbänken verkauft wurde. Daneben galten auch für den
jüdischen Fleischliandel die allgemeinen Vorschriften der Stadt,
nach denen alles Fleisch nach der in der Stadt gültigen
Fleiflchverkaufs-Ordnung zu verkaufen war. Die Wage, das
„Gelöt^*, mnsste auch unter den Judenfleischbänken das
Eichzeichen der Stadt tragen und auch den Juden war es
wie den Christen verboten, Kälber zu schlagen, die
unter 4 Wochen alt waren. Das Fleisch, das die
Juden nicht mehr für sich wollten, durfte niemand
kaufen, um es wieder zu verkaufen, dagegen durfte
es jedermann zum Hausbrauche kaufen, nur musste diess
auf der Juden bank geschehen bei Strafe von 1 Pfd. Pfg.
an die Stadt und Stadtverbot durch den Burggrafen. ^^) So
bestimmt auch das Augsburger Stadtrecht vom Jahre 1276
betreffs des Judenfleischs: Alles Fleisch, das die Juden
schlagen, es mögen Rinder, Schafe oder Kälber sein, sollen
sie selbst töten, für das Fleisch aber, das sie nicht essen,
sollen sie eine eigene Judenbank haben, an der ein Jude
mit einem Judenhute auf dem Kopfe steht '^^) Auch in
Ulm galten schon im 14. Jahrhundert ähnliche Vorschriften:
Wer Schweinefleisch feil hatte oder Fleisch, das finnig
oder moderig war, ebenso wer Judenfleisch verkaufte
oder wer Farren schlachtete, durfte so lange kein bank-
mässiges Fleisch verkaufen, bis er diese nicht bankmässigen
Fleischsorten verkauft hatte, und im Jahre 1490 wurde ver-
ordnet, die Fleischschauer sollen ihr besonderes Augenmerk
darauf haben, dass alles „arge*^ d. h. nicht bankmässige.
Fleisch, wie finniges und moderiges Fleisch, Farrenfleif^ch und
Juden fleisch, in denhiezu eingerichteten besonderen Ständen,
den sogenannten „Freibänken'S verkauft werde und dass unter
das gute Fleisch kein solches „arges Fleisch*^ gemischt werde.
Das Fleisch, dessen die Juden bedürfen, sollen sie entweder
ganz, d. h. als lebendes Vieh, auf dem Viehmarkte kaufen,
oder wenn sie nur Hinter- und Vorderteil wollen, „unter dem
Fell" den Metzgern abkaufen, indem sie einen Mezger er-
suchen, er möge ihnen die nötigen Schlachttiere auf dem
Viehmarkte beschaffen.^^ Das Fleisch aber, das ihnen übrig
^ Wfirfe], Kflmbergs Judengemeinde, 8. 37.
^ Meyer, Stadtbuch von Augsburg, 8. 67 f.
, ülmer MetsgerorduuBg vom Jahre 1490. Zweites Geaetzbucb,
B1.92b f. Ulm. Stadtardiiv, Mspt. NQbling, Ulms FleiscbereiweseD, 8.14.
Jftger, Ulms Verfassung, 8. 628.
— 60 —
blieb, sollten sie lediglich im Hofe der Jadenschule feil
haben und ebendort sollten sie auch das von ihnen erkaufte
Vieh metzgen lassen und kein Metzger sollte ihnen an einem
anderen Orte metzgen dürfen oder ihnen ihr übriges Fleisch
anderswo feil haben. ^^) Weiter war den Juden schon sdt
alter Zeit verboten, an christlichen Fasttagen Fleisch zu
essen, ein Gebot, das namentlich unter König Philipp (1285
bis 1314) in Frankreich strenge durchgeführt wird.^*}
i. Dir LebanmittaUunf lad dit JadenbMkhna.
Wie betreffs des Einkaufs von Fleisch, so unterlagen auch
betreffs des Einkau fs ihrer sonstigen Genuss mittel die Jud^
schon frühe gewissen Einschränkungen, die aber um die Mitte
des 13. Jahrhunderts Milderungen erfuhren. So bestimmt z. B.
im Jahre 1264 Herzog Boleslaus von Polen, die Juden sollen
alles frei kaufen und verkaufen und die Lebensmittel
ebenso berühren dürfen wie die Christen; wer sie
daran hindere, solle um Geld gestraft werden.^') Aber schon
am Anfang des 14. Jahrhunderts machen sich auch auf
diesem Gebiete Rückschläge bemerklich. So verordnet im
Jahre 1310 König Heinrich von Luxemburg, es solle künftig
an den gewöhnlichen Fasttagen niemand mehr während des
Vormittags Fische an die Juden verkaufen, damit die
Christen zu ihrer Fastenspeise kommen, und jedermann, der
den Juden Fische ins Haus trage oder solche vor ihrer
Schule feilbiete, statt dieselben aui den öffentlichen Markt zu
bringen, solle 60 Hlr. Strafe zahlen. Man war eben bestrebt,
den Büi'gern der Stadt die billige Beschaffung ihrer Bedürfnisse
auf dem Markte möglichst zu gewährleisten. So war es
auch in Nürnberg den Juden und Jüdinnen bei Strafe von
1 Pfd. Hlr. verboten, die Eier und lebenden Tiere,
welche sie bedurften, vor morgens 9 Uhr einzukaufen, während
ihnen der Einkauf von Kraut, Buben, Obst, Knoblauch
und Zwiebeln nach Gelegenheit überall gestattet war.*®) So
war in Avignon den Juden und Freudenmädchen
wegen der Furcht vor dem Aussatze verboten, die auf
dem Markte zum Verkaufe ausgestellten Früchte und Brot-
vorräte zu berühren; thaten sie es dennoch, so mussten
sie dieselben bezahlen. Ebenso wird unter König Philipp von
Frankreich (1285—1314) den Juden das Berühren der zum
Verkaufe bestimmten Lebensmittel verboten.^*) So wurde
■i ■ I ■ ■ ■ ■
^ „Dass die Juden das nichtzit begroppen noch begiifiPen und suUea
denne dasselb koscher fleisch in dem judenschulhof mezgen und niendert
anderswo." Ordnung Yom Jahre 1421. Schmid. Rotes Buch, Mspt, Ulmer
Stadtbibliothek. Jäger, Ulms Verfassung, S. 401 und 402.
''*) Depping, Juden im Mittelalter, S. 265, 184, 195, 256.
"^ Würfel, Nürnbergs Judengemeinde S. 127 und 88 f.
— 51 —
auch in Ulm am 30. September 1421 bestimmt, die Judon sollen
beim Einkaufe ihrer Esswaren wie Obst, Fische, Hühner
n. 8. w. aaf dem Markte nichts betasten, ehe sie es nicht
gekauft haben/^) Die Judengemeinden hatten desshalb auch
meist ihren eigenen Gemeinde-Backofen, das „Judenback-
haus", wie wir es z. B. in Mainz finden*'), einen Ofen, in
dem die Gemeindegenossen die im Hause zubereiteten Brote,
Kuchen u s. w. backen, wie wir diese Einrichtung noch heute
in den ländlichen Gemeinden unseres Vaterlands überall
antreffen.
Wie iur den Genuss von Fleisch, so galten auch für
den Genuss von Wein bei den gläubigen Juden des Mittel-
alters zeitweise strenge Vorschriften, welche den Besitz eigener
Weinberge und eigenerKeltereien wünschenswert erscheinen
lieesen. Die jüdischen Kasuisten verwarfen nämlich den an
einer jüdischen Kelter bereiteten Wein, wenn ein Christ dabei
Hand angelegt hatte. Kein Jude sollte in Gesellschaft mit
Christen andern Wein trinken als solchen, den ein Jude aus-
gepresst hatte, und der Jude sollte dabei stets das Glas in
der Hand behalten, damit es von keinem Christen berührt
werde. Ebenso erschien dem gläubigen Juden jeder von
christlichen Priestern geweihte Wein als unrein.
So war es z. B. an der Mosel Sitte, dass der Ortsgeistliche im
Herbste eine Mass Wein segnete und dass dann jeder Winzer
Ton diesem gesegneten Weine ein wenig in jedes seiner Fässer
gofis. Der so gesegnete Wein nun war den Juden ein Gegen-
stand des Absdhous wie der Koscher wein den Christen und
die Rabbiner untersagten ihren Gemeindeangehörigon den
Genuss solchen Weins als „Nesech/^ Man findet desshalb
auch in allen Weinberggegenden die Juden als Weinberg-
und Keltereibesitzer. So haben im Jahre 12Ö5 die Juden
Ton Tours eine Liegenschaft vom dortigen Erzbischof und
dem Domkapitel zu Lehen, auf der sie ihren Kirchhof
einrichten und zu der ein Weinberg und ein Haus gehören;
sie bezahlen dafür einen Jahreszins von 5 Golddenaren im
Werte von 25 Sous (Schillingen). So beklagen sich im
13. Jahrhundert die Einwohner einiger Orte in Burgund,
sie können keinen guten Wein mehr bekommen, seit die Juden
die Weinberge besitzen, und die Geistlichen fanden es nicht
schicklich, bei der Messe Wein zu weihen, den die Juden mit
ihren Füssen ausgetreten haben.^') Durch diese religiösen
**) ,,Da88 dekain jad Yon dehainerlei essenden Dingen nit roer hansen,
^dlen, b^^roppen, begriffen noch ambziehen sol uf dem markte/*
Ordnung vom Anermontag nach Michaelis 1421. Schmid, Rotes Buch,
Mgpt, Üimer Stadtbibliothek. Jäger, Ulms Verfassung, S. 402.
^ Schaab, Geschichte der Juden, S. 192 f.
^ Depping, Juden im Mittelalter, S. 142 f. und 170.
4*
— 52 —
Vorschi'iften war also auch für den HandelBYerkdir mit Wdo
ein Unterschied gegeben, der es begreiflich macht, wenn wir
z. B. im 15. Jahrhundert in Ulm finden, dass an der iem
Rat gehörigen Herdbrücke jeder Wagen mit ,^adenwein'\
also mit koscher bereitetem Traubensaft, 8 HäUer, und jeder
derartige Karren 4 Häller Thorzoll und Brfickraixoll zu be-
zahlen hatte. ^)
4) Dia basehrinkandan Tonelirlftaii gagan dia Jidei
daa ■Ittabdtan.
Die Kleidung der Juden entsprach auch im Mittelalter
wie heute im Allgemeinen der üblichen Landestxacht, nur
galten auch für die Juden wie für die anderen Teile der Be-
völkerung bestimmte Kleidervorschriflen. Wie der Genosse
des bürgerlichen Stadtverbands, der Ordensbruder, der zünftige
Meister und seine Hintersassen bestimmten KleidervorsdirifieD
unterliegen, so gilt dieser Grundsatz auch für die Angdiörigen
der Judongemeinde, während für den fremden Juden wieder
andere Kleidervorschriflen gelten, durch welche er als nicht
zum Gemeindeverband gehöriger Jude kenntlich ist Die
Vorschrift, dass die Juden bestimmte Kleidungsabzeichen
tragen müssen, ist seit den ältesten Zeiten ita allen Ländeni
nachzuweisen, wird aber je nach der wirtschaftlichen Macht-
stellung, welche die Juden in den einzelnen Zeitabschnitten
besitzen, mehr oder weniger scharf gehandhabt So wird z. B.
im Jahre 1231 durch Konzilbeschluss den Juden verboten,
weite Mäntel wie die Ordensleute und Aermel ohne
Falten zu tragen, da diess zu unliebsamen Verwechs-
lungen führe; so wird, als im Jahre 1276 König Ottokar
von Böhmen als Herzog von Oesterreich durch die nieder-
österreichischen Stände eine neue Judenordnung herausgibt,
bestimmt, die Juden sollen künftig wieder die ihnen vorge-
schriebene hohe und lange Kopfbedeckung, die sogenannte
„Judenmütze*', tragen. So erneuert audi König Philipp
von Frankreich (1285 — 1314) die alte Bestimmung, dass
die Juden nicht ohne das Judenzeichen und ohne den
aufgekrämpten Juden hu t ausgehen sollen, auch sollen sie
künftig keine farbigen Kleider mehr tragen. Die Juden-
mütze bat von gelber Farbe zu sein, das Judenzeichen
besteht in einer auf der Brust aufgenähten roten Tnch-
scheibe. So tragen auch in Rom die Juden gelbe Barette.
Für die Verleihung des Judenabzeichens müssen die Juden
^) Eid- und Ordnongsbuch C. Ulm. Stadtarchiv, Mapt
— 53 —
eine besondre Abgabe an die Beichskammer bezahlen, wobei
einzelnen Jnden g^en Bezahlung gestattet werden kann, ohne
das Zeichen zu erscheinen. Die Massregel hat, wie man
sieht, namentlich einen fiskalischen Charakter und hatte in
einer Zeit, wo der zünftige Werkmeister am Sonntag morgen
ebenso stolz mit seinem Lederschnrz um die Lende und dem
Zollstabe in der rechten Hand mit Weib und Kindern zur Kirche
zog, wie der Rittersmann seine ,,lange Wehre*^ an der Seite
führte, wenig auffiUligee an sich« Sicherlich gab es damals
Jnden genug, welche ebenso stolz darauf waren, Juden zu
sein, wie es der Ritter oder der Städtebürger auf ihren Stand
waren, es gab damals, wenn man so sagen soll, einen Jnden-
adel, wie es einen Ritteradel oder einen Bürger- und Zunft-
adel gab. So befreit im Jahre 1279 der Abt von St Autonin
die Juden von Pamiers am Fuss der Pyrenäen von der
Verpflichtung, das französische Judenabzeichen zu
tragen; statt dessen wurde ein Ring von Schnüren eingeführt,
der hinreichen sollte, den Juden vom Christen zu unterscheiden ;
so muss in der Provence jede verheiratete Jüdin einen
genau vorgeschriebenen Kopfputz tragen, der „otales*^ heisst
So hat im Jahre 1895 der Bischof von Malta das Amt eines
Wächters der roten Scheibe, das ihm grosse Grebühren
abvrirft') So darf nach der Nürnberger Judenordnung kein
Jude bei Strafe von 1 Pfd. Hlr. eine Kappe tragen, wie sie
die Nürnberger Bürger tragen, und den fremden Juden, die
nach Nümbcorg kommen, ist verboten, ihre „Gugeln**, d. h.
ihre Kaputzen oder Pelerinen, über den Mantel zu legen,
weil hieidurch die Judenabzeidien unsichtbar werden.*) Im
Jahre 1312 erneuert die Synode von Ravenna die alten
Vorschriften wegen des Judenzeichens und es erfolgen
darauf überall neue eingehende Verordnungen über diese
Angelegenheit.^) So ist eine Zeit lang das Tragen von langen
Barten ein ausschliessliches Vorrecht der Christen
und den Juden ist verboten, solche zu tragen, wenigstens wird
im Jahre 1343 den Juden in Nürnberg befohlen, sich min-
destens alle 4 Wochen den Bart abnehmen zu lassen, damit
man sie von den Christen unterscheiden könne.') So wird
im Jahre 1412 den Juden in Valladolid verboten, Stoffe
zu ihren Kleidern zu nehmen, von denen die Elle mehr als
60 Marabotins kostete, und es wird ihnen geboten, über ihren
Kleidern Mäntel zu tragen, die bei den Frauen vom Kopf bis
zu den Füssen herabgiengen; ferner war ihnen verboten,
Gold als Schmuck zu tragen.^) So müssen die Nürnberger
Juden seit dem Jahre 1451 gelbe Ringe tragen und die
») nepping. Jnden im Mittelalter, 8. 156, 197, 184, 254 f., 258, 182,
255 f , 167, 365, 292.
") Wftrfel, Nambeigs Judengemeinde, S. 81 and 25.
— 54 —
ifWeibspenonen** himmelblaae Bordfiren an die Sdileier
nähen') und im Jahre 1458 beeiimmt der Nürnberger Rat,
wenn fremde Juden in die Stadt kommen, solloa diese
keine Jadenbarette oder Jadenhüte wie die Nürnberger
Jaden, sondern nur Kappen und gelbe Ringe an den
Kleidern tragen.^) So befiehlt Papst Paul IL (L464— 1471)
dass die Juden rote Mäntel tragen, nur jüdische Aerzte
und dicrjenigen Juden, welche „freie^', d. h« nicht einer
Zunft als Monopol verliehene, Gewerbe und Künste
ausüben, sind hievon befreit^) Man sieht, diese Juden-
tracht ist eine Uniform, ein Abzeichen für den jüdisch-
zünftigen Gelddarleiher, der nichtzünftige Jude hat es nicht
zu tragen. So werden im 15. Jahrhundert in Ulm alle
Pfaffen, Juden und Aerzte von der neuen, für die Bürger
der Stadt erlassenen Kleiderordnung ausgenommen.') Man
sieht, was den Juden in dieser Richtung geschah, war nicht
schlimm ; denn ganz ähnliche Vorschriften gegen den Kleider-
aufwand erfolgten auch den Bürgern gegenüber; auch ihnen
waren z. B. betreffs des Tragens von Edelmetall, von wert-
vollen Geweben u. s. w. Einschränkungen auferlegt, wie wir
sie den Juden gegenüber eingeführt sehen. Es war der
Aerger der in ihren Erwerbsverhältuissen zurückbleibenden
bevorrechteten Stände über den übermässigen Aufwand der
niederen Stände, der sich in diesen Beschränkungen Luft
machte. Seit dem 15. Jahrhundert weht eben der Wind des
wirtschaftlichen Rückschritts, die Brocken werden kleiner und
die Verhältnisse an der grossen Völkertafel damit onerquiGklich.
b. Di« BMobrftnkiiBgeB der Juden ta ohrUtliolieB
Ebenfalls in die ältesten Zeiten zurück reichen die Be-
schränkungen der Juden in Bezug auf ihr öffentliches Er-
scheinen an hohen christlichen Feiertagen. Der
Grund, der den Gesetzgeber zu dieser Massregel bestimmt
hatte, war ein doppelter. Einmal lag der Behörde daran, dass
die christlichen Feste nicht durch Verhöhnungen durch
die Juden (interpellationes) gestört und dadurch bei der
mannigfach gereizten Stimmung des Volks Grund zu Un-
ruhen gegeben wurde, dann aber lag es im Interesse der
persönlichen Sicherheit der Juden selbst wie der für
diese Sicherheit verantwortlichen Behörden, dass derartige
Vorfälle thunlichst vermieden wurden. Schon das kanom'sdie
Recht schrieb vor, dass die Juden sich am Charfreitag
den ganzen Tag über nicht auf der Strasse aufhalten
*) GundÜng. HistoriBche Nachrichten von NQmberg, S. 252.
*) Warfel, Nürnbergi Jadengemeinde, 8. 95.
*) DeppinR, Jaden im Mittelalter, S. 366.
') Jft^r, UIxub Verfassung, B. 510.
— 56 —
oder ein Fenster, einen Laden oder eine Hausthüre öffnen
sollten, sondern sie sollten sich an diesem Tage von früh
morgens bis znr Nacht mit ihren. Weibern, Kindern nnd ihrem
Gesinde in ihren Häusern verschlossen halten.*^ So ist den
Joden in Marseille verboten, an Sonntagen und christ-
lichen Festtagen zu arbeiten. So rügt im Jahre 1295 Papst
Innocenz III. dem König von Frankreich gegenüber, in Sens
haben die Juden eine Synagoge unmittelbar neben eine Kirche
gebaut und so laut darin gesungen, dass der christliche
Grotteedienst gestört worden sei; am Ostertage zeigen sie sich
auf den Strassen, statt nach altem Herkommen in ihren
Hausem zu bleiben; sie verspotten die christliche Re-
ligion, indem sie sagen, Christus sei nur ein gewöhnlicher
Landmann gewesen. So wurde es im Jahre 1279 den
Juden von Pamiers in den Pyrenäen verboten, sich am
Sonntag an einem öffentlichen Orte zu zeigen, und wenn sie
dies aus besonderen Gründen mussten, sollten sie es den zur
Aufsicht bestellten Personen mitteilen.') So durfte in Nürn-
berg kein Jude und keine Jüdin an einem Sonn- oder Feier-
tage der Christen um etwas feilschen oder mit etwas
Handel treiben und es war den Juden im Interesse der Sicher-
heit ihres Eigentums streng befohlen, stets ihre Häuser gut
verschlossen zu halten, so lange sie in ihre „Schule*^ gehen.*)
Auch in Ulm darf am Fronleichnamstag kein Jude bei
Strafe auf der Gasse gehen. ^^)
•. Di« BMobrinkoBg d«r Jiden betnffli UuM gaieUigea YnUkn bH CRiiiitoD.
Auch diese Vorschriften sind uralt. Schon das Konzil
von Worms verbietet im Jahre 465 den Christen, mit
Juden zu speisen, und ähnliche Verordnungen werden von
der Kirche in den Jahren 506 und 517 erlassen. So ver-
bietet im Jahre 1276 König Ottokar von Böhmen ak Herzog
von Niederösterreich den Juden, mit Christen zusammen
bei Mahlzeiten, auf Märkten, in Bädern und auf Hoch-
zeiten sich einzufinden, ebenso wie es den Christen verboten
ist, den Hochzeiten und Leichenbegängnissen von
Juden beizuwohnen.^ Das Entstehen dieser Bestimmungen
erklärt sich aus den mannigfach völlig anders gearteten An-
schauungen, welche der Jude in Bezug auf die den geselligen
Verkehr bedingenden Lebensgrundsätze hat In Betracht kommt
hier in erster Linie die Art und Weise, wie der Jude die
^ Jadaei diebus Dominids et aliis ChriBtianomin festiTitatibaB domi
M oontineant, nee Ghristianos interpellant Wflrfel, NOmbergs
JudeogemeiDde, 8. 92.
*) Depping, Juden im Mittelalter, 8. 256, 153, 167, 45, 197, 282.
*) WQrfel, NarnbergB Jadengemeinde, S. 81 f.
n Jiger, Ulms YerfaBsang, 8. 401.
- 66 -
Stellung des Weibs gegenüber dem Manne aoflEasst
Nach altem hebräischem Herkommen darf bekanoüich der
Vater seine Tochter zur Ehe verkaufen ohne Ein*
willigung der Braut Nur wenn das Mädchen keinen
Vater mehr hat und seine Mutter oder seine Brüder es
verheiraten wollen, darf es in Gregenwart von Zeugen
den Gatten aussdilagen, eine AufiPassung, welche eine
weitere Illustration durch die überwiegende Wichtigkdt o*-
hält, welche der Jude der Geburt eines Sohns gegoiaber
der Geburt einer Tochter einräumt Welcher Unterachied in
dieser Beziehung gemacht wird, erhellt z, B. aus einer Ordoung
welche die Judengemeinde von Pamiers am Fuase der
Pyrenäen unter Genehmigung ihres Landesherm, des Abts Ton
St Antonin, mit Zustimmung der Stadtbehörde im Jahre 1879
erlässt Die Juden kommen darin überein, dass künftig kein
Jude in Pamiers, dem ein Sohn geboren werde, diesem bei
der Geburt ein höheres Geschenk als 10 Denare von Toulouse
geben und mehr als 12 Personen bewirten solle; audi sollte
der neugeborene Sohn kein Kleid von anderem Stoff als von
Etamin oder von Schafleder erhalten, wie auch kein Jude
Kostbarkeiten an seiner Kleidung tragen sollta") Mit dies^i
Verhältnissen hängt zusammen das Verbot des geschlecht-
lichen Verkehrs zwischen Christen und Juden. So wird
im Jahre 1276 in Niederösterreich bestimmt, dass jeder
Jude, der sich fleischlich mit einer Christin einlasse, luefür
mindestens 10 Pfd. Silber zu zahlen haben und die betreffende
„Weibsperson'* aus dem Lande verbannt werden sollte.'*) Der
Grund auch dieser gesetzlichen Bestimmungen war ein doppelter.
Der Gesetzgeber wollte einmal den Christen vor den schlechten
diessbezüglicheu Gewohnheiten schützen, dann aber wollte er
sich und die ihm zum Schutz unterstellten Juden vor allen
Vorkommnissen bewahren, welche durch leichtfertige Thateu
von Christen oder Juden die Sicherheit der letzteren gefährden
und dem Schutzvogte Widerwärtigkeiten bringen konnten«
Sehr alt ist femer die Verordnung, durch welche den
Juden das Halten von christlichen Dienstboten unter-
sagt wird, aber auch diese Verordnung wird je nach der
wirtschaftlichen Machtstellung der Juden nach Zeit und Ort
sehr mannigfach gehandhabt. So wirft im Jahre 1205 Papst
Innocenz IIL dem König von Frankreich vor, wie er dulden
könne, dass die Juden christliche Dienstboten und
Ammen haben, gegen welche sie sich allerlei schamlose Dinge
erlauben, indem sie dieselben zwingen, am Osterfeste nach
EmpfiEtng des heiligen Abendmahls ihre Milch in den Abtritt
zu giessen. So wird in den Jahren 1271 und 1280 den Juden
") Deppiog, Juden im Mittelalter, 8. 808, 167.
^*) Dopping, Juden im Mittelalter, S. 197.
— 67 —
in Frankreich von König Philipp dem Kühnen verboten,
christliGhe Dienstboten zu hkben. So verbietet im Jahre 1276
König Ottokar von Böhmen als Herzog von Niederöster-
reich den Jnden die Einstellung von christlichen
Handwerksleuten und Dienstboten.") So wird in Ulm
am 30. September 1421, wie dies schon im Jahre 1387 ge-
schehen ist, aufis neue allen Juden verboten, christliche
Mägde, Knechte und Ammen zu halten bei Strafe des
Stadtverbots für die betreffenden christlichen Angestellten.'^)
Wie den Christen, so war auch den Juden alles Spielen
um Geld verboten. Man sagte den Jnden nach, sie seien
grosse Liebhaber des gewinnsüchtigen Spiels und sie haben
die Ansicht, „eine Hand voll Karten und Würfel mit Ruhe
haben, sei besser, als beide Fäuste voll Unruhe, wie der müh-
same Seefahrer, der sich um den Wind bekümmern müsse
und im Handumdrehen Leben und Out miteinander verlieren
könne."^'^ So vnrd im Jahre 1269 den Juden von Pamiers
an den Pyrenäen seitens ihrer Judenobrigkeit verboten, an
Schach- und Würfelspielen teil zu nehmen, fiedls es sich
hiebei um Geldwert handle, nur an Hochzeiten und ähn-
lichen Festen war dies erlaubt^") Dass die Juden in der That
gerade für das Spielen, namentlich auch für die den Scharf-
sinn herausfordernden Geistesspiele, eine hervorragende
Begabung haben, zeigen manche Nachrichten. So schreibt
der Rabbiner Jeddaja, geboren 1250 in Katalonien, eine
Abhandlung und ein Gedicht über das Schachspiel, über
dessen Geschichte, Geist und Spielarten und König Alphons X.
von Kastilien und Deutschland liess von ihm eine Schrift über
das Schachspiel kastilianisch abfassen. Jeddiga will die
Menschen durch das Schachspiel von dem lasterhaften Karten-
und Würfelspiel abziehen. Es gab also schon im 13. Jahr-
hundert in Toledo Kartenspiele, welche wohl aus dem
Morgenlande dahin gekommen waren. Es ist damals die
grosse Zeit des spanischen Judentums, als in To-
ledo allein 12,000 Juden wohnen, als dort eine berühmte
Judenhochschule blüht, welche sich namentlich durch ihre
Mathematiker und Astronomen auszeichnet. König
Alphons X« von Kastilien lässt hier seine Tafeln machen,
chaldäische Schriften werden übersetzt, Juden und Mauren
arbeiten zusammen. ^^ So hatten die Nürnberger Juden
'*) Doping, Juden im BlitteUlter, 8. 158, 182, 197, 167, 274.
'*) .,Wir hant forgenommen die harten sw&ren landslöffe and hant
dammb Terboten allen Juden hie, das ir dehainer dehainerlei ehehalten,
die Christen aieen, haben sulle.*' Ordnnnff Yom Aftermontag nach
Michaelis 1421. Schmid, Rotes Buch, Mspt. Uim. Stadtbibl. J&ger, Ulms
Verfassimg, S. 400 f. and 402.
^ WOrfel, Nfirnbergs Judeogemeinde, S. 28.
— be-
im Jahre 1464 grosses Uebermaas im „Doppeb, BümpfeD,
Paschen and in anderen Spielen getrieben^* und nach der
grossen Bede des Franziskauerkardinals Gapristanas auf dem
Spitalkirchhofe wurden ihnen vom Volke die Bretspiele und
Karten abgenommen und ins Feuer geworfen. Man hatte .
damals die Juden gezwungen, sich bei der Predigt einza- |
finden, und die Zuhörer nötigten sie, ihre Bretspiel und Pasch-
tische ins Feuer zu werfen. Dass das Verhältnis zwischen
Christen und Juden damals trotzdem kein so schlimmes ge-
wesen sein kann, beweist, wenn mau liest, dass an der Fast-
nacht des Jahres 1458 die Nürnberger Schömbartläufer
TOn der Mezgerzunft auch im Judenviertel tanzen und
von den Bewohnern desselben mit Geldstücken und Bösen-
Wasser beschenkt werden.^*) So verpflichtet sich im Jahre 1464
der Jude Moses von Nevers bei Verlust der Hand gegenüber
der Krone, weder mit Würfeln noch mit anderen Dingen
zu spielen, ausser au seinem Hochzeitstage, am Hochzeitstage
seines Bruders und an drei Tagen des Paffiafestes.^^ So hatte
auch in Augsburg im Jahre 1464 Gapristanus die Leute
durch seine I^edigten derart erregt, dass sie Schlitten, Würfel,
Karten und andere Eitelkeiten verbrannten.^^) Auch in Ulm
war schon im Jahre 1397 das Kartenspielen verboten
worden ^*) und im Jahre 1481 wurde daselbst der Wirt im
Griesbade bestraft, weil er in seinem Bade die Leute hatte
um Geld spielen, kegeln und karten lassen, wie die Spielverbote
damals in Ulm sich seit jener Zeit fortwährend mehren. *^)
5) Der Chewerbebetriab der Juden.
K Di« fn\% Oeworbetlittigkalt der Juden.
a. Der Grosshandel der Juden.
Was war nun, so lautet wohl die nächste Frage, nachdem
wir die politischen, geselligen und sonstigen Einrichtungen der
Judengemeinden des Mittelalters kennen gelernt haben, die
Beschäftigung der Angehörigen dieser Gemeinden. Be-
trachtet man die Nachrichten, welche betreffs dieser Frage zu
Gebot stehen, so findet mau, dass es hauptsächlich zwei Diugc
sind, mit denen sich die Juden beschäftigen, einmal der
Grosshandel und das Wechselgeschäft, dann aber
das Darleihen von Geld gegen Zinsen auf Pfand-
sicherheit.
^*) WQrfel, Nambergs Jadengemeinde, S. 28 und 95.
^^ I>eppin«r, Jaden im Mittelalter S. 258.
'*) Stetten, Aagsburger Chronik, S. 242.
'*) EHetericb, Beschreibung von Ulm, 8. 162.
^ RatsprotokoU Yom Freitag vor Margaretha 1481, Mspt Ulm.
StadtardÜT. Ji^;er, Ulm, S. 429.
— 59 —
Welche Rolle als Grosshändler, d. h. als Kaufleote,
welche sich damit befassen, den für den inneren Klein-
bedarf nicht erforderlichen Ueberschuss der Erzeug-
nisse eines politischen Bezirks nach einem andern politischen
Bezirk auszufahren und dagegen für den Kleinrerkehr des
eigenen politischen Bezirks erforderliche Erzeugnisse des
Auslands einzutauschen und einzuführen, die Juden
von jeher gespielt haben, geht aus zahlreichen Nachrichten
herror und wir sehen dabei die ganze Unternehmungs-
last, den weiten, geschäftsmänniscben Blick der Juden im
hellsten Lichte, so dass man ruhig sagen kann, die Ge-
schichte des Grosshandels ist zugleich die Geschichte
des Judentums und die Geschichte der Welthandels-
wege ist die Geschichte der Wanderungen des
Jadenvolks. Wo der Mittelpunkt des Welthandels
ist, da ziehen die Juden hin. Als nach der Zer-
störung Jerusalems durch Kaiser Vespasian sich der
Handelsverkehr in erhöhtem Masse nach Persien zieht,
füllt sich dieses mit Juden, als sich in der folgenden
Zeit unter Kaiser Marcus Aurelius durch die zunehmende
Entwicklung der Seeschiffahrtstechnik der See-
verkehr nach Indien und China dem Landverkehr eben-
bürtig zur Seite stellt, sind es Juden aus Persien, welche
inKaifongfu am Hoangho eine Judengemeinde gründen,
welche noch heute besteht und deren Angehörige nodi heute
ein persisch-hebräisches Gemisch sprechen.') So
ist es auch im Mittelalter. Stets findet man die Juden
mit dem Handelsverkehr und dem Geldwesen enge verbunden.
Schon in den Kapitularien Karls des Grossen im Jahre 809
ist von den Wohnstätten der jüdischen und christlichen
Kaufleute die Bede und im Jahre 814 wird verboten, dass ein
Jude eine Münze in seiner Wohnung einrichte, da das Becht,
mit Währungsgeld Zwischenhandel zu treiben, lediglich den
Genossen des Müuzhauses zustand.^) Im Jahre 945 wird in
Venedig allen Schiffern verboten, Juden oder andere fremde
Kaufleute an Bord zu nehmen.^) Man sieht, es ist schon da-
mals zur Zeit der sächsischen Kaiser ein Interessengegensatz
zwischen den einheimischen Geschäftsleuten und den fremden
Kaufleuten vorhanden und diese fremden Kaufleute sind vor-
wiegend Juden. Im Jahre 1084 erlaubt der Bischof von
Speier seinen Juden, Gold und Silber zu vertauschen und
alles, was sie irgend wollten, zu kaufen und zu verkaufen und
im Jahre 1090 gestattet Kaiser Heinrich IV. denselben, inner-
halb seines Reichs nach Belieben Handel zu treiben, zu
^) Deppiog, Juden im Mittelalter, 8. 28, 85.
*) Maurer, Deutschet StttdteweseD, Bd. 1, S. 286, 297, 304 f. u. 842.
— 60 —
reisen, zu kaufen und zu vericanfen«^ Wie es in jener aHen
Zeit die Jaden verstehen, gerade aen Grosshandel, den
Austausch der Erzeugnisse zwischen einzelnen Landern, zu
betreiben, zeigt z. B., wenn wir sehen, wie im Jahre 1150 die
Juden mit dem Erzbischof Ton Arles einen Vertrag ab-
schliessen, nach dem ihnen das FreiheitBredit eingerännit
wird, allen Kermes, (d. \l die getrockneten Weibchen der
Kermesschildlaus , das wertvolle, wichtigste Erfordernis zur
Herstellung der Purpnrstoffe wie zum Fälschen der
roten Weine und Liköre), welcher in St Chamans und
den anderen Orten seines Gebiets gesammelt wurde, aubn-
kaufen und ins Ausland zu versenden/) So kann man es be-
greiflich finden, wenn damals mannig&u^ wegen der Judeo
die Märkte vom Samstag auf einen andern Tag verlegt werden
mussten.*) So sind auch im IS. Jahrhundert die Mitglieder der
Judengemeinde von Rom fi&st ausschliesslich Geldwechsler
und Spezereigrosshändler und als Geldwechsler be-
sorgten sie namentlich auch die Finanzen der päpstlichen
Kammer oder sie hatten teil an den grossen Baukgesell-
Schäften, welchen damals die Eintreibung der Staats-
einkünfte seitens der Kammer fibertragen war. Unter
Papst Gregor IX. f 1227— 1241) läset durch dieselben der
römische Hof die Janrgelder und anderen Einkünfte einziehen,
welche er in den verschiedenen Ländern der Christenheit an-
zusprechen hat, 80 dass der Bischof von London, als er
unter König Heinrich UL (1216 — 1272) den Bann g^gen einige
Juden anspricht, wegen Beleidigung der Geschäftsträger
des Papstes vor Gericht gestellt wird. So wird im
Jahre 1219, als die Bürgerschait der Stadt Marseille sich
von der Landesherrschaft des dortigen Bischofs fireimacht,
allen Juden und Sarazenen erlaubt, gerade so wie fremde
Christen in die Stadt zu kommen und dieselbe zu verlassen
und darin nach Belieben Handel zu treiben.^ Aehnliche Ver-
hältnisse wie am pästlichen Hofe finden wir gleichzeitig audi
im Herzogtum Oesterreich, als dort im Jidire 1238 Kaiser
Friedrich IL von Hohcnstaufen die Verhältnisse ordnet; unter
dem Titel von Kammergrafen stehen damals in Oester-
reich die Juden als Generalpächter der Staatskammer-
einkünfte an der Spitze der Fiuanzverwaltu ng.
Nicht anders ist es in der Provence; bitter beklagt sidh
im Jahre 1241 das Kapitel von Narbonne, wie der Erz-
bischof sich durch die Geschenke der Juden verleiten
*) Stobbe, Jaden in Deutschland, S. 9 f.
^) PapoD, Geschiebte der Provence, Bd. 2, 8. 866. Depping, Joden
im Mittelalter, 8. Ul f.
'») Maorer, Deutsches St&dtewesen, Bd. 1, 8. 286.
•) Depping, Juden im Mittelalter, 8. 182, 177, 197.
— 61 —
lasse, die Juden ssam Nachteil der Christen zu be-
günstigen; Papst Innocenz III. ist empört über den Grafen
Raimund von Toulouse, welcher den Juden die Besorgung
der öffentlichen Aemter seines Lands anvertraue, und
verweigert diesem so lange den Ablass, bis er sich ver-
pflichtet, keine Juden mehr in seiner Herrschaft aufzu-
nehmen, wofür 16 Freiherren Bürgschaft leisten müssen, wie
auch dem Nachfolger dieses Fürsten, dem Grafen Raimund VII,
vom heiligen Stuhle zur Pflicht gemacht wird, den Juden
die öffentlichen Aemter zu nehmen, die sie durch Pfand-
schaft in ihren Besitz gebracht haben. Seither erfolgen denn
auch überall Erlasse der Regierungsbehörden, durch welche
die Verpfändung von Vogteien oder Amtmanns- und
Schultheissenämtern an Juden strenge verboten wird.^)
Eine Freistätte fanden die Juden namentlich auch bei den
Päpsten in Avignon, denen sie ihre Greschäfte als gewandte
Finanzmänner besorgten, wie auch im Jahre 1800 der Jude
Joseph das Schatzamt von Kastilien verwaltet, während
der Jude Samuel die königliche Münze in Pacht erhält mit
der Verpflichtung, die Mark Silber nicht teurer als um
125 Maravedis zu kaufen. Die Härte, der Stolz, der Betrug
dieser Juden zieht ihnen aber auch hier bald den Hass der
Grossen und des Volks in höchster Weise zu, obgleich der
König den Juden hilft, wo er kann, und völlig in ihrer Macht
ist, und man wird sagen können, dass seit dem Ende des
13. Jahrhunderts die Juden mehr und mehr aus dem Besitze
solcher öffentlicher Stellen wieder verdrängt werden. So ver-
bietet im Jahre 1276 König Ottokar von Böhmen als Herzog
von Niederösterreich allen Juden dieses Lands, öffent-
liche Aemter zu erwerben, und auch in Spanien bringen
es die schlechten Erfahrungen, welche man dort mit der Zu-
lassung von Juden zum Besitze von Staatsämtem macht, endlich
dahin, dass die gesetzgebenden Gewalten biegten vorgehen.
So beschliessen im Jahre 1316 die Reichsstände (Cortes) von
Burgos, die königlichen Steuereinnehmer sollen künftig
nur noch aus den ehrbaren Bürgergeschlechtern der
verschiedenen Orte genommen werden und keine Edel-
leute, Priester oder Juden mehr sein dürfen.'^) Die Juden
werden reich im Lande, die Bauern werden arm, meldet
eine Nachricht ans Kastilien aus der Mitte des 13. Jaluv
hunderts''); es ist wie überall, wo der Jude hinkommt, und der
österreichische Dichter HelbUng klagt um dieselbe Zeit, dass
es eine Sünde und Schande sei, dass man so viele Juden im
Lande habe; in jeder Stadt wohnen ihrer mindestens 30.^)
^iDe^ttg, Joden im Mittelalter, S. 192, 206, 169 f., 269, 284 f.
' ") Btobbei Juden in Dentaehland, S. 168.
— 62 —
So spielen in Trier unter Elrzbischof Heinrich (1260 bis
1286) die Juden eine hervorragende Rolle im erzbifidiöflicilem
Rate und unter Erzbischof Balduin treten auch hier jüdische
Banquiera völlig an die Spitze der Finanzverwaltung. Der
erste diesbezügliche jüdische Finanz Verwalter heisst Muskin
oder Mussechiu (Moses?); er ist vom Jahre 1323 bis 1336
nachgewiesen, in welchem Jahre er den Koblenzer Moseboll
für 88,000 Mark in Generalpacht nimmt; 1339 lebt er nicht
mehr. Sein Nachfolger ist der Jude Jakob Duiiels (1336
bis 1341); dann folgt sein Sohn Michael, vermutlich bis 1349,
wo der Judenkrawidl der Herrschaft dieser Lieute ein Ende
bereitet Interessant sind hiebei namentlich die erhaltenen
genauen Nachrichten über den Juden Jakob Daniela Er
hat seine eigene Kanzlei mit hebräischer Buchfuhrang
und eigenem jüdischem Kanzleivorstand, dem Scriptor ja-
daeus, und heisst amtlich Judaeus domini. Die ganze Finanz-
verwaltung des Erzstifts erfolgt auf der Grundlage des
jüdischen Einkommens im Lande. Bedarf das Erzbistam
Greld, so streckt diese der betreffende Kammerjade aas
eigenen Mitteln oder durch Aufnahme von Anleben
seinerseits bei anderen Judengemeinden, z. B.
denen von Strassburg und Metz, vor. In der Kanzlei
des jüdischen Greneralverwalters laufen nahezu sämtliche
Einnahmen des Erzbistums zusammen und von hier ans er-
folgen nahezu sämmtliche Ausgaben teils auf Anweisung des
Landesherm, teils auf Anweisung seiner Beamten, z. B. des
Küchenmeisters, des Almosners, der Lehensgelderverwaltong,
des Marschalls, des Palastkellners, der Reisemarschälle. Ab-
gesondert dagegen ist die geistliche Intraden- und Subsidien-
verwaltung. Alljährlich am 1. Oktober, wo man die Ein-
nahmen und Ausgaben des Landes ungefähr übersehen kann,
erfolgt ein vorläufiger erster Bechnungsabschluss der Juden-
kanzlei. Die Prüfungsbehörde für diese Abrechnung bildet
eine Kommission von Kaplänen und bischöflichen Bäten,
welche dem Landesherm einen lateinischen Bericht erstattet
Etwaige Beanstandungen werden in einer Nachtragsauf-
Stellung der Judenkanzlei verrechnet, dann wird diese Nach-
tragsaufstellung wieder von der Kommission begutachtet, die
lateinische Aufstellung mit der hebräischen verglichen, in
Zweifelsfällen Erhebung aus den Akten , wie den Zollrech-
nungen, den Lehensregistem , den KeUnereirechungen ge-
pflogen und dann auf Grund beider Rechnungen, der Haupt-
rechnung und der Nachtragsrechnung, der Endjahresabschloss
vorgenommen. Die ganze Arbeit ist bei der Schwierigkeit,
welche das Rechnen mit römischen Ziffern verursacht,
keine geringe, und es war desshalb ein ganz gewaltiger Fort-
schritt, weldien das von den spanischen Juden hauptsächlich
— 63 —
darchgefulirte ^Umähliche Eindringen der Rechnung mit
arabischen Ziffern bedeutete. Im Jahre 1353 freilich
sind auch in Trier die Juden aus dieser tonangebenden
Stellung verschwunden und an ihre Stelle ist ein erz-
bischöflicher Rentmeister (Reddituarius) getreten.*)
Thatsächlich haben die Juden stets das meiste Aergemiss
da erregt, wo es ihnen gelang, öffentliche Aemter in ihren
Besitz zu bringen, und von jeher sehen wir, dass sich
der Gegendruck der öffentlichen Meinung dann am stärksten
geltend macht, wenn dies der Fall ist. Wie wenig sich
die Juden w^en ihres Eigennutzes gerade zu öffenüichen
Stellen eignen, zeigt, dass sich auch Klagen über schlechte
Kassenfiihrung von Amtleuten der Judengemeinden finden. ^^)
Diese übergrosse Selbstsucht des Juden, sein Mangel an Gre-
Qossenschaftssinn, sein auf Kosten des sozialen Pflicht-
gefühls übermässig entwickelter Jndividualismus
waren es offenbar auch, was ihn von jeher bei allen schätzens-
werten sonstigen Eigenschaften mehr zum Einreissen und
Zerstören als zum Aufbauen geeigenschaftet machte, was ihn
verhindert, das zu erreichen, was er seit Jahrtausenden als
letztes Id^ erstrebt hat, den jüdischen Nationalstaat als
Grundlage der Weltmacht
Ihr Grosshandel mit Würzwaren, welche die Juden
meist ans dem Osten bezogen, vor allem aber mit den
Seidenzeugen, Kattunen, d. h. gefärbten Baumwoll-
stoffen, und Brokaten, welche die Webereien von Indien,
Persien, Griechenland und Aegypten im frühen
Mittelalter in grosser Menge erzeugten und nach dem Westen
verkauften, setzte dabei lebhafte Verbindungen mit dem Osten
voraus, namentlich so lange die in Westeuropa gehandelten
Gewürze fast ausschliesslich aus Indien über das Rote Meer
und Aegypten in die Stadt gelangten, und dieser Handel der
Juden nahm erst ein Ende, als es den Kaufleuten von Venedig,
Genua und Pisa gelang, die Versorgung Westeuropas mit
den Erzeugnissen des Ostens völlig in die Hand zu bekommen,
wie überhaupt in Lombardien die Juden im Mittelalter am
wenigsten Aufsehen erregt haben. Es rührte dies daher,
weü die Italiener als Leute, die selbst ausserordentlich ge-
schäftsgewandt waren, sie am wenigsten nötig hatten. Der
Jude fand hier einfach keinen Boden, auf dem er wirtschaft-
lich gedeihen konnte, desshalb werden auch die Juden in
Venedig durch das ganze Mittelalter in jeder Beziehung
gut behandelt; sie belästigen eben nur wenig, hß Jahre 1298
^Lamprecht, Deutsches Wirtschaftsleben im Mittelalter, Bd. I, 2,
8. 1472 ff.
k'") I>epping, Joden im Mittelalter, S. 289, 182, 858.
— 64 —
stehen sie unter einer Aufsichtsbehörde von 5 Gesdüediteni
(nobili), welche den Judenschntz namens der Rqpablik hand*
haben. ")
Aber mehr und mehr sehen sie sich doch schon damals
in ihrer Thätigkeit als Grosshändler gehemmt So wird
schon in den Jahren 1254 und 1258 durch Konzilbeschlüsse
den Christen bei Strafe des Banns yerboten, sich mit Jaden
zu Handelsspekulationen su yerbinden, und im Jahre 1328
yerbietet der Rat von Barcelona dem Konsul von Alex an-
drien, im „Alfondech'*, d. h. dem ^^Fonticum^S des Konsulats
einen Mauren oder Juden aufzunehmen. Man sieht, ein Verbot
au die Juden, sich mit dem (}rosshandel zu befassen, erfolgt
nicht, da dieser ein freier Handel ist, d. h. jedermann bk
steht, und dass auch die Juden nach wie vor den Oroes-
handel stark betreiben, ist reichlich erwiesen. So bezahlen
z. B. in Malaucene in der Diözese von Vaison die Jaden
au den Bischof eine Steuer von Wachs, Ingwer und
Pfeffer für ihre Schule und ihren Kirchhof, was auf eine
Thätigkeit derselben als Gewürzhändler hinweist, und als
im Jahre 1245 unter Papst Innocenz IV. das Konzil Ton
Lyon den Kaiser Friedrich IL wegen Ketzerei mit dorn
Kirchenbann belegt, erwidert der kaiserliche Kommissär Thad-
däus von Suessa, sein Gebieter habe doch Massregeln g^en
die Ketzer getroffen, indem er in seinem Reiche weder Ge-
würzhändler noch Wucherer dulde. Papst Innocenz IV.
begünstigte bekanntlich offen die Juden, welche nnt^
seiner Regierung das ganze Geld- und Spezereigeschäft
in der Hand hatten und mit scheelen Augen sahen, wie ihnen
gegenüber die Lombarden immer mehr Boden gewannen. ^^
Wie es die Juden damals verstanden hatten, überall die
geschäftliche Macht an sich zu reissen, ist durch zahlreiche
Nachrichten erwiesen. So bestätigt der Burggraf (vicomte)
Amalrich von Narboune den dortigen Juden um die einmalige
Summe von 1000 Sous und gegen eine Jahressteuer von
10 Narbonner Sous das Recht, Läden zu haben und Hänaer
in dem Viertel, das sie bewohnten und das man die „(rroese
Judengasse^^ hiess, zu besitzen. Aehnliche Verhältnisse finden
wir in Aragon, als in der Zeit der Blüte dieses Reichs
unter König Jakob der Handel und die Schiffahrt hocdi
entwickelt sind, als das Land einen Handelsvertrag mit
Tunis abschliesst und die Katalonischen Schiffe alle
Häfen des Mittelmeers besuchen, ids Barcelona ein grosses
Arsenal, ein Schiffahrtsgesetzbuch erhält und überall
in der Levante, in Aegypten, Tunis, Sevilla wie aaf
den Märkten der Champagne katalonische Kaufleute in
11
) Depping, Juden im MitteUater, 8. 896 f., 162, 802, 244, 168, 168.
— 65 —
eigeuen Viertelu mit eigenen Voi*8täudou oder Konsuln
wohnen, als Katalonien dem König von Marokko die Stadt
Genta erobern hilft Eine Menge Juden wohnen damsds
in Aragonien; Juden und Mauren sind eng verbunden
und zahlreiche Uebertritte finden aus beiden Religionen statt,
so dass die K^ierung hiegegen einschreitet und diesen
Wechsel verbietet In Marseille ist den Juden verboten,
am Sonntag zu arbeiten und in grösserer Anzahl als zu Vieren
sich auf dem gleichen Schi£fe nach der Levante einzuschiffen,
damit sie nicht stärker als die Christen seien; auch
wird ihnen befohlen, sich bei ihren Expeditionen vorher in
Verteidigungsstand zu setzen. In Paris leben die Juden in
verschiedenen Vierteln verteilt Die jüdischen Kaufleute
wohnen bei den Markthallen oder Bänken, welche den
Namen Judenhof führen (place des juifs) und ganz wie
die Judenviertel in Metz und Avignon gebaut sind,
während die Darleiher in der Hauptstrasse zwischen den
beiden Brücken oder in der Lautengasse, der Lombarden-
gasse oder in der Gasse von Quincampoix wohnen. Auch in
der Provence treiben die Juden noch im Jahre 1385 Uaudel
mit Gewürzen der Levante und Wachs des Landes,
welches sie zum Verkaufe zurichten, oder mit ita-
lienischem Wachs, mit dem sie die Kirchen verseheu.^')
ß. Die Judeu als Haadelüvermitütir,
Eine weitere Gewerbethätigkeit, in welcher wir die Juden
seit ältester Zeit mit Vorliebe sich bewegen sehen, ist die
Handelsvermittlung, das Maklergeschäft und Agen-
turwesen. Hier ist der um Gründe nie verlegene Judo so
recht in seinem Element und er setzt den ganzen Stolz
darein, seinen Zwedc mit allen überhaupt ersinubaren Mittehi
zu erreichen, wobei er qualitativ wenig wählerisch ist „Helf,
was helfen mag^^ ist sein Grundsatz. Wie alt gerade diese
Art der jüdischen Thätigkeit ist, die mit der Beschäftigung dei*
Juden als grosshandelnde Einfuhrkaufleute wie als
Darleiher eng zusammenhieng, insofern der Jude damit den
Absatz der Wertgegenstände erreichte, welche er selbst
oder andere Mitglieder seiner Gemeinde mit Gewinn zu ver-
äussem bestrebt waren, ist aus mannigfachen Nachrichten
ersichtlich. Die Einfuhr seltener Erzeugnisse aus
anderen Ländern bildete eben nur den ersten Teil der
geschäftlichen Thätigkeit, durch welche es den Juden
gelaug, sich die einflussreichsten Kreise der Bevölkerung, unter
der sie sich festgesetzt hatten, dienstbar zu machen; der
zweite und vielleicht schwierigste, aber bei der Charakter-
^ Depniog, Jaden im Mittelalter, 8. 293, 265 f., 182 f , 254. Sanval,
Antiquit^ de Parii , Th. 2, Bd. 10.
— 66 —
yeranlagang des Juden für ihii wohl interessanteste Teil
der Auffpsk^ war, die eingeführten kostbaren Eraengniase an
den Mann su bringen. Auch über diese Art der Thatig-
keit der Juden geben die Urkunden reichen Aufschlnsa. So
schickt schon im Jahre 473 Sidonins ApoUinaiis dem Pa-
tricius Magnus Felix von Rom swei Briefe durch den Juden
Oozolas.^*) So verstehen es die Juden im Jahre &51— 571 sehr
gut mit dem Bischof Cautinus von Clermont, der ihnoi
kostbare Ware abkauft, wenn sie ihm in kriecherischer
Weise schmeicheln.^*) Zu welchem Zwecke derartige Em-
kaufe vielfjAch erfolgten, xeigt eine weitere Nachricht, nach
welcher im Jahre 571 der Stadtpfaner Euphrosius nach dem
Tode des Bischofs Cautinus von Clermont dem Konige zahl-
reiche Kostbarkeiten sendet, die er den Juden abge-
kauft hatte^ um der Nachfolger des Cautinus zu werden.^*)
Ebenso gehört hierher ein Bescnluss des Konzils von M&con
vom 1. November 581, welcher bestimmt, nur Männer von
bewährter Tugend und vorgerücktem Lebensalter BoVLea die
Fr auenklöster betreten, aber keine gdieimen Unterredungen
mit den Nonnen haben und nur in das Sprechzimmer kommen.
Namentlich aber sollen keine Juden bei Gel^^nheit Ton
Geschäften die Nonnen heimlich sprechen oder die
Vertrauten spielen und längere Zeit verweilen.'*) So ist
im Jahre 581 ein Grossjude namens Priscus der Ge-
schäftsagent des Königs Chilperich und liefert ihm seinen
Bedarf an Levante waren. '') So befiehlt in der Zeit
zwischen 787 — 813 Kaiser Karl der Grosse einmal einem
jüdischen Kaufmann, der öfter Palästina besuchte,
um von dort kostbare und unbekannte Gegenstände
nach dem Abendlande zu bringen, den Erzbisdiof Richulf Ton
Mainz zum Scherz zu täuschen, worauf diesem der Jude {iir
hohen Preis eine Maus als kostbares aus Judäa mitge*
brachtes Tier verkauft.^')
Aber auch sonst finden wir die Juden damals schon
überall, wo es gilt, durch Gewandtheit, Findigkeit, Welter-
fahrung bestimmte praktische Ziele zu verfolgen. Man
sieht aus diesen Fällen, wie es überall die seltenen Le-
vantewaren sind, welche das Spinnengewebe bilden,
mit denen die erkorenen Opfer der edeln Kreise gefangen
werden. Dann folgt der weitere Akt Die Forderung des
Juden für seine gelieferten Erzeugnisse muss gedeckt werden
und dazu bedarf der Käufer bares Geld. Doch auch hier
weiss der Hofjude Rat, indem er als hilfsbereiter Dar-
leiher der nötig gewordenen Ba^rmittel gegen Verpfändung
von dem Geldbedürftigen augenblicklich entbehrlichen
it
) Aroniot, Regetten rar Geicbichte der Joden, 8. 6, 18 K, 16.
— 67 —
bewet^dien oder nnbeweglicfaeD Wertgegenständen helfend
znr Seite tritt So schickt im Jahre 797 Kaiser Karl der
GhxMse die Vasallen Lantfried nnd Sigmund mit dem Jnden
Isak znm „Perserkönig*^ Hamn al Raschid^ woza Isak
als erfahrener Reiseführer sehr geeignet erschieoi denn
der Handelsverkehr der französischen Juden nach Asien
war damals sehr entwickelt Im Oktober 801 kehrt indess
der Jude Isak allein aus Asien zurück, da Lantfried und
Sigmund auf der Beise gestorben sind; er landet in Porto-
Vener e, muss aber in Vercelli den Winter durch bleiben,
da er wegen des Schnees nicht über das Gebirge kommen
kann, uud trifft desshalb erst am 20. Juli 802 in Aachen
ein, wo er dem Kaiser die Geschenke des Khalifen überreicht,
uud im Jahre 800 schickt der Khalif Harun al Raschid, den
Kaiser Karl der Grosse gebeten hat, ihm aus Babylon einen
gelehrten Juden zuzusenden, den Rabbi Machor, worauf
der E^aiser denselben zum Rabbiner und Vorsteher der Juden-
hochschule von Narbonne macht ^^) So befindet sich auch
bei der Gesandtschaft, welche der Khalif von Cordova
um das Jahr 970 nach Deutschland schickt, ein Jude
namens Ibrahim- ihn -JakubJ^) So verordnet weiter im
Febmar 832 König Lothar I., dass die gerechten und alten
Zölle bei den Brücken wie von den Schiffen und
Märkten von allen Kaufleuten erhoben, neue ungerechte
Zölle aber nicht eingeführt werden sollen, und diese Be-
stimmung solle auch för alle Juden gelten, die des Handels
wegen ihr Eigentum von einem ihrer Häuser nach einem
andern oder zur Gerichts statte oder zur Heeres Ver-
sammlung schaffen ^^), und um das Jahr 12U0 setzt das
zweite Strassburger Stadtrecht fest, dass beim Ausmarsch
der Bürgerschaft die Juden die Fahne zu liefern habeu.^^)
Man sieht, es sind die Juden, welche überall, wo es sich
um Lieferungen für den Staat und das Heerwesen
handelt, die gewandten Handelsvermittler sind. So
wird weiter am 13. Juli 982 Kaiser Otto n. nach der
Schlacht von Gotrone durch den Juden Kalonymus
dadurch gerettet, dass dieser ihm ein Pferd yerschafft
Ein Schiff, auf das der Kaiser zuschwimmt, nimmt ihn
nicht auf, worauf der Kaiser an das Ufer zurückkehrt, wo
ihn der Jude erwartet hatte.^^) Weiter gehören in diesen
Bahmen jene zahlreichen Nachrichten, nach welchen die
Juden durch ihre Hilfe die Uebergabe oder Einnahme
Yon belagerten Burgen oder Städten durch ihre List
herbeiführen. So yerraten z. B. im Jahre 608 die Juden von
Arles die Stadt an die Franken und Burgunder^^),
^) Aronins, Regelten zur Geschichte der Jaden, 8. 85 ff, 66, 158,
42, 56, 7.
5»
— 68 —
80 gewinnt im September 1105 König Heinrich V. die
Stadt Nürnberg durch den Verrat eines Juden,
während er die Burg nicht erobern kann^^), so wird ja
auch die Stadt Ulm im Jahre 1316 mit Hilfe eines Juden
gewonnen. So meldet der Levite Judas, Sohn des DaTid
und der Sephora, aus Köln, der im Jahre 1128 zum Chri-
stentum übertritt und den Namen Hermann erhalt, in
seiner Lebensbeschreibung wie er schon mit 20 Jahren mit
allerlei Waren aus Köln nach Mainz gezogen sei,
denn alle Juden liegen dem Handel ob, weil sie
nur durch Handel ihr Leben fristen können. Man
sieht, der Warenhandel ist auch damals vorwiegend noch
die Hauptbeschäftigung der Juden. Aber daneben ist
das Geldgeschäft, d. h. das Pfandgeschäft, von An-
fang an in ihrer Hand und es haben sich bereits feste
Gewohnheiten für Darlehensgeschäfte der Juden
ausgebildet, indem sie stets ein Pfand yom doppelten
Werte des Darlehens nehmen.'^)
Welcherlei Art die seltenen Einfuhrgegenstände
waren, mit denen die Juden die Kauflust der hohen und
niederen Kreise erweckten, zeigen uns mannigfache Nachrichten.
So beschreibt um das Jahr 850 der arabische Schriftsteller
Ibn-Khordadbeh die Handelswege der gewöhnlich „Rad an iten'*
genannten jüdischen Kaufleute. Diese Kaufleute sprechen
persisch, romanisch, arabisch, fränkisch, spanisch
und slavisch; sie reisen bald zu Lande, bald zu Wass^
vom äussersten Westen bis zum äussersten Osten und zurück.
Aus dem Westen bringen sie Eunuchen, Sklavinnen,
Knaben, Seide, Pelzwerk und Schwerter. Ihr gewöhn-
licher Handelsweg ist, dass sie in Frankreich zu Schiff
gehen und von dort nach Far am a bei Pelusium am östlichen
Nil fahren; dort werden die Waren auf Lasttiere geladen
und gehen dann zu Lande nach Kolzum (Suez), eine Strecke
von 20 Farsakhs, wozu man 5 Tage gebraucht Von hier
geht es zu Schiff auf dem roten Meere nach EUDjar,
Ton dem es dann noch drei Tagemärsche bis nach Mediua
sind, und nach Djeddah, und Yon hier nach dem Lande
Sind (Sandelholz, Zendal), Indien und China. Aus dem
Osten zurück bringen sie dann Moschus, Aloe, Kampher
und Zimmt. Yon Farama (Pelusium) aus reisen dann noch
manche Juden auf dem Rückwege über Konstantinopel,
andere aber kehren auch unmittelbar nach Frankreich
zurück. ")
Wie sehr es die Juden verstandeu, sich durch Wohl-
dienerei den hohen einflussreichen Kreisen beliebt
zu machen, zeigt auch die Mühe, die sie sich geben, um
<*) Aromas, Regetten Eur Geichichte der Joden, S. 108 f , 60.
— «9 —
bei öffentlichen Anlässen ihr Interesse für diese Per-
sonen an den Tag zu legen. So beklagen am 22. Mai 551
die Jnden den Tod des Bisdiofs Gallns von Clermont und
folgen der Leiche mit brennenden Fadceln.'*) Im Jahre 1002,
als sich alle Herzoge von Deutschland nach den verwirrten
Zeiten unter Kaiser Otto ni. dem Kaiser Heinrich ü.
unterwerfen, bringen die deutschen Juden dem neuen
Kaiser ihre Wünsche in hebräischer Sprache dar.^*) Am
13. August 1012 wird die Leiche des Erzbischofs Walthard von
Magdeburg von der gesamten Geistlichkeit und zahlreichen
Juden eingeholt ^^) Um das Jahr 1015 beweinen die Juden
den Tod des ihnen äusserst wohlgesinnten Bischofs Adalbert 11.
Ton Metz (984— 1004). >^ Ende Juni 1051 beklagen die
Mainzer Juden den Toa des Erzbischofs Bardo. '*) Am
4. Dezember 1075 beklagen die Juden von Köln den Erz-
bischof Anno, indem sie beim Morgengrauen in ihrer Synagoge
ein lautes Wehgeschrei unter Ausrufung von Annos Namen
anstimmen und seine Rechtlichkeit und seinen reinen Lebens-
wandel preisen; sie hatten allen Grund gehabt, mit dem
hohen Herrn zufrieden zu sein, der in seinen letzten Lebens-
tagen sich noch von den Verwaltern des bischöflichen Ver-
mögens das feierliche Versprechen hatte geben lassen, dass
sie bei Bezahlung seiner sehr beträchtlichen Schulden ohne
Ansehen der Person für ihn eintreten und Juden wie
Christen alles zurückerstatten wollen.'*) Sind dies Bei-
spiele f&r die Thätigkelt der Juden als Handelsver-
mittler in den obersten Kreisen, so zeigt uns freilich
die spätere minder glänzende Zeit die Juden im
gleichen Lichte, aber in bescheideneren Verhältnissen. So
erzahlt einmal im 15. Jahrhundert ein Kanzelredner, wie ein
Jode, der den Auftrag erhalten hatte, den Heiratsver-
mittler zu machen, dem Vater des Mädchens die Vorzüge
seines Schutzbefohlenen geschildert habe. Als nun der Vater
schliesslich erklärt habe, seine Tochter sei mit einer Haut-
krankheit behaftet, habe der Jude geschrieen: „Oh, mein
JDuger Mann ist räudig bis über die Ohren und ganz mit
Aussatz bedeckt ^^
Welche Erfolge diese Thätigkeit für die Juden und
Christen ,mit sich bringt, beweisen zahlreiche Beispiele.
Schon im Jahre 768 schreibt Papst Stephan HL dem
Erzbischof Aribert Yon Narbonne, er sei zu Tode er-
schrocken durch dessen Mitteilung, dass man im Franken-
reiche den Juden gestattet habe, auf dem Lande und in
den Vorstädten erblichen Grundbesitz zu erwerben,
'*) Aronius, Regesten snr Geschichte der Jaden, S. 11« 61, 68, 65,
68f 59.
^^ Depping, Jaden im Mittelalter, 8. 254.
— 70 —
daas die Ghristen Weinberge und Aecker toh Juden be-
stellen und Christen nnd Christinnen in den Städten dims
Reichs nnd anf dem Lande bei ihnen in den Hansem wohnen,
bei Tag nnd Nacht ihre gotteslästerlichen Reden hören und
ihnen Dienste leisten.'') Welchen Reichtum in der Thit
einzelne Juden oft besessen haben, zeigt jener Jude Podi-
win, der epäter Christ wird und im Jahre 1063 die Bmg
Podiwin in der Nähe von Lundenburg in Mähren besitit.^^
Welcher Sittenzerfali im 9. Jahrhundert eingetreten war, be-
weist, wenn im Blärz 806 Kaiser Karl der Grosse den BiscÜi£Ni,
Aebten und Aebtissinnen befidblt, die Kirchenschatse stets
sorgfaltig zu beaufsichtigen, damit nicht durch die Uniedlidi-
keit oder Nachlässigkeit der Wächter etwas Yerloren gehe
Mau habe ihm beriditet, dass jüdische und andere Kaof-
leute sich rühmen, sie können alles, was sie wollen, bei des
Kirchendienern kaufen.'')
Besonders leicht unterliegen die Juden im 13. Jahr-
hundert wie auch schon in früherer Zeit der Yersuohiingi
durch Ausgabe you falschen Münzen unerlaubten OewiDu
zu machen. Sie kommen auf dem Gebiete desMünzweaens
infolge dessen bald in Streitigkeiten mit den die Ausprägimg
und den Zwischenhandel mit Währungsmünze als
Zunftrecht in Besitz nehmenden Münzerhausgenosaen-
schaften. Schon in frühester Zeit findet man die Juden
in mannigfachen Beziehungen zu den Mflnzern, wozu
ihre Stellung als Lieferanten des für die Mfinzer
nötigen Edelmetalls Veranlassung gab. So besitzt noch
im Jahre 555 der Jude Priscns die Münze in Chalona an
der Saone. Aber schon die Verordnungen Kaiser Karls des
Grossen und Ludwigs des Frommen bestimmen, kein Jude
solle bei Gefängnisstrafe und Vermögensyerlust eine Mfinze
in seinem Hause haben. In den Jahren 960—1028 erklärt
der Rabbi Salomo, es sei nicht gestattet, es so zu machen,
wie es jetzt in Deutschland geschehe, dass man Jemand
für eine Kölner Silbermünze von 12 Unzen bei der Rück-
kehr Yon der Messe in Mainz oder Worms 13 Unzen geben
lasse. Das dürfe man nur, wenn der Gläubiger die Ware,
welche der Schuldner für das Geld gekauft habe, auf seine
Wagnis bis zu dem Orte schaffe, wo er das Geld empfange.(?)^^
So wird in dem Schutzvertrage, den um das Jahr 1090
Kaiser Heinrich IV. mit der Judengemeinde in Worms ab-
schliesst, ausdrücklich festgesetzt, die Juden sollen das
Recht haben, jedermann überall in der Stadt Geld xn
wechseln, nur vor der Münze und wo die Münzerhans-
genossen ihre Wechselstuben haben, solle ihnen das
'*) AnminB, Regesten xor Geichiclite der Jaden, 8. 2i f., 60, 26, 68 f.
— 71 —
Wechseln von Qeld bei Strafe von 12 PCI Gold ver«
boten sein '*) und am 24 September 116ö bestätigt Kaiser
Friedrich L den Mfinzerhausgenossen in Worms ihr
Recht, dass niemand in der Stadt berechtigt sein solle, Geld
zu wechseln ausser ihnen, da sie für dieses Recht einen
festen Zins bezahlen, nur den Jaden sollte ihr alther-
gebrachtes Recht vorbehalten bleiben.**) Man sieht,
schon damals geraten die nicht zünftigen Juden betreflEs
des Wechselgescbäfts in Interessengegensatz mit der christ-
lich-zünftigen Genossenschaftsbank der Stadtgemeinde.
So fibertr> im Jahre 1164 der Bürger Wergand von
Wien, bevor er mit dem Erenzheere fortzieht, dem
Kloster Formbach einen Weinberg, den dieses be-
sitzt, bis der Herzog Leopold V. von Oesterreich
den Juden Salomo (Schlom) zu seinem Mflnzmeister
macht Dieser erhebt alsbald Anspruch auf den Wein-
berg, der ihm gehöre, da Wergand nur in seinem Dienst
gestanden habe, wird aber trotz wiederholter Be-
Btechungstersuche abgewiesen; wie auch Herzog Friedrich,
der Nachfolger Herzogs Leopold, dieselbe Entscheidung fällt
Das Ende ist ein Vergleich, demzufolge Schlom gegen einen
Jahresertrag und 20 Pfd. allen weiteren Ansprüchen ent-
sagt^*) So stirbt im Jahre 1205 in Köln der wegen seiner
Habsucht berüchtigte Kanoniker, Münzmeister und Münzer-
hansgenoese Gottfried zu St Andreas. Ein Geistlicher hat
dabei die Vision, Gottfried liege vor der Münze zu Köln
auf dem Ambos, während der Judenbischof, d. h. der
Vorstand der Judengemeinde, Jakob, sein Freund, mit
einem Hammer auf ihn losschlägt, bis er so dünn geworden
ist als die Kölner Heller damals waren« So ist in den
Jahren 1207—1223 der Jude Jechiel Münzmeister des
Bischofs Otto ton Würzburg. So setzt femer am 9. März
1207 König Philipp von Schwaben in einem Freiheitsbriefe
für die Bürger ton Regensburg fest, wenn ein Geistlicher,
ein Laie oder auch ein Jude (die Juden werden bereits in
letzter Linie und nur einschränkend genannt) ron
Regensburg G6ld oder Waren ausserhalb der Stadt zu
einem Geschäfte gebe, solle er mit den anderen Bürgern
der Stadt alle Lasten tragen müssen.^*) Am 30. Juni
1230 dagegen bestätigt König Heinrich VIL den Juden in
Regensburg nur das Recht, daselbst Gold und Silber
zu kaufen und zu YOrkauifen. '*) Vom Warenhandel
ist keine Rede. So bestimmt am 19. April 1240 der
Bischof Heinrich I. von Konstanz in einer Münzordnung
'*) AroDins, Begesten lor Oescbichte der Jaden, S. 75^ 186, 166,
197, 151, 168 f^ 188 f.
— 72 —
für seine MimzstäUen in Konstanz, 8t Gallen, Radolfs-
Zell, Ueberlingen, Ravensburg und Lindau, kein
Jude oder Christ solle eine Wage in seinem Hause haben,
um dieselbe zum Ein- und Verkauf oder zum Wiegen für
andere zu benützen. Nur die Wage des Münzmeisters solle
hiezu und zwar kostenfrei benützt werden. Allen Christen
und Juden aber ist das Geldwechseln rerboten, nur dem
Münzmeister ist es gestattet^) So bestimmt im Jahre 1264
der Herzog Boleslaus ron Polen, die Münzmeister sollen
keinen Juden wegen Falschmünzerei oder anderei* Ver-
brechen ohne Zustimmung des Hofgerichts oder inG^enwart
ehrbai'er Bürger gefangen nehmen dürfen.'^) So werden im
Jahre 1287 die Juden in England wegen Falsch-
münzerei des Landes verwiesen. So bestimmt die Ulmer
Judenordnung vom 15. Mai 1425: „Auch mugen die
iuden und iüdin wol redlichen, ungefiUirlichen Wechsel
mit rinischem, ungrischem, böhmischem und wel-
schem geld trieben, wan das alles afentur haisset und
ist*^*') Hier wird also die Berechtigung der Juden, welchen
der filandel mit Kaufmanns- oder Währungsgut unter-
sagt ist, zum Wechseln der genannten Münzsorten
ganz logisch damit begründet, dass die genannten Münz-
sorten nur Abenteurergut und kein Währungsgut sind.
Der Zwischenhandel mit Währungsmünze gehOrt den
Münzern, der Handel mit fremder Münze ist ein
freier Handel; ihn darf auch der Jude ti-eiben. So heisst
es ferner an einer andern Stelle dei-selben Ordnung: ^Was
den iuden unter solicher afentur e an gold, silber und
kleinoten, das gebrochen, geschlagen oder sonst als arg-
wönig fürkomet, das sullen sie an die goldschau bringen,
ob sie rechtfertig sie", und in der Ulmer Goldschmied-
ordnung vom 14. November 1394 wird bestimmt: „Wo
fürbas aubenteurer herkument mit ir aubenteur, die
fail hätten und soUiche nit für aubenteur, sondern für
recht kaufmannschaft hingäben und verkauften, dass
soUichs die goldschmied ufheben sollen und mugent das
einem burgermaister und raute überantworten.'^'*) Durch
'*) Aronius, Regesten zur Geschichte der Juden, 8. S25.
*M Depping, Juden im Mittelalter, S. lU f., 182, 197.
*') OrdnuDir vom Äftermontag vor Auffahrstag 1425. Jftger, Ulms
Verfassung, 8. 892. NQbling, Ulms Fischereiwesen, 8. 8.
**) Ordnung von 8t Katharina abend 1894. Jäger, Ulms Verfassung,
8. 892 und 669. In einer Stelle in Manessens Minnesängern heisst es:
„Die aventure spottet mein'*; hier hat das Wort also den Sinn von For-
tuna-Zofkll, was auf den Begriff des Abentenergutes vollständig passt, bei
dem der Käufer nicht weiss, ob er etwas Gutes oder etwas Scblechtea
erworben hat. 8o erlässt der Rat am 18. Oktober 1489 ein „Gesetx der
Abenteuertuche halber^, welche einige Barchentweber im »lääu^*, d. h.
auf dem Lande, wirken. Nobling, Ulms Fischereiwesen, 8. 8.
— 73 —
das ganze spatere Mittelalter spielt die Frage nach der Be-
schaffenheit der Ware eine ganz andere Rolle als heat-
zntage nnd fortwährend sieht man die Obrigkeiten bei jeder
Gelegenheit eifrig bemüht, dem Käufer, welchem an guter
Ware gelegen ist, Grelegenheit zu geben, sich solche auf die
möglidbst bequeme Weise zu verschaffen. So bilden sich im
gesammten Verkehr fiu: alle wichtigeren Handelsgegenstände
obrigkeitliche Einrichtungen heraus, welche den Zweck haben,
eine möglichst weitgehende Gewähr für gute Beschaffenheit
der Waren zu geben, und hiedurch entsteht der Unterschied
zwischen „Kaufmann sgut^^ Wehrschafts-, Währungsgut,
Ware schlechtweg, mercatura (marca-Schauzeichen), d. h. Ware,
bei welcher dem Käufer durch irgend welche amtliche Mass-
r^el einer Behörde oder Korporation, z. B. durch Schan^eichen,
wie Tor allem beim Metallgäd, aber auch bei den Goldwaren,
der Leinwand, dem Barchent, den gestempelten Häringenu.s.w.,
Sicherheit fär gute Beschaffenheit der Ware gegeben ist, und
zwischen „Abenteuergut^S adventnra, d. h. Gut, das von
auswärts kommt, bei welchem diese Sicherheit nicht gegeben
ist, das keine Prüfung durch die Behörde bestanden hat.'^)
Dass die Juden neben ihrer Thätigkeit als freie Gross-
händler mit Waren, fremder Münze und Sklaven als
zünftiges Privileggewerbe nicht ausschliesslich das
Darleihgeschäft auf Pfänder gegen Zinsen betreiben,
dass wiederholt Versuche gemacht werden, sie zu anderweitigen
Thatigkeiten zu bewegen, zeigen mannigfache Nachrichten.
80 werden namentlich in Frankreich wiederholt Versuche
in dieser Richtung gemacht König Philipp der Kühne er-
neoert die Bestimmung König Ludwigs IX., die Juden sollen
Handwerk oder Handel treiben, sich aber mit dem Dar-
leihgeschäit nicht mehr befassen. '') Der Grund für die
allmäüiche Umbildung der Juden in zünftige Darleihge-
Bossenschaften ist die zunehmende genossenschaftliche
Gestaltung des Erwerbslebens. Seit der innere Zwischen-
bandd oder Kleinhandel innerhalb der politischen Staats-
gebiete des Mittelalters seitens der Staatsgewalt an einzelne
Erwerbsgenossenschaften zu Lehen gegeben wird mit der
Befugnis, diesen Handel gegen ein Entgeld an die Staats-
kammer ausschliesslich auszuüben, sieht sich der jüdische
fieiwokner neben dem Grosshandel mit fremden und ein-
heimischen Erzeugnissen und dem Wechselgeschäft mit fremden
Münzen immo: mehr auf das Gelddarleihgeschäft be-
schränkt und die Judengemeinden werden zu Darleiher-
genossenschaften, wie es Metzger- und Bäckerge-
nossenschaften gibt So war es denn auch folgerecht,
wenn z. B. in Nürnberg bestimmt wurde, kein Jude solle
^) Nabling, Ulms FisehereiweMa im Mittelalter, 8. 8.
— 74 —
bei Strafe von lOPid. Hlr. eine Kaufmannschaft treiben;
nur Fleisch und Pferde sollten sie kaufen und yerkaufen.
Wein oder Bier aber den Christen zu geben oder mit Gewürz
„nach dem Gelote^ Kaufmannschaft zu treiben, d. h. daaselbe
im Kleinen auszuwägen, war den Juden Yerboten*^),
wie auch im Jahre 1276 König Ottokar Yon Böhmen ak
Herzog von Niederösterreich allen Juden dieses Lands
strenge verbot, Es s waren und Qetränke zu verkaufen.
/. Die Juden als Skla?enhiodler.
Eine besondere Seite der jüdischen Grosshand els-
thätigkeit, welche eingehenderer Behandlung bedarf, war
der Sklayenhandel, insofern er seit den frühesten Zeiten
gewissermassen die Grundlage des jüdischen Gross-
handelsverkehrs bildet Die Entwicklung dieses Han-
delsverkehrs hieng eng zusammen mit der Schuldknechtr
schalt, in welche der Freie gewöhnlich dadurch verfiel,
dass er im Kriege gefangen wurde und nun in der Zwangs-
lage war, entweder seine Freiheit durch Erlegnng eines
Lösegelds wieder zu erlangen oder in die Sklaverei zu
wandern. Beispiele für dieses Verhältnis finden sich in
Menge. So verwendet im Jahre 508 der Bischof Casarius
von Arles nach der Vertreibung der Franken durch
die Goten die Kirchengeräte zum Loskauf d^ Ge-
fangenen, damit keiner wegen seiner Schulden Arianer
oder Jude werde. Man sieht, die Juden sind es, welche
nach dem Siege der römisch-katholischen Katalonier
über die ketzerischen Franken diesen die Gefangenen
abgekauft haben und die jetzt die Kirchengeräte
der proven$alischen Christen gegen Freilassung dieser Ge-
fangenen in die Hände bekommen. Da solche Käufe aber
eine gegebene Grenze haben, sieht sich die Kirche veran-
lasst, hiegegen einzuschreiten, wesshalb im Jahre Ö41 das
vierte KonzU von Orleans die Bestimmung erneuert, dass
christliche Sklaven, wenn sie aus einem Judenhanse
in eine Kirche fliehen, von den Juden freigelassen
werden sollen, wenn die Christen einen angemessenen
Preis bezahlen. Man sieht, die Juden hatten in allzu-
weitgeheuder Ausnützung der Zwangslage, in welcher sich
der in Schuldknechtschaft Gefallene befand, derartige
wucherische Lösegeldforderungen gemacht, dass das
öffentliche Interesse ein gesetzliches Einschreiten durch ein
Wuchergesetz erforderlich machte. Wenn ein Jude einen
Fremden zum Juden macht, bestimmte dann weiter dasselbe
Konzil, oder einen Christen zum Judentum verfuhrt oder eine
Christensklavin erwirbt, oder einen christlichen Sklaven
"») Wttrfy, NOrnbergs Jadeocemeinde, 8. 87.
— 76 —
g^ndasVerspreclien der Freiheit zum Juden macht,
80 soll er znr Strafe den Sklaven yerlieren»**) Fortwährend ist
es denn auch seither die Frage der christlichen Schuld-
sklaten der Juden, welche gewissennassen den Kern-
punkt der damaligen Bewegung gegen das Judentum
bildet. So trifft im Jahre 576 der heilige Grermanus auf der
Reise von Tours nach Severiacus, einem Gute in der Nähe,
den Amantins an, der von einigen Juden in Ketten geführt
wird, weil er sich den jüdischen Gesetzen nicht unterwirft,
lud befreit denselben, indem er das Kreuzeszeichen über
ihn macht und ihn so zum Christen weiht'*) Die Juden
freilich wehren sich mit allen Mitteln gegen diese Neuerung,
welche die katholische Kirdie gegen sie einführt und welche
ihre weit^e kirchengeeetzliche Ausbildung dadurch findet, dass
am 1. November 571 das Konzil von M&con bestimmt, da die
Juden in den Städten sich mannigfach weigern, ihre
christlichen Sklaven den kanonischen Gesetzen zu-
folge gegen entsprechende Bezahlung freizu-
lassen, 80 solle in Zukunft kein Christ mehr Sklave bei
einem Juden sein, sondern jeder Christ das Recht
haben, einen solchen Sklaven zum Preise von 12 Soldi
für einen guten Sklaven zur Freiheit oder zu
weiterer Knechtschaft loszukaufen; denn diejenigen,
welche Christus mit seinem Blute erlöst habe,
dürfen nicht in den Ketten der Verfolger desselben
bleiben. Weigere sich der Jude, so solle der betreffende
Sklave so lange bei Christen wohnen dürfen, wo er wolle.
Werde ein Jude überfuhrt, einen christlichen Sklaven durch
Ueberrednng zum Judentum bekehrt zu haben, so solle er
den Sklaven und das Testamentsrecht verlieren'*), also
dem Sterbfallsrecht in seinem vollen Umfange unterliegen.
Fortwährend ist seither denn auch die römische Kirche eifrig
bestrebt, die christlichen Sklaven aus der Sklaverei der Juden
ireiziikaufen. So erfährt im Hai 597 der Papst Gregor von
einem gewissen Dominikus, die Juden zu Narbonne haben
dessen vier Brüder aus der Gefangenschaft losgekauft
und als Sklaven zurückbehalten, weeshalb er befiehlt,
diese loszukaufen, und im Juli 599 fordert derselbe Papst
Gregor die Königin Brunhilde von Burgund und die Könige
Dietrich und Dietbert von Frankreich auf, den Juden das
Halten von Christensklaven zu verbieten.'*) Im Jahre 624
bestimmt das Konzil von Reims, dass Qiristen nicht an
Jaden oder Heiden verkauft werden sollen. Verkaufe ein
Christ aus Not seine Sklaven an Heiden oder Juden, so
BoUe er aus der Kirche ausgestossen werden, der Kauf aber
**) Aroniiu, Regesten lur Geechichte der Jaden, S. 11, IB, ISf., 19, 20.
— 76 —
ungültig sein. Wenn Juden ihre Cbristensklayen zum
Judentum bekehren wollen oder rie martern, sollen die
Sklaven der Staatekammer zufallen.'^)
Wie weit hinein ins Mittelalter dieser jfidische Sklaven-
handel eine Rolle spielt, zeigen zahlreiche weitere Machrichten.
Wir haben oben gesehen, wie es auch im 9. Jahrhundert vor
allem Eunuchen, Jungfrauen und Knaben sind, welche
die Juden von Südfrankreich aus als begehrte Handels-
ware nach der Levante verfrachten.*®) Woher sie diese
Handelsgfgenständo bezogen, zeigen mehrfache Beispiele. So
kommt um das Jahr 826 ein Mann ans Gordova zum Erz-
bischof Agobard nach Lyon geflohen, der erzählt, die Juden
haben ihn vor 24 Jahren ids kleinen Knaben in Lyon
geraubt und verkauft, er sei aber jetzt mit einem Ge-
nossen, den die Juden vor 6 Jahren geraubt haben, ent-
flohen. Massenhaft werden gegenwärtig christliche
Gläubige von Christen an die Juden verkauft und die
Juden verüben Dinge, die viel zu schändlich seien,
um sie niederzuschreiben.*'^) So schliesst um das Jahr 825
Kaiser Ludwig der Fromme einen Schutz vertrag mit dem
Rabbi Domatus und dessen Neffen Samuel ab, durdi welchen
unter anderem den beiden Juden ausdrücklich gestattet
wird, fremde Sklaven zukaufen und innerhalb des Reichs
wiederzuverkaufen, währ^id ein weiterer Schntzvertrag,
den Kaiser Ludwig der Fromme mit dem Juden Abraham aus
Saragossa abschliesst, bestimmt, dem betreffenden Juden
solle das Recht zustehen, fremde Sklaven zu kaufen,
doch solle er sie dsim nicht wieder ausführen dürfen,
sondern sie innerhalb des Reichs verkaufen müssen.'^
Es ist die bewegte Zeit, als in den Jahren 822—825 der
Erabischof Agobard von Lyon seine Thätigkeit gegen
die Uebergriffe des Judentums beginnt, indem er
sich an die Edelleute Adalhard und Wala und den Kanzler
Helisachar wendet Als er mit ihnen in der Kaisorpfala ge-
sessen sei, erzählt der Bischof, habe er sich gegen die juden-
freundliche Haltung einiger Höflinge ausgesprodien
und diese haben ihn infolge dessen beim Kaiser ange-
schwärzt Agobard fragt nun an, wie er sich verhalten
solle, wenn seither heidnische Sklaven von Juden sich
taufen lassen. Der Judeumeister, d.h. der Amtmann der
Judengemeinde, in Lyon mache ihm Schwierigkeiten in
dieser Sache und es wäre sicherlich zu dem ganzen Sireite
gar nicht gekommmen, wenn dieser Beamte sich nicht
so masslos und unvernünftig verhalten hätte.*'') In
einem weitern Schreiben an den Erzkaplan Hilduin und
*^ AroniuB, Begesten zur Geschichte der Juden, S. Sl, 89,90, 88, 84 ff.
•^ \vTgl 8. 68.
— 77 —
den Abfc Wak beklagt sich daan der Enbiacshof
einen neuen Erlass der Reichsregierang, nach dem
jüdische Sklaven nur mit Einwilligang ihrer jü-
dischen Herren sollen getanft werden dürfen. E^ne
getaufte Jüdin werde auf Grund dieses Erbsses jetzt Yon
den Juden schwer yerfolgt; der Erlass yerstosse
gegen die Kirchengesetze und bringe ihn so in einen
Gewissensstreit''') Die Autwort ist, dass die Beiohs-
regierung den Grafen Ton Lyon anweist, dem Jaden-
meister Yon Lyon Beistand gegen den Erzbischof
zu leisten, worauf der Erzbischof in einem Schreiben
an die Reichskanzlei erklärt, er könne diesen Befehl nicht
als echt halten, der den Uebermut der Juden von
Lyon aufis höchste gesteigert habe. Der Erfolg ist
aber lediglich, dass ein kaiserlicher Sendbote namens
Eberhard und spätem zwei weitere Reichskommissäre, Gerrich
und Friedlich, in Lyon erscheinen, um den Juden weitern
Beistand zu leisten, so dass die Juden noch mehr die
Oberhand erhalten. Bitter beklagt sich der Enbischof, die
Juden wagen es ungescheut, den Christen Un-
glauben zu predigen, und schmähen Gott und den
Heiland straflos, nachdem die Sendboten erklärt
haben, die Juden seien nicht dem Kaiser zuwider,
sondern er sei ihnen sehr gnädig gesinnt, wie auch die
Dienerschaft der Sendboten überall erzähle, dass
man bei Hofe die Juden den Christen vorziehe. Man
verfolge ihn, weil er den Christen predige, sie sollen den
Juden keine christlichen Sklaven verkaufen, und
weil er nicht zugeben wolle, dass die Juden Christen
nach Spanien verkaufen oder als Lohnknechte in
ihren Häusern haben, weil er verboten habe, dass christ-
liche Frauen den Judeasabbath feiern, am Sonntage
für die Juden arbeiten und in der Fastenzeit mit den
Juden speisen, und weil er den christlichen Tag-
löhnern der Juden verboten habe, an Fasttagen
Fleisch zu essen; weil er nicht erlaube, dass die Christen
Fleisch von den Juden kaufen, um es au Christen
wiederzukaufen, und dass die Christen Judenwein
trinken. Er habe dazu aber seine guten Gründe; denn es
sei Sitte bei den Juden, nur dasjenige Fleisdh an die
Christen zu verkaufen, das sie selbst als unrein verschmähen
und das sie dessbalb „Christenvieh^^ nennen, und den
Wein, den sie lediglieh zum Verkauf an die Christen
und nicht zum Haasgebrauche halten, vorh^ zu
verunreinigen. Dazu schmähen sie täglich in ihren
Gebeten den Heiland und die christliche Kirche.
Dessbalb habe er die Christen aufgefordert, sich in Speise
— 78 —
QDd Trank Ton den Jaden zn sondern; im ftbrigen aber,
da die Juden nnn einmal da seien, wolle er nicht, dass
man schlecht gegen sie handle oder sie an Leben, Ge-
sundheit und Vermögen schädige, sondern man solle sich
ihnen gegenüber als Christ benehmen. Zum Schaden des
Christentums, fährt dann Agobard fort zu klagen, dürfen sich
die Juden rühmen, sie seien dem Kaiser wegen der Erz-
väter lieb, sie verkehren hochgeehrt bei Hofe und
erklären, es stehe nichts in den Kirchenordnungen, dass man
den Juden keinen Wein abkaufen und nicht mit ihnen essen
und trinken solle. Die Prinzessinnen und Hofdamen
schenken den Judenfrauen kostbare Kleider und
überall bauen die Juden neue Synagogen, man habe die
Märkte den Juden zulieb vom Samstag auf andere Tage
verlegt, was nur den Juden nützlich sei; denn die in dier
Nähe Wohnenden kaufen am Samstag i^re Lebensmittel und
haben dann am Sonntag Zeit für die Messe und Predigt, die
aus der Feme Kommenden aber treffen einen Abend- und
einen Morgengbttesdienst an. Agobard beruft sidi dann auf
den heiligen Hilarius, der ebenfalls das Speisen mitJuden
und das Grüssen von Juden für unschicklich eiUärt
habe. Die Folge des Zusammenwohnens von Christen
und Juden sei, dass manche Christen bereits den Sabbath
feiern, dagegen am Sonntage von der Kirche verbotene
Geschäfte verrichten und die Fasten nicht mehr halten,
sowie dass die Juden chrisÜidie Frauen, die sie als Mägde
oder Taglöhnerinnen in Dienst nehmen, in schändlicher
Weise verführen. Agobard schickt desshalb dem Kaiser
eine Schrift ein, in welcher er mit Hilfe einiger anderer
Bischöfe alles zusammengestellt hat, was gallische Könige
und Bischöfe seit alter Zeit über den Unterschied zwischen
den Christen und den Juden festgesetzt haben. Der
Erfolg dieser Thätigkeit ist denn auch, dass im Jahre 829
in Lyon eine Synode unter Vorsitz des Erzbischofs Agobard
stattfindet, in der die Judenfrage einen der Hauptpunkte
gespielt zu haben scheint'*)
Ebenso eifrig in der Judenfrage wie Agobard ist sein
Nachfolger auf dem Lyoner Bischofssitze, der Erzbischof
Amulo; auch er ist redlich bestrebt, die Macht des Juden-
tums einzudämmen. Er schreibt im Jahre 846 ein Buch
gegen die Juden, weil ihr verabscheuungswürdiger
Unglaube und der Schaden für das Christentum, der
durdi den Verkehr mit ihnen entstehe, selbst bei
vornehm und gebildet sein wollenden Leuten, namentlich in
Gegenden, wo keine Juden wohnen, noch viel zu wenig
bekannt sei. Er gibt darin Anleitung, wie sich der Christ
**) Aronias, Regesten zur Geschichte der Juden, 8. 86 bis 42.
— la-
den Jaden gegenüber za verhalten habe. Amulo
erklärt die Jaden für Ketzer; man müsse desshalb than-
liehst vermeiden, mit ihnen in Verkehr zu treten,
sich mit ihnen zu unterhalten, bei ihnen zu sitzen, mit
ihnen zu gehen, sie zu küssen, wodurch manche Christen
ihnen schmeicheln. Die Juden seien noch schlechter
als die Ketzer und Schismatiker, weshalb auch die
Kirche an der Passion für sie erst nach den Genannten bete.
Seit in Lyon und in zahlreichen anderen Reichsstädten sich
so viele Juden angesiedelt haben und sprechen und thun
dürfen, was sie wollen, haben die Seelen der Christen
schweren Schaden gelitten, da bereits viele Christen
gegen die Lehren der Bibel und die kanonische Ordnung
ihnen völlig zugefidleu seien. Man gehe mit ihnen um, man
diene ihnen in ihren Häusern und auf den Aeckem. Weil
sie keine Christensklaven halten dürfen, haben sie freie
Christen als Lohnknechte, auf die sie derart einwirken,
dass viele bereits sagen, die jüdischen Ansichten seien
besser als die der christlichen Oeistlichen; ihre
Taglöhner und Taglöhnerinnen feiern den Sabbath
and arbeiten am Sonntag, brechen das Fasten an den
gebotenen Tagen, und geben sich den Juden zur Unzucht
hin. Dann vergiften die Juden überall mit ihren ab-
sichtlich gefälschten Weinen die Leute und mit
solchen Weinen werden meistens noch die göttlichen
Opfer gefeiert Amulo erzählt, wie getaufte Juden ihm
berichtet haben, dass einige Juden, die in den Städten
unerlaubter Weise als Zöllner eingesetzt seien, an abge-
legenen Orten die Christen betrügen und sie zur Verleug-
nung des Heilands überreden, wie sie den getauften
Jaden nachstellen und so der Christenglauben erschüttert
werde. Ein Beispiel sei der Uebertritt des alemannischen
Diakonus Bodo zum Judentum.*^) Forner fordert Amulo
alle Bischöfe auf, in gemeinsamer Arbeit es bei den
Königen dahin zu bringen, dass überall die Vorschriften gegen
die Juden zur Durchfuhrung kommen und weist die Könige
darauf hin, dass sie dereinst vor Gott werden Rechen-
schaft geben müssen, ob sie auch den Christenglauben
geigen die Befleckung durch die Juden geschützt und
die Schlechtigkeit der Juden geziemend hintange-
balten haben, und dass sie sich nidit den Vorwurf zu-
ziehen dürfen, sie haben den Jahressteuern und Ge-
schenken der Juden zu lieb den Christenglauben
▼emachläesigt Denn auch sie haben, wie er bei aller
schuldigen Ehrfurcht offen ausspreche, kein grösseres Reich
oder eine gewaltigere Macht, als die alten frommen Fürsten,
"^ Arcminf, Eegesten aar tietchichte der Juden, 8. 4A f.
— 80 —
welche die ckristlickeH Vorsckriften befolgt und
trotzdem dieselben Leistungen Ton den Juden
erhalten haben. Wenn ein christlicher Königs-
sklave einen Nachbar an seinem Acker oder Weinberg
oder Vieh schädige, werde man ihn gewiss nach dem welt-
lichen Gesetze bestrafen and den Nachbar entschädigen;
um wie yiel mehr mflssen diese nnglänbigen Sklayen,
die den Acker des Herrn, die Kirche, schwer ver-
letzen, durch des Königs Machtund der Kirche Becht
im Zaum gehalten werden. Dann liest Amulo dreimal
öffentlich ausrufen, kein Christ in der Stadt oder
auf dem Lande solle künftig mehr einem Juden
dienen dürfen, sondern diese sollen mit ihren Hei de n-
sklayen ihre Arbeit selbst yerrichten und niemand
solle mehr Speise und Trank yon den Juden nehmen^
und es wird strenge yerboten, Christensklayen an
Heiden oder Juden zu verkaufen, wie auch jeder
christliche oder nichtjüdische Sklave, den ein Jude
kaufte und beschnitt, frei sein sollte. Man sieht ans
diesem Ausrufe, dass auch hier den Kernpunkt der
ganzen Streitfirage die Frage der jüdischen Arbeits-
kräfte bildete. Es ist ein Stück Arbeiterfrage
ersten Bangs, das sich in diesem Hachtstreite
xwischen römischer Kirche und Judentum vor
tausend Jahren abspielt'^)
War mit diesen Verordnungen dem Handel der Juden
■lit christlichen Sklaven im fränkischen Beiehe ein
kräftiger Damm entgegengesetzt worden, so gieng der
Handel der Juden mit nichtchristlichen Sklaven un-
entwegt weiter. Auch im 10. Jahrhundert sehen wir die
Juden den Sklavenhandel im grossen Masastabe
treiben. So machen um das Jahr 949 die Kauilente Ton
V er dun Knaben in grosser Menge zu Eunuchen und
veikaufen sie nach Spanien.*^) Immerhin scheinen aber
die obigen Oesetaesbestinmiungen die Folge gehabt xn
haben, dass sich die Ausfnhrthätigkeit in diesem Handels*
gegenstände weniger mehr des Wegs durch die Provenee
und das Mittelmeer bedient, sondern dass der Haupt-
Strom der Sklavenausftihr sieh mehr durch die Donaa-
länder nach dem Osten bewegt So erneuert um das
Jahr 906 König Ludwig das Kind auf die Bitte der
bayerischen Bischöfe, Aebte, Grafen und aller, die laek
Osten reisen, die Bestimmungen der bayerischen Zölle.
Dabei wird bestimmt, dass alle Juden und anderen Kaaf*
lernte den gesetzlichen Zril für ihre Sklaven und Waren
*^) Aronios, Regetten rar Gescbidile der Juden, S. 47, öl.
— 81 —
"wie in alten Zeitoi zahlen sollen.**) Man sieht ans der Vor-
anstellung der Juden Tor die anderen Kaufleute, dass
die Jnden auch damals noch die Haoptvertreier anf dem
Gebiete des Sklavenhandels wie des Warenhandels sind.
Wie stark entwickelt im 10. Jahrhundert der Sklavenhandel
gerade in Böhmen ist, zeigt eine weitere Nachricht, nach
welcher im Jahre 989 der heilige Adalbert das Bistum Prag
anfgibt, weil er nicht alle Christensklaveu mehr los-
kaufen kann, welche die Juden dort aufgekauft haben.*')
Man sieht, eine der Hauptaufgaben der damaligen Landes*
herren ist die Befreiung von Sklaven; wer dieser Aufgabe nicht
gewachsen ist, muss auf seine Stellung verzichten, eine 6e-
pflogenhdt, die auch noch im 11. Jahrhundert ihren Fortgang
nimmt So wird im Jahre 1009 der Markgraf Gunzeliu von
Meissen bei Kaiser Heinrich IL verklagt, dass er die Leib-
eigenen anderer Personon an die Juden verkauft und gegen
den Befehl der Regierung nicht befreit habe.**) So
kauft im Jahre 1085 Judith, die Gemahlin des Herzogs
Wladislaus von Polen, mit ihrem Gelde viele Christen
von der Sklaverei bei den Juden los.**) Es ist ein
Stock Grundverschuldung, das sich damals schon
abspielt und seiue Erledigung dadurch findet, dass die
Schulden der betreffenden christlichen Schuldner den Juden-
gläubigem seitens der Landesherrschaft herausbezahlt wei'den,
so dass der ganze Vorgang, sobald man statt des Namens
des betreffenden Landesherm die neuzeitliche Bezeichnung
Staatsregierung setzt, als eine öffentliche Grund-
schuldenablösung bezeichnet werden kann. So erfolgt
z. B. am 22. Juli 1124 in Böhmen der Sturz des Juden
Jakob, der bei dem Herzog Wladislaus L das Amt eines
Viztums bekleidet hatte. Getauft, lallt er vom Christen-
tum wieder ab, zerstört nächtlich den in der Synagoge er-
richteten Altar und wirft dessen Reliquien in seinen Abtritt
Der Herzog lässt ihn ergreifen, zieht sein Vermögen ein, gibt
ihn aber gegen 3000 Pfd. Silber und 100 Pfd. Gold wieder
frei, worauf mit dem Gelde des Juden alle christ-
lichen Schuldsklaven von den Juden losgekauft
werden mit der Bestimmung, dass künftig den Juden kein
Christ mehr solle Dienste leisten dtirfeu. Da dieser Zweck
auf keine andere Weise zu erreichen ist, als wenn den Juden
das Halten auch von freien christlichen Lohnkiiechten
odor Mägden verboten wird, da die Juden seither sich
dadurch geholfen hatten, dass sie sich statt der ihnen ver-
botenen christlichen Leibeigenen freier christlicher
Lohnbediensteten bedienten, so verbietet die Kirche die
Anstellung christlicher Dienstboten durch die Juden,
**) Axooiui, Breiten zur Geschichte der Jnden, S. 52, 58, 59 f., 71, 101.
6
— 82 —
ein Vorgeben, dem freilich die weltliche Beichsgewalt
der salischen Kaiser sofort entschieden entgegentritt.
Sind also die Verbote des Haltens von Christensklaven
seitens der Jaden bis in die ältesten Zeiten zu yerfolgen, so
ist es anders mit dem Halten yon freien christlichen
Dienstboten seitens der Juden. Wohl bestimmt schon
im Jahre 809 Kaiser Karl der Grosse, kein Jude solle am
Sonntag einen christlichen Taglöhner mieten**), aber
während der Woche scheint das Halten Ton freien christlichen
Angestellten den Juden bis zum Ende des 12. Jahrhunderts
ni(£t untersagt gewesen zu sein und auch nachdem derartige
Bestimmungen seitens der Kirche eingeführt worden sind,
unterliegen sie je nach der mehr oder weniger kräftigen wirt-
schaftlichen Stellung der Juden strengerer oder weniger scharfer
Durchführung. So bestimmt der Schutzvertrag, den um das
Jahr 1090 Kaiser Heinrich IV. mit den Juden von Worms ab-
scbliesst, dem Bischof solle kein Becht zustehen, Einspruch zu
erheben, dass die Juden christliche Mägde und Ammen
halten'^; so bestimmt noch um das Jahr 1150 eine Ver-
ordnung des Papstes Gratian lediglich die Stellung der Sklaven
der Juden, die Ehen und den Verkehr zwischen Christen und
Juden, den Uebertritt der Juden u. s. w.'*) Dagegen ver-
bietet in den Jahren 1159 — llHl Papst Alexander lU. allen
Christen, dauernd gegen Lohn bei Juden dienen;
auch sollen die Hebammen und Ammen die Kinder von
Juden nicht in den Judenhäusern nähren dürfen, da die
Sitten der Juden und Christen nicht übereinstimmen, damit
diese nicht vom Judenglauben abgebracht werden.*') Erst am
19. März 1179 beschliesst das dritte lateranische Konzil, die
Juden und die Sarazenen sollen weder zur Erziehung
ihrer Kinder, noch zu Knechtesdiensten, noch aus anderen
Gründen christliche Dienstboten in ihren Häusern haben
dürfen und jeder, der bei einem Juden wohne, solle aus
der christlichen Kirche ausgestossen werden.**)
Dass übrigens auch damals noch nicht nur in den öst-
lichen slavischen Ländern, sondern auch im deutschen
Westen der Sklavenhandel der Juden sehr entwickelt
war, beweist eine Bestimmung vom Jahre 1100, nach welcher
an der dem Simeonsstifte zu Trier gehörigen Zoll statte zu
Koblenz die Juden für jeden verkäuflichen Sklaven
vier Denare Zoll bezahlen mussten"), und wie lange der
Sklavenhandel weitergieng, beweist, dass als im Jahre 1226
der Bischof Lorenz von Breslau mit Genehmigung des Her-
zogs Kasimir von Oppeln die alten Zölle zu Rosenberg
und Siewierz aufis neue festsetzt, bei den Polen für jede
verkaufte Frau und jeden verkauften Knecht ein Skot
•*) Aromas, Regelten lor Geachichte der Jaden, 8. 26, 76, 115, 187 f., 96-
— 88 —
Slber za zahlen ist und jeder durchreisende Jude, der
aber nickt yerkanft werden darf, ebensoviel zahlen muss.
Fremde Reiter und Fussgänger mit Waren, Christen oder
Juden, zahlen zwei Oppe^er Groschen, einheimische Reisende
sind frei. Die betreffende Handelsstrasse gieng aus Mähren
nach Kujawien. '^)
Weitere Maenregeln der Kirche gegen das Halten yon
christlichen Dienstboten dur(£ die Juden erfolgen
namentlich seit dem Beginne des 13. Jahrhunderts. So
wirft im Jahre 1205 Papst Imiocenz III. dem König TOn
Frankreich vor, wie er dulden könne, dass die Juden
christliche Dienstboten und Ammen haben. '^) Auch
die Dekretalen des Papstes Gregor IX enthalten die Be-
stimmungen betreffs der christlichen Sklayeu, Diener
und Ammen der Juden und am 4. März 1233 beklagt sich
Papst Gr^or IX. bei der deutschen Geistlichkeit über die
Ausschreitungen der deutschen Juden. Diese halten sich
christliche Dienstboten, welche sie beschneiden lassen
und gewaltsam zu Juden machen; sie nehmen christ-
liche Ammen und Dienerinnen in ihre Häuser auf,
welche jene bekannten ungeheuerlichen Dinge bei ihnen
yerüben, die den Hörer mit Abscheu und Schrecken erfüllen. '^)
Die Folge dieser Erlasse des pästlichen Stuhls sind denn auch
eine Reihe von Verordnungen der deutschen Kirchenprovinzen
in der Sache. So schliesst im Jahre 1233 das Mainzer
Provinzialkonzil alle Christen, welche bei Juden als
Dienstboten wohnen, aus der christlichen Kirchengemein-
schaft aus."^) So bestimmt im Jahie 1259 das Mainzer
Provinzialkonzil in Fritzlar, die Juden sollen sofort alle
ihre christlichen Dienstboten entlassen. Folgen die
Juden an einem Orte nicht, solle der christliche Gottesdienst
an diesem Orte so lange eingestellt werden, bis die betreffenden
Fürsten und Vornehmen das Gebot durchfuhren und das
ungläubige und elende Volk zum Gehorsam zwingen; die
Juden selbst aber solle man durch Vermeidung sJles Ge-
schäfts- und Gesellschaftsyerkehr zum Gehorsam bringen
und damit kein Christ sich mit Unkenntnis der Verfügung ent-
schuldigen könne, sollen in allen Pfarreien die Bestimmungen
unter der Messe bekannt gemacht werden.'^) So wird am
9. Februar 1267 im Erzbistum Gnesen-Polen bestimmt,
kein Jude solle künftig mehr christliche Knechte oder
Mägde oder Ammen oder sonstige Dienerschaft bei
Tag oder Nacht in seinem Hause halten.'^) So wird in den
Jahren 1271—1280 den Juden in Frankreich Ton König
**) Aronins, Regelten zur Geicbichte der Jaden, 8. 192 f., 202, 204,
271,802.
**) DeppiDg, Jaden im Mittelalter, S. 16.
6»
— 84 —
Philipp dem Kühnen yerboten, christliche Dienstboten zu
halten und ähnliche Verbote erfolgen im Jahre 1276 in
Böhmen und Niederösterreich.**) Man sieht das Mittel
der Kirch e, die Juden ihrem Willen zu unterwerfen, ist,
dass den Angehörigen der christlichen Kirche der
Geschäftsverkehr mit bestimmten Juden rer-
boteu wird.
d. Die Jaden als Aente.
Ein weiterer Gewerbetrieb, dem sich die Juden seit den
ältesten Zeiten mit Vorliebe zuwenden, ist die Heilkunde.
Aber auch auf diesem Felde wird ihnen schon in frühester
Zeit Ton den kirchlichen Behörden entgegengetreten, wobei
sich indessen das Verbot nicht darauf richtet, den Juden
die Ausübung der Heilkunde, welche stets ein freies
Gewerbe geblieben ist, zu untersagen, sondern darauf^
den Christen den Gebrauch jüdischer Aerzte und
jüdischer Heilmittel unmöglich zu macheu. So meldet
eine Chroniknachricht, im Jahre 576 habe der erblindet ge-
wesene Erzhelfer Leonast Ton Bourges durch ein Wunder
in der Martinskirche in Tours plötzlich das Augenlicht er-
halten, habe sich aber, nach Hause heimgekehrt, von einem
jüdischen Arzte überreden lassen, sich Schröpfköpfe
auf die Schultern setzen zu lassen, um die wieder erlaugte
Sehkraft noch mehr zu stärken, worauf er aber aufe neue
TÖllig erblindet sei.''') Ist in dieser Erzählung eine Spitze
gegen die Thätigkeit der jüdischen Aerzte yorhanden, so
zeigen uns weitere Nachrichten aus dem 8. — 12. Jahrhundert,
dass die Juden damals die Heilkunde völlig unbeschrankt
ausüben. So bittet in einem Schreiben ohne Adresse aus
den Jahren 798 bis 821 ein ungenannter Erzbischof einen
Grafen, ihm und einem anderen Bischof einen jüdischen
oder slavischen Arzt, um den er ihn früher schon mündlich
gebeten hatte, jetzt zuzusenden.'^ So besiegt im Jahre 1031 der
spätere Bischof Wazo von Lüttich bei einer Disputation einen
Juden, derw^en seiuergepriesenen ärztlichen Kenntnisse
und als trefflicher Bibelkenner bei Kaiser Konrad II. sehr be-
hebt war. So gibt ein Schutzbrief, den am 19. Februar 1090
Kaiser Heinrich IV. den Juden Judas, des Kalonymos Sohn,
DaTid, des Massulam Sohn, Moses, des Guthiel Sohn, und deren
Genossen und Kindern für seine Speirer Besftzungen aus-
stellt, diesen Juden ausdrücklich das Becht, dort ihre Weine,
Kräuter und Arzneien an die Christen zu verkaufen. So
hat in den Jahren 1102 — 1124 der Erzbischof Bruno yon
Trier, der viel an Fussgicht und Unterleibsbeschwerden
•5 Vergl. oben 8. 56 f.
**) AroDiu, Beseiten lor Gstchichte der Joden, S. 14, 29 f., 64, 72.
— 86 —
leidet, einen tiel begehrten Judenarzt namens Josna, der
nebenbei ein gelehrter Kenner der hebräischen Geschichte und
Litteratur ist und stets in Rittertracht geht, sich schliess-
lich auch zur Taufe herbeilässt und den Namen Bruno erhält'')
So lebt um das Jahr 1215 der jüdische Minnesänger
Süsskind Ton Trimberg. Er gesteht in seinen Liedern
sehr naiv, dass er nur aus Not sich der Minnesängerei zu-
gewendet habe. Ob er ursprünglich ein Gelddarleiher
oder ein Arzt war, wie einige annehmen, weil er einmal
Ton einer „Tugendlatwerge^' spricht, ist nicht zu sagen.
Er zog nach Minnesängerart an Fürsten- und Herrenhöfen
herum, litt aber dabei samt den Kindern, die er hatte,
derart not, dass er unter bitteren Klagen über die
Kargheit, welche die betreffenden Edelleute ihm
gegenüber an den Tag legten, sich entschloss, die
undankbaren Herrenhöfe künftig zu meiden und
sein Geschäft als Minnesänger zu liquidieren. Er verwandelte
sich dann wieder in einen Juden, liess sich einen langen
grauen Judenbart wachsen, zog den langen Juden-
mantel an, setzte den Judenhut auf und gieng wieder
demütig einher.*')
Der Anfang des Vorgehens der christlichen Kirche
gegen die ärztliche Thätigkeit der Juden fällt in das
13. Jahrhundert Durch Konzilbeschlüsse wird damals den
Christen bei Strafe des Banns verboten, sich jüdischer
Aerzte zu bedienen, worauf alsbald die einzelneu Pix)-
vinzialsynoden durch hierauf bezügliche Erlasse vorgehen.
So wird am 1. März 1227 auf einer Provinzialsynode in
Trier beschlossen, die Priester sollen allen Gläubigen ver-
bieten, Tränke oder Heilmittel von Juden anzunehmen,
und allen Landesherren wird befohlen, die Juden durch
Strafen zu zwingen, dass sie die Ausübung der Heilkunde
bei Christen aufgeben und keinem Christen mehr ihre Tränke
reichen.'') So wird im Jahre 1235 in Fr ejus in der Provence
den Christen verboten, in Krankheitsfällen einen
jüdischen Arzt zu rufen und die von diesem ver-
schriebenen Mittel zu nehmen. '*) So verbietet am
10.— 12. Mai 1267 das Wiener Konzil allen Juden, kranke
Christen zu besuchen und denselben ärztliche Hilfe
zu leisten''), wie auch im Jahre 1276 in Niederösterreich
von König Ottokar von Böhmen als Herzog allen Juden
dieses Lands verboten wird, die Arzneikuust bei Christen
auszuüben.") So wird in den Jahren 1326 und 13b7 auf den
Konzilien von Avignon den Juden verboten, Christen
**) Aronios, Regesten zur Geschichte der Juden, S. 102 f., 178 f.,
194i 801. ' «^
"^ Deppisf, Joden im Mittelalter, 8. 256, 197.
— Se-
als Aerzte oder Wundärzte zu dienen^) nod im Jahre 1368
erneuert das Konzil zu Layaar die alten Verfügungen, welche
den Christen yerbieten, sich jüdischer Aerzte und Wund-
ärzte zu bedienen; nur im äussersten Not&lle sollte dies
erlaubt sein.^) Das Verbot richtet sich also teils an die
Christen, teils an die Juden; der Christ macht sich strafbar,
der sich eines jüdischen Arztes bedient, und der jüdische Arzt
wird bestraft, der einem Christen seine Hilfe angedeihen lasst
Trotz dieser Vorschriften sehen wir indess die Juden in
den verschiedensten Gegenden das ärztliche Geweibe ausüben
und es sind namentlich hochgestellte Personen, welche
sich bei Erkrankungen mit Vorliebe an die jüdischen
Aerzte um Hilfe wenden und diesen ihr Vertrauen den
Vorschriften der Kirche zum Ti*otz zuwenden. So bedient
sich um die Mitte des 13. Jahrhunderts der Graf Alphons yod
Poitiers eines jüdischen Augenarztes aus Aragon«^)
So geniessen einen hervorragenden Ruf der französische Juden-
arzt Jakob von Lunel und der Wundarzt Dolan Bellan
in Carcassone^) und im Jahre 1304 wird aus Messina
von einem jüdischen Arzte Aron berichtet, der mit der
jüdischen Kirchenbehörde in Streit gerät und desshalb von
dem dortigen Oberrabbiner Aron Favi mit dem Juden-
banne belegt wird, womuf er sich um Hilfe an die könig-
lichen Gerichte wendet und von diesen freigesprochen wiid.^;
So hatte im Jahre 1369 die Königin Johanna von Frank-
reich als Leibarzt einen als Mediziner, Mathematiker und
Sterndeuter in grossem Ansehen stehenden Juden aus
Arles, namens Bendieh Abin, der sich derart der Gunst
der Königin erfreute, dass sie ihn und alle seine Nachkommen
von allen Steuern befreite.^®) Ebenso hatte im 15. Jahr-
hundert König Rene von Aujou beständig jüdische Aerzte
um sich. Einer derselben, Peter von Nostredone, der Stamm-
vater der Familie Nostradamus, war ursprünglich Stadtaizt
von Arles; da er jedoch seine Arzneien selbst bereitete
und au die Kranken verkaufte, erregte er den Neid der
dortigen Apotheker, vnirde beim Rate beschuldigt, dass er
gefälschte Spezereiwaren abgebe, und wurde darauf abge-
setzt Er trat nun in den Dienst des Herzogs von Galabrien,
von wo er einen Ruf an den Hof des Vaters dieses Herzogs,
des Königs Rene von Anjou, erhielt Hier trat Nostradamus
zum Christentum über und ward bald der geheime Ver-
traute des Königs, der mit ihm viel über „himmlische Dinge"
sprach.^®) Ein anderer berühmter Arzt und philosophischer lUt-
geber König Renes war der Jude Abraham Salomou von Saint
Maximin; audi dieser genoss vollständige Steuerfreiheit^®)
«•) D«pping, Juden im Mittelalter, 8. 268, 283, 165, 282, 865 f., 264.
— 87 —
Man sieht, den Ebaptbeweggrnnd bei dem Vorgehen gegen
die jüdischen Aerzie im 13. Jahrhundert bildet das wirt-
schaftliche Intereßse der in allzu grosser Anzahl yor-
handcDen christlichen Aerzte und Apotheker.
Sehen wir so die Juden im 13. Jahrhundert auch in ihrer
Thätigkeit als Aerzte wesentlich eingeschränkt, so wird die Be-
handlung der jüdischen Aerzte im 14. Jahrhundert entschieden
besser, insofern jetzt die Staatsregierung im Gegensatze zur
Kirche nichts melir gegen die Ausübung der ärztlichen Praxis
durch die Juden einwendet, sofern diese denBefähigungs-
nachweis hiezu erbracht haben. So erlässt im Jahre 1331
König Jakob von Aragon ein Gresetz, wonach die Ausübung der
Heilkunde im Gebiete von Montpellier ohne vorherge-
gangene Prüfung und Erhebung zum Licentiaten allen
Christen und Juden verboten wird und am 27. Dezember 1362
gestattet die Krone Ton Frankreich allen Juden im Süden,
welche die Heilkunde und Chirurgie ausüben wollen,
dies unter der Bedingung, dass sie die Torgeschriebene
Staatsprüfung yor dem Reichsland vogt (sSnechal) Ton
Beaucaire bestanden haben; alle entgegenstehenden Ver-
bote von Konzilien, Synoden und Stadtbehörden sollten
liichtig sein.^') Während seit der Mitte des 14. Jahrhunderts
die jüdischen Hochschulen in Montpellier und Narbonne
aufhören, geniessen damals namentlich die jüdischen Hoch-
schulen der Langue d'oc und derProTence einen hervor-
ragenden Ruf als Pflanzstätten der Heilkunde; woneben aber
zahlreiche Juden mit Vorliebe als Mediciner die christlichen
UniTersitäten, namentlich die berühmte Fakultät tou
Montpellier, besuchen, wohl um ihrer Verpflichtung zur
Ahlegung der staatlichen Prüfung besser nachkommen zu
können, wobei indessen der Fall mannigfach yorgekommen
za sein scheint, dass sich die Juden weigerten, sich der
staatlichen Prüfung zu unterwerfen. Solässt im Jahre 1391
die UniTensität Paris einen Juden vor Grericht laden, weil
er die Heilwissenschaft ausgeübt hatte, ohne Licentiat zu
sein; der Jude berief sich zwar darauf, die französischen
Jnden haben das Recht, alle Handwerke und Gewerbe aus-
ZQuben, allein das Geridit entschied für die Anschauung der
üniYersität")
Was bei aller Sachkenntnis und Grewandtheit, die man
den jüdischen Aerzten offenbar zutraute, immerhin bedenklich
erschien, waren die oft recht zweifelhaften Dienste, zu welchen
sie sich manchmal gebrauchen lieesen. So liefert z. B. im
Jahre 1480 ein jüd^her Arzt dem Edelmann Johann von
Vega Oift, um seinen älteren Bruder zu töten, dessen
'') Depping, Jnden Im Mittelalter, 8. 281 f., 246, 827.
— 88 —
Erbschaft dieser wünscht; das Verbrechen wird ab^ entdeckt
und die Folge ist, dass der Edelmann das Ordenskleid
nehmen muss, während der Jade sich selbst entleibt, am den
Foltern der öffentlichen Hinrichtang za entgehen/')
Was die Ulmer Verhältnisse betrifft, so war, w^gstens
am Aasgange des lö. Jahrhanderts , aach hi^ den Vor-
schriften des kanonischen Rechts entsprechend den Christen
der Gebrauch von jüdischen Aerzten yerboten:
so heisst es z. B. in einer AafenthaltsverwilUgang, welche
der Rat Ton Ulm am 9. Jani 1494 dem Jaden Jakob Ton
Haigerloch ausstellt, dass dem betreffenden Juden der
Aufenthalt nur unter der Bedingung eingeräumt werde, „dass
er nitarzneie, so lang er hier seie/^^*) Gleichwohl war auch
in Ulm, namentlich in den angeseheneren Kreisen, der Glaube
an die jüdischen Aerzte sehr gross, so dass sich z. B. im
Jahre 1450 der Ulmer Geschlechter Heinrich Besserer, als
er gefangen und krank inGünzburg lag, von einem jüdischen
Arzte namens Seligmann behandeln liess.^^ Vollends in
späterer Zeit, seit der Durchführung der Reformation, fragte man
nach diesen kirchlichen Geboten nichts mehr und die jüdischen
Heilkundigen konnten jetzt ihrem Grewerbebetrieb ungestört
nachgehen. So nimmt z. B. am 28. Januar 1536 der bdcannte
Ulmer Bürgermeister Bernhard Besserer, der Freund der
Reformation, einen Juden als Leibarzt in seine Dienste, za
welchem Zweck er mit demselben einen regelrechten Dienstr
yertrag abschliesst, laut dem der Jude David, ein „sipphafter
berühmter*^ Arzt, sich auf zwei Jahre als Leibarzt in die
Dienste Besserers stellt. Er verpflichtet sich, bei Besserer zu
erscheinen, so oft dieser ihn rufen lässt, und erhält hiefür ein
Jahrgehalt von 50 Gulden. Was es mit dieser Bestallung für
eine Bewandtnis hatte, darüber geben weitere urkundliche
Nachrichten Aufschlass. Auf der Rückseite des BestaUungs-
briefe stehen nämlich die Worte: „Nota. In der geheimen
handlang fiudst, warumb dise bestallung uffgericht worden^,
und in einem Verzeichnis der durch die Roseubergische Fehde
vom Jahre 1536 verursachten Kosten steht: „So haben alsdann
auch meine herren mit Davidt iuden ein bestalung getrofen
also, dass sie ime alljärlich zwei iar lang ie des iars 50 gülden
raichen, im auch, wenn er Hans Thoman erwürg oder
um bring, 1000 gülden verhaisen." Femer heisst es dort:
„Uf anbringen meine« herm Bernhards Besserers ains iuden
halb, der ain arzt und bestallt ist, und was derselbig ge-
handelt, ist daruf geschlosen, dass mein gnädiger herr Jörg
**) Urkunde vom Montag nach Medardoa 1494, Mspt J&ger, Ulms
VerfasBUDg, 8. 448.
**) Schreiben vom Samstag vor Math&us 1460. Jftger, Ulms Ver-
fassung, 8. 896.
— 89 —
Bflflserer diser Sachen halben mit dem lantgrafen handek 8ol;
dabi 8ol dem iuden sin halb dinstgelt geben werden/* Ferner
heisBt es in einem alten Registerbuche: ,4tem so ist bei ein-
ander gebunden ain gehaim handlnng, wie mit etlichen ver-
trauten personen im stillen gehandelt, welcher massen Hannss
Thoman von Bosenberg niedergeworfen oder abgeleibt werden
mochf ^) Es ist demnach keinem Zweifel unterworfen, dass
der Judenant David im Namen des Bundes den Hans Thoman
von Bosenberg aus dem Wege schaffen sollte und der Bärger-
meister Bernhard Besserer sich nicht scheute, zu diesem Ver-
brechen die Hand zu bieten.
K Dto Jidragimtliid« tli DmrhÜMigraotitiaohaA.
Neben diesen Tbätigkeiten als freie Grosshändlor
oder als Aerzte trieben die Juden während eines grossen
Teils des Mittelalters als zünftige Kleinhändler den
Zwischenhandel mit Zinsen, indem sie das ausschliess-
liche Becht besassen, „Schaden^S d. h. Zinseszinsen,
zu nehmen. Was ihnen dieses ziinftige Freiheits-
recht während dieser Zeit sicherte, war das Bedürfnis weiter
Kreise nach einer solchen Einrichtung und die Erkenntnis,
dass lange Zeit niemand in der Lage war, dem Bedürfnis nach
Darlehen in derjenigen Weise gerecht zu werden, wie es
die Juden verstanden.^^ Der Mangel an Edelmetall liess
den Begierungen die Hilfe der Juden lange als unabweisbar
erscheinen und die Steuerfähigkeit der kapital-
kräftigen Judengemeinden war für die damaligen
Landesherren höchst wünschenswert. Man ist ängstlich
darauf bedacht, möglichst viele reiche Juden im Lande zu
haben, um diese hoch besteuern zu können, und duldet es
desshalb nicht, dass diese das Land verlaJasen, wie man
andererseits besorgt ist, diesen den Geschäftsbetrieb dadurch
zu sichern, dass man ihnen ein ausschliessliches Frei-
heitsrecht auf ihren Gewerbebetrieb als Darleiher
einräumt, dass man sie zu Darleiherzwangsgenossen-
sehaften, zu Darleiherzünften macht Von diesem Ge-
sichtspunkte aus werden die Juden die einzigen Personen
im romischen Iteiche, welche dem kanonischen Zinses-
zinsenverbote nicht unterworfen sind, es steht
ihnen allein das Becht zu, rückständige Zinsen zum
Hauptgut zu schlagen, auf diese Weise ein neues
^ Jiger, Olms Terfassung, S. 448 f. AnsfUhrlicbes über den Rosen-
btrger bei Scbmid-Pfitter, Ulm. Reform-Gescb., Tb. 2. Im Jabre 1546
fihigt Albteebt von Boienberg iwei Uhner Postboten, Qeiger und Schmal-
iifanc, ab uid verlangt ffir deren Freilattong 800 Golden, tbut es aber
idlMnlleb um 60 Gulden. MitteU. von Prof. Dr. Egelbaaf.
^) Yeiig]. biezn Depping, Juden im Blittelalter, 8. 182
— 90 —
Haaptgut ZQ bilden und daraus Zins zu nehmen. Der
Judenzunftgenosse allein hat das Recht, Zwischen-
handel mit Zinsen zu treiben, wie der Metzgerzunft-
genosse allein das Recht hat, Zwischenhandel mit
Fleisch zu treiben, welches mit dem Beile geschlagen wird,
wie der Schuhmacherzunft allein das Recht zusteht,
Zwischenhandel mit Schuhen zu treiben, wie den
Schmieden der Zwischenhandel mit allen Erzengnissen
gehört, die mit dem eisernen Hammer, wie der Zimmer-
leutezunft der Zwischenhandel mit allen Erzeugnissen
zusteht, die mit dem hölzernen Hammer gefertigt werden,
wie der Krämerzunft aller Zwischenhandel eingeräumt ist,
der mittelst Kleinwage und Elle „gehandwerkt^* wird, wie
der Bauleutezunft, „d. h. den Bauern, die Geissei, der
Merzlerzunft das Mässlein, dem Rate aber die Gross-
handelswage oder das Kaufhaus gehört'* „Nee tarnen
ita arctata sunt artificia, ut uullus ausus sit nisi de zunfta,
in eis operari, sed quilibet civis potest pro sua domo,
si seit artificium, 1 aborare, et quilibet, cuiuscunque cou-
ditionis sit, potest pannos in sua valva vendere, ita
tarnen, ut civitati solvat quatuor libras; similiter et lanam
fabi potest quilibet yenalem habore'\ schreibt Felix Fabri^^)
charakteristisch über das Zunftrecht. Jeder Bürger hat das
Recht, jedes beliebige Handwerk auszuüben, wenn er sich
dessen getraut, und das so gewonnene Erzeugnis zu yerkaufen,
ohne dass er desshalb einer Zunft anzugehören hätte. Jeder-
mann darf z. B. einen Dachstuhl machen und diesen einem
andern verkaufen, ohne ein Zunftrecht zu Terletzen. Eine
Näl\jungfer, die auf Bestellung ein Paar Kinderbeinkleider in
ihrer Wohnung oder im Hause des Bestellers fertigt, greift
nicht in das Schneiderzunftrecht ein; ein Bürger, der seinem
Nachbar gegen Entgeld ein Tier schlachtet, verletzt nicht das
Vorrecht der Metzgerzunfi, ebensowenig ein Bürger, der Fleisch
ausserhalb der Stadt und des Zehntens, also im Zollauslande,
kauft und in der Stadt wieder verkauft Wohl aber wird sich
die Zimmerleutezunft sofort beim Rate beschweren, wenn ein
Bürger Zimmerknechte einstellt und diese dritten Personen
Zimmermannsarbeiten gegen Entgeld Tur seine Rechnung an-
fertigen lässt; wohl wird die Metzgerzunft aufbegehren, wenn
ein Nichtzünftler seinem Nachbar ein Stück Grossvieh durch
seinen Knecht mit dem Beile schlagen lässt und dafür ein
Entgeld nimmt oder wenn er von einem Bürger, der selbst
geschlachtet hat, eine der Metzgerzuuft zustehende Fleisch-
sorte aufkauft — denn nicht alle Fleischsorten gehören den
Metzgern — und in der Stadt wiederverkauft Ein Taglöhner,
^ Veesenmeyer, Tractatiu Felicia Fabri, S. 188.
— 91 —
der die Axt, die FleiBcherhacke, den Qärtnerspaten, die Fahr-
mannageigel zu fuhren versteht und dem Bärger gegen Entgeld
diese Handfertigkeit zur Verfügung stellt, greift nicht in das
Zimmerleute-, Metzger-*, Gärtner- oder Bauleutezunftarecht ein.
Der reine Lohnzimmermann, Lohnmetzger, Lohnpferdefahrer
braucht kein Zunftrecht, er ist ein gedingter Hausarbeiter,
kein Zunftmeister. Die Nätyungfer, der Pferdelmecht des
GroBshändlers , der Gärtnertaglöhner des Geschlechters, der
einfache Lohnschlächter, der Lohnzimmermann, der Lohnwoll-
schläger bedürfen zu ihrem Handwerksbetriebe keines
Zunftrechts. Sie sind nur bruderschaftspflichtig
und zahlen die Kerzen gelder, die Kranken- und Leichen-
kaasenbeitrage, aber sie haben kein Meisterrecht, d. h.
kein Recht auf den Zwischenhandel mit dem der
Zunft verliehenen Erzeugnis. So darf auch vom Rate
aus jed^ Bürger Zinsen um sein Geld von einem andern
Bürger kaufen, aber Zwischenhandel mit Zinsen zu
treiben, d. h. Zinsforderungen anderer Personen aufzukaufen,
diese zu einem neuen Haupt gut oder Kapital zu machen
und hiefnr einen Zins festzusetzen, also „Schaden^ oder
Zinseszins zu nehmen, ist nur den Judenzunftgenossen
gestattet und die Landesherrschaften sind desshalb auch
überall, wo eine solche Judendarleiherzunit eingerichtet ist,
stets bestrebt, den Genossen dieser Zunft ihr Zunftrecht zu
wahren.
Die Sicherung dieser Rechte der Juden geschah zu-
dadurch, dass der Wettbewerb auswärtiger Dar-
leiher thunlichst beschränkt wurde. So schliesst im
Jahre 1198 König Philipp von Frankreich mit dem
Grafen Thibaud von Champagne einen Vertrag ab,
nach dem beide Teile versprechen, sich gegenseitig
ihre Juden nicht zurückzuhalten und nicht zu ge-
statten, dass die Juden des einen Landes Darlehen
an dieUnterthanen des andern Landes gewähren.^'')
So räumt im Jahre 1203 die Krone von Frankreich dem
reichsten Juden der Grafechaft Champagne, Gresselin,
das Recht ein, im ganzen Gebiet der Krone Geld gegen
Zinsen auszuleihen. ^'') So wird im Jahre 1268 in
Barcelona allen Lombarden, Lucchesen, Flo-
rentinern und Pisauern verboten, Geld gegen Zinsen
darzuleihen.^^ So stellt im Jahre 1306 der Dauphin
Humbert L einer jüdischen Gesellschaft einen Freiheits-
brief ans, durch welchen derselben das Recht eingeräumt
wird, in Grenoble eine Bank- oder Darleihergenossenschaft
zu errichten. Den Gesellschaftern wurde gegen Bezahlung
von 40 Franken und eine Jahressteuer von 10 Pfd. für jede
**) Deppng, Jaden im Mittelalter, 8. 146 f^ 168, 206, 206, 196, 302.
— 98 —
Ptoraon Befranng Ton allen öflFentUclien LBSten emganiiiiBt «od
ihnen gestattet, Geld gegen Zinsen ansinleihen, und
dae mit dem Jndeueid bekräftigie Wort der O o no oeen aolHe
anereicfaend eein, um ihnen ihr Recht gegen ihre Sdmldner
zu yerechaffen. Alle Pfänder, welche binnen Jahresfrist
nicht eingelöst wurden, sollten dem betreffeoden
Juden Terfalleu sein. Der Abschluss der Darleheos-
Terträge konnte lediglicii durch PriTatunterschrift
erfolgen und die Schuldner konnten ohne Mitwirkung
der Gerichte zur Zahlung angehalten werdeiL
Den Genossensdiaftem war dabei freigestellt, ihre Bank
Yon Grenoble weg an einen andern Ort des Delphinals
zu yerlegen.^^ 9o erhalten im Jahre 1838 die Juden von
Frankfurt das Recht, über die Aufnahme neuer Genosseo
in ihre Gemeinde selbst zu entscheiden.^') So gründet im
Jahre 1345 König Karl IV. von Böhmen in Iglau ein
Judenviertel mit der ausgesprochenen Absicht, den
dortigen Handel und Verkehr durch Beschaffung der nötigen
Geldmittel zu heben. Es blüht bis zum Jahre 1426.«^
So verordnet im Jahre 1340 der Rat von Winterthur,
wenn ein Bürger der Stadt Geld bei einem Fremden borge,
solle er verpflichtet sein, dies „dem^* Juden in Winterthur
mitzuteilen, „darumb, das dem iuden gefolge, das ihm denn
billig werden solle." ^*) So erlaubt im Jahre 1341 König
Johann von Böhmen der Stadt Budweis, „zwei" Juden
bei sich aufzunehmen.^*) So erlaubt im Jahre 1364 König
Kasimir von Polen der UniversiIÄt Krakau, für einen
Wechsler oder Juden Sorge zu tragen, der genügende
Mittel habe, um im Bedürfioisfalle den Studenten gegen gnte
Pfandsicherheit Geld darzuleihen, und nicht mehr Zinsen (pro
servitio) fordern sollte, als einen Groschen monatlich von der
Mark.^^'Man sieht danius, wie klein noch um diese Zeit an
den meisten Orten die jüdischen Niederlassungen sind;
es sind eine, zwei, drei, vier JudenfEunilien, welche die ganze
Gemeinde bilden und das Darleihergeschäft besorgen.
Aber wie dem Rechte der einzelnen Zunftgenossenschaften
auf den ausschliesslichen Handelsbetrieb die Pflicht gegen-
übersteht, dieses Amt voll und ganz zu versehen, wie die
Metzger bei Verlust ihres Privilegiums die PBidit haben, die
Bürger, bezw. in der alten Zeit die Hofhaltung des
Grundherrn, in ausreichender Weise mit Fleisch zu Ter-
sorgen, wie der Krämer für Spezerei und firemdländischeB
Gewand zu sorgen hat, wenn er nicht die Kündigung des
Lieferantenvertrags seitens des Grundherrn gewaltigen vnll,
so muss der Hof jude bezw. später die städtische Judenge-
^) Maurer, Bt&dteYerfassang, Bd. 2, 8. 502 und 796.
«*) 8tobbe, Jaden in Deutschland, 8. 118 f., 24.
— 98 —
nosBenschaft das Gddbedfirfius des Hofherrn beaw. in der
späteren Zeit der StadtTerwaltong als Landesherm in aus-
reichender Weise befriedigen, wenn sie nicht ihres Amtes
Terhistig gehen wollen. So erlässt im Jahre 1230 König
Ludwig IX. Yon Frankreich mit Zustimmung der Reich»»
stünde ein Gesetz, dem zufolge künftig kein Jude mehr ge-
zwungen werden darf, einer Landesherrschaft Geld
zu leihen. ^^) So waren nach der Strassburger Juden-
ordnung die Juden schlechthin verpflichtet, gegen
Pfänder Darlehen zu geben.^) So bestimmte das Juden-
priyileg yon Winterthur vom Jahre 1340, wenn der Jude
einem Burger kein Geld leihen könne, solle er desshalb nicht
gestraft worden, nur dürfen die Bürger dabei „nit gefarlich
gesumf* werden; sollte es sich aber herausstellen, dass der
Jude absichtlich Gefahr gebraucht habe, z. B. dass er den
Bargern Darlehen versage, Fremden aber Dar-
lehen gewähre, so solle der Rat den Juden dafür zur
Strafe ziehen. Wie die Marktgemeinde aus der Hof-
wirtschaft^ so wächst die Judengemeinde aus dem
Hofjudentum heraus, sobald der einzelne HoQude bei der
wachsenden Anforderung, welche die grösser werdenden Ver-
hältnisse mit dem Herauswachsen des Burghofis zur Burgstadt
nnd zur Bürgerstadt an ihn stellen, nicht mehr imstande ist,
dieser gerecht zu werden.
Sind es, wenn es sich um kleinere Darlehen handelt,
die einzelnen Juden, bei denen diese aufgenommen werden,
80 erfolgen die grossen Staatsanlehen nnd die Schulden-
kontrahierungeu der städtischen Gemeinden in der Regel bei
den Judengemeinden bestimmter Städte. So fugt z. B. am
14. Mäiz 1260 die Familie des Jakob vom Stein den
Bürgern von Worms durch Räubereien schweren Schaden
zu, so dass es der Stadt an Geld fehlt und sie nimmt dess-
halb „bei den Juden'* in Worms 300 Pfd. Hk. aut ^') So
Iber-
uberträgt am 5. April 1261 der Bischof Volrad von Hai
Stadt dem Burggrafen Burkhard von Querfurt, der sich
für des Bistums Schulden ,,bei den Juden^ in Quedlinburg
(,,apud Judaeos in Quedlinburg'*) verbürgt hat, die
Burg Emersleben, das Amt Quenstedt und das Amt Gaters-
leben, das jährlich 40 Mark Steuer zahlt ^0 ^» ^^^ ^^
Anlehen erfolgt nicht bei einem einzelnen Juden, sondern
„bei den Juden'* schlechtweg, die Urkunden sprechen von
^uden^ schlechtweg, wie sie von „Bürgern*' schlechtweg
sprechen. Wenn dabei andererseits wieder Urkunden vor-
kommen, wo derartige Staatsanlehen mit bestimmt genannten
**) Meyer, Angiburger Sudtrecht, S. 66. Stobbe, Juden in Deutsch-
land 8. 118 and Anm. 102.
^0 Aroniof, Regesten zur Geschichte der Juden, 8. 275, 280, 285.
— 94 —
einselnen Jaden ahgesdüosBen werden, so ist das bei kleineren
Städten zumal leicht erklärlich. Thatsächlich bestanden ja,
wie wir froher gezeigt haben, namentlich in den älteren
Zeiten, die Jadenkolonien der einzelnen Städte in der Regel
aar aas wenigen Familien. Jadengemeinden wie die in
Nürnberg, Köln, Begensburg mit Dutzenden too
Angehörigen bildeten eine seltene Ausnahme. So nehmen
anfiings März 1263 die Bruder Hebrich und Werner von
Kien und die Thalleute von Frutigen bei den Juden
Joseph, Liebermann, Michel und Tolinus in Bern 140 Mark
Silber, für die sich Rudolf Ton Striltlingen in ihrem
Namen dem Bischof yon Sitten yerpflichtet hat, für 188 Mark
durch genannte Bürgen auf, indem sie sich verpflichten, den
betreffenden Juden am nächsten Johannistäuf erfest, dem
24. Juni 1263, 98 Mark und auf Weihnachten 1263 den Best
mit 90 Mark heimznzahleu.^') Hier sind also vier Juden mit
Namen aufgeführt, welche wohl die ganze Judengemeinde
gebildet haben. So bietet, um die Schulden seines Braders
Albert zu bezi^en, der Herzog Johann von Braunschweig
seine Güter zum Kaute oder Pfand ans, kann aber „bei den
Juden^^ auf diese Weise kein Geld erhalten, wesshalb er am
22. April 1263 seine Güter den ,3nrgern^^ von Lüneburg
zum Pfieuide anbietet*^ So verspricht am 14. Juni 1265 der
Bischof Iving von Würzburg den Brüdern Krato (Krafto?)
und Konrad von Hohenlohe 200 Mark Silber zu Burglehen;
die dem Kraft zustehenden 100 Mark sind derart zu zahlen,
dass er auf sein Verlangen ihn bis Jakobi, den 25. Juli, von
seinen Verpflichtungen gegen die „Juden von Würzburg*'
befreit ü^nn der Bischof nicht bezahlen, so soll er von
dem genannten Zettpunkt bis Martini, den 11. November,
das Geld mit den inzwischen nach Schätzung der Juden
aufgelaufenen Zinsen für Kraft bezahlen. Geschieht
diess nicht, so hat ihn der Bischof bis zum 27. August für
das Geld und die Zinsen schadlos zu halten.^*) So geben
im Jalire 1268 die „Juden in Worms" den dortigen
„Bürgern'^ im Namen König Richards und im eigenen
Namen 300 Pfd. EQr.^') Man sieht, anch hier ist weder von
einer Judengemeinde, noch von einer Bürgergemeinde
die Rede, sondern nur von „den Juden" schlechtweg und
„den Bürgern" schlechtweg. Wie unter den „Bürgern" aber
zweifellos die „universitas civium", die christliche Bürger-
gemeinde von Worms zu verstehen ist, so ist ebenso zweifellos
unter den „Juden von Worms" die „universitas Ju-
daeorum", die jüdische Bfirgergemeinde yon Worms als
Körperschaft zu verstehen. So geht ein Vergleich, den am
8. September 1268 der Graf Hermann von Henneberg mit
**) Aronias, Regesten zur Qeschiclite der Juden, S. 285, 291, 909.
— 95 —
dem Bischof Berthold von Bamberg abschliesst, dahin, dass
dieser dieBorgLiebenburgbeiBrttnn von ihmf&r 650 Pfd.
Bamberger oder Cobnrger Oroschen kauft. Von diesem
Gelde soU er dann den „J aden in Bamberg", denen der
Graf yerschnldet ist, bis spätestens Michaelis, den 29. Sep-
tember, 1268 180 Pfd. Oroschen and die aafgelaafenen
Zinsen geben, die aber nicht zam Kapital ge-
schlagen werden dürfen. Femer soll er den „Jaden
in Lichtenfels" bis spätestens nächste Martini, den
11. November, geben, was der Oraf ihnen anweisen wird,
sowie deren nicht zam Kapital za schlagende Zinse.**)
So hat im Jahre 1314 die Reichsstadt Esslingen ein
Anlehen bei den „Jaden in Ueberlingen" gemacht.*')
So nimmt im Jahre 1333, als der Delphin Hambert nach
Neapel gereist ist, die Begentin Beatrix von Viennois in
St. Macelline bei den „Jaden des Landes" ein Anlehen zar Be-
streitong der Beisekoeten aaf. ^) Man sieht, bei allen diesen
Fällen ist es nicht ein einzelner Jade, bei dem die
Aofhahme des Darlehens erfolgt, sondern es ist die Jaden-
gemeinde des betreffenden Orts oder politischen Bezirks
alsDarleihergenossenschaft and wenn in zahlreichen
anderen Fällen die Aafnahme von Geldern bei einzelnen
Juden erfolgt, so ist bei dem engen Verbände, der zwischen
den einzelnen Genossen bestand, mit Sicherheit anza-
nehmen, dass derartige Anlehen yon Grandherr-
schaften, wo nicht etwa nar ein einzelner Hof- oder
Stadtjade, sondern eine wirkliche Jadengemeinde
bestand, yon der ganzen Genossenschaft anf ge-
bracht and anter solidarischer Haftbarkeit der
Genossen übernommen wnrde, wie denn aach, sobald
sieh einzelne Jadengemeinden einem Geschäfte nicht ge-
wachsen vorkamen, sofort benachbarte Gemeinden
beigezogen worden.
Die Aaffiissang, als ob es den Christen iiberhaapt
Terboten gewesen wäre, Zinsen zn. nehmen, ist an-
richtige; es war dem Christen eben nar verboten, Schaden,
1 h. Zinseszins, von seinen christlichen Brüdern za
nehmen. Jeder Christ hatte aach im Mittelalter das freie
Recht, sein erspartes oder sonst erübrigtes Greld einem andern
Christen g^en die Verpflichtang zu überlassen, ihm zu be-
stimmten Zeiten dafür ein Entgeld zu geben, nur durfte er,
&Ils der Schuldner mit diesem Dienst im Rückstande blieb,
daiSr keinen Schaden oder Zinseszins fordern, sondern
dieses Becht hatte nur der Jude. Dar christliche Gläubiger
hatte also nicht das Recht, Verzugszinsen zu verlangen, wenn
") Depping, Joden im Mittelalter, S. 206.
M) Bti&n, Winemb. Gegchichte, Bd. 8, ä. 146. Vergl. oben, 8. 19.
— 96 —
der Sohnldner die HeimzaUiuig oder die Zinasahlnng ver-
zog, sondern er musste, wenn er nicht befriedigt wurde, den
beireffenden Schnldbetrag bei einem Jaden aofiiehmen, wofnr
er dieeem auf Kosten des Schuldners Zinsen yersprach nnd
diese Rechtsverbindlichkeit nannte man den „Schaden." Der
Oläubiger, welcher das Greld aufnahm, war jetst dem
Juden für das Hauptgut und den Schaden haltbar,
konnte aber Tom Schuldner verlangen, dass er ihn schadlos
halte. Sein Vorteil war, dass er das Geld sofort erhielt,
aber es drohte ihm die Oefiihr, dass der Schuldner auch
später nicht imstande war, ihn zu befriedigen, er hatte zu
fürchten, dass er nicht nur um sein Kapital kam, scmdem
noch dazu die Zinsen des Juden bezahlen musste, wesahalb
eben die Bestimmung erfolgte, dass der das Geld beim Juden
Aufnehmende Zinsen sollte yereprecheu dürfen« Der Schuldner
muss darum auch im Voraus das Au&ehmen des Geldes ge-
nehmigen, weil eben der Jude das Geld nur g^;en Zins gibt,
und diese Zinsen muss darum der erste Schuldner tragen,
indem er entweder das Hauptgut nebst Zinsen dem Juden-
gläubiger zahlen musste oder beides dem ersten Gläubiger
zahlte, worauf dieser die Forderung des Juden bereinigta
Meist wurde dabei desshalb auch gleich bestimmt, wie hohe
Zinsen der nicht befriedigte Gläubiger dem Juden verspredien
durfte.")
Bekanntlich wird in den Vorschriften des alten Testa-
ments über das Zinseszinsennehmen dieses teils überhaupt
verboten teils aber wird darin gesagt, es solle nur verboten
sein, von einem Genossen des eigenen Volks Zinse»-
zinson zu nehmen, während es jedermann freistehen sollte,
solche von Fremden anzunehmen. Auf Grund dieser An-
schauung nun, auf welche sich auch das kanonische
Zinseszinsenverbot stützt, kam die talmudische Theologie
zu verschiedenen Resultaten. Während die eine kleinere Partei
das Schadennehmen überhaupt verboten sehen wollte, erklärte
die grössere Partei, die Vorschriften des alten Testaments
müssen so aufgefasst werden, dass eben nur das Zinsen-
nehmen von Juden bei Juden sündhaft sei. Was dem
Genossen der eigenen Religionsfiunilie g^;enüber unstatthaft
erschien, konnte dem Nichtangehörigen dieser Familie geg^H
über als völlig berechtigt gelten. So erklärte schon im
Jahre 1146 der Abt Bernhard von Clairrauz die Verfolgung
der Juden aus dem Grunde für unrecht, weil, wenn dea
Juden das Zinseszinsennehmen verboten wäre, es gewisse
Christen noch schlimmer treiben würden.**) So wird im
Jahre 1240 im Königreiche Aragon allen Christen verboten,
die rückständigen Zinsen zum Hauptgut zu schlagen,
•*) Yergl. hiesa Btobbe, Juden in Deattchkuid, 8. 114 ff.
— 97 —
also Schaden oder Zinseszins zu uehmeu, und auf dieso Weise
mehr Zins zu erheben, als der ursprüngliche Pfandgegenstand
wert gewesen war.^) So bestimmt das österreichische Judenrecht
Yom Jahre 1244, wenn ein Christ bei einem Juden sein Pfand
auslöse, ohne die Zinsen zu bezahlen, und diese binnen eines
Monats nicht bezahle, so habe er Zinseszinsen zu geben.^'')
So schlieesen im Jahre 1244 der Pfalzgraf Otto bei Rhein,
Herzog von Bayern, Erzbischof Eberhard von Salzburg
and die Bischöfe Rüdiger von Passau, Siegfried von Regens-
barg, Konrad von Freising, Friedrich von Eichstedt
and Heinrich von Bamberg mit allen Grafen und Edel-
leuten einen dreijährigen Landfrieden von Jakobi, dem
25. Juli an, in dem es als Landfriedeusbruch erklärt
wird, wenn ein Christ von jemand anderem als von Juden
Schaden nehme.^'') Man sieht, dieser Landfrieden räumt den
Jaden ein vollständiges Monopol auf den Zinseszins ein.
So verpflichtet sich am 29. November 1258 Egidius von Hoier
aas Köln, einigen Rittern in bestimmten Terminen gewisse
Geldsummen zu zahlen. Hält er einen Termin nicht ein, so
dürfen jene das Geld bei den Juden aufnehmen gegen einen
Zins von 3 Denaren wöchentlich für die Mark, falls es nicht
billiger zu haben ist, Egidius aber muss ihnen den Schaden,
den ae dadurch erleiden, ersetzen.^^) So verpflichten sich am
24. April und 1. Mai 1272 die Bürger von Köln, dem Grafen
Adolf von Berg jährlich 150 Mark Kölnisch zu 12 Soldi zu
zahlen Bleibt die Zahlung aus, so hat der Graf das Recht,
das Geld bei den Juden gegen einen Zins von drei Denaren
Kölnisch für eine Mark und eine Woche zu entlehnen, während
die Bürger für Kapital und Zinsen haften. '^^) So verbietet
im Jahre 1342 König Jakob von Aragon alle Darlehensver-
träge mit Schadenbedingung zwischen Christen. Wer auf
Pfänder geliehen hat, muss diese zurückgeben, sobald er seine
Forderung auf Grund des Judenzins fusses erhalten hat.^*)
So wird in Ulm im Jahre 1376 verordnet, kein Bürger der
Stadt, er möge Edelmann oder unedel sein, Frau oder Mann,
Anabürger oder Eingesessener, solle Geld ausleihen und dabei
unerlaubten Zwischenhandel mit Zinsen (gefarlichen Dies-
kaof) treiben dürfen. Nur das Ausleihen von Geld bis zu
eüiem Zinssatze von 10 Prozent sollte jedermann ge-
stattet sein. Leihe jemand Geld auf liegende Güter oder
Herrengülten aus, so sollte ihm nicht erlaubt sein, auf ein
Pfand Herrengülten weniger als 25 Pfd. Hlr. oder Gulden zu
leQien. Blieb jemand mit dieser Zinszahlung im Rückstande,
80 sollte verboten sein, sich für die noch unbezahlte Summe
wöchentlich für jedes Pfund Hlr. oder jeden Gulden 2 Pfg.
**) Deppmg, Jaden ün Bfittelalter, S. 294 f.
*^) Aronius, Begatten zur GeBchichte der Juden, S. 284 ff., 287, 268, 818.
7
— 98 —
oder Hlr. geben zu lassen, vielmehr sollte der Gläubiger suchen,
durch weitere Liegenschaften sich Ersatz für seinen Schaden
zu schaffen. Betre£EB aller vor Erlass des Gesetzes ausge-
gebenen Gelder aber wurde festgesetzt, dmr Gläubiger solle
auf den zur Heimzahlung festgesetzten Tag sein QelA zurück-
nehmen. Ausgenommen von dieser Bestimmung
sollten nur die Juden sein.^^) So erklärt im Jahre 1470,
als Kaiser Friedrich UL den Juden das Aufenthaltsrecht in
Nürnberg yerlängerte, derselbe, Handel und Gewerbe können
ohne Zinseszins (Schaden) nicht bestehen; es sei aber das
kleinere Uebel, wenn man den Juden das Nehmen von Zinses-
zins erlaube, als wenn man es den Christen zulasse.^*) Man
sieht, nur der Jude hat jetzt noch das Recht, Zinseszinsen
zu kaufen, also Zwischenhandel mit Zinsen zu treiben, dem
Christen war dies yerboten. Dass diese Beyer zugung
der Juden durch die Kirche zu Unzuträglichkeiten
führen musste, war unumgänglich, waren doch die Juden
jetzt ohne allen Wettbewerb und die Folgen stellen sich denn
auch alsbald ein. So beschliesst am 29. Juni 1255 der
Rheinische Bund in Mainz, kein Jude solle künfUg bei
10 Maik Kölnisch Strafe mehr Zinsen als wöchentlich
2 Denare yom Pfunde Kölner, Haller oder Strassburger
Münze nehmen. Laute der Vertrag aber auf ein Jahr, so
solle der Jude yom Pfunde 4 Unzen erhalten. Die Be-
stimmung sei nötig, weil die christlichen Geldyerleiher
aus der Kirchengemeinschaft ausgestossen und durch Richter-
spruch zur Herausgabe der Zinseszinsen yerurteilt wenlen.^
So bestimmt die Augsburger Judenordnung yom Jahre 1276,
kein Jude solle auf sein Pfand mehr an Hauptgut und Zinses-
zinsen (Schaden) erhalten, als das Pfand wert sei.*^)
Die Versuche, das Nehmen yon Schaden auch den
Judenyöllig zu yerbieten, sind yon der Kirche wiederholt
gemacht worden, konnten aber aus naheliegenden Gründen
yon keinem Erfolg sein, da schliesslich jeder Arbeiter seines
Lohnes wert ist und desshalb der Jude, wenn er für die
Mühe der Bescha£fung yon Geld gegen Pfisuidsicherheit ein
massiges Entgeld bespracht, yöllig in seinem Rechte ist.
So wird z. B. unter König Jakob yon Aragon den Juden
yerboten, jährlich mehr als 20 Prozent Zins zu nehmen
oder die Zinsen zum Kapital zu schlagen.*') Mit
Recht erklärten desshalb auch die französischen Stände,
^) J&ger, Ulms Verfassung, S. 896 f.
**) Stobbe, Jaden in Deutschland, 8. 107.
^ Aronins, Regesten zur Geschichte der Juden, S. 260.
Der betreffende Zinssatz betriügt beim Wochendarlehen 48 V« ,
Jahresdarlehen 88 V« Prozent.
*M Meyer, Augsburger Stadtbucb, S. 54 f.
*') Depping, Juden im Mittelalter, 8. 298.
— 99 —
als König Ludwig IX. von Frankreich (1226^1270) das Nehmen
von Zinseezinsen ganz beseitigen wollte, die Banern und
die Kanfleute können der jüdischen Gelddarleiher nicht
entbehren; es sei aber entschieden besser, jüdische als christ-
liche Darleiher zu haben« ^*) So bildet sich denn auch all-
mählich betreffs des Darleihgeschäfts ein gesetzlich geordnetes
Verhältnis in allen Ländern heraus, bei dem beide Teile wohl
bestehen können und welches mehr oder weniger gewaltsame
Veränderungen nur dann erleidet, wenn die Schwäche
heruntergekommener Fürstengeschlechter dem
krankhaften Erwerbs triebe der Juden allzugrosse
Freiheit der Bewegung gestattet
0. Der W«tlbewtrb dar Lombafdon val Xoir«rtiobn.
In dieser ihrer Stellung als Geldleihergenossen-
Bchaften standen die Juden indess nicht ohne Wettbewerber
da; solche waren vielmehr in doppelter Weise vorhanden,
nämlich einmal in Gestalt der Lombarden und dann in Ge-
stalt der Kowertschen. Schon mindestens seit dem Anfang
des 9. Jahrhunderts sehen wir, wie neben die seither im
Handelsverkehr allmächtig schaltenden Juden christliche Wett-
bewerber treten. So gibt z. B. im Jahre 828 Kaiser Ludwig
der Fromme einigen Kaufleuten einen Freiheitsbrief, der
unter anderem b^timmt, dass niemand sie beunruhigen, ver-
leumden oder sich ihrer Schiffe namens des königlichen
Dienstes solle bemächtigen dürfen, sondern es solle ihnen frei-
stehen, dem Kaiser treu zu dienen, wie dies den Juden
erlaubt sei.*^ Man sieht, die Juden sind damals noch die
fiast unumschränkten Beherrscher des Handels-
verkehrs, aber neben ihnen stehen christliche Ge-
schäftsleute auf und beginnen, ihnen das seither allein
beackerte Feld streitig zu machen. Ebenso ist es mit dem
Darleihgeschäft; auch in diesem treten damals christ-
liche Geldleiher den Juden zur Seite, welche den Namen
Öffentliche Zinsleiher, „usurarii publici^ oder „Ko-
wertschen^ f&hren. So nimmt in den Jahren 841—844 die
Grafin Dodana, die Witwe des Grafen Bernhard von Tou-
louse, von Christen und Juden grosse Geldsummen
auf.**) So rät im Jahre 1091 Wirpork, die Gemahlin des
Herzogs Konrad von Böhmen, diesem, der gegen seinen
Bruder Wratislaus von Böhmen zu Felde ziehen will,
wenn er Schätze gewinnen wolle, sich nach der
Prager Vorstadt und dem Weiler Wissegrad
(Weissengret) zu wenden. Dort habe es eine Masse reicher
Juden mit Gold und Silber und die reichsten Kauf-
*") Äronius, Regesten zur Geschichte der Jaden, 8. 41, 45.
-- 100 —
leate anfl all^r Herren Länder, die begütertsten Geld-
wechsler und einen Markt reicher Leute für die
Soldaten.«*) So verleiht Kaiser Friedrich L (1152— 1190)
dem Herzog Heinrich vonOesterreich das Becht, „tenendi
Jadaeos et usurarios sine imperii molestia et offensa.'^^)
Man sieht, neben den Jaden stehen die Zinseszins-
nehme r oder „nsorarii.'^ So wird am 17. September 1156
bei der Errichtung des Herzogtums Oesterreich dem
Herzog das Recht erteilt, ohne Einspruch des Reichs in
allen seinen Ländern Juden und öffentliche Oeld-
1 ei her, sogenannte „Qawertschen^, zu halten (teuere Ju-
daeos et usurarios publicos, quos yulgus yocat
Mgawertschin."**) So werden im August 1163 in Köln
auf dem Judenhügel neben dem Judenkirchhof einige
Katharer"^ verbrannt.**) So kommen im Jahre 1171
die Juden Raobi Benjamin aus Vallendar und Rabbi Abra-
ham der Schreiber aus Garentan nach Köln und stellen
^) Aronias, Begesten zur Geschichte der Joden, 8.77, 122, 125.
••) Vergl. 8. 6.
**) Die Eatharer oder Kathaiisten waren bekanntlich eine gnos-
tische Sekte des Mittelalters, welche Ton Indien sich teUs Qber Elein-
asien, Griechenland, Illyrien und Bosnien nach Ober-
italien, 8Qdfrankreich und Westdeutschland, teils aber
Aegypten und Nordafrika nach Spanien verzweigte und im Gegen-
satze SU dem ver&usserlichten Eirchenwesen stand. Uir Name sollte so
Tiel als „Reine** bedeuten, weil sie die RQckkehr zum reinen Leben
Jesu forderten. Gewöhnlich hiess man sie ,3 ul garen*', woher das
französische Schimpfwort „Bongre**, entstand, auch hiessen sie „Pa-
tarener (Pataria bei Mailand), „Publikaner" (?on publid usurmrii?),
Popelitaner (von popalns? „Du Poppel*' noch heute in Schwaben ein
Schimpfwort), Pulicianer und in den Niederlanden „Piphles^
oder ,,Passageren^ d. h. Vagabunden, Schw&rmer. Ihr amt-
licher Name in der fränkischen Eanzleisprache war ,,bon homme", bonos
homo, d. h. Freimann. Sie sind Freileute. Ihr deutscher Name
war „Ketzer\ was man schon von „Ghasaren*^ abgeleitet bat, den
bekannten Bewohnern der Kzim^ den Wolgabulgaren. Auch glauben
einige, sie seien eines Stammes mit den „A Taren"*, Ton denen die Sage
geht, sie seien nach ihrer Besiegung durch Kaiser Karl den Grossen
alle ^fH&ndler"* geworden. (Vergl. fieyd. Le?antehandel, Bd. 1, 8. 92)
Lombardisch heissen sie ,,Gazzari.^ Aehnlich wie die Manichfter
übten ihre „perfecti", welche eine Art Priesterschaft bildeten, strenge Ent-
haltsamkeit, Terwarfen die Ehe, den irdischen Besitz, den Umgang mit
Weltmenschen, den Krieg, das Töten von Tieren und den Fleischgeniiss,
w&hrend die „credentes** Frauen und Kinder hatten und minder strengen
Vorschriften unterlagen. Ihre religiösen Gebr&uche waren sehr einfiich
und bestanden nur im Gottesdienste. Ihre Grundanschauung ist ein
dualistischer Pantibeismos, indem zwei entgegengesetzte Grundwesen, das
Gute und das Böse, ron Ewigkeit zu Ewigkeit mit einander k&mpfen.
Die Materie hat einige Lichtteile der Weltseele verschluDgen, die sich nach
Befreiung sehnen, woraus der „Jesus patibilis*' entsteht Der Manichfter
▼erwirft das alte Testament und das neue Testament gilt ihm nur in der
Deutung des Manes. Nach dem Tode erfolgt die Bdnigung der Seele
durch Feuer und Wasser, aber keine Auferstehung des Fleisches; das
Ende ist der Weltbrand und die Wiederauflösnng des AUa in die beiden
— 101 —
sich auf der Strasse auf, am ihr Geschäft zn treiben,
werden aber alsbald durch einen dortigen Geldwechsler,
der sich dadurch in seinem Erwerbe geschädigt sieht,
der Verbreitung falschen Geldes bezichtigt. Es ent-
steht ein Auflauf, die Juden werden ins Gefängnis
geworfen und alle Bemühungen der Kölner Judenge-
meinde, durch Bestechung der Richter die Frei-
lassung der Angeklagten zu erwirken, sind vergeblich;
anch der Erzbischof, an den sich sogar die Juden mit
Bestechungversuchen heranwagen, ist f&r dieses Mittel
unzugängUch, die Juden werden vor Gericht gestellt,
verurteilt und müssen gegen eine Busse von 105 Silber-
stücken ausgelöst werden, von denen 75 dieEölner Juden-
gemeinde und die Juden der dazu gehörigen benach-
barten Städte, die übrigen 30 die Angeklagten bezahlen.^^)
Wer aber waren diese Eowertschen? Die Frage ist
zweifelhaft. Thatsache ist jedenfalls, dass als am Beginn
des 13. Jahrhunderts die Kirche mit Verboten gegen das
Zinseszinsennehmen vorgeht, sich dieser Angriff ebenso
gegen die Kowertschen wie gegen die Juden richtet.
So wird am 1. März 1227 auf einer Provinzialsynode in
Trier verboten, Geld des Gewinns halber bei Cauwer-
cinen oder Juden anzulegen.*^ So stellt im Jahre 1233
Papst Gregor IX. einigen lombardischen Kaufleuten von
Siena eine Bescheinigung aus, wobei diese als „mercatores
camerae nostrae, campsores nostri*^ bezeichnet werden*^),
während im Jahre 1240 König Heinrich III. von England
alle in seinem Reiche befindlichen Kowertschen, besonders
die Yon Siena, aus seinem Lande ausweist.**) So bestimmt
der Artikel 31 des neuen Judenrechts für das Herzogtum
Oesterreich vom Jahre 1244, auch die Juden dürfen
nicht mehr Zinsen nehmen, als wöchentlich 8 Denare
vom Pfund.**^ Es gibt also damals in Oesterreich neben
den Juden auch noch andere Personen, die Zinsen
nehmen. So werden im Jahre 1247 in Douai die Ko-
wertschen betreffs ihrer eigenen und der fremden
Kapitalien, mit denen sie Geschäfte machen, der Steuer
ilten Reiche des Lichts und der Finsternis. Seit Kaiser Diokletian
(284—905) wird die Sekte yom römischen Reiche, seit der Mitte des
1 Jahrhunderts von der katholischen Kirche aufs h&rteste verfolgt, wie
lach die persischen Sassaniden die grimmigen Feinde der ManichAer sind.
Seitdem ziehen sie sich nach Ostasien surflck oder bestehen in geheimen
YerbrOderuniren weiter, bis sie im 18. und 14. Jahrhundert aufs neue
durch die AlbigenserfeldzOge den Inquisitionsbehörden der katholischen
Kirche erliegen.
*^ Aronins, Regesten zur Geschichte der Juden, S WO. 194, 234.
^ Bonrquelot, Les foires de la Champagne, Bd. 2, S. 148.
**) Depping, Juden im Mittelalter, 8. 178 f. Bourquelot, Les foires
de la Champagne, Bd. 2, 8. 144 f.
— 102 —
uDtenrorfeo. **) So berichtet der Mönch Mathiaw yon Pftris
vom Jahre 1251, dass die „usararii Transalpin!^ , sich
sehr in England yermehrt haben. Ungestarait errichten sie
Geschäfte in den schönsten Hänsem von London und die
Bürgerschaft und die Geistlichkeit wage nicht, Klage dagegen
zu erheben, weil sie sich „mercatores doxnini papae** nennen
dürfen; eine Nachricht vom Jahre 1253 bericiitet ähnliches.
So wird vom Jahre 1253 von einer Unterredung zwischen
Robert Grosse-Töte, dem Bischof von Lincoln, und einem
Predigermönche berichtet, wobei davon die Rede ist, dass die
„Caorsins" durch die Predigermönche ans Frankreich
vertrieben worden seien. So ist in einem Roman von Ger-
hard von Roussilon die Rede von einer Schlacht, an der
alles teilnahm, sogar die Gascogner, Lombarden, „Cnverts^
und Bastarden. ^^ So verbietet am 19. Juli 1255 Papst
Alezander IV., als er das neu gegründete Hospital bei Ulm in
seineu Schutz aufnimmt, diesem das Begraben von öffent-
lichen Gelddarleihern (publici usurarii)^^); es gab also
damals auch in Ulm Personen, denen seitens der Behörde
der Zwischenhandel mit Zinsen von Amtewegen über-
tragen war und es war den geistlichen Immunitätebenrken des
Orte verboten, diesen Personen eine Grabstätte auf ihrem
Friedhofe einzuräumen. Dass diese Personen Juden waren,
ist nicht gesagt, wohl aber wird im Ulmer Stadtrecht vom
Jahre 1296 bestimmt, dass etwaige Pfänder sofort seitens der
Behörde bei den Juden hinterlegt werden sollen.^^) Immerhin
ist denkbar, dass in der Zwischenzeit die Juden in Ulm an
die Stelle von welschen Darleihern getreten waren. So be-
stimmmt am 26. Februar 1261 der Herzog Heinrich m.
yon Brabant in seinem Testament, dass alle Juden und
Eowertschen (gawersini) aus seinem Lande vertrieben
werden sollen ausser denen, welche wie andere Kaufleute
Handel treiben und ohne Bürgschaft und Zinseszins
(sine praestatione et usura) leben wollen.^*) So emeaert
das Kölner Judenrecht vom Jahre 1266 der dortigen
Judengemeinde ihr altes Recht, keine Cauwercini
oder Christen, die offen auf Zins leihen, (also nicht
gewerbsmässig ist es erlaubt) zu ihrem Nachteile in der
Stedt Köln zu dulden. Die betreffenden Bestimmongen
werden in Stein gehauen und öffentlich aufgestellt^*) Man
sieht, es ist der gleiche Fall, wie wenn der Ulmer Rat der
Mezgerzunft droht, falls sie nicht genügend Fleisch in
*^ Bottrquelot, Lei foires de la Champagne. Bd. 2, S. 188 f.
**) Prestel, Ulmisches ürkondenbacb, 8. 9i und 288, 148 f., U9.
Jftger, Ulms Verfassang, 8. 894.
^ Aronioa, Regesten zur Geschichte der Juden, 8. S79, 806.
^ Stobb«, Juden in Deutschland, 8. 91. Aronius, Begesten cur Ge-
schichte der Juden, S. 299.
— 108 —
gater Beechaffenheit in die Stadt schaffe, die fremden Metzger
in die Stadt herein fleischwerken zu lassen.''^) So verspricht
am 29. Joni 1267 der Herzog Johann I. von Lothringen
and Brabant der Stadt Löwen, Juden und Gauwer-
einen in die Stadt zu setzen und dort zu halten, wie
dies in Brüssel geschehe ^'). So beechlieest in den
Jahroi 1268 und 1274 die Krone yon Frankreich, um dem
übermässigen Zinsnehmen der Lombarden, Kowertschen
und anderer Fremdlinge ein Ende zu macüen, dass dieselben
künftig „in regno publice super pignoribus mutuent** ^^),
d. h. nur noch unter öffentlicher Au&icht gegen Pfänder Geld
sollen darleihen dürfen. Man sieht hieraus, die Lombarden
und die Kowertschen sind nicht dasselbe. So wird im
Jahre 1268 in Barcelona allen Lombarden, Lucchesen,
Florentinern und Pisauern verboten, Geld gegen Zinsen
duzuleihen. ^^) So klagt im Jahre 1274 König Philipp der
Kühne Ton Frankreich über die „usuraria prayitas*^ der Lom-
barden, Kowertschen und anderer Fremden im Reiche.^*)
Im Jahre 1288 wird der Kapitän oder Bürgermeister der
Lombardengemeinde der Märkte der Champagne gewählt,
um zu Gunsten derselben beim König von Frankreich Ge-
leitssicherheit und Marktfreiheit zu erlangen.''*) Im Jahre 1289
wendet sich König Karl DL von Neapel, Graf von Pro-
vence und Anjou, in Angers gegen den Wucher der
Lombarden, Kowertschen und anderer Fremdlinge.^^ Im
Jahre 1294 setzt eine königliche Verordnung eine Steuer für
alle Lombarden der Märkte der Champagne sowie der
Städte Nlmes und der Provinz Narbonne fest.''^ In einem
Freiheitsbriefe des Papstes Gölestin vom Jahre 1294 nennt
dieser einige Kaufleute der Gesellschaft Ricardi in Lucca
„mercatores et campsores camerae nostrae.*^^^ Um dieselbe
Zeit werden einige Lombarden in Provins und Troyes
wegen übermässigen Zinsnehmens von dem Gericht in
Troves Terurteilt^*) Im Jahre 1295 machen die grossen
lombardischen Handelshäuser dem Grafen von Flandern
das Angebot, die Einkünfte der Gra&chaft in General-
pacht zu nehmen, wenn ihnen erlaubt werde, ein Kauf-
haus in Gent einzurichten und in der Grafschaft freien
Ebndel zu treiben, wogegen sie dann ihre Waren von
den Märkten der Champagne wegziehen würden. ^^ Im
Jahre 1306 entscheidet das französische Gericht zu Gunsten
eines lombardischen „Usurier*\ der, wäJirend er Tücher
^ KabUng, Ulms Fleiflchereiweaen, S. 15 f.
*) Depping, Jaden im Mittelalter, 8 178 f., 906, 802, 205. Boorqaelot,
Lei folm de la Cluanpagne, Bd. 2, S. 145, 149.
*) Boarqnelot. Las foixet de w Champagae, Bd. 2, S. 189. 145.
^ Bonrquelot, Les foirea de la Champagne , Bd. 1, S. 189, 168 f.,
186 f. NQbling, Ulms Kanfliaiii ün MiUelalter, S. 54.
— 104 —
und Silbergeld auf die Märkte der Champagne gebradit
hatte, beraubt worden war.^") So wird im Jahre 1340
in Frankreich verboten, bei Italienern oder Juden,
welche nicht in Frankreich wohnen, Geld gegen Zinsen
aufzunehmen, bei Strafe der Entrichtung einer gleichen
Summe an die königliche Kammer.^*) So zieht im Jahre 1344
der Herzog Joliann IIL von Brabant, nachdem er den
Lombarden gestattet hatte, in seinem Lande Geld auf
Schaden auszuleihen, auf Andringen des Papstes Clemens YL
diese Erlaubnis wieder zurück ^^), so dass seither auch in
Brabant den Juden wieder das ausschliessliche
Recht zum Ausleihen von Geld gegen Zinseszinsen
zusteht und auch in Brabant die Juden wieder, wie auf den
Märkten der Champagne, die ausschliesslichen privilegierten
Beherrscher des Geldmarkts sind. Am 27. März 1345 verleiht
König Philipp vonValois den Lombarden gcosse Freiheits-
rechte.''^ Im Jahre 1346 klagt die Kirche von Meaux über
die Lombarden und andere Fremdlinge, welche man ge»
wohnlich „Caorsini'^ heisse.^^ So zeigt eine Rechnungsablage
des Johann von Rampillon, königlichen Einnehmers der „Dettes
des Lombards usuriers'S vom Jahre 1362, dass die Graf-
schaften Champagne und Brie starken Gebrauch vom
Gelde der Lombarden machten und dass die Mehrzahl
der ö£fentlichen Anlehen damals auf den Märkten der Cham-
pagne gehandelt wurde. ''^) So erlaubt im Jahre 1364 König
Kasimir von Polen der Universität Krakau, für einen
Wechsler oder Juden Sorge zu tragen, der genügende
Mittel habe, um im Bedürfnisfalle den Studenten gegen gute
Pfandsicherheit Geld darzuleihen, und nicht mehr Zinsen (pro
servitio) fordern sollte, als einen Groschen monatlich von der
Mark."^) Im Jahre 1376 wird in Luzern der Wechsel-
verkehr an Juden, Lombarden und Florentiner ver-
pachtet"^) Im Dezember 1392 gibt König Karl VL von
Frankreich den Lombarden aus Asti das Marktrecht
und erlaubt ihnen, 15 Jahre lang in Troyes zu wohnen
und dort Handel zu treiben. Aehnliche Vereinbarungen er-
folgten för Laon, Amiens, Mäcon, Lyon, AbbeTÜle,
Meaux u. s. w. ^^, wie auch die Kaufleute und Wechsler von
Gabors starke Geschäftsverbindungen mit Venedig und
Spanien unterhielten, und die Märkte der Champagne
besuchten.''") Im Jahre 1409 erlaubt König Ruprecht der
Stadt Solothurn, „Lamparter'S d. h. Lombarden, oder
Juden zu halten. ^^) So wird nach der „Ausweisung^^ der
**) Bourguelot, Leg foires de U Champagne, Bd. 2, 188 f., 145, 148 f.
**) Depping, Jaden im Mittelalter, 8. 171, 142, 172, 205.
**) Stobbe, Jaden in Deutichland, 8. 24.
*>) Maorer, Stadtewesen, Bd. 2, 8. 806.
— 105 —
Jaden ans Zürich dem Kowertschen Lorandan-Pellet aus
Asti die Ausübung des Darlehensgeschäfts gestattet. ^^
Thatsache ist also, dass es ausser den Juden auch andere
Personen gibt, welche unbeirrt Ton dem Zinseszinsen verböte
der Päpste sich mit dem Zwischenhandel von Zinsen befassen
and deeshalb der Kurie und deren Schützlingen, den Juden,
dn Dom im Auge sind. Ob die „Kowertschen*^ aber ihren
Namen Ton der Stadt Gabors haben, der Hauptstadt des
heutigen Departements Lot am Lot in Südfrankreich, ob man
der Ansicht Bourquelots beipflichten darf, der meint, der
Name Kowertsche im Sinne von Banquier oder Dar-
leiher stamme Yon der Stadt Gabors, aber die Kowertschen
seicD dort eingewanderte Italiener gewesen, ob der Name
Ton „Conversi^S Bekehrte, herkommt und getaufte Juden
oder Mauren bedeutet, muss dahingestellt bleiben. Wenig
haltbar erscheint jedenfalls die Ableitung des Namens von
der Florentiner Handelsfamilie Gorsini, welche von
einigen Schriftstellern geltend gemacht wurde. Gabors, das alte
Difona oder Gadurcum, mit seiner alten Kathedrale aus
dem 11. Jahrhundert, die Heimat des Königs Joachim Murat,
schon im Altertum ein berühmter Tempelsitz der Silbergöttin
Diana, der Mittelpunkt des Handels mit den nach ihm be-
nannten berühmten Gahorsweinen, der besten Sorte der
Pontacweine, mit seiner im Jahre 1321 von Papst Johann XXH.
gestifteten Universität, war thatsächlich am Ende des 13. Jahr-
hunderts (1289) eine Stadt, in der sich beinahe alle Einwohner
mit dem Darleihen gegen Zinsen beschäftigten.^') That-
sache ist femer, dass die Italiener und Kowertschen
wenig Fremde an einander hatten. Die Italiener klagen wieder-
holt über die Kowertschen als eine Landplage, welche
die Franzosen nach Italien gebracht haben. Dagegen
behauptet der Franzose Ducange gegen den Italiener Muratori,
die Eahursiner seien italienischer Abstammung, indem sie
AUS Piemont stammen, weshalb sie auch von Franzosen
nod Italienern als Fremde betrachtet werden. '') Bichtig
ist, dass auch Piemont von Alters her ein Land der Geld-
wechsler ist In Asti, Ghieri, Gavore und anderen Städten
wimmelt es von Darleihern, die von hier, dem alten Oold-
Unde der Salassier, nach dem Delphinat, der Schweiz
und den anderen Nachbarländern ziehen, um dort den Geld-
handel zu treiben. Ihre Banken heissen „Gasane" und die
Piemontesen schicken ihre Söhne in diese Zweigniederlassungen,
▼. Malier, Geschichte der Eidgenossenschaft, Bd. 2. Kap. 4.
Depping, Jaden im Mittelalter, S. 902, 174 f., 172.
[adrian ?oa Yalois Notitia, S. 111. Hie olim cCaturcom) fons,
«MC patria feneratoram füit, qoi per totam Oalliam et per Britanniam
mnlam Italiamque diffosi mercatores se ac cambitores papae
oesbaat Bonrqoelot, Les foires de la Champagne Bd. 2, S. 140.
— 106 —
um sie daselbst in der Finanzknnst aasznbilden. So konnte
es nicht fehlen, dass es k. B. in Asti eine Menge von sehr
vermöglichen Familien gab, unter denen sich namentlich die
Scarampi, Asinari, Oaretti, Solan, RoTori und andere aos-
xeichneten. Mit Recht galt deeshalb wohl das Spridiwort:
„Qui Tült fenerari, recurrat ad Astenses et Cherienses.^ ^
Jedenfalls ist der Name „Kowertsche" in Frankreich ein
Schimpfwort**), und auch der Ghibelline Dante spridit
sehr yerächtlich Ton den Kowertschen. *^)
In Deutschland und in der Schweiz, in welch'
letzterer man namentlich yiele Kowertschen trifft, nannte
man dieselben „Kauderwelsche/**^) Dar Wechslerplatz
in Gabors war rings von Häusern lombardischer Kauf-
leute und Wechsler umgeben, welche von diesem geschickt
gelegenen Mittelpunkt aus ihre Greschafte nach der halben
Welt, namentlich nach Frankreich, England, Alemannien und
der Schweiz betrieben. Belege hielür sind in Menge vor-
handen. Im Januar 1166 ermächtigt Papst Alexander HL
den Bischof von Gabors, 200 Mark Silber bei den dortigen
Darleihern zur Erbauung einer Brücke über den Lotfluss auf-
zunehmen. ^*) Im Jahre 1216 befiehlt Papst Innocenz IIL,
einige WechiBler aus Gabors aus dem Kloster von Troves
zu vertreiben, welche sich dorthin vor ihren Glaubigem g^
flüchtet hatten.^") Im Jahre 1220 verlangt die Herzogin Alix
von Burgund von der Gräfin Blanka von Ghampagne die
Freilassung eines burgundischen Edelmanns, der lange Zeit
als Teilnehmer an einer Beraubung von Bürgern der Graf-
schaft Ghampagne und einigen Kaufleuten von Gabors
gefangen gehalten worden war. Am 27. März 1230 bestätigt
der Bischof Wilhelm von Gabors, die Summe von 200 Mark
Silber vom Rat und den Bürgern von Gabors erhalten zu
haben, um damit die Schulden des Bistums bei der Lom-
bardengesellschaft der Juvenal zu bereinigen, und ver-
**) Turgmnos de CastronoTO, Codicei Tanrioenaes Athenai bei Cilmlo,
Storie di Chieri, Th. 1, Turin 18S7. Depping, Jaden im Mittelalter, 8. 174.
**) GalU et ipu paria et forusse pejora atqne ante aliot praeatitere,
ipsiqae non vero Itali Caorsiai sant vocati o. s. w. Moratori, IMsierta-
tiones, 16, Th. 1. ÄDtiqaitates Italiae medü aevi, MaUand 1788. Depping,
Juden im filittelalter, 8. 172 and 175.
**) ,.E perö lo minor giron soggella dal aegno ano e Sodoma e
Caorsa^ Dante „Göttliche Komödie.''
*^ So heilten in Ulm noch im Jahre 1746 die firemden Oarn*
swiflchenh&ndler „Kanderer^* (Dietrich, Bf schreibang von Ulm, 8.30),
wie man auch den welschen Hahn einen .,Kaader** oder ,,Kater" nennt.
Grimm bringt „Kaa**, Elster, mit dem minischen „Kanka*^ und dem
keltischen „cawci'S „gowci** zusammen. Nftheres hierüber and fiber die
Kauderwelschen bei Grimm, Deutsch. Wörterb., Bd. 6, 8. 804, 806 IL und
374. Schmeller Bd. 2, 8. ^2, Schmid, Schw&b. Wörterb., 8. 807.
■*) Bonrquelot, Les foires de la Champagne, Bd. 2, 8. 160, 143.
— 107 —
pfiuidet den Darkihem bis zur Avsssahliuig seine Münze und
sonstigen Gefalle.**) Im gleichen Jahre erhält Gerhard David
von Cahors einen Freibnef für die Grafschaft Champagne
unter der Bedingung, dass er in seiner Behausung ,,während der
Woche^ keine Gelder ausleihe. Im November 1247 bezahlen
Gaillard von Lari, Bertrand Jean und ihre Genossen von Ga-
bors eine Reihe von Schulden, welche die Grafischaft Cham-
pagne auf ihren Namen gemacht hatte. Im Jahre 1251 erhalten
Kaufleute von Cahors und Montpellier als Sicherheit für
Gelder, welche sie dem Leutpriester von St Ayoul inProvins
geliehen hatten, den Ertrag der Gefalle zu Provins verpfändet
Zu gleidier Zeit werden die Maimessen in Provins und die
Märkte in Lagny durch den Bischof Bartholomäus von Cahors
als Zakktätte für diese Schulden festgesetzt Im gleichen Jahre
geben mehrere römische Bürger dem Bürger und Wechsler
Gaillard von Lart aus Cahors Bescheinigung darüber vor
dem Bischof von Troyes, dass die Gra&d^ Champagne
alles sicherstelle, was er ihnen schuldig sei Es ist derselbe
Caillard, der im Jahre 1218 Zahlungen und Darleihen gegen
Zins für die Grafschaft Champagne besorgt und der im
Jahre 1224 mit einer Hausg^ellschaft die Münze von
Meaux, Provins und Troyes betreibt Um dieselbe Zeit,
am Ende des 13. Jahrhunderts und am Anfang des 14. Jahr-
hunderts, wird der Wechsler Jakob Jean aus Cahors mehrfiach
in den städtischen Abrechnungen von Provins erwähnt, weil
er der Gemeinde ein Anlehen besorgt hatte. Die Familie Jean
hatte damals durch ihren Reichtum und ihre grossen Geld-
geschäfte einen mächtigen Einfluss, so dass Philipp von Jean
im Jahre 1261) Kanzler von Frankreich wurde und Gaucelin
von Jean unter Papst Johann XXIL es bis zum Kardinal
brachte. Ein anderes Familienglied, Bertrand Jean, erhielt
mit Gaillard von Lart aus Cahors im Jahre 1219 von der
Gräfin Blanka von Champagne als Lohn für treue Dienste zwei
steuerfreie Häuser in Ptovins. Im Januar 1263 wird allen
Einwohnern von Cahors (Caturcenses) der Besuch der Märkte
der Champagne verboten wegen Geldsummen, welche
die Bürger Stephan und Peter von Salvetat in Cahors den
Brüdern Durand schulden. Im Jahre 1267 ist der Bürger
Peter von Cahors in La Rochelle an dem Betriebe der
dortigen Münze beteiligt, wie auch Guido von Cahors
Vorstand der Goldmünze König Philipps des Langen von
Frankreich ist, und ein reicher Kaufmann von Cahors,
Raymund von Salvagnac, liefert beträchtliche Summen zum
Zweck des Kreuzzugs gegen die Albigenser gegen Ver-
pfandung der Gefalle von Lavaur.^*) So erklärt Benvenuto
Ton Imola im Jahre 1379, Caturgium sei eine Stadt in Gallien,
**) Bowquelot, Let foiiet da la Champagne, Bd. 2, S. 158, 146 f.
— 108 —
in der fast alle Leute Geldleiher seieii, und Brecario, der
im Jahre 1375 starb, sagt ebenfalls, Caoisa sei eine Stadt in
der ProYence oder im Lande Toulouse, in der fast alle
Leute Darleiher seien *^, so dass man begreifen kann, wenn
Dante diesen Ort als zweites Sodom und als Wuchererheimat
bezeichnet^) Zieht man diese Nachrichten in Betracht, so
bekommt man den Eindruck, dass die Grosskapitalisten von
Gabors sich mehr auf die grossen Finanzoperationen für
Staatsaulehen Yerlegt, namentlich aber, dass sie als
Münzpächter eine grosse llolle gespielt haben, also eine
ähnliche Bolle innehatten, wie sie die Hugenotten in Bezug
auf das Steuerpachtwesen in späterer Zeit in Frankreich
spielten**), und die Ansicht Bourquelots, dass im Mittelalter
die drei Gewerbebetriebe des Geldwechslers, des Bank-
halters und des Darleihers getrennte und dass die
Lombarden die Geldwechsler, dieKowertschen die Bank-
halter, die Juden aber die Pfandleiher gewesen seien, dürfte
wenigstens für die spätere Zeit des 14. Jahrhunderts, wenn
auch nicht für alle deutschen, so doch für die französischen
Städte zutre£fend sein.**)
6. Die EntwicUangsgeselilchte des IHtrlehensgeBehlfta
bis mm Jadenkrawall rom Jahre 1848.
A. Dm Dv lohaucitolilfl VU mm 11. lakrhuAni.
Welche Rolle die Juden in ihrer Eigenschaft als Dar-
leiher durch das ganze Mittelalter spielen, bis sie dieselbe
im 15. Jahrhunderts an die Lombarden verlieren, zeigen
uns die mannigfachsten Nachrichten. Die Niederlassungen
der Juden in Europa sind jedenfalls yiel älter als das
Christentum und es Uegt kein Orund vor, an den Nach-
richten der Chroniken zu zweifeln, dass es schon vor
Christi Geburt zahlreiche Juden auch in Deutschland ge-
geben habe, wie diess z. B. yon Halle an der Saale yer-
sichert wird und der Ulmer Chronist Felix Fabri auch
yon Ulm mitteilt. Glaubhaft erscheinen derartige Berichte
über frühen Aufenthalt yon Juden in den Ländern nördlich
**) Für die Möglichkeit der Identität der Eowertschen mit den
Katharern and Manich&ern spricht manchea Die Anrieht GiimmB
(Dentsch. Wörterb., Bd. 6, Sp. 1&51), als ob die Bezeichnang .«Ifanichaer*^
far .«Darleiher"' (ygl. Kömer, Nachtwächter, 4. Aoftr. Heine, Bd. 15.
S. 72) einfach ein Studentenwits des vorigen Jahrhunderts sei und soTiel
als „Mahner** heisse, scheint denn doch etwas gewagt Die Beieichnang
hat sicher viel älteren Ursprung.
*^) Ranke, Französische Geschichte, Bd. 8, S. 50a Röscher, National-
ökonomie, Bd. 4, S. 288.
*^ Bonrqnelot, Les foires de la Champagne, Bd. 2, S. 187*
— 109 -
der Alpen schon darum, als man damals in Italien selbst
denselben wohl wegen ihrer wncherischen Volksaasbentung
wenig günstig gesinnt ist So werden z. B. unter Kaiser
Tiberius (14—37) die Juden aus Italien vertrieben,
worauf dieselben in grossen Scharen nach der Insel Sar-
dinien und der Provence wandern, so dass hiedurch
diese Gegenden plötzlich eine starke jüdische Bevölkerung
erhalten; die betreffenden Einwanderer sollen namentlich
den Stämmen Juda und Benjamin, bekanntlich den
beiden von den Juden meist geehrten Stammen, an-
gehört haben.^) Es sollen gegen 4000 Juden, namentlich
Alexandriner, gewesen sein, welche auf diese Weise
nach Sardinien gelangten, dessen Bevölkerung damals
schon die Küsten ItaUens in schwerer Weise durch
ranberische Einfalle belästigte *) , so dass die Ansicht
nicht weit vom Ziele gehen dürfte, dass sich damals in
Sardinien ein lebhafter Sklaven markt ftkr Spanien
befanden haben müsse. Ebenso ungünstig wie unter Kaiser
Tiberius liegen die Verhältnisse für die italienischen
Jnden unter den folgenden Kaisem Caligula (37 — 41) und
Claudius (41—54). Auch unter Kaiser Yespasian (69—79)
nod Domitian (81—96) sind sie wenig gut daran.') Man
sieht damals den zunehmenden Einfluss des Hellenismus
in Italien höchst ungeme; der Wettbewerb von Byzanz,
der sich auf dem wirtschaftlichen Gebiete für Rom durch
dieVerlegungder Handelswege vom Mittelmeere nach
den Donauländern immer fühlbarer zu machen beginnt,
schärft in Italien den Hass gegen das Griechentum, dessen
Hanptvertreter die Juden sind. Man verbietet den Juden,
griechisch zu lehren^, und Kaiser Yespasian lässt sie
anf Schiffe bringen und nach Arles, Lyon und Bordeaux
schaffen, wo sie von der Bevölkerung sehr freundlich aufge-
nommen werden.^) Erst seit Kaiser Nerva (96 — 98) tritt ein
Umschwung in Italien ein und die Stimmung gegen die
Jnden bessert sich wieder.*) Aus jener Zeit erhalten wir
anch die ersten Nachrichten über jüdische Gemeinden in
Deutschland, wenigstens scheint in Worms um jene Zeit
das Beetehen einer solchen mit ziemlicher Sicherheit ange-
nommen werden zu dürfen^) und auch in Schwaben ist ihr
Vorhandensein aus einigen Judengrabsteinen®) erwiesen,
Qsd vollends gegen den Ausgang der Römerherrschaft in
Deutschland, am Anfange des 4. Jahrhunderts, muss es schon
zahlreiche Juden in Deutschland gegeben haben. Wie stark
damals die Juden geworden waren, wie sehr sie durch ihren
^ Aromof, Regeaten zur Geschichte der Jaden, S. 1 f.
^ Depiüne, Jaden im Mittelalter, S. 22, 24.
^ StUin, Wirtembergiiche Geschichte, Bd. 1, S. 106.
— 110 —
Wucher das Volk gedrückt hatten, geht daraus herror« das8
die römische BeichsregieruDg sich zu den ernstesten Mass-
regehi g^en diesen Wudier genötigt sah, indem sie bei Strafe
des Feuertodes jede Bedrückung von verschuldeten
Christen durch jüdische Gläubiger yerbot^) und Kaiso*
CSonstantin der Grosse (323-- 337) am 11. Dezembw 321 ver-
ordnete, dass die Juden in Köln eben&Us in den Rat (curia)
berufen und damit zur Steuerzahlung angehalten werd^
sollten, doch sollten 2 oder 3 von ihnen von der Verpflichtung
hiezu freigelassen werden dürfen, eine Verordnung, die da-
durch eine weitere Ergänzung feuid, dass die Reichfloiegierung
im Jahre 331 verordnete, dass die Rabbiner, Erzsynagogen
und Synagogenältesten, also alle Geistlichen und Gfemeinde-
beamten, der Kölner Judengemeinde künftig von allen per-
sönlichen Diensten der Gemeinde hnei sein und auch die
übrigen Juden zum Kriegsdienste nicht herangezogen werden
sollten.^) Schon im Jahre 383 hneilich wird den Juden dieses
Vorrecht wieder entzogen und unter den Kaisern Gratian
(367—383), Valentinian (375—392) und Theodosius (379—395)
wird ihnen die seitherige Fieiheit von den Gremeindediensten und
den Gemeindelasten (immunitas curialium munerum^) wieder
entzogen, da es denn doch nicht angängig erscheine, dass dai
Juden ein Vorrecht zustehe, wie es nicht einmal die Geist*
liehen besitzen, welche auch erst dann sich dem geistlichen
Stande widmen dürfen, wenn sie ihre Pflichten gegen den
Staatsverband erfüllt haben.*) Was das Volk schon damals
gegen die Juden erbittert, ist, dass sie unter ihm leben und
sich auf Kosten desselben bereichem, ohne dessen Sitten
anzunehmen.^) Es sind dieselben Klagen im Römerreiche
gegen sie, wie sie aus dem Perserreiche damals gegen sie
ertönen, wo sie ebenfalls die Christen in jeder Weise wirt-
schaftlich verfolgen^), wie sich schon in den Partherkriegen
(162—165) die mesopotanischen Juden aufs feindseligste
gegen das römische Reich benommen und den Kampf der
Pa^rther mit allen Kräften unterstützt hatten.^)
Man kann den fortwährenden lebhaftesten Einfluss, den
das Judentum mit seiner hervorragenden wirtschaft-
lichen Machtstellung zu allen Zeiten auf den Gang
der grossen Politik ausgeübt hat, gar nicht hoch genug
anschlagen. Weil die Juden immer da zu finden sind, wo
der Mittelpunkt des Weltverkehrs ist, so sind sie auch
stets im Mittelpunkt der Politik thätig. So beteiligen
«) DeppiDg, Jaden im Mittelalter, S. 27, 2a.
*) AroDins, Regesten cur Geschichte der Jadeo, S. 2 f.^ 4.
^ Cnm ne clericis auidem libemm rit, prini te difinis ministeriii
maneipare. quam patriae debita anivena pmolfant Aronios, Resesten
rar Getchtcnte rar Geschichte dar Jaden, 8. 8.
— 111 —
sidi im Jahre 390 die Juden von Avignon in hervor-
ragendem Masse am dortigen An&taude gegen den Bischof^)
nnd am Anfang des 5. Jahrhunderts ist ihre Stellung in
Gallien eine derartige, dass sich die Beichsregierung wieder-
holt genötigt sieht, aufe entschiedenste gegen sie vorzugehen,
und ihnen am 9. Juli 425 das Recht entzogen wird, als Für-
sprecher (judices, d. h. Rechtsanwälte^) aufzutreten oder ein
Gemeindeamt auszuüben "^^ und im Janre 465 das Konzil von
Vannes allen Geistlichen befiehlt, die Mahlzeiten von
Juden zu vermeiden und deren Einladung zu geistlichen
Mahlzeiten zu unterlassen, da die Juden die den Christen
erlaubten Speisen als unrein verschmähen und man
nicht dulden könne, dass die Geistlichen geringer geachtet
werden als die Juden.'')
Eine bessere Zeit bringt dagegen den Juden wieder die
Ostgotenherrschaft Die ostgotischen Herrscher sind den
Juden anfangs gnädig gesinnt, da sie deren Geld bedürfen, und
es gelingt den Juden, ihre Stellung in Italien zu verbessern.
So erlaubt z. B. König Dietrich von Verona (493—626) der
Judengemeinde in Genua, die ihnen abgenommene Synagoge
frieder aufzubauen. Was ihre Stellung im griechischen
Bäche betrifft, so ist Kaiser Jnstinians Regierung (527 — 565)
den Juden wenig günstig, indem sein Gesetzgebungswerk ihnen
einen grossen TeU ihrer Freiheitsrechte nimmt, wie auch
im ostgotischen Reiche ihre Stellung bald wesentlich
notleidet, wofür sich die Juden damit rächen, dass sie dem
Griechen Belisar (533—534) gegen die Ostgoten bei-
stehen.*) Der Mittelpunkt des Judentums in damaliger
Zeit scheint übrigens damals schon das südliche Gallien
gewesen zu sein. Hier im Mittelpunkte des damaligen Weltr
Verkehrs ist das Netz ihrer Sondergemeinden am dichtesten
gewoben und ihre Thätigkeit als Warengrosshändler, als
Sklavenhändler, als Warenkleinhändler wie als Gelddarleiher
ist eine hochentwickelte. So fährt z. B. im Jahre 581 eine
Anzahl Juden auf einem ihnen gehörenden Schiffe von
Nizza nach Marseille.*) So kommt im Jahre 584 der
Jude Armratarius mit seinem jüdischen Diener und zwei
Christen nach Tours, um einige Schuldbeträge einzu-
zidien, die er dem dortigen Altvikar, d. h. Altamtmann,
Injuriosns und dem früheren Grafen Eunomins gegen Ver-
pfändung der dortigen Gefälle geliehen hatte, wird aber
in der Nacht auf dem Wege aus dem Hause von Leuten
des Injuriosns ermordet und in einen Brunnen geworfen. Die
herbeigeeilten Verwandten des Juden finden wohl die Leiche,
nicht aber das Geld oder die Schuldscheine. Der Altamtmann
*) Armdns, Regesten lor Geschichte der Juden, 8. 4 f.. Id.
^ Deppiag, Juden im Mittelalter, 8. 81 f.
— 112 —
leugnete entschieden die Thal and beschwor seine Unschuld,
die Juden verklagten ihn aber beim Hofgericht König 6il-
bertSf kamen indes zum Termine nicht in die Verhandlang,
worauf der Altamtmann freigesprochen wurde. Bfan be-
schuldigte den Schultheissen Mediu*du8, der dem Juden eben-
ÜEdls Geld schuldig war, der Teilnahme an dem Verbrechen.*}
Wie schwer die Bevölkerung damals unter dem wirt-
schaftlichen Joche der Juden seufist, beweist z. B. der Be-
schluss des Konzils von MAcon vom 1. November 581, durch
welchen den Behörden verboten wird, einen Juden als
Richter oder Rechtsanwalt über einen christUchen An-
geklagten zu bestellen oder ihm den Ertrag von öffentlichen
Zollstätten zu überlassen, da es sonst den Anschein ge-
winnen könnte, als ob die Christen den Juden untergeordnet
seien.*) So wird ferner erzählt, als am 4. Juli 585 der König
Guntram vonBurgund inOrl6ans eingezogen und von der
Bevölkerung freudig begrüsst worden sei, habe man dabei
namentlich sehr viele syrische und lateinische, vor allem ab^
hebräische Stimmen gehört und als die Juden den König
mit den überschwänglichsten Lobeserhebungen emp&ngen
haben, habe dieser freimütig erklärt, sie schmeicheln ihm doch
nur, damit er ihre von den Christen zerstörte Synagoge
auf Staatskosten wiederaufbauen lasse, er habe aber keine
Lust, das jemals zu thun.*) Die Juden sind es denn auch,
welche die Stadt Arles an die Franken und Burgunder
verraten, als ihnen die Herrschaft der Westgoten unange-
nehm wird, wie sie später die Stadt Bordeaux an die
Normannen ausliefernd^) und die Stadt Toledo an die
Mauren verraten, als das Konzil von Toledo Beschlüsse
fasst, welche ihren Interessen zuwider sind. ^^)
In zunehmendem Masse steigt damals gerade in Gallien
und Spanien der Hass des Volks gegen die blnt-
saugerischen Fremden, von denen man verlangt, dass sie
entweder ihre jüdischen Sondersitten ablegen und sich
taufen lassen oder auf die Teilnahme am öffenüichen Leben
Verzicht leisten. Schon der heilige Hilarius von Poitiers
wird gerühmt, weil er die Mahlzeiten und die Begrüssung
von Juden und Ketzern auf der Strasse vermieden habe%
und im Jahre 500 untersagt König Gundobald von Burgund
alle Ehen zwischen Juden und Christen bei Strafe des
Ehebruchs.') Am 11. September 506 wird auf dem Konzil von
Agde allen Geistlichen und Laien die Teilnahme an den
Mahlzeiten der Juden oder die Einladung von Juden
zum Essen verboten.') Im Jahre 511—558 verbietet König
Gilbert I. den Juden, vom Gründonnerstag bis Ostern wie zum
*) Aromas« Regesten sor Oeschichte der Jaden, 8. 17 f., 15, 18, 4, 6, 7.
'*) Depping, Jaden im Mittelalter, 8. 62, 44, 41.
— 118 —
Hohne auf den Strassen und dem Markte spazieren zu gehen.^^)
Im An&ng September 517 verbietet das Konzil von EpaoD
allen katholischen Geistlichen die Teilnahme an den
Mahlzeiten Yon ketzerischen Geistlichen. Von den
Jadenmahlzeiten aber sollen sich anch die Laien fern-
halten. Am 23. Juni 533 verbietet das zweite Konzil von
Orleans die Ehe zwischen Juden und Christen bei Strafe
der Ansstossnng ans der Kirche. Am 8. November 535 be-
stimmt das Konzil von Glermont, wer Ehen zwischen
Jnder und Christen dnlde, solle ans der Kirche ansge-
stossen werden; ebenso wird verboten, Juden zn Richtern
über Christen zn setzen. Am 7. Mai 538 bestimmt das
dritte Konzil von Orleans, wenn ein Jude einem christ-
lichen Leibeigenen (servns) etwas von der Kirche verbotenes
befehle, solle er dem Juden, wenn er aus dessen Hause in
eine Kirche fliehe, nicht ausgeliefert werden. Ebenso wird die
Ehe mit Juden bei Strafe des Ausschlusses aus der Kirche
verboten und bestimmt, dass wer an Judenmahlzeiten teil-
nehme, ein Jahr aus der Kirche ausgeetossen werden solle.
Femer sollen sich die Juden vom Gründonnerstag an vier Tage
lang nicht unter den Christen zeigen dürfen. Im Jahre 553
verkehrt der heilige Ferreolus, Bischof von Uzes, freundlich
mit den Juden und bekehrt viele. Er wird indess bei König
Gilbert verklagt, dass er mit den Juden und Sarazenen
speise und sie beschenke, worauf der König, der Verrat
furchtet, ihn nach Paris verbannt. Erst im Jahre 558 wird
Ferreolus wieder freigelassen, worauf er die Juden zur Taufe
ermahnt und alle widerstrebenden Juden aus seinem Kirchen-
sprengel austreibt. Die Nachricht ist desshalb von Bedeutung
weil in derselben statt von Juden und Ketzern von Juden
und Sarazenen die Bede ist, was für die Ansicht spricht,
dass die Kowertschen bekehrte Mauren gewesen sein
könnten. Am 1. November 581 verbietet das Konzil von
M&con allen Christen bei Strafe des Kirchenausschlusses in
Gemässheit einer Verordnung des Königs Gilbert, an den
Mahlzeiten der Juden teilzunehmen, während den Juden
verboten wird, vom Gründonnerstag bis Ostersonutag sich wie
zum Hohn auf den Strassen und auf dem Markte zu zeigen,
wie ihnen auch bei Strafe durch das Orisgericht geboten wird,
den katholischen Geistlichen Ehrerbietung zu er-
zeigen. Am 1. November 589 verbietet das Konzil von Nar-
bonne den Juden bei Strafe von 6 Unzen Gold, ihre Toten
unter Absingung von Psalmen zu bestatten; vielmehr sollen
sie dabei nach ihren alten Sitten verfahren.'^) Das war indessen
nur der Anfiemg; die Verhältnisse sollten sich bald noch
schlimmer für die Juden gestalten. Im Jahre 590 wird ein
^0 Aroniui, Bagetten rar Geidiichte der Juden, 8. 7, 9, 12, 15, 19.
8
— 114 —
Jude, dar ein Christnsbild geraubt hatte, um es za ver^
brennen, deeehalb gesteinigt Am 10. Oktober 614 beelimmt
das fünfte Pariser Konzil, kein Jude solle künftig mehr
eine Richter- oder Stadtratsstelle bekleiden dürfen,
ausser er lasse sich vorher taufen, eine Verordnung, welche
am 18. Oktober 614 von König Lothar IL bestätigt wird,
und im Jahre 624 bestimmt das Konzil von Reims, kein
Jude solle zu einem öffentlichen Amte zugelassen und
gegen die zunehmenden Verunglimpfungen des dirist-
hohen Glaubens durch die Juden müsse entschieden vor-
gegangen werden.^*)
Es ist offenlMu: auch hier im fränkischen Reiche die*
selbe Missstimmung gegen die herrschende Kapitalübermacht
des Judenvolks in Fluss gekonunen wie im arabischen
Reiche, wo der Prophet Mahommed (622—632) die heilige
Fahne gegen ihre Uebermacht erhebt und eifrig bestrebt ist,
ihrem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Druck entgegen-
zutreten, wie er z. B. allen Juden verbietet, eiserne Steig-
bügel wie die Araber zu tragen oder auf Pferden wie diese
statt auf Maultieren zu reiten. '*) Die Folge dieser Maa»-
regeln im fränkischen Reiche ist denn auch, dass Ueber-
tritte von Juden zum Christentum jetzt in ziemlich
vermehrtem Massstabe stattfinden. Solche Uebertritte vraren
allerdings auch seither schon mannigfach erfolgt So wird
z. B. im Jahre 360 der getaufte Jude Simeon zum
Bischof von Metz erwählt^') und im Jahre 472 empfiehlt
Sidonius ApoUinaris dem Biscnof Eleuiherius von Tournai
einen Juden mit der Begründung, dass man keinen
Juden bei Lebzeiten verdammen dürfe, indem er ja immer
noch bekehrt werden könnte. Da femer diese Leute an-
ständige Geschäfte machen, dürfe man sich ihrer
wohl annehmen, wie er im gleichen Jahre dem Bischof
Nonechius von Nantes den getauften Juden Promotns
empfiehlt") Immerhin ist man mit dem Taufen von Juden
nocn im 6. Jahrhundert sehr vorsichtig, wie denn z. B. am
IL September 506 das Konzil von Agde unter dem Vorsitz
des Enbischof von Arles bestimmt, dass Juden erst nach
achtmonatlicher Probezeit getauft werden sollen.^^
Man sieht, der Zudrang der Juden zur christlichen
Kirche ist damals sehr stark, während der Kirche wenig
an der Erwerbung dieser neuen Glaubensgenossen liegt, und
in der That zeichnet sich das 6. Jahrhundert durch zahl-
reiche Judentaufen aus, welche namentlich in Frank-
reich lebhaft stattfinden. So l^sen sich im Jahre 568 in
Bourges zahlreiche Juden von dem heiligen Grermanus
") Aronius, Regetten zur Oeschichte, 8. 9, 2 f., 8, 5 f., 7, 18.
») Deppiog, JadMi im Mittalalter, 8. 42 und K8.
— 115 —
taufen.^') So läset sich im April oder Mai 576 in Clermont
ein Jnde Tom Bischof Avitns taufen, worauf ihm bei der
Prozession ein fanatischer Jude ranziges Oel auf
den Kopf giesst Das Volk will den Juden steinigen, der
Bischof schreitet indess ein; aber am Himmelfahrtstage fäUt
die Menge über die Synagoge her und plündert sie, worauf
der Bischof den Juden die Wahl zwischen Aus-
wanderung oder Taufe lässt Die Folge ist, dass sich
öOO Juden taufen lassen, während die anderen nach Mar-
seille abreisen. ^^) So ist im Jahre 581 ein Grossjude
namens Ptiscus der Geschäftsagent des Königs Gilberich
imd liefert ihm seinen Bedarf an Levantewaren. Als
dieser Jude einst inNogent an der Marne mit dem Bischof
Gregor von Tours zusammentrifft, meint der König, der
Bi8<äof solle den Priscus taufen, worauf sich ein Keligions-
gespräoh zmschen beiden entspinnt, das aber erfolglos
bleibt ^^), wie auch im Jahre 582, als König Gilberich yiele
Jnden unter eigener Uebernahme der Pathenstelle taufen
lasst, nch Priscus, als der König auch an ihn dieses Ansinnen
stellt, dessen entschieden weigert, so dass ihn der König
erzfimt gefSemgen setzen lässt Priscus bittet nun um Frist, bis
sein Sohn eine Jüdin aus Marseille geheiratet habe. Unter-
dessen entsteht ein Streit zwischen Priscus und einem ge-
tauften Groesjuden, namens Phatir, wobei Priscus das Leben
verliert Phatir flieht sofort aus Paris nach Burgund,
seiner Heimat, wird aber dort von den Hinterbliebenen des
Priscus getötet ^^) So meldet eine Chroniknachricht vom
Jahre 587, ein Jude in Bordeaux, der den dortigen Stadt-
piarrer Lupus verhöhnt hatte , als er im Fieber den heiligen
Martin zum Helfer anrief^ sei zur Strafe vom Fieber ergriffen
worden und habe sich infolge dessen taufen lassen. So er-
fahrt im Juni 591 Papst Gregor von italienischen
Joden, die in Geschäften nach Marseille reisen, dass
man dort die Juden mit Gewalt zur Taufe veranlasse,
worauf der Papst die Bischöfe von Arles und Marseille
anweist, diess nicht zuzulassen. Liebevolle Be-
lehrung wirke zuverlässiger.^^) Man sieht, der
kirchlichen Oberleitung liegt an der Vornahme gewaltsamer
Jadentaufen damals nichts.
Dagegen finden unter König Dagobert L von Frank-
reich immer zahlreichere Juden taufen statt *^) Da-
gobert, der völlig unter dem Einflüsse von Byzanz stand,
wurde zu diesem Vorgehen ebenfalls von den Griechen
aufgemuntert, indem im JaJure 629 der Kaiser Heraklius, der
infolge der Weissagung eines Sterndeuters fürchtete, dass sein
^ Aroniua, Bemten zur Geschichte der Jnden, 8. 14» 16, 17, 19.
^ Depping, Juden im tfittelalter, 8. 49.
— 116 —
Reich von beschnittenen Völkern yerwnstet werde, den
Frankenkönig Imt, alle Juden katholisch tanfen za lassen,
ein Wunsch, dem der König denn auch in ansgiebigiBter Weise
nachkommt^*) So wird im Jahre 644 in Bonrges ebe
grössere Ansahl Juden durch den Bischof Sulpitius getauft.
Weldie hohe wirtschaftliche Machtstellung die
Juden auch im 7. Jahrhundert im Frankenreiche haben,
sieht man z. B. daraus, wenn im Jahre 633 König Dagobert
der Abtei von St Denis einige Hitfe und das Thor beim
Glaucinuskerker in Paris samt dem Ertrag der Zölle
sdienkt, welche der jüdische Kaufmann Salomon dort
im Namen des Reichs erhebt'*) Die Juden sind also
sdion damals wie tausend Jahre spater die allma42htigen
Generalpächter des Landes, das sie in jeder Beziehung
aussaugen. Aber auch im Westgotenreiche in Südgallien
sind noch im Jahre 673, als in Narbonne der Au&tand
des Paulus gegen den König Wamba ausbricht, die Ver-
haltnisse zwischen Christen und Juden ziemlich frenndlidi,
bis nach der Einnahme Narbonnes durch König Wamba
die Juden yertrieben werden^*), wie denn überhaupt die
Griechen und Goten den Juden wenig freundlich gegen-
überstehen und z. B. auch der byzantinische Kaiser Leo
(717 — 741), der Bilderstürmer, bekanntlich ein Schuh-
machersohn aus Seleucia in Isaurien, eine lebhafte
Thätigkeit als Judenbekehrer entwickelt ^T)
Dagegen geht es den Juden im Frankenreiche seit
dem 8. Jahrhundert immer besser. Tief entrüstet klagt
Papst Stephan IlL (678 — 772) in einem Schreiben an den
Erzbischof Herbert yon Narbonne, wie er in den Tod
erschrocken sei bei der Nachricht, dass man jetzt in Frank-
reich den Juden sogar erlaubt habe, auf dem Lande und
in den Vorstädten erblichen Qrundbesitz zu erwerben,
und dass Christen die Weinberge und A eck er yon
Juden bestellen und in den Städten in den Juden-
häusern wohnen, dort ihre gotteslästerlichen Reden
hOren und ihnen allerlei Dienste leisten. Die Staats-
regierung der Karolinger fragt nach diesen Einwendungen
des heiligen Stuhls indessen wenig; sie hat die Hilfe der
Juden allzu notwendig, um die Kraft zu besitzen, sich
ihrer zu entschlagen, da sie zu ihrer Grossmachtspolitik
Geld in Menge gebraucht, und so sehen wir damals in den
yerschiedensten Städten des Reichs sich die Juden in
zunehmendem Masse festsetzen. So soll z. B. im Jahre 808
Kaiser Karl der Grosse zur Hebung des dortigen Handels-
verkehr eine Judengemeinde in Erfurt gegründet
^*J Aroniui, Begetten *ax Oeaehiehte der Jaden, 8. 88 ff.
**) Deppiof, Jaden ba Mittelalter, B. SB.
— 117 —
haben. So werden im Jahre 810 normannische
Schiffe in einer Hafenstadt bei Narbonne ftr Schiffe Ton
jüdischen, afrikanischen oder britischen Eanflenten
gehalten. ^"^ Im Jahre 839 tritt der Diakon Bodo, ein
gelehrter Alemanne, der am Hofe Kaiser Ludwigs des
Frommen erzogen worden ist, nach einer Wallfahrt nach
Som zum Judentum über, lässt sich beschneiden, lässt
Haar und Bart wachsen, nennt sich Eleazar, legt Bitter-
tracht an, heiratet eine Jfidin und wandert nach Sara-
gossa aus. So wird im Jahre 849 ein Judenfriedhof in
Vienne eingerichtet. So rühmt im Jahre 878 der Bischof
Sa]omo n. Yon Eonstanz Ton dem Bischof Witgau yon
Albeck Ton Augsburg, dass Geistliche und Laien, Vor-
nehme und Geringe, Juden und Heiden (gentiles) ihm
die gleiche Verehrung zollen, womit das Vorhandensein
einer Augsburger Judengemeinde um jene Zeit er-
wiesen ist Im Jahre 900 besteht in Worms ein Juden-
kirchhof. Im Jahre 942 gibt es einen Judenfriedhof
in Prag. Im Jahre 945 besitzt ein Kloster in Metz
einen Weinberg, den fiüher ein Jude namens David
besessen hat Im Jahre 970 erwähnt der Jude Ibrahim-
ibn-Jakub in seinem Reisebericht eine den Juden gehörige
Salzsiederei bei Naumburg, die an der Saale in der
N&be der Mulde gelegen sei. Am 2. April 981 übergibt
Kaiser Otto n. dem St. Enuneramskloster bei Regensburg
das Gut Schierstadt in der dortigen zum Nordgau
gehörigen Vorstadt yon Begensburg, in der Grafschaft
des Heinrich, welches das Kloster dem Juden Samuel
abgekauft hat'^
Ihren Höhepunkt hat fireilich diese Blütezeit der Juden
in Deutschland und Frankreich schon am Ende des 9. Jahr-
hunderts erreicht und seit dem 10. Jahrhundert sehen wir
die Juden immer mehr aus ihrer wirtschaftlichen
Machtstellung yerdr&ngt werden, indem es der
Kirche gelingt, sich an deren Stelle zu setzen. So be-
stimmen schon die Kaiser Karl der Grosse und Ludwig
der Fromme, kein Jude solle bei VermOgensyerlust
und Gefängnisstrafe Wein oder Getreide ver-
kaufen oder das Schul theissenamt übernehmen und
im Jahre 820 wird dem Bäte in Aachen der Befehl
erteilt, in den Wohnungen der christlichen und jüdischen
Kaufleute, welche auf dem Markte oder nach auswärts
Handel treiben, nachzusehen, ob sich kein Gesindel dort
aofhalte.^^ Das Bestreben der Geistlichkeit geht jetzt
in zunehmendem Masse dahin, die Juden zu yeranlassen,
^ AroDhis, Becesten cor Geacbichte der Juden, 8. 27, i8, 49, 51 f.
M iL, 60, ».
— 118 —
dass sie sich taafen lassen. So dankt gegen Ende des
9. Jahrhunderts ein Bischof dem Kaiser (tkr seine Unter-
stützung bei Bekehrung der Juden. Bereits habe sich
eine grössere Anzahl taufen lassen, seit an jedem Sabbat
ein christlicher Geistlicher das Wort des Herrn
in der Synagoge predige; 53 Judenknaben seien be-
reite getauft worden und weitere sollen auf Ostern getauft
werden. Die Juden von Chalons, M&con und Vienne
schaffen nun aber ihre Kinder heimlich bei Nacht
nach dem Süden, namentlich nach Arles; man sollte es
desshalb in Arles ebenso machen. Daneben richtet sich
jetzt das Streben der Geistlichkeit in erhöhtem Masse
darauf, den Juden den geselligen Verkehr mit
Christen unmöglich zu machen. So klagt am 1. Mai 888
der Frühmesser Guntbert von Metz die Juden yon Metz
beim dortigen Konzil an, worauf dieses allen Christen das
Speisen und Trinken mit Juden verbietet.^')
Am 1. Juni 982 beruft König Heinrich I. eine Synode
nach Erfurt ein, um ihr einen Brief Torzulegen, den der
Patriarch yon Jerusalem nachKonstantinopel gesandt
hatte und der von dort nach Bom übermittelt worden war.
Nach demselben hatte in Jerusalem einBeligionsstreit
zwischen den Christen und Juden stattgefunden, wobei
die Juden die Sarazenen durch Geld für sich gewonnen
hatten. Ein Wunder in der Kirche des heiligen Qrabs
habe aber für die Christen entechieden und die Juden
Jenseite des Meers haben sich darauf taufen lassen. Im
Jahre 936 schreibt der Herzog Peter von Venedig mit
dem Patriarchen Marino und den Bischöfen Ton Venedig
dem KOnig Heinrich I., dem Erzbischof Gilbert yon Mainz
und den Bischöfen jener Gegenden, sie haben erfahren,
ein Jude aus Jerusalem sei nach Deutschland ge-
kommen und habe dort unter Schmähungen Christi ein
grosses Verbrechen yom heiligen Grabe erzahlt. Man
solle desshalb den Juden in Deutechland das yorgekommene
Wunder erzählen und ihre Taufe anordnen. Ebenso
solle den Juden yerboten werden, das Zeichen des Ejreuzes
an Metallen, Tuchen oder Waren anzurühren, und alle
Juden, die nicht Christen sein wollen, sollen be-
schämt und yerachtet das Reich räumen. Um das
Jahr 938 antwortet Papst Leo Vn. dem Erzbischof Frie-
drich yon Mainz auf seine Anfrage, ob es besser sei, die
Juden zu taufen oder zu yertreiben, er möge nicht ab-
lassen, ihnen das Eyangelium zu predigen, und sie erst
yertreiben, wenn sie sich nicht bekehren, denn mit den
**) Aronini, Begetten lur Geschichte der JadeD, 8. 57.
— 119 —
FeindeB Oottes dfirfe man keine Gemeinschaft haben. '^
Um das Jahr 993 töten die Jaden Benno, den Schenken
des Kaisers Otto in., and werden desshalb yerarteilt, ein
goldenes Standbild des Ermordeten neben dem Dom za
Mainz aafznstellen. Das Standbild blieb dort stehen bis
zum Jahre 1160, wo der Erzbischof Rndolf dasselbe ein-
schmelzen liess and das Gold anter seine Verwandten
and Freande verteilte.^)
Trotzdem stehen die Jaden aach noch am Anfang
des 11. Jahrhnnderts ziemlich mächtig da, wenn aach die
zunehmende Erbitterang des Volks damals ihre Stellang
schon ziemlich bedroht. So ttberlässt am die Jahre 1006
bis 1028 der Bflrger Bizmann yon Regensbar g dem
Kloster St Emmeram dort drei Höfe bei dem Jnden-
yiertel der Stadt Es ist diess die älteste arkand-
liehe Erwähnnng eines abgeschlossenen deatschen
Jadenyiertels. So erbaaen im Jahre 1012 die Jaden
in Köln eine Jadenschale and erwerben einen Fried-
hof. Die Lage der Jaden aber wird jetzt in steigendem
Masse ansicher. Im Jahre 1009 zerstört der Khalif yon
Persien die Heiliggrabkirche in Jernsalem and
alsbald erhebt sich das Gerede, er sei hiezn yon den
Juden yon Orleans dnrch einen hebräischen Brief
Teranlasst worden, den ihm ein Mönch namens Robert
gebracht habe. In allen christlichen Reichen werden in-
folge dessen die Jaden teils yertrieben teils getötet
Zahlreiche Jaden lassen sich aas Farcht taafen, treten
aber bald wieder znrttck. So werden am Ende des
Jahrs 1012 die Jaden der Stadt Mainz yon König
Heinrich n. ans der dortigen Stadt aasgetrieben, doch
gelingt es ihnen, am 80. Janaar 1018 wieder das Recht
zur R&ckkehr zn erlangen. Aach anderwärts kehren seit
dem Jahre 1014 die Jaden allmählich wieder in die Städte
zurQck, wo man sie schont, so dass sich dieselben z. B.
in Worms im Jahre 1084 bereits wieder eine Synagoge
erbaaen können.^)
Was die Kirche bei dem Vorgehen gegen die Jaden
namentlich in Aafregang bringt, ist das, dass die Jaden
Tor allem es sind, welche sich am eifrigsten gegen den
Bilderdienst der kathoUschen Kirche stränben, welche
keine (Gelegenheit yersänmen, die Wanderkraft der
heiligen Reliqaien yor dem Volke in Zweifel zn ziehen
ond zam Teil mit ätzender Schärfe sich in kritischen
drängen mit der Theologie hernmschlagen. Es ist die Zeit,
da der „Hellenismns^ in zanehmendem Masse in das
"*) Anmhis, Bsfeslen sor GeMhichte der Juden, 8. 58 t 58, 81—66.
— 120 —
deutsche Geistesleben eindringt, da in den Kloster-
schalen St. Gallen ond an anderen Orten neben die
seitherige Beschäftigung mit der Bibel das Stndinm der
griechischen Weltweisen tritt und die Nenplato-
niker, Aristoteles u. s. w. immer eifriger gelesen werden.
Üass auf diese Richtung die J u d e n ein gutes Teil hinwirkten,
darf nicht bezweifelt werden. So belehrt im Juni 1022
ein in Jerusalem yom dortigen Patriarchen getaufter
Jude die Mönche Notker Labeo und Ekkehard IV. yon
St. Gallen über die Gebräuche im Tempel in Jeru-
salem.'<^) Um das Jahr 1018 tritt der Geistliche Wegelin,
ehemals Hauskaplan eines Herzogs Eonrad, zum grossen
Aerger König Heinrichs ü. zum Judentum über. In den
Jahren 1048 — 1071 gewinnt Sigbert von Gemlaux die
Zuneigung der Juden yon Metz dadurch, dass er Bibel-
fibersetzungen , die auf den hebräischen Text zurück-
gehen, yon anderen zu unterscheiden weiss und den Juden
in allem zustimmt, wenn sie sich auf diesen hebräischen
Text berufen können. In den Jahren 1032 — 1062 ertönen
Klagen aus Begensburg, dass dort der Jude Abraham
den Heiland lästere , so oft yon diesem die Bede sei. Um
das Jahr 1038 wird geklagt, dass die Juden in Bamberg
nicht an die Wunderkraft derBeliquien der heiligen
Kunigunde glauben wollen, und als im April 1066 der
erbitterte Erzbischof Eberhard yon Trier den Juden da-
selbst die Wahl zwischen Austreibung oder Taufen
lässt, yerfertigen die Juden eine dem Bischof ähnliche
Wachsfigur und bewegen durch Geld einen Mönch, diese
als Täiäing hinzustellen. Als nun der Bischof die yer-
meintliche lebende Person taufen will, z finden sie die
Figur an, so dass der Bischof mitten in der Kirche aus
Schreck yom Schlage getroffen niedersinkt*^)
Man sieht, die wirtschaftliche Stellung der
Juden ist damals in Deutschland eine sehr starke.
Ein unterdrfickter fremder Volksstamm darf sich der-
artige fibermfitige Ausschreitungen im fremden
Lande nicht gestatten. Das bestätigt denn auch das
ürkundenmaterial yollauf.*^) In den Jahren 1061—1092 gibt
der Herzog Wratislaus II. yon Böhmen den Deutschen
in der Prag er Vorstadt einen Freiheitsbrief, in dem auch
die Juden erwähnt werden. Im Jahre 1080 wird das
Wormser Judenthor urkundlich erwähnt Am 13. Sep-
tember 1084 yerpflanzt der Bischof Rüdiger yon Speier,
als er den Weiler Speier zur Stadt zieht, auch Juden
dahin und hofft, dadurch den Glanz des Orts zu yer-
•1
) AroDios, Ragesten cur GeBcfaichte der Juden, 8. 68, 70.
— 121 —
taasendfachen. Sie werden aasserhalb der Wohnplätze
der fibrigen Bürger angesiedelt und eine Mauer wird um d en
Bezirk gezogen, damit die Juden vor dem Volk geschfltzt
sind. Als Miete fQr das Quartier haben die Juden dem
bischöflichen Kapitel jährlich SVt Pfd. Speierisch zu be-
zahlen. Die Juden dttrfen innerhalb ihres Viertels und
in der Stadt Gold und Silber umwechseln und alles,
was sie wollen, kaufen und verkaufen. Auch erhalten sie
einen Begräbnisplatz. Fremde Juden brauchen keinen
Zoll zu zahlen. Der Gemeindevorsteher des Juden-
Viertels darf Streitigkeiten unter den Juden entscheiden,
wie der Schultheiss unter den Borgern. Kann er eine
Sache nicht beendigen, so hat er sie vor den Bischof oder
Kämmerer zu bringen. Wachdienst, Verteidigung und
Befestigung ihres Viertels haben die Juden mit ihren
Dienern selbst zu besorgen, zu weiterem Dienst sind
sie nicht verpflichtet. Christliche Ammen und Miets-
knechte zu haben ist ihnen erlaubt. Geschlachtetes
Fleisch, dessen Genuss ihnen das Gesetz verbietet, dürfen
sie an die Christen verkaufen und diese dürfen es
kaufen.**) Am 19. Februar 1090 nimmt Kaiser Heinrich IV.
in Spei er die Juden Judas, des Kalonymos Sohn, David,
des Massulam Sohn, Moses, des Guthiel Sohn, und deren
Genossen mit ihren Kindern und allen, die sie vertreten,
in seinen Schutz auf. Der betreffende Schutzvertrag
enthält folgende Bedingungen: 1) Niemand darf die Juden
angreifen. 2) Niemand darf ihnen etwas an ihrem erb-
lichen Besitz an Höfen, Häusern, Gärten, Weinbergen,
Aeckem, Sklaven u. s. w. wegnehmen. 8) Sie dttrfen ihr
Eigentum mit jedermann tauschen und innerhalb des
fieichs frei und im Frieden umherziehen, Gewerbe und
Handel betreiben, kaufen, verkaufen. 4) Zoll von ihnen
zu erheben oder eine andere Abgabe, ist niemand erlaubt.
5) Ohne ihre Einwilb'gung Fremde in ihren Häusern
anterzubringen , ist verboten; ebenso ist es niemand er-
laubt, Pferde von ihnen zu fordern, um zum König oder
Bischof oder zum Heerzug zu reisen. 6) Wird gestohlenes
Gut bei ihnen gefunden, von dem sie behaupten, sie haben
68 gekauft, so haben sie zu schwOren, um welchen Preis
sie es gekauft haben und mttssen es dem Eigentümer um
diesen Preis zurückgeben. 7) Ihre Kinder zwangsweise zu
taufen oder zu rauben und zu taufen, ist bei 12 Pfd. ver-
boten. Wer von ihnen die Taufe verlangt, hat drei Tage
zuwarten und verliert sein Eigentum. 8) Heidnische
Sklaven der Juden dürfen nicht durch die Taufe dem
") Aronius, Beseiten zur Geschichte der Juden, 8. 72.
— 182 —
Jndendienst entfremdet werden bei Strafe von 3 Pfd. Silber
and Rückgabe des Sklaven, der trotz seiseB Cbristentame
dem Jaden folgen mnss. 9) Die Jaden dürfen Christel for
ihre Arbeiten mieten, nar nicht an Sonn- and Feiertagen.
10^ Christliche Sklaven zu kaufen, ist den Jaden verboten.
11) Bei Streitigkeiten zwischen Jaden and Christen hat jed^
Teil nach seinem Gesetze Recht za geben. 12) Niemand darf
einen Jaden zam Gotteearteil des heissen Eisens oder des
heissen oder kalten Wassers zwingen, noch ihn geissein odo'
ins Gefängnis werfen, sondern er soll nach seinem Gresetze
nach 40 Tagen schwören and kann nur darch jüdische and
christliche Zeagen zagleich überfuhrt werden; alles bm 3 Pfd.
Silber Strafe. 13) Wer einen Jaden verwandet, zahlt 1 Pfd.
Gold, tötet oder erwürgt ein Sklave einen Jaden, so mnss
der Herr die Strafe zahlen oder den Sklaven aasliefem. Wer
die Basse nicht zahlt, dem werden die Aagen aasgestochen
and die Hand abgehauen. 14) Streitigkeiten der Juden unter
sich werden von ihnen selbst entschieden. Wer die Wahrh^t
verbirgt, ist von dem, den der Bischof an die Spitze der
Synagoge gestellt hat, zum Bekenntnis der Wahrheit zu
zwingen. Schwierige Fälle sind vor den Bischof zu bringen.
15) Die Juden dürfen Wein, Kräuter und Arzneien an
Christen verkaufen.*')
Man sieht, in allen diesen Abmachungen findet sich keine
Spur von Einschränkungen der Juden. Wir sehen die
einzelnen Juden als Schutzbürger des Reichs in den
deutschen Reichsverband eintreten, indem sie freie Verträge
mit dem gewählten Vertreter der Reichsgewalt abschliesaen,
webei die gegenseitigen Rechte und Pflichten des
Reichs und der zu gründenden Judengemeinde genau fest-
gesetzt sind. Sie machen Geschäfte der verschiedensten Art,
sie handeln mit allen möglichen Dingen, sie leihen Geld
aus, aber sie sind in jeder Beziehung freie Leute. Der für
sie vielfach bestehende „Gassenzwang'' (Ghettozwang)
ist vielmehr ein Ghettorecht, insofern er lediglich zu ihrem
Schutze dient Kurz, die Stellung der Juden ist keine
gedrückte, sondern im Gegenteil eine hervorragend
mächtige und bevorzugte. Das 11. Jahrhundert ist die
Zeit der höchsten Blüte des Judentums in Deutschland.
b. Die lade&YwfoIgiuig fon 1006.
Im Jahre 1096 findet in Deutschland eine neue
grössere Judenverfolgung statt Schon im Dezember 1095
war ein Brief der französischen Judengemeinden an die
rheinischen Judengemeiuden eingetroffen, in welchem diese
mitgeteilt hatten, dass die gegenwärtig sich in Frankreich
M
') AroniuB, Regelten sur Geschichte der Juden, 8. 72.
^ 128 -^
ibenll sanunrinden Kreuzfahrer gedroht haben, alle Juden
ni vertilgen, wenn sie sich nicht bekehren; sie bitten
desshalb die deutschen Gemeinden inständig, ein Fasten
anzuordnen and für sie zu beten, nnd als Antwort hierauf
hatte im Januar 1096 die Judengemeinde in Mainz
einen ansagenden Trostbrief abgesandt Bald hörte man denn
auch etwas weiteres. Im Frühjahr 10Ü6 entsteht das Gerede,
der Herzog Gottfried von Bouillon habe erklärt, er weirde
das Blut Christi am Blute der Juden rächen und keinen
äbrig lassen. Der Vorsteher der Mainzer Judengemeinde,
der Rabbi Kalonymos, bittet infolge davon den Kaiser Heinrich IV.,
die Juden zu schützen, worauf Herzog Gottfried von Bouillon
dem Kaiser au& bestimmteste erklärt, es sei ihm nie in den
Sinn gekommen, den Juden etwas Böses zuzufügen.
Bald treffen denn auch die ersten Kreuzfahrerzüge am
Rheine ein, wodurch wie den Bürgergemeinden der
rheinischen Städte auch den Judengemeinden starke
Einquartierungslasten erwachsen. So müssen dieJnden-
gemeinden in Köln und Mainz bei dem Durchzuge des
Herzogs Gottfried von Bouillon je öOO Pfd. als Ablösungs-
summe für die Einqnartierungspflicht bezahlen und als Peter
Ton Amiens in Trier ankommt, verlangt er auch dort wie
aborall auf Grund eines Schreibens der französischen
Juden Wegzehrungsgelder von der Trierer Judenge-
meinde, wofür er die Verpflichtung übernimmt, den Schutz
der Angehörigen der Gemeinde vor Ausschreitungen der
Kreuzfieüirer kräftig zu handhaben.'^) Wie notwendig diess
war, sollte sich alsbald zeigen. Nicht allein die Kreuz-
fahrer nehmen trotz des zugesicherten Schutzes eine
drohende Haltung an, sondern auch die Haltung der
einheimischen Bevölkerung gegenüber den Juden wird immer
bedrohlicher und der Ausbruch von Feindseligkeiten kann
nur durch Bestechungen zurückgehalten werden. Es ertönt
der Ruf, wer einen Juden töte, dem sollen die Sünden
Tcrgeben sein. So beteuert ein Graf Dithmar, er werde nicht
eher das Beich verlassen, bis er nicht wenigstens einen
Joden getötet habe. Die Jndengemeinden setzen allgemein
Fasten an; die Kreuzfahrer pflanzen ihre Banner vor den
Judenhäusern auf und durchbohren jeden Juden, der sich über
seine Thürschwelle wagt Schlimm geht es vor allem in Metz,
wo 22 Juden erschlagen werden, wahrend der Rest sich
taufen lässt. Auch in Köln artet der Hass gegen die
Juden gemeinde im April zu offener Gewaltthat ans. Die
Kreuzfiüurer plündern den Synagogenschatz und zerstören die
ThoraroUen, worauf die Juden voll Schrecken sich in die Burg
Oures Schutzvogts, des Erzbischofs, flüchten, dort Geld an die
*^ AroniDB, Begeiten rar Geflebidite der Juden, S. 78--68,
- 184 —
Armen Terteilen tind mdi durch Besabliuig Ton AUösiuigB-
geldem an die Tmppenfiihrer Schutz Ton den KreuzÜEdireni
erkaufen. Am 3. Mai fallen die EreiusCahrer in 3B>eier über
die Juden her und töten ihrer 11« worauf der Bischof den
Rost in seine Burg rettet und die Mörder mit Abhauen
der Hand bestaraft. Am 18. Mai werden in Worms die
Juden angegriffen und am 25. Mai werden dort eine grössere
Anzahl Juden (800?) im Hofe der Bischofaburg yon den
Kreuzfahrern und den Bauern der Umgegend erschlagen.
Ebenso schlimm geht es in Mainz her, als dort die Kreuz-
fahrer eintreffen. Wohl bringen die Juden ihr Vermögen
noch rechtzeitig in Sicherheit und versehen sich und ihre
Diener reichlich mit Waffen, als am 26. Mai sich Graf
Emich mit 12,000 Kreuzfahrern und den Bauern der Um-
gegend vor die Stadt legt; aber die Kreuz&hrer sind nicht
mdir zu halten, obgleich der Führer Graf Emich den emst-
licbeu Versuch macht, die Juden zu retten. Der Erzbiachof
flieht, die bischöfliche Burg und das Buiiggrafengesäss werden
besetzt, der Judenvorsteher Kalonymos und 53 Juden retten
sich durch die Flucht, die anderen (1300, 1100, 900, 700?)
werden erschlagen, obgleich sie mit bewaffneter Hand so gut
ab möglich ihr Viertel verteidigen. Am 1. Juni lasst der
Erzbischof den geflüchteten Judenvorsteher und seine 53 Ge-
nossen zu Schiff nach Rädesheim bringen, wo er mit
300 Speerreitem sich aufhält Hier erklärt er ihnen, sie nicht
mehr retten zu können, und fordert sie zur Taufe aut Ka-
lonymos tötet darauf seinen eigenen Sohn, wohl weil sich
derselbe taufen lassen will, was das allgemeine Zeichen
zum Aufruhr gibt: Die Bauern und Kreuzfahrer fallen aber
die Juden her, Kalonymos yergreift sich persönlich am Erz-
bischof und wird infolge dessen erschlagen, der Best von den
Bauern getötet. Gleichzeitig geht es in Köln über die
Juden los. Am 30. Mai plündern die Kreuzfoihrer das Kölner
Judenviertel, 1 Mann und 2 Frauen werden getötet, den Rest
führt der Erzbischof am 3. Juni aus der Stadt und bringt
sie sicher, in 7 Ortschaften verteilt, unter. Ebenso töten sich
in Trier im Juni, als die Kreuzfiahrer kommen, einige Jud^i
samt ihren Frauen und Kindern, nachdem sich die Macht
des erzbischöflichen Schutzvogts den Kreuzfahrern gegenüber
als unzulänglich gezeigt hat, worauf am 20. Juni sich der
Rest der Gemeinde taufen läset Am 27. Juni werden in
Kerpen eine Anzahl Juden misshandelt und getauft,
am gleichen Tage greift man die Juden in Xanten an,
am 29. Juni bis 1. Juli in Mors. Auch hier erklärt der Graf,
er habe nicht mehr die Macht, die Juden zu schützen, und
sucht sie zur Taufe zu bewegen, ebenso in Geldern.'*) Am
**) AroniiiB, Regesten rar Geschichte der Juden, 8. 84 t, 87 IF.
— 126 —
26. Jniii töten die Kreuzfahrer die Juden in Neuss (200?) und
inAltenahr an der Ahr, wohin sich namentlich die Kölner
Juden gefluchtet hatten; am 27. Juni in Weyelinghofen.
Auch in Regens bürg werden beim Durchzuge der Kreuz-
fahrer alle Juden getauft, kehren aber nachher wieder zu
ihrem Glauben zurück. Möglich sind auch ähnliche Ver-
folgungen in Prag, wenigstens taufen die durch Böhmen
zidieiiden Kreuzfahrer üb^ull die Juden, die aber auch hier
meist wieder abfallen. Auch in Magdeburg werden die
Juden vertrieben.'*)
Sicher ist offenbar nach diesen Nachrichten, dass die
Urheber der Bewegung weder der Herzog Gottfried von
Bouillon noch Peter von Amiens waren, sondern die-
selben waren einfeush Ausbruche der Volkswut gegen das
wucherische Volk, das die adeligen Grossgrundbesitzer
und Bauern ausgeplündert hatte. Auch die Stadtbe-
hörden und SchutzYÖgte trifft keine Schuld. Die Stadtbe-
hörden treten zum Teil mit Einsetzung ihres Lebens, die
bischöflichen SchutZYÖgte mit dem Kirchenausschluss iiir die
Juden ein. Umgekommen sollen im Ganzen bei der Bewegung
rund 4000 Juden sein.''') Die Folgen dieses Ereignisses
waren übrigens wenig nachhaltig. Als im Jahre 1097 Kaiser
Heinrich IV. aus Italien zurückkehrt, gestattet er allen
gewaltsam getauften Juden sofort wieder die Rück-
kehr zum Judenglauben und die Juden machen yon dieser
Erlaubnis alsbald den reichlichsten Gebrauch. Dann aber
werden sofort seitens der Reichsregierung ernste Massregeln
ins Leben gerufen, um den beraubten Juden wieder zu
ihrem Vermögen zu yerhelfen. So läset im Mai 1098
Kaiser Heinrich IV. namens des Reichs in Mainz eine Unter-
suchung über den Verbleib der Hinterlassenschaft der
getöteten Juden anordnen. Es waren namentlich einige
Verwandte des Erzbischo& yon den Hinterbliebenen be-
zichtigt worden, sie haben dieses Vermögen teilweise unter-
schlagen, ja der Erzbischof stand selbst im Verdachte, an
dieser Unterschlagung teilgenommen zu haben, und im
Jahre 1100 kehren die Mainzer Juden aus Speier, wohin
sie sidi g^üchtet hatten, wieder nach Mainz zurück.'*)
Die Kirche freilich sieht wenig gut zu dieser Glaubens-
änderungserlaubnis der Reichsregierung, in der sie
mit Recht einen schweren Eingriff in den ihr zustehenden
Machtkreis sieht Die Sache hat dabei auch ihre einschneidende
"^ Anmios, Regeaten zur Geeehichte der Juden, S. 98, 79 ff, 94, 96.
'^ Die betreffenden Zahlenangaben der Chroniken leiden in der
"«Sd an wesentlichen Uebertreibnngen. Kan denke an die hohen
^gabea Aber die Bevölkerung der St&dte des Mittelalters,
^^^^ die neuere Oeiehkhtafonchung lüi durchaus haltlos erwiesen hat
— 186 —
wirtschaftliche BedeDtang^ da die getauften Juden in
den Bischofstädten, wenn sie zum Judentnm snrodEtreten,
ans dem bischöflich-laudesherrlichen Patronate nnd
Stenerrechte in das Patrouat der Beichskrone nnd
deren Stenerrecbt znrfickkehren , nnd sie tritt desshalb mit
aller Kacht der BiicktrittBerlanbnis der Krone entgegen. So
schreibt im Jahre 1097 Papst Clemens IIL an den Bischof
Rupert Ton Bamberg, dagegen einzosdireiten , dass die ge-
tauften Juden wieder abfallen. So fluchten im De-
zember 1098 einige gewaltsam getaufte Juden aus Böhmen
und suchen, ihre Schätze, welche wohl zum grossen Teil aus
Pfandbriefen oder wertroUen Lombardpfändern be-
standen, heimlich nach Polen oder Ungarn zu sdiafien,
worauf der Herzog Bretislaus, um diesen Depotunterachlagungen
zuYorzukommen , diese SchÜze mit Beschlag belegt und den
Juden nur ihre eigene fahrende Habe läset So macht
sich im September 1122 der Bischof Hermann von Prag auf
seinem Sterbebette Vorwürfe, dass er den Abfall getaufter
Juden und den Verkehr ron Christen mit denselben
geduldet habe.'*)
e. nit JtdnTtiMgng ▼•! 1148.
Wie wenig nachhaltig diese ganze Ereuzzugsrerfolgung
wirkte, wie nach kurzer Zeit die Judengemeinden in alter
Weise weiter bestehen, zeigen mannigfache Beispiela So ist
im Jahre .1128 in Worms eine Synagoge und eine Jaden-
gemeinde unter einem Erzsynagogen rorhanden. So berichtet
eine Urkunde, dass im Jahre 1143 die Juden wieder starke
Darlehensgeschäfte im Voigtlande betreiben.**) So kauft
in den Jahren 1135 — 1152 die Kölner Judengemeinde
mehrere Gebäude zu Gemeindezwecken an. So gibt es im
Jahre 1137 in Erfurt eine Judengemeinde mit Juden-
friedhof. So wird vom Jahre 1142 berichtet, dass diumals
in Prag die Synagoge und viele Gebäude abgebrannt seien.
Erst das Jahr 1146 bringt mit dem zweiten Ereuzzuge
eine neue zweite Verfolgung der Juden in der Zeit
vom August 1146 bis zum Juli 1147 auch in Deutschland,
die aber ebensowenig wie die erste ron nachhaltigerem Ein-
fluss auf die Verhältnisse der Judengemeinden begleitet war;
im Gegenteil geht diesmal die Sache wesentlich glimpflicher
ab, als das erste Mal, da die Behörden durch die Erlahnuig
der früheren Zeit gewitzigt sind und thatkräftige Vorsicht»-
massregeln bei Zeiten treffen. Die hievon betroffene Gegend
ist in erster Linie wieder wie beim ersten Ereuzzuge das
**) Aroniot, Regesten zur Geschichte der Joden, S. 104, 295, 120.
**) Aronios glaubt, dsst diese üikonde erst ins Jshr 1848 zu aelsen
sei Yergl. Aronios S. 296.
— 127 —
Rheinland, wo ein Mönch namens Radnlf äberall heftige
Reden gegen die Jnden hält, welche sich in lebhafter Er-
innerang an die Ereignisse des ersten üjreuzzngs in den Tagen
des 23. und 24. September 1146 nach dem Lanbhüttenfest ans
den Landorten in die königlichen Bargen und Städte flüchten,
um anter dem anmittelbaren Schatze Ton König and Reich
zu stehen. So ziehen damals ganze Scharen von Jaden in
die königliche Stadt Nürnberg.'^ Aach diesmal sind die
Kreazzagsführer redlich bestrebt, ihre Heere im Zaame
za halten. Im Jahre 1146 beklagt sich der Erzbischof Heinrich
TOD Mainz bei Bernhard Ton Clairyanx fiber das Aaf-
treten des Mönches Badal£ Bernhard antwortet, die Er-
mordang der Jaden sei nicht zu billigen, die Kirche
erstrebe Bekehrang, nicht Vernichtang der Jaden, nicht
der Tod, sondern die Zerstreaang sei die göttliche
Strafe der Jaden für ihre Sünden. Anfangs November ist
Bernhard in Mainz and veranlasst Radnlf, in sein Kloster
zorückzakehren, dann mahnt er, die Jaden nicht za verfolgen.
Wo sie nidit seien, treiben es die Christen noch schlimmer,
90 dass man sie getanfte Jaden nennen sollte. Man solle
die Jaden schonen, aber verlangen, dass sie den Kreaz-
fahrern die Zinsen erlassen. Man sieht hieraas: Was
deo eigentlidien wirtschaftlichen Grand des Hasses
der Kreazfahrer gegen die Jaden bildet, ist die Aas-
wacherang der Kreazfahrer darch die jüdischen
Oläabiger.*^) Die Behörden, denen der Jadenschatz
von Beichswegen übertragen ist, sind sich des Ernstes der
Uge denn aach wohl bewasst and Hinn das Möglichste, am
die Jaden vor Vorfallen wie beim ersten Krenzzage za
schätzen. So wird die Jadengemeinde von Köln vom Erz-
bischof in der Wolkenbarg bei Königswinter in Lo-
thringen in Sicherheit gebracht, während die Häaser und
das Vermögen der Jaden der Erzbischof in seinen eigenen
Schatz nimmt; so flüchtet die Jadengemeinde von Halle
zun Bischof von Halberstadt and nach dem Harz. Auch
in Magdeburg retten sich die Jaden in den Schatz des
**) Aronios, Begesten bot Oeachichte der Jaden, B. 205 f.
'^) Boscher rNationalökonomie. Bd. 8, 8. 185 f.) fiadet die Or finde
^ JodenTeriolgongen in der kaofm&nniachen Eifersacht
der enporbiaiienden chnstüchen Bfirgergemeinden. Der aUffemeine Ein-
dnck, der sieh am den obigen Thatsachen ergibt, dfirfte dieae Aoaicht
nebt gerechtfertigt erscheinen Jassen. Wer gegen die Jaden vorgeht, ist
nicht das kapitaliitisch-kattfin&Qniscbe Stadtebfirgertom — im Gegenteil,
Bourgeoisie and Jadenscbaft halten trea Bosammen ^ es ist im Gegenteil
der dareh den Bodenachacber aasgewacherte GroBB- nnd Kleingrond-
beiitserstand vom Lande, der Torbfindete Edelmann nnd
Baaer, der dam Jaden den Garaoa macht, bevor er die angestammte
^Ue verlftSBt, am im fernen Syrien ein gefikhrliches Wfirfelspiel am
Tod od«r Leben aaf neaer wirtsohalUicber Grandlage sa wagen.
— 128 —
Bischofs. Aber auch diesmal ist die Kaclit der Kreuz-
zngsführer und Behörden trotz aller Vorsichtsmassregelu
nicht YÖllig imstande, der herrschenden Erbitterung der ins
ferne Syrien auswandernden Landedelleute und Bauern
einen ausreichenden Zaum anzulegen. So werden bei Spei er
einer Jüdin die Ohren und Daumen abgeschnitten. So wird
im Jahre 1147 in Asch äffen bürg die Jüdin Guthaida
ertränkt, weil sie sich nicht taufen lassen wilL So werden
am 24. Februar die Juden in Würz bürg von den Kreuz-
fahrern angefallen und ihrer 21 erschlagen; der Best lässt sich
taufen, kehrt aber, wie gewöhnlich, bald wieder um. So werden
in Böhmen beim Durchzuge der Kreuzfahrer 150 Juden
getötet. Mau sieht, die Sache geht diesmal wesentlich
glimpflicher yorüber, als das erstemal und schon um das
Jahr 1150 haben sich die Judengemeinden wieder derart
erholt, dass eine grosse Synode der Judengemeinden yon
Spei er, Worms und Mainz stattfinden kann. Im
Ji^e 1160 — 1173 finden sich nach Benjamin yon Tudela
jüdische Gemeinden in Deutschland namentlich am Rheine
yon Köln bis Cassanburg an der Reichsgrenze. An der
Mosel sind solche in Coblenz, Andernach, Kaub, Kar-
tania, Bingen, Worms und Mistran. £s gibt dort viele
grosse Gelehrte und fremde Juden finden gastliche Aufnahme.
Femer giebt es Judengemeinden in Astransburg, Duidis-
burg (Duisburg), Mantern, Pisingas, Prag, Bamberg,
Tsor und Regensburg an den Reichsgrenzen, wo seitens
derselben wahrscheinlich ein heryorragender Getreide-,
Vieh- und Sklayenhandel betrieben wurde.**)
Um bei der zunehmenden Schwäche der Reichskrone
thatkräftige Unterstützung zu finden, wendet sich die Reichs-
judenschaft an die immer mächtiger werdende Kurie mit der
Bitte um thatkräftigen Schutz gegen die steigende Erbitterung
des deutschen Volks und diese Bitte ist denn auch alsbald
yon bestem Erfolge begleitet, indem der Papst Alezander ni.,
(1159 — 1181) eine BuUe erlässt, in welcher er auseinander-
setzt, dass wie den Juden nicht gestattet werden dürfe, über
die ihnen gesetzlich gewährten Freiheiten hinaus-
zugehen, sie auch andererseits keinen Schaden an ihren
Rechten leiden sollen, und da sie ihn um Hilfe gebeten
haben, wolle er aus christlicher Liebe nach dem Beispiele
seiner Vorgänger Galiztus und Eugen ihnen seinen Schutz
angedeihen zu lassen. Er setzt desshalb fest, kein Christ solle
einen Juden zur Taufe zwingen dürfen; wenn aber ein
Jude sich taufen lassen wolle, solle er yor Schmähungen
seitens seiner Glaubensgenossen bewahrt werden; und am
19. März 1179 bestimmt das dritte lateranische Konzil über
Sl
) Aronios, Begettan zur Getdüchle der Jaden, 8. 106, 110 IT., 118 ff.
— 129 —
die Jaden, weiin ein Jude sich taufen lasse, solle er künftig
Beine Besitzungen nicht verlieren; denn er müsse nach der
Taufe besser gestellt sein als vor der Taufe. Nötigenfalls
habe die weltliche Gewidt bei Strafe der Ausstossung aus der
Kirche solchen getauften Juden ihre Besitzungen wieder zu
verschaffen. Weiter bestimmt er, kein Christ soUe einen Juden
ohne Urteil der weltlichen Gewalt verwunden, töten, ihm
sein Geld wegnehmen oder die guten Rechtsgewohnheiten
ändern dürfen, deren sich die Juden erfreuen. Bei ihren
Festen dürfe man die Juden nicht mit Stöcken oder
Steinen misshandeln und niemand solle den Juden-
friedhof verletzen oder Leichen darin um Geldes willen
ausgraben dürfen. Von Interesse für die Stellung der
Jnden zu dem heiligen Stuhle jener S^eit ist feiner ein
Schreiben des Papstes Alexander III. an den Bischof von
Tournay. In demselben erinnert die Kurie den Bischof
daran, wie sie lange vor dessen Wahl dem Kapitel einen
getauften Juden als Kanoniker empfohlen, das
Kapitel aber erklärt habe, der Bischof habe darüber zu be-
stimmen. Nun weigere sich der Bischof aber, weil er keinen
Auftrag erhalten habe. Der Papst erklärte nun, mau dürfe
jenen Mann nicht verachten, weil er ein geborener
Jude sei, und befiehlt, ihn zum Kanoniker zu ernennen.**)
Wie sehr man sich damals bemüht, die Juden durch Ver-
Btandesgründe zur Ablegung ihres Glaubens zu bewegen,
zeigt z. B. die Nachricht, dass in den Jahren 1120—1136
der P&ffe Rupert von Deutz ein für Anfänger bestimmtes
Handbuch zur Vorbereitung für Disputationen mit
Juden schreibt, wie auch um dieselbe Zeit von dem Abt
Rudolf von St. Pantaleon in Köln berichtet wird, dass er
bäufig freundliche Gespräche mit den Juden geführt
und dabei versucht habe, ihre Herzenshärte durch Güte
zu brechen, so dass es ihm thatsächlich gelungen sei,
dass zahlreiche Juden ihm treue Liebe gezeigt und dass ihn
die Judenfranen aufgesucht und sich mit ihm unter-
halten haben.*')
Welche Zustände damals gerade in Bezug auf die Juden-
tanfen herrschen, zeigen mannigfache Nachrichten. So wohnt
im Jahre 1137 in Regensburg ein sehr reicher jüdischer
Darleiher, dessen Sohn gerne zum Christentum über-
treten möchte, dies aber aus Furcht vor seinem Vater und
vor der Armut nicht thut, der er sich dadurch ausgesetzt
Beben würde. Er sammelt desshalb heimlich eine Menge
Goldes und begibt sich dann, als sein Vater abwesend ist,
zum Erzdiakon, um seine Schätze zu übergeben und sich
^ ") Aronios, Regesten zur Geschichte der Jaden, S. 183, 186, 188 f.,
104,101.
9
— 180 —
taufen zu lassoD. Dieser nimmt Ai\s Greld in Verwahrung
und macht dann dem Vater des Juden den Vorschlag, ihm
das Geld zu lassen, wenn die Taufe unterbleibe. Der Vater
tötet infolge dessen den Sohn, der Erzdiakon wird verbrannt,
die Eltern des Juden und viele Juden aber lassen sich taufen,
um der Wut des Volks zu entgehen. So wird femer berichtet,
am 19. April 1158 habe in Köln ein Jude, dessen Vater
sich hatte taufen lassen, eine Hostie auf dem Kirchhof
vergraben, ein Priester aber dieselbe wieder aufgefunden,
wobei sich die seltsamsten Dinge ereignet haben. So erzählte
man sich damals überall, die Juden pflegen alljährlich
dem Heiland zum Spott ein Wachsbild zu kreuzigen
und dann zu schmähen, indem sie ihm alles anthnen, was
in der Leidensgeschichte stehe. Im August 1179 &hreni einige
Kölner Juden den Rhein hinauf, als man bei Boppard
die Leiche eines Ghristenmädchens findet. Man beschuldigt
desshalb die Juden des Mords, ermahnt sie zur Taufe und
wirft sie in den Rhein, wie auch das Reich für die Frevelthat
von den betreffenden Judongemeinden 500 Silberstücke,
der Bischof 420 Sühnegeld einzieht, wovon die reiche
Judengemeinde in Bonn 400 bezahlt, nachdem alle Be-
stechungsversuche bei den Behörden seitens der
Juden vergeblich geblieben sind. Am 17. Februar 1187
tötet ein angeblich wahnsinniger Jude ein Christenmädchen.
Er wird mit sechs anderen Juden erschlagen, mau plündert
ihre Häuser und flicht die Leichen auf das Bad; die Matter
des Mörders wird lebendig begraben, der Bruder gerädert
und die Judengemeinde muss dem Erzbischof und
den Grafen 120 Silberstücke Sühnegeld bezahlen. Am
2. März 1188 findet man in Münzenberg in der Wetteran
eine Christin in einem öffentlichen Brunnen; das Volk be-
schuldigt die dortigen Juden dieses Mords, worauf die
Juden unter Zurücklassung ihrer Habe und PfiLnder und der
ThoraroUen fliehen. Der Fürst nimmt sich aber ihrer an.
Als im Jahre 1201 Werner von Bolanden die Stadt St.
Gk)ar belagert, geht alsbald die Sage von Mund zu Mund,
ein hölzerner Kruzifizus, der dabei beschädigt worden sei,
habe, wie durch das Zeugnis eines Juden bestätigt sei,
zu bluten angefangen.*^)
War es bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts in erster
Linie Italien gewesen, wo sich die Juden mit Vorliebe
aufgehalten hatten, so gelingt es dort seit der zweiten
Hälfte des 12. Jahrhunderts den Lombarden in zunehmen«-
dem Masse, ihr Bedürfnis an Edelmetall auf anderem W^e
zu beschaffen, und so werden die unliebsam gewordenen
**) Aroniiu, Regesten zur GeBchichte der Juden, 8. 1(Xn ISS, 14B f.,
188, 144 f., 146, 159.
— 181 —
Fremdlinge äberall iii Italien damals des Landes vorwiesen.
So wird ihnen im Jahre 1140 der Aufenthalt in Corsika
verboten*^), so werden sie im Jahre 1171 aus Bologna
ausgewiesen, weil sie höhere Zinsen genommen hatten,
als ihnen gesetzlich gestattet war. Die Bürger von
Bologna, heisst es in der betreffenden Nachricht, haben lieber
auf die seitherige Bequemlichkeit, immer Geld dar-
geliehen zu erhalten, verzichtet, als sich zu Hörigen
der Judengemeinde gemacht*^) In Scharen wandern jetzt
die aus Italien verbannten Juden in die Provence und nach
Bnrgund, wo sie sich alsbald in allen Städten festsetzen
and neben zahlreichen Edelleuten und Städtebürgern sind es
namentlich auch die geistlichen Körperschatten, welche den
Juden überall stark verschuldet sind. So ist im 12. Jahr-
hundert der Jude Salomon von Dijon der Gläubiger der
beiden grössten Abteien von Burgund, der Abteien von
St. Benigne und St Seine, so dass im Jahre 1122 die Herzogin
Alice von Bui^nd den betreffenden Juden abfinden muss,'')
und auch in Frankreich sich bald der Unwille weiter
Kreise gegen die Juden geltend macht Seit dem Ausgang
des 12. Jahrhunderts treten auch hier die Lombarden und
Toskaner immer mehr als Darleiher hervor und machen
den Juden einen erfolgreichen Wettbewerb. Wohl helfen die
Landesherren und die Bischöfe auf Befehl der Papste
den Juden, wie denn der judenfreundliche Papst Alexander III.
auf dem lateranischen Konzil allen gewerbsmässigen
Handel mit Zinsen den Christen verbietef^) und so den
Jaden ihr Freiheitsrecht auf das Darleihgeschäft
gegen Zinsen aufs neue sichert, wie überhaupt auf dem la-
teranischen Konzil von 1170 ein den Juden sehr günstiger
Geist herrscht'*^, aber die Reichsregierung mit dem
Volk und der niedern Geistlichkeit ist gegen dieselben.
Auch in Deutschland wird die Stellung der Juden
jetzt eine immer bedrängtere. So wird im Jahre 1163 die
Jadengemeinde in Leobschütz aufgehoben ^"^ und die
Haltung gegen die jüdische Bevölkerung wird immer
schlimmer, als im Jaiu'e 1170 in ganz Frankreich an
einem bestimmten Tage alle Juden gefänglich ein-
gezogen und eine Aufnahme ihrer Schuldforderungen
Torgenommen wird, auf Grund deren sodann eina Ablösung
der Schuldfordorungen in der Art durchgeführt wird,
dass den Juden an ihren Forderungen 20 Prozent im
Geeammtbetrage von 15,000 Mark gestrichen und die Juden
des Landes verwiesen werden. Es ist ein allgemeiner
"^ DeppiDg, Jaden im Mittelalter, S. 262, 182 f., 145, 188, 120 f.
Stobbe, Juden in Deutschland, S. U9.
Aroniua, Regesten zur Geschichte der Juden, 8. 126.
9*
^
— 182 —
Zwangsvergleich mit 80 Prozent Dieses Jahr, schreibt
der französische Geschichtsschreiber Rigard, verdient, ein Jabel-
jähr genannt zu werden, denn in ihm erhielt das französische
Volk dnrch die klagen Massregeln seiner Regierung
seine an die Juden verpfändete Freiheit zurück.
Dabei wurde die massvolle Haltung der Krone, wdche
nur 20 Prozent der Schuldforderungen der Juden gestrichen
hatte, lobend anerkannt, denn der Regierung hätte als
Grundherrn das Recht zugestanden, von fremden Personen,
wie es die Juden seien, alles einzuziehen*®), eine Be-
merkung, welche völlig den damaligen Verhältnissen des
Fremdenrechts entspricht In Scharen ziehen sich jetzt
aus Frankreich die Juden nach den Gra&chaften
Champagne und Brie, wo sich bald eine Reihe yon
blühenden Judenniederlassungen entwickelt'*)
d. Di« dritto JndniTttlblgaBg tos 1196.
Besser steht es um den Schutz der Judengemeinden
seitens der Reichsregierung trotz dem zunehmenden
Hasse des Volks damals noch in Deutschland. Die
Hohenstaufenkaiser sind infolge ihrer Grossmachts-
Politik des Judengeldes damals viel zu sehr be-
dürftig, um sich des fremden Volks entschlagen zu
können. Im September 1182 bestätigt Kaiser Friedrich I.
allen Juden yon Regensburg und dem ganzen übrigen
Reiche, soweit sie zur kaiserlichen Kammer gehören,
ihre Rechte, nämlich das Recht, Gold, Silber und
andere Metalle und alle Arten von Handelsgegen-
ständen zu verkaufen und in gewohnter Weise einzu-
kaufen, ihr Eigentum und ihre Waren zu vertauschen and
ihren Erwerb auf gewohnte Art zu suchen^), und als im
Dezember 1187 die Kunde vom Falle Jerusalems nach
dem römischen Reiche dringt und dadurch die Erbitterung
gegen die Juden wächst, so befiehlt Kaiser Friedrich L der
deutschen Reichsregierung, allen Geistlichen des Reichs
aufs ernsteste einzuschärfen, künftig nicht mehr gegen die
Juden zu predigen.^^) Eine Verstärkung dieses Hasses gegen
die Juden bringt offenbar auch das hervor, dass die
Anzahl der vom Auslande nach Deutschland ziehenden
Juden damals fortwährend steigt, als in England im
Jahre 1189 unter König Richard I. Löwenherz die Juden-
gemeinden aufgehoben werden und in den Jahren 1192
bis 1193 die Grafschaft Champagne diesem Beispiele
folgt.*') Am 13. Februar 1196 entsteht in Spei er infolge
■ ■ ■■■— »»^~^p^^— ™^
"*) Depping. Juden im Mittelalter, 8. 120 f.
'*) Bourqaelot, Les foires de la Champagne, Bd 2, 8. 165 und 158.
^*) Aronius, Regelten 2sar Qeschichte der Juden, S. 189, 145.
— 188 —
AafSndens der Leiche einer Christin ein Anfstand
gegen die Jadengemeinde. Man gräbt die verstorbene
Tochter des Kabbiners Isak aas, hängt den Leichnam aaf
der Strasse aaf and setzt ihm Mäase aaf den Kopf. Der
Vater löst daraaf den Leichnam aas, aber tags daraaf
wird das Haas des Babbiners and das Jadenyiertel nieder-
gerissen, er selbst mit 8 anderen Jaden getötet, während
der Rest der Gemeinde darch die Flacht entkommt. Die
Folge davon ist eine regelrechte Fehde der geflohenen
Jaden gemein de von Spei er gegen die dortige
Christengemeinde. Die Jaden bringen es darch Be-
zahlung grosser Sammen dahin, dass der Brader
König Heinrichs von Deutschland, Herzog Otto, mit
starker Trappenmacht vor die Stadt Speier zieht
und eine vollständige Belagerang derselben beginnt.
Die bischöflichen Dörfer and die Hofgttter der Bürger von
Spei er werden niedergebrannt and die Wälder der Stadt-
gemeinde and des Bischofs niedergehaaen, die Weinreben ent-
wurzelt, die Saaten zerstört und eben geht der Herzog daran,
die Mauern der Stadt niederzureissen, als König Heinrich VI.
aus Apulien heimkehrt, sich die Mörder ausliefern lässt
and durch Vermittlung der Rabbiner Hiskia u. s. w. einen
Friedensvertrag zu Stande bringt, durch welchen die Speirer
BQrgergemeinde zu einer Entschädigung an die
Speirer Judengemeinde von 500 Gulden verurteilt,
der Neubau der Judenhäuser und der Synagoge
genehmigt und die Rückkehr der Juden in die Stadt
erwirkt wurde.^^) Den unmittelbaren Anlass zum Aufruhr,
wenn auch nicht den tieferliegenden Grund — denn dieser
war und blieb die wirtschiStliche Ausbeutung der Be-
Tölkerung — hatte auch diesmal das Erscheinen der
Kreuzzugstruppen gegeben, wie dies einige Wochen
später in Boppard der Fall war, wo beim Erscheinen
der Kreuzfahrer das aufgeregte Volk den Rabbi Salomon
nnd andere tötete. Auch hier schritt die Reichsregierung
sofort ein, indem der Herzog sogleich zwei Mörder hin-
richtete und König Heinrich ein Bussgeld von 300 Geld-
stücken von den Bürgern für die dortige Judengemeinde
forderte**), wie auch am 26. November 1196 einige Kreuz-
fahrer, die in Worms Gewaltthätigkeiten an den
dortigen Juden verübten, sofort ergriffen und bestraft
worden.**) Welche Schärfe die Misstimmung gegen das
jüdische Grosskapitalistentum damals bereits ange-
nommen hatte, zeigen folgende weitere Nachrichten: Im
Jani 1196 wird dem Rabbiner Salomon in Wien, welcher
damals als Generalpächter die Finanzen des Herzog-
**) Aronios, Regesten zar Geschichte der Juden, 8. 151 ff.
— 1S4 —
toins O est er reich leitete, beim Aufbruch des Erensheers
nach dem Orient von einem christlichen Angestellten, der
das Krenz genommen hatte, die Summe yon 24 Galden
gestohlen, woranf Salomon die Verhaftung des Mannes her-
beiführt. Jammernd klagt nun die Frau des Verhafteten
in der Kirche, man habe ihren Mann eines Jaden
wegen gefangen gesetzt, so dass die Kreuzfahrer mit
dem Pöbel zum Hanse des Salomon ziehen und diesen
samt 15 weiteren Juden erschlagen. Auch hier folgt
indess die Strafe auf dem Fusse und die beiden Rädels-
führer werden hingerichtet**) Wie sehr damals die Re-
gierungen, vor allem die hohenstaufischen Herrscher,
in den Händen der Juden sind, ersieht man weiter daraus,
wenn im Jalire 1192 der Bischof Albert von Lüttich,
dem Kaiser Heinrich VI. Ton Hohenstaufen die Bestätigung
yersagt hatte, einen Befehl des Papstes an den Erz-
bischof yon Köln, ihn zu weihen, erwirkt und dabei die
Hoffnung ausspricht, dass wenigstens der Erzbischof yon
Reims die Weihe yollziehen werde, falls der Kölner sie
aus Furcht yor der Macht der Juden yerweigere. **)
6. Die frftiisOtiMke OnmdMbsldanftUfoBiig toh 18S8.
Was den Juden so in Deutschland durch ihre
Geldmacht bei der Regierung gelang, ihr Bleiben im
Lande gegen den Wunsch des Volks, erreichen sie auch
in Frankreich nach kurzer Zeit wieder, indem im
Jahre 1198 König Philipp II. August von Frankreich
(1180 — 1223) die Juden wieder in Frankreich zulässt, da er
deren Geld zu seinem Kreuzzuge bedarf^*), und so be-
haupten sich die Juden in Frankreich bis zum Jahre 1223,
allerdings nicht ohne dass der damalige Papst Innocenz IIL
wiederholt Vorstellungen gegen dieselben erhebt So tadelt
derselbe im Jahre 1195 den König von Frankreich w^eii
seiner Nachsicht gegen die Juden« über welche mannig-
fache Beschwerden an ihn gelangt seien. Man habe ihm
mitgeteilt, die Juden ziehen durch ihre Darlehensge-
schäfte das Vermögen der Kirchen wie der Laien an
sich, sie besitzen Ranze Stadtgemeinden und seien die Finanz-
Verwalter der Landesherren, was denn doch nicht angehe, wie
es auch nicht zulässig sei, dass man der yom Schiüdner im
Augenblick des Darlehensabschlusses unterzeichneten Urkunde
vor Grericht mehr Glauben beimesse als den Zeugen, welche
der Schuldner vorbringe,^')
Eine Aenderung tritt denn auch in Frankreich ina
Jahre 1223 mit dem Thronwechsel ein, indem erneut eine all-
^') AroDias, Regesten znr Geschichte der Jaden, 8. 152.
«■) Deppiog, Juden im Blittelalter, 8. 120 ff., 18S, 158.
— 186 —
gemeine Jndenschnldenablösung und eine Ausweisung
der Juden stattfindet Im Jahre 1223 bestimmt nämlich unter
König Ludwig VlIL, dem Sohne König Philipps, die Krone
TOD Frankreich im Einverständnis mit den Erzbischöfen,
Bischöfen, Grafen, Freiherren und Rittern des Landes,
dass alle Zinsverträge mit Juden, welche seit Allerheiligen,
dem 1. November, an eingegangen worden seien, rechtsungiiltig
sein, alle über 5 Jahre alten Schuld vertrage aber in der
Weise ger^elt werden sollten, dass der Betrag der Haupt-
schuld vom Schuldner nicht an den jüdischen Gläu-
biger, sondern an die Grundherrschaft, welcher der in
Betracht kommende jüdische Gläubiger unterstand, zurückbe-
zahlt werden sollte, und zwar sollte dies in neun Abschlags-
zahlungen im Laufe der nächsten drei Jahre geschehen. Die
Reichsregierung und die Grundherren versprachen dabei, sich
gegenseitig die ihnen untergeordneten Juden nicht zurückzu-
behalten.^^) Diesem Vorgehen folgte denn auch die A u f h e b u n g
der jüdischen Darleihergeuossenschaften im ganzen
damaligen Frankreich, wie aus mannigfachen Nachrichten
hervorgeht So beschliessen z. B. im Jahre 1239 die Stände
des Herzogtums Bretagne, dass alle Angehörigen desselben,
welche Schulden bei den Juden des Herzogtums hätten, von
ihren Verbindlichkeiten gegen die Juden frei sein, die Juden
selbst aber aus dem Lande ausgewiesen und die ihnen ver-
pfändete Fahrnis- und Liegenschaft von den Juden den
Schuldnern zurückgegeben werden solle, und der Herzog
schwur bei Strafe des geistlichen Banns für sich und seine
Nachkommen, niemals mehr Juden im Lande zu dulden oder
za gestatten, dass ein Grundherr des Herzogtums solche auf
seinen Gütern aufnehme, wie auch niemand mehr wegen der
in letzter Zeit stattgehabten Judenkrawalle gerichtlich be-
langt werden sollte, da dies der allgemeine Wille des Landes
seL^^) Man sieht, die Massregel war auf Betreiben einmal der
Geistlichkeit, dann aber auf das bestimmt ausgesprochene,
durch innere Unruhen unterstützte Verlangen weiter
Bevölkerungskreise erfolgt und die Durchführung der
Massregel erfolgte in der Art, dass die Grundherrschaften die
P&ndsdiiaften der jüdischen Gläubiger an sich nahmen, die
Sdiuldsummen bei den Schuldnern einzogen und den jüdischen
Glaubigem ausfolgten, worauf diese des Landes verwiesen
^) Bruflsel, Usage g^n^ral des fiefs an France, Tb. 1, Bd. 2, Kap, 89.
Deppmg, Jaden ün Mittelalter, 8. 154 f.
**) Noveritis, qaod noB ad precadonem epfBCoponim, abbatam, baronom
ac vasaaUoram Britanniae et peusata volantate totias terrae ejedmoB
omnet JadaeoB de Britaimia a. 8. w. OeffenU. Aosraf des Hersogs Johann
T0& Bretagne ca PloSrmel vom Jahre 1289. Lobineau, Geschichte der
Bretagne, 2. Tk, üikonden« Moriee, Mtooires pour servur de preuves
i llii^ire de Bretagne. Depping, Jaden im Mittelalter, S. 16ß.
— 186 —
worden. Das ist denn auch seither der Weg, anf dem jahr-
hundertelang immer wieder, so oft es die Juden gar zn arg
getrieben hatten, die Abhilfe erfolgt So wird im Jahre 1249
unter dem Grafen Alphous in der Graüschaft Poitiers auf
die dringenden Vorstellungen der Bürgermeister (Haires) und
Bäte von Poitiers, Larochelle, St Jean d'Angelj,
Niort und der Bürger von Saintes und St Maixent ver-
fugt, dass alle Juden aus diesen Städten ausgewiesen und
ihre Forderungen bei den Christen von den Behörden einge-
zogen, d. h. geordnet werden sollen/^ Es ist das Jahr, in
welchem die Krone von Frankreich den grossen Krieg mit
Syrien beginnt und König Ludwig IX. der Heilige ordnet
desshalb, beyor er seinen Kreuzzug nach Palästina antaritt^,
eine Ausweisung aller Juden aus Frankreich an.
Die Durchführung dieser Massregel geschieht in der Art, dass
die Krone zunächst alle Liegenschaften beschlagnahmt,
welche im Besitz von Juden sind/^ Dass eine derartige Mass-
regel lediglich im Interesse der jüdischen Besitzer geschah,
ist zweifellos. Alle diese Liegenschaften kamen daduich, dass
die Beichsgewalt hievon Besitz ergriff, in den unmittelbaren
Schutz des Krone; die Juden, welche diese Liegenschaften
besassen, wurdeu dadurch unmittelbare Hintersassen der
Reichsgewalt, Reichskammerknechte, und standen im Patronats-
schutz, in der SchutZYOgtei der Krone, was für sie bei der
gefahrlichen Stimmung, die gegen sie herrschte, von grösstem
Werte war. Wie die Volksstimmung gegen die Juden damals
war, erhellt z. B. aus der Thatsache, dass die französischen
Kreuzfahrer darüber klagen, wie ihre Feinde, die Sara-
zenen, sie damit verspotten, dass sie, welche das heilige Grab
des Erlösers befreien wollen, die Mörder Jesu Christi bei sich
im Lande dulden, und dass in den Kolouieen, welche die
Franzosen im heiligen Lande anlegen, es von Juden
wimmle.^') Seither bleibt denn auch den Juden in Frank-
reich das Darleihen auf Pfänder gegen Zins verboten, wie z. B.
aus einer Verfügung König Ludwig IX. für die Langued'oc
vom Jahre 1284 hervorgeht, durch welche die französisdie Krone
bestimmt, dass die Juden dieses Landes künftig ausschliesslich
vom Handwerk und der Kaufmannschaft leben und sich
nicht mehr mit dem Termin-^*^ und Darlehensgeschäft
befassen sollen, ebenso wie ihnen nicht mehr gestattet sein
sollte, Zauberei zu treiben und den Talmud zu besitzen
oder zu lesen. Dass es bei dem Einzug des jüdischen Grund-
besitzes durch die französische Krone sich nicht um eine
gewaltsame Beraubung, sondern im Gregenteil um eine
^
Pepphi^, Jaden im Mittelalter, S. 165 und 160.
„TermiA'* lat „dies"', daher das Wort „üieskauf ^ d. h. „Zuskau^
„Diskontogesch&ft", der UrkundeD.
— 137 —
Schatzmassregel fiir die Juden handelte, erhellt aus
einem weitem Erlass vom Jahre 1257, durch welchen König
Ludwig IX. nach seiner Rückkehr aus dem heiligen Lande
anordnete, dass den Juden durch eine hiezu besonders einzu-
setzende kirchliche Kommission alle Liegenschaften,
Synagogen und Kirchhöfe zurückgegeben werden
sollen, welche die Krone vor der Abreise des Königs, nicht
in der Absicht, sie zu behalten, übernommen hatte,
nachdem sie geboten hatte, dass die Juden das Land verlassen
müssen^*), und es war ein weiterer Akt dieser Ablösung der
Judenschulden in Frankreich und der Authebung der jüdischen
Darleihergenossenschatten, wenn im Jahre 1260 die Krone
Terordnete, dass allen Personen, welche Schulden bei den
Juden haben, der dritte Teil der Schuld nachgelassen
sein sollte und betre£fs der übrigen zwei Dritteile bestimmt
wurde, dass die Heimzahlung derselben auf zwei Termine
zu erfolgen haben solle. Allen Gerichten wurde verboten,
einen Christen wegen seiner Schulden bei den Juden in Hatt
zu bringen oder denselben desshalb zum Verkaufe seiner
Liegenschatten zu zwingen. Betreffs der von getauften
Juden begangenen Verbrechen aber sollten künftig die Bürger-
meister (Maires) der betreffenden Städte und nicht
mehr die jüdischen Gerichte vorgehen. ^^) Ein weiteres
Vorgehen gegen die Jaden findet in Frankreich im Jahre 1273
statt, indem auf Grund eines Beschlusses des Konzils von
Poitiers allen Amtleuten auf dem Lande verboten wird,
Darleheusverträge von Juden mit dem Gerichtssiegel
zu versehen und allen Christen mit Ausnahme von Notfällen
verboten wird, künftig Geld bei Juden aufzunehmen oder
Juden Geld zu leihen, und im gleichen Jahre verordnet das
Konzil von Arles, dass alle öffentlichen christlichen
Darleiher und alle Ehebrecher (adulterii) öffentlich angezeigt
und an den Festtagen aus der Kirche ausgestossen werden
sollten. *»)
Aehnliche wirtschaftliche Missstände, wie sie um jene
Zeit die Juden durch ihren Zinswucher in Frankreich hervor-
rufen haben, finden sich damals in Kastilien. Unter König
Alphons X. (1252--1282) sind die Schulden der Christen in
Kastilien derart angewachsen, dass man mit Billigung
der Juden in deren Interesse bestimmt, die Christen
sollen sich in zwei nahe gestellten Fristen wegen ihrer
Schulden mit den Juden abfinden, wobei ebenfalls wie
in Frankreich den Gläubigern der dritte Teil ihrer For-
derung abgezogen wird.^^ Auch in Unteritalien sind
damals die Verhältnisse dieselben, bn Jahre 1260 bricht in
Neapel ein Aufstand gegen die Juden aus. Die gleichen
^ Deppütg, Juden im Mittelalter, S. 161 ff., 288, 854.
— 188 —
Verhältnisse sind in Brabant, wo im Jahre 1261 Hersog
Heinrich UI. durch Testament die Ausweisung aller
Juden und „Conversini" verfügt, welche sich mit dem
Zinsgeschäfte befassen, wobei bestimmt wird, daas
alle Juden sollen bleiben dürfen, welche wie andere
Geschäftsleute (mercatores) Handel (negocium)
treiben würden, da man nur den schädlichen
Zwischenhandel (praestatio-Vorkauf) und das über-
mässige Schadennehmen (usura^ verbieten wolle. ^*)
Wie sehr die Frage des Darleingeschäfts damals
weite Kreise bewegte, ersieht man aus dem Bechtsgutachten,
welches nach dem Tode ihres Gemahls Alix von Burgund
die Witwe des Herzogs Heinrich IQ. von Brabant wegen
der Darlehensgeschäfte bei dem berühmten Rechtsgelehrten.
Theologen und Dominikanermönch Thomas von Aquino
einholte. Die Frage an den betreffenden Gelehrten war dahin
gestellt worden, wie weit es erlaubt sei, gegen die J u d e n
durch Steuern, Dienstforderungen (contributio^ und
Schätzungen (conflscatio) vorzugehen. Thomas erwiderte
darauf, die Juden seien durch eigene Schuld zur bestandigen
Dienstleistung (servitium) verurteilt und jede Landesherr-
schaft, der sie angehören, habe das Becht, sich ihres Ver-
mögens wie ihres eigenen zu bedienen, doch müsse desshalb
dies auch mit Mässigung geschehen und keinesfalls
dürfe dem Juden genommen werden, was er zum Lebens-
unterhalte nötig habe. Es sei Chr istenpfl loht,
sich mit denenwohl zuvertragen, welche nicht
der christlichen Gemeinschaft angehören, damit
der Name des Herrn nicht gelästert werde, wie
denn auch der Apostel lehre, man solle weder die Juden
noch die Heiden noch die EircheGottes beleidigen.
Desshalb sollte man auch den Juden keine weiteren
Leistungen auflegen als diejenigen, welchen sie yon
Alters her unterworfen gewesen seien, weil jede unge-
wohnte Leistung Unzufriedenheit und Verwirrung
erzeugen müsse. Werde diese Mässigung beobachtet
so könne man auch von den Juden die hergebrachten
Steuern erheben. Was aber das Zinsgeschäft betreffe.
80 sei es offenbar, dass den Juden der Gewinn, den sie
durch das Nehmen von Zinsen, welche die vom Gesetz
bestimmte Höhe überschreiten, erzielt haben, von Rechts-
wegen nicht zukomme. Wenn die Herzogin ihren Juden
diesen Gewinn nehme, dürfe sie ihn aber nur in dem Fall
behalten, wenn sie selbst oder ihre Vorfahren im Herzog-
tum das Opfer ihrer Erpressung gewesen seien. Rühre
4»
) Depping, Juden im Bfittelalter, ä. 177.
— 189 —
der betreffende Gewinn von anderen Personen her, so sei
er Ton der Herzogin diesen anszafolgen und so eine
Handlang zu vollbringen, die eigentlich Sache der Jnden
selbst gewesen w&re. Finden sich also Personen, welchen
die Jnden Summen durch die gesetzlichen Schranken
flberschreitendes Zinsennehmen abgenommen haben, so
mttsse das Herzogtum diese Summen den betreffenden
Personen zurQckstellen , finden sich keine, so werde es
sich empfehlen, die übrig bleibenden Summen zu frommen
Werken nach dem Rate des Bischofs und anderer recht-
schaffener M&nner oder zu gemeinnützigen Zwecken
im allgemeinen Interesse des Landes zu verwenden.^)
Eine wesentliche Verbesserung ihrer Lage ge-
lingt den Juden denn auch in den romanischen
Landern seit den 70er Jahren des 13. Jahrhunderts.
So lässt im Jahre 1276 König Karl von Änjou-Pro-
yence-Neapel die von den geistlichen üntersuchungs-
gerichten wegen übermässigen Zinsnehmens gefangen
gesetzten Juden frei und schränkt die Machtbefugnisse
dieser Gerichte wesentlich ein. ^) Verhältnismässig spät er-
folgte dagegen das Vorgehen gegen die Jnden in England.
Wohl hatte schon König Heinrich m. (1216—1272) die
Jaden ausgewiesen, doch hatten auch hier die meisten
derselben bald wieder die Erlaubnis zur Rückkehr erhalten
nnd die Krone hatte bei ihnen 5000 Mark zu ihrem Feld-
zQge nach Frankreich gegen einen Zins von 2000 Mark
aufgenommen. ^) Zu entschiedeneren Massregeln gegen die
englischen Juden kommt es erst unter König Eduard I.
(1272 — 1307). Auch hier ist das Vorgehen gegen die
Jaden genau dasselbe, wie man es in Frankreich beob-
achtet hatte. Im Jidire 1286 werden alle Juden verhaftet,
ihre Forderungsrechte werden festgestellt und ihnen an
denselben ein Abzug von 12,000 Pfd. Strl. gemacht ^, und
im Jahre 1290 erfolgt sodann, nachdem im Jahre 1289
König Eduard I. die von den Bürgern von London bean-
tragte Ausweisung der Lombarden abgelehnt^^)
und die Judenschaft inzwischen Zeit gehabt hatte, ihre Ver-
hältnisse zu ordnen, die Aufhebung der englischen Juden-
gemeinden. ^ Die englische Reichskammer übernimmt den
Einzug aller weiteren Forderungen bei den im Rückstand
gebliebenen Schuldnern und deren Auszahlung an die aus-
gewiesenen Juden und zieht den Grund und Boden der
betreifenden Juden an sich, um ihn zu verkaufen und den
Erlös den ausgewiesenen Juden auszufolgen. 16,000 Juden
verlassen jetzt die britannische Insel und die englische
^) DeppiDg, Jnden im Mittelalter S. 179 f^268, 177, 278.
*0 Rotcher, Nationalökonomie, Bd. 8, S. 187.
— 140 —
Gascogne und überschwemmen Frankreich, so dass
König Philipp lY. von Frankreich, der Sohn König Lud-
wigs Y., sich wahrscheinlich auf Wunsch der hiednrch sehr
belästigten französischen Jnden, veranlasst sieht, im
gleichen Jahre 1290 ein Oesetas zn erlassen, welches die
Niederlassang aller aus England und der Gascogne
nach Frankreich gekommenen Juden in seinem Reiche
verbietef) So ergiesst sich der Strom der aus England
ausgewiesenen Juden nach Deutschland und die Folge
ist, dass hier alsbald ebenfalls ernste Yolksbe weg ungen
gegen die wenig willkommenen G&ste entstehen.
f. Di« Ltf« d«r dntMbMi Jvdtng«D«lBdn wftbrmid dae 18. Jikrhudcrti.
Während so die Jaden im Auslande meist vertrieben
werden, haben sie in D e u t s ch 1 a nd im 13. Jahrhundert
durchweg noch eine verhältnismässig gesicherte Heimstätte
and wir finden in den meisten Städten reich entwickelte
Jadengemeinden, allerdings nicht ohne dass auch hier sich
die groben Aasschreitungen gegen die Juden in starkem
Masse häufen. Um das Jahr 1187 unternimmt der Rabbi
Petachja aas Regensburg von Prag aus eine Reise nach
dem Orient.^^ Im Februar 1201 tragen die Juden während
der Belagerung von Worms durch den Gegenkönig Otto
von Sachsen Waffen wie die christlichen Bürger und
wirken bei der Stadtverteidigang mit^*) Als im JsSare 1204
Herzog Ladwig von Bayern die neue herzogliche Bttrger-
gemeinde in Landshut gründet, d. h. Landshut zu einem
befestigten Marktflecken macht, und den Land-
leuten, welche sich dort ansiedeln, besondere Freiheits-
rechte gegenüber ihren Glänbigern verleiht, lässt sich auch
ein Jude dort nieder, damit er den Einwohnern 0«ld
gegen Zinsen vorstrecken könne.^^ Im Jahre 1205 wird in
Halle das Jaden viertel in Brand gesteckt und man treibt
die Juden aus der Stadt. Als Entschädigang wird der
Stadt vom Erzbischof Albrecht von Magdeburg, dem
die Häuser gehören, ein Bussgeld von 1000 Mark Silber
auferlegt '^') Im Jahre 1208 kommt der Rabbiner Asarja
aus Babylon auf einer Handelsreise auch nachDentsch-
land. Im Jahre 1214 wird die Jadengasse in Metz
erwähnt*')
Die ersten Einschränkungen der Juden seitens
der Kirche, welche jetzt in rascher Folge vorgenommen
werden, bringt das Jahr 1215, indem das lateranische
Konzil vom 30. November 1215 bestimmt, es sei wider-
**) I>epinng, Jaden im Mittelalter, 8. 184.
**) AroDiDS, Regetten zur Geschichte der Juden, 8. 144, 198 f., 159,
162, 165, 167, 174.
— 141 —
sinnig, dass die Schmäher Christi Gewalt Ober Christen
ansOben, indem die Jaden öffentliche Aemter bekleiden
und dieselben diese SteUang zn Feindseligkeiten gegen
die Christen missbraachen. Es wird desshalb anter
Emeuerong der Bestimmang des Konzils von Toledo
bestimmt, dass jeder Fürst, der kflnftig einem Jaden ein
öffentliches Amt übertragen werde, darch die alljährlich
stattfindende kirchliche Ihroyinzialsynode entsprechend be-
straft werden, der betreffende jüdische Beamte aber von
allem Oeschäftsverkehr mit Christen im Handel a. s. w. so
lange aasgeschlossen werden solle, bis er das darch seine
AmtstMtigkeit erworbene Oeld zar Yerwendang für christ-
liche Arme nach Ermessen des Diöcesanbischofs aasgefolgt
habe; sein Amt aber solle ihm schimpflich genonunen
werden. Ebenso solle es mit Ketzern (paganis^ gehalten
werden. Die Jadengemeinden in Südfrankreich hatten
geheime Nachricht davon erhalten, dass man gegen die
Jaden vorzogehen beabsichtige, and infolge dessen sofort
eine Botschaft nach Rom geschickt, am gegen die Sache za
wirken '^^; dieselbe konnte aber nichts aasrichten and so
kamen die ersten jener kirchlichen Yerordnangen gegen
den Zwischenhandel mit Zinsen zn stände, welche
seither mit zanehmender Strenge anch in Dentschland
Yon der Kirche zar Darchfthrang gelangen. Gleichzeitig
hänfen sich anch in Deatschland jetzt die Angriffe gegen
die Jadengemeinden znsehends. So werden am 16. Jnni 1221
in Erfart 26 Jaden yon fremden Friesen and anderen
Christen bei einem Anfrahr getötet, wobei sich die Bürger
aufs eifrigste der Jaden annehmen; Dominikaner- and
and Franziskaner mOn che sollen die Anstifter des
Anfrahrs gewesen sein.^^)
Aach sonst fliessen jetzt die Nachrichten über die
deatschen Jadengemeinden immer reichhaltiger.
So findet im Jahre 1228 eine Rabbinersynode in Mainz
statt ^) So schliesst am 6. Jnni 1225 der Herzog Leopold VI.
Ton Oesterreich mit dem König Andreas von Ungarn
einen Friedensvertrag. Nach demselben bezahlt Oester-
reich dem Bischof von Neatra einen Schadenersatz von
1000 Mark bar, während für weitere 2000 Mark Schaden-
ersatz der Jade Tekanns für Oesterreich Bürgschaft
leistet Z^t der Jade diese Samme nicht, so wird
Ungarn von der Verpfiichtang frei, an Oesterreich
jährlich 1000 Mark zn zahlen. Im Jahre 1226 werden die
Juden ans Breslau vertrieben, kanfen sich aber mit
Geld wieder ein. ^) Im gleichen Jahre zahlen an den
"*) AroniuB, Begeateo zur Geschichte der Jaden, & 175 ff., 188,
188 ff., 192 t
— 142 —
schlesischen Zollstätten za Bosenberg und Siewierz an
der mahrisch - kojawischen Handelsstrasse alle fremden
Reiter oder Fassgänger mit Waren, sie mögen Ouisten
oder Juden sein, zwei op peiner Groschen^); man sieht,
die Juden treiben noch immer den Orosshandel. In
Ueberlingen gibt es in demselben Jahre einen Jaden-
kirchhof. ^^) Im Jahre 1228 besitzt das Kloster Opa-
lovicz ein Gut bei Beitanisch, welches fOr das Lraen
von Seelmessen für den getauften Juden Stephan
geschenkt worden ist'^) Am 17. Juni 1280 wird in einer
Urkunde des Klosters Gottesgnaden bei Halle als
Mitglied einer Gesellschaft, welche die Salzquellen in
Elmen ausbeutet, auch der Jude Dieterich von Schöne-
beck erwähnt und seitens des Klosters verlangt, dass
dieser Dieterich auf seine Rechte zu Gunsten des Klosters
verzichte. '^^ Am 13. August 1280 söhnt sich König
Heinrich Vn. von Deutschland, der Sohn Kaiser Frie-
drichs n. von Hohenstaufen, mit dem Grafen Egino von
Freiburg, der einige im königlichen Schutze stehende
Juden gefangen genommen hatte, desshalb aus und be-
stimmt, dass niemand mehr den Grafen oder seine
Leute wegen der Klage eines Juden belästigen solle. Im
Jahre 1231 bestätigt König Wenzel I. von Böhmen das
Freiheitsrecht der deutschen Gemeinde in Prag. Im
Juli 1231 wird Worms auf der einen Seite bis zum
Judenthore durch Feuer zerstört Im Jahre 1232 gibt
es eine Judengasse in Tirlemont in Belgien, im
Jahre 1233 gibt es eine solche in Strassburg. Vom
15. Oktober bis 12. November 1235 werden in Wolfs-
hagen (Wolfsheim?) bei Kassel 16 Juden erschlagen.
Im gleichen Jaiire sperrt der Herzog Friedrich der Streitbare,
der letzte Babenberger, von Oesterreich bei einer
Hungersnot auf den Bat seiner Hof Juden die Grenze,
so dass weder zu Lande noch zu Wasser Getreide nach den
oberen Gebieten ausgeführt werden darf.^^) Im April 1237
erteilt Kaiser Friedrich IL von Hohenstaufen den Städten
Wien und Wiener -Neustadt zum Dank ffir ihre Unter-
stützung einen Freiheitsbrief, durch den unter anderem
die Juden dieser Städte von den Aemtern ausgeschlossen
werden, damit sie nicht ihre Amtsgewalt zur Bedrückung
der Christen missbrauchen, da die Juden von altersher
zur Strafe für ihre Verbrechen zur ewigen Leibeigenschaft
(servitus perpetua) verurteilt seien und am 5. Juni 1230 ver-
spricht Herzog Friedrich der Streitbare von Oesterreich
denselben beiden Städten wiederholt, in Zukunft keinem
**) Aronios, Begasten tur Qeicliiehte der Juden, S. 108, 200, 208,
207, 2ia 224.
— 143 —
Jaden mehr ein städtisches Amt zu geben, womit
dieser die Bürger bedrücken könnte. Im Oktober 1240
gibt es eine Jndenmauer in Trier. Im September oder
Oktober 1243 findet in Ortenbnrg bei Vilshofen in
Niederbayern eine Judenverfolgung statt und im
gleichen Jahre geht es in Meiningen über die Juden
her, ebenso am 28. Juni 1244 in Pforzheim, wo
mehrere derselben (wegen Beligionsyerbrechen ?) ge-
rädert werden. Im Mai 1246 erlässt König Eonrad IV.
ron Hohenstaufen den Bürgern von Frankfurt in
Ansehung ihrer treuen Dienste auf Befehl des Kaisers
Friedrich 11. allen Schaden und alle Verletzung, welche
sie bei Ermordung seiner königlichen Kammerknechte der
Juden mehr aus Nachlässigkeit und Zufall als mit
Absicht begangen haben. Im Jahre 1247 stellt der Abt
Gerhard von Werden auf die Bitte der Bürger von
Helmstedt diesen eine Urkunde über ihre altherge-
brachten Rechte aus, wobei er sich aber das Gericht über
die dortigen Juden und Münz er vorbehält. Die Juden
sollen dem Abte dienen, d. h. ihre Steuer soll in die
Kanuner der Abtei fallen, wie andere Juden, die unter
anderen Herren stehen. Man findet um jene Zeit über-
haupt mannigfache Beziehungen zwischen den den Geld-
wechsel besorgenden Münzerhausgenossenschaften
und den den Discontyerkehr besorgenden Jndenge-
meinden, wie das bei den engen Beziehungen beider
Thätigkeiten nicht anders der Fall sein konnte.^^ So be-
richtet eine Aufzeichnung über die Einkünfte des Erz-
bischofe von Trier yom Jidire 1250 etwa, dass die
dortigen Juden jährlich 150 Mark an die Münze und
von jeder Mark eine Unze als Schlagschatz geben
mflssen. Der Kämmerer ist zugleich Judenmeister. Muss
ein Jude diesem Busse zahlen, so beträgt sie 30 Denare.
Weigert er sich, muss er einen halben Vierding Gold
geben. Bricht ein Jude den Frieden ausserhalb des
Judenviertels, so hat der Schultheiss über ihn zu urteilen.
Entflieht er in das Judenviertel, so hat er sich vor
dem Kammerer zu verantworten. So muss um das Jahr 1250
der Judenbischof von Trier namens der Judeng-
meinde dem Erzbischof jährlich 10 Mark unverzinslich
darleihen, wofür ihm der Erzbischof eine Kuh, einen Krug
Wein, zwei Scheffel Weizen und einen seiner alten Pracht-
mantel (Pallien) zu geben hat ^"^ Ferner haben die Juden
"^ Aronifu, Regesten eot Geschichte der Juden, S. 282 f., 288, 248, 247.
*^ Eise Verhöhnung der Juden in dem Geschenk eines alteren
enbischöflichen Mantels zu finden, wie Aronius thut, ist man, glaube ich,
nfeht berechtigt Jedenfalls war ein solcher bischöflicher Mantel, auch
— 144 —
dem Enbischof, seinem Kaplan, dem Kämmerer and seiner
Frau je eine bestimmte Anzahl Gürtel und Seiden-
zeuge zu neuen Kleidern zu liefern und dem Erzbischof
an Weihnachten und an Ostern 6 Pfund und dem Kämmerer
2 Pfund Pfeffer zu geben. Mag diese Art der Abgabe
auch aus firflheren Zeiten Oberkommen gewesen sein, wo
der Warenhandel bei den Juden noch eine grössere Bolle
spielte, so darf andererseits wohl angenommen werden,
dass bei dem praktischen Sinn der Juden in solchen
Dingen dieselbe sicherlich in eine Geldabgabe verwandelt
worden wäre, wenn sie keine wirkliche praktische Grund-
lage mehr gehabt hätte.
Weitere Nachrichten über die Juden zeigen uns das
fortwährende Bestreben, dieselben aus dem Besitze der
öffentlichen Aemter zu verdrängen, deren sie sich
durch Verpfändung in der letzten Zeit in zunehmendem
Masse bemächtigt hatten. So bestimmt im Jahre 1259 das
Mainzer Provinzialkonzil in Fritzlar, die Juden sollen
sofort alle weltlichen Würden und öffentlichen
Aemter niederlegen, die sie etwa haben und um dieselbe
Zeit bestimmt das Judenrecht des Spiegels deutscher
Leute, kein Jude solle Bichter über einen Christen oder
dessen Bechtsanwalt (Fürsprecher) sein dürfen.
Wie es damals bereits um die öffentliche Sicher-
heit in Deutschland bestellt und wie dringend notwendig
desshalb der Besitz befestigter Heimstätten vor
allem für die reichen Judengemeinden ist, zeigen
weitere Nachrichten. Am 23. April 1252 wird das Juden-
thor in Metz wieder erwähnt und im gleichen Jahre
wird die Synagoge in Hagenau neu hergestellt Am
25. März 1253 wird die Judenmauer in Trier genannt. Im
Jahre 1258 fEtgen Konrad Sulgeloch und sein Bruder Werner
mit ihren Genossen den Bürgern von Worms durch
Strassenraub vielen Schaden zu, indem sie alle, die sie
treffen, ausplündern und Christen und Juden das Ihrige
wegnehmen. Am 0. Dezember 1260 wird denn auch ein
Judenthor in Worms erwähnt. In den Jahren 1261 — 1264
beschweren sich der Erzbischof Werner von Mainz und die
gesamte Mainzer Geistlichkeit bei Papst Urban IV. über
den ehemaligen Domkustos Friedrich von Eberstein,
welcher der Mainzer Kirche durch Brand und Baub
vielen Schaden mit seiner Bau b er bände zufüge. Haupt-
mann dieser Bande sei zum Hohne der Geistlichen ein
wenn er getragen war, noch von hohem Werte; es hatte bei der Kostbar-
keit solcher Staatsgewftnder und bei der Sitte, dieselben stets in tadel-
losestem Zustande zu tragen, wie diess die Standessitte bei hohen Personen
▼erlangt, eine sehr praktische Bedentang, ftlr dieselben eine Absatsqnelle
zu haben, welche die Dinge gegen vereinbarte Gegenleistungen an sich nahm.
-^ 145 —
Jade namens Michael. Eberstein sei ein Feind des geist-
lichen Stands and der Papst möge desshalb einschreiten.
Eberstein war ein eifriger Anhänger der kaiserlichen
Ghibellinenpartei and desshalb 1242 abgesetzt and gebannt
worden. Jener Jade Michael ist der Jade Michael von
Landau, der 1273 nach Weihnachten mit Hilfe des Grafen
Emich von Lein ingen der Stadt Worms vielen Schaden
zufügt *®)
Einen weiteren Einblick in die Verhältnisse der
jfidischen G-eschäftsthätigkeit gibt ans die um-
fassende Judenordnnng, welche im Jahre 1264 der Herzog
Boleslaus von Polen erlässt Tötet ein Christ einen
Juden 9 bestimmt dieselbe, so wird er durch die Gerichte
bestraft und seine Liegenschaften und seine Fahrnis
verfallen dem Herzogtum. Geschieht der Mord ohne Blut-
vei^essen, so hat der Mörder dem Hofgericht Genugthuung
nach dem Landesrecht zu geben. Die Juden haben das
Becht, im Herzogtum Handel zu treiben und ihre Güter
and Waren darin herumzufElhren, wobei ihnen besondere
Zölle nicht auferlegt werden dürfen. Eine Abgabe von
den toten Juden zu nehmen, ist nicht gestattet Wer ihre
Kirchhöfe verletzt, wird nach Landesrecht bestraft und
sein Vermögen verfällt dem Herzogtum. Wer sie in ihrer
SjnsLgoge stört, muss dem Hofgericht 2 Pfund Pfeffer
entrichten. Jeder Jude, der vom Richter zu der „Wandal^
genannten Geldstrafe verurteilt wird, muss 1 Pfund Pfeffer
bezahlen. Jeder Jude, der einen andern Juden verwundet,
wird vom Richter nach Landesrecht bestraft, ebenso jeder
Christ, der sich an einem Juden vergreift. In geringen
Sachen schwören die Juden den Eid am Eingang der
Synagoge, in wichtigeren Sachen auf ihrem „Rhodal.^^')
Streitigkeiten von Juden mit Juden sind in der Synagoge
oder wo es ihnen sonst gefUlt zu entscheiden; der
christliche Richter darf die Sache nur an sich ziehen,
wenn es eine der Parteien wünscht Wer ein Judenkind
raabt, wird als Dieb bestraft*^
Nene umfassende Angriffe auf die Juden bringen
in Deutschland die Jahre 1264 und 1265. Am T.August 1264
werden in Arnstadt 5 Juden getötet und am 2. April 1265
geht es in Koblenz über die Juden her und 10 Juden
werden erschlagen. Am 2. Mai werden inSinzig 72 Juden
in der Synagoge verbrannt*^) Wie zähe sich trotz allem
**) Am 20. Aogost 1274 schliesst Erzbiscbof Werner ein Geld-
geicA&ft mit den Mainzer Juden ab. Aromas 289.
**) Jthodal** ist die Kanzel in der Synasoge. Vergl. S. 88.
**) Depping, Jaden im Mittelalter. 8. 194.
^) ATOoiOB. Regelten zur Qeachichte der Juden, S. 287, 290 U
10
— 14« —
Bestreben der Kirche, die Jaden ans den öffentlichen
Aemtern sa verdrilngen, diese trotzdem mit Hilfe ihrer
ftirchtbaren Gtoldmacht behaupten, seigen mehrAu:he weitere
Nachrichten. Am 14. April 1266 verleiht der Ftkrst Heinrich
von Mecklenburg der Stadt Wismar ein Privileg,
nach dem seine Vögte, Münzer, Zöllner, Müller,
Jaden and anderen Hofbeamten, wenn sie sich bei
Ansttbung der vom Forsten ihnen anvertrauten Aemter
etwas iu Schulden kommen lassen, nicht von den städtischen
Richtern, sondern vom Forsten selbst bestraft werden
sollten. Am 6. Februar 1267 wird im Erzbistum Ghnesen-
Polen bestimmt, kein Jude solle künftig mehr mit der
Erhebung von Zöllen oder mit anderen öffentlichen
Aemtern betraut werden. Am 10. — 12. Mai 1267 erfolgen
durch ein unter Vorsitz eines Kardinallegaten abge-
haltenes Provinzialkonzil in Wien ähnliche BesUmmungen
wie für die Diözese Onesen-Polen auch für die Kirchen-
provinz Salzburg und die Stadt und Diözese Prag.
Am 24. Juli 1267 verleihen die Grafen von Schwerin
der Stadt Boitzenburg das lObische Kecht, doch sollte
sich keiner ihrer Amtleute in der Stadt, er sei MOnzer,
Zöllner oder Jude, vor dem Richter des lObischen Rechts!
sondern nur vor den Grafen verantworten, es sei denn,
dass er in deren Abwesenheit wegen einer Schuld -
forderung verklagt werde. Trotz dieses Widerstands
bleibt indess der Sieg endlich der Kirche und immer mehr
beginnen jetzt auch in Deutschland wie 100 Jahre
früher in Frankreich, die Ausweisungen der Juden
aus einzelnen Landesherrschaften Platz zu greifen. So
gibt mit der ausdrOcklichen BegrOndung, dadurch den
Handelsverkehr der Stadt zu heben, am 26. Juni 1264
der Herzog Barnim I. von Pommern der Stadt Greifs-
wald das Freiheitsrecht, die dortige Judengemeinde
auszuweisen und deren ROckkehr zu verbieten.
Ob ein Münzvergehen vorlag, ist zweifelhaft**)
Gleichzeitig machen sich die Folgen der Ver-
folgungen Jetzt in zunehmender Weise auch für die
wirtschaftliche Lage der Juden geltend. Schon seit
Anfang des 18. Jahrhunderts hat sich die Zahl aus-
wärtiger, namentlich lombardischer Geschäftsleute
in Deutschland in zusehendem Masse gemehrt Der
seitherige sehr starke Bezug von italienischen Er-
zeugnissen seitens der Deutschen hat in erheblichem
Masse notgelitten. Die Deutschen haben die geschäft-
lichen Beziehungen mit Lombardien mehr und mehr
•^ Aronint, BageztenrarGMchielitederJiidaD, 8. 896, 802 ff, 806| 286.
— 147 —
abgebrochen und begonnen, ihre Lerantewaren auB den
Donaoländem zn beziehen, and die Lombarden mfissen sich
desshalb entschliessen, den Dentschen ihrerseits abzukaufen,
mn den üeberschuss ihrer Eigenerzeugung los zu werden.
Wie wir in fast allen bedeutenden St<en Judengassen
finden, so z. B. im Herbst 1267 oder 1268 in Parchim
and im Jahre 1270 in Strassburg^), so sehen wir
überall jetzt neben ihnen lombardische Geschäfts-
leute auftauchen, so z. B. in Mainz, Begensburg, Eöhi^),
welche dorthin zum Aufkaufe gegen Austausch ihrer
Landeserzeugnisse und der Einfubrwaren der Levante
kommen. Waren seither die Juden als die hauptsächlichen
Träger des Grosshandels unentbehrlich gewesen,
so hatte das seit den Ereuzzflgen mächtig geförderte Auf-
blfihen eines christlichen Eaufmannsstandes dieser
SteUnng ein Ende gemacht Die Handelseifersucht
beider war immer mehr gestiegen, Abneigung und Hass
erhebt sich gegen die Juden und man beschränkt sie auf
dag Darleihgeschäft, indem man ihnen die seitherige
rechtliche und gesellschaftliche Gleichheit immer
mehr entzieht*^ Ihren Ausgangspunkt scheint die
damalige deutsche Bewegung gegen die Juden in
Böhmen genommen zu haben. Im J^e 1290 entsteht
in Prag ein Aufstand gegen die Juden und die Bewegung
yerbreitet sich von hier aus rasch ttber ganz Böhmen,
Mähren und Deutschland.*^) An den verschiedensten
Orten entstehen Aufstände gegen die Juden. So findet im
Jahre 1290 ein grosser Judenkrawall in Mflhlhausen
im Elsass statt, bei dem es zu Gewaltthätigkeiten gegen
die dortige Judengemeinde kommt, so dass die BÜicbs-
regierung einschreitet und die Stadt fi'oh sein muss, als
Kaiser Rudolf die Bürger derselbcoi von der Untersuchung
and den der Stadt angesetzten Strafen wegen des vorge-
kommenen Landfriedensbruchs freispricht und den
Bürgern die Bezahlung von 200 Mark erlässt, welche
sie infolge der Sache den Juden schuldig geworden
waren. •^
Ein weiteres Vorgehen gegen die Juden erfolgt in
Frankreich im Jahre 1304 unter EOnig Philipp dem
Schönen, indem die französische Krone einen Staats ver-
"^ AronhiB, Begeaten sw Geschiciite der Juden, S. 810, 814, 107 f.
**) Roflcber, NattonalökoBOBie, Bd. 3, S. 187. Maurer Deatuhes
3ttdteweien, Bd. 1, 8. 404. Emieo, Geschichte von Köln, Bd. 2, 8. 827.
?Deppiog, Jaden nn Mittelalter, B. 198.
Graf, Geschichte von Monlhaosen, Bd. 1, S. 27. Depping, Jadeo
un Mittelaiter, 8. 217.
10»
— 148 —
trag mit dem Herzogtum Bnrgand abschliesst, durch
welchen allen französischen G-erichten verboten wird,
Klagen von jüdischenDarleihern ans Bnrgand an*
znnehmen, nachdem dieser Massregel die Ablösung aller
Schulden der französischen Staatsbürger bei den bur-
gundischen Juden durch Vertrag zwischen den beiderseitigen
Regiemngen vorausgegangen ist, worauf im Jahre 1306 in
ganz Frankreich eine Grundschuldenablösung statt-
findet Vorangegangen war diesem Vorgehen zunächst eine
Herabsetzung des Wertgehalts der Münzen, wo-
durch eine allgemeine Erleichterung der tiefver-
schuldeten Grundbesitzer eingetreten war. Diesem
ersten Teil des Vorgehens der französischen Begierung
folgte sodann die wiederholt geschilderte Begelung aller
Pfandschulden der französischen Bürger durch die
Krone, wobei den Schuldnern, welche binnen der
festgesetzen Zeit bezahlten, der fünfte Teil oder
20 Prozent ihrer Schuld nachgelassen wurde. Nach
Ablauf des zur Abwicklung dieser G^chäfte vorgesehenen
Zeitpunkts wurde sodann allen Juden befohlen, das
Königreich zu verlassen und ihnen bei Todestrafe
verboten, dahin zurückzukehren. Alle Häuser, Felder.
Wiesen, Weingärten, Scheunen und Keller aber, welche
noch im Besitze von Juden waren, wurden vom Reiche
eingezogen und verkauft und der hiefür erlöste Betrag
den ausgewiesenen Besitzern ausbezahlt, während die
fahrende Habe von den Juden mitgenommen werden
durfte, soweit es sich nicht um bares Geld, Edel-
metall, Juwelen, Gold- und Silbergeschirr handelte.
Da nämlich die Juden, um sich den Besitz ihrer wertvollen
Pfandgegenstände zu erhalten, diese mannigfach bei
Christen versteckt hatten, wurde ihnen befohlen, ihren Be-
sitz in Waren umzutauschen, deren Ausfuhr ihnen
freigestellt war, wahrend sie an barem Gelde nur
so viel aus dem Lande führen durften, als sie zur
Reise nötig hatten.*'^ Alle Schuldforderungen von
Juden aber wurden für erloschen erklärt und kein
Jude konnte mehr gegen einen Schuldner klagbar werden,
da die Beichskammer die Einziehung dieser Forderungen
an sich genommen hatte. Nicht besser als den Juden gieng
es übrigens den in Frankreich angesessenen zahlreichen
lombardischen Darleihern und Ko wertschen. Auch
diesen wurde befohlen, binnen zwei Monaten das König-
reich zu verlassen und nie wieder Darlehensgeschäfte zu
machen. Nur diejenigen sollten dableiben dürfen, welche
•") DeppiDg, Juden im MitteUlter, 8. 186 ff., 119 f., 177 U
— 149 —
einen gesetzlichen Handel treiben wollen. Eigene
Kommissäre werden jetzt in ganz Frankreich mit dem
Verkaufe der Aecker, Wiesen, Weinberge und anderen Güter
der aasgewiesenen Juden und anderen fremden Darleiher
beauftragt , wobei festgesetzt wird, dass die Käufer, welche
Schätze auf den erkauften Orundstäcken entdecken,
diese der Krone ausliefern sollen. Weiter wurden alle
Forderungen der ausgewiesenen Juden durch die Be-
amten der Krone, welche die betreffenden Pfandbriefe
a. 8. w. mit Beschlag belegt hatten, namens der aus-
gewiesenen jüdischen Gläubiger eingezogen und es
wurde hiebei auf die Notlage der Schuldner die weit-
gehendste Rücksicht genonunen, indem man denselben
Stundung ihrer Schuldbeträge bis zu 40 Jahren
einräumte, wobei die betreffenden Beamten die grOsste
Mühe hatten, sich in dem Wirrwar von Pfandbriefen, Ab-
machungen u. s.w., welche meist aussergerichtlich zu
Stande gekommen waren, zurechtzufinden. Obgleich die
Regierung nämlich, wie wir gesehen haben, bestimmt hatte,
dass allen Schuldnern, welche sich selbst angeben würden,
Vorteile, namentlich der Nachlass von 20 Prozent ihrer
Schuldsumme, bei der Rückzahlung eingeräumt werden
soUte, war ein grosser Teil derselben nur wenig geneigt,
die Forderung zu begleichen. Viele waren eben derart an
den Band des wirtschaftlichen Abgrunds gebracht, dass
sie trotz diesen Vorteilen nicht in der Lage waren, von
dem Angebot der Regierung Gebrauch zu machen. Welche
Summen damals das französische Volk den Juden schuldig
geworden war, erhellt aus der Nachricht, dass die amtliche
Flüssigmachung, welche der Beichsamtmann von Orl6ans
vomabon, neben dem baren Geld, den Juwelen und dem
Silbergeschirr die Summe von 33,700 Pfd., 46 Schill, und
5 Hlr. ergab. Aus dem Verkaufe der einen Judenschule
wurde der Betrag von 840 Pfd., aus der zweiten Juden-
schule wurden 140 Pfd. erlöst Schwieirigkeiten entstanden
fibrigens auch hier dadurch, dass zahlreiche Juden ihr Gold
and Silber und ihre Kostbarkeiten bei Christen versteckt
hatten.*^ In welch' heillose Verwirrung die übermässige
Grundyerschnldung damals das französische Volk ge-
bracht hatte, geht daraus hervor, dass Hunderte von
Witwen, Waisen und Armleuten, d. h. Bauern, sich unter
den Schuldnern befanden, welche die Richtigkeit der
ihnen zugemuteten Forderungen bestritten, wirt-
schaftliche Existenzen, denen die Behörden einfach
machtlos gegenüber standen. So war es gewiss bei dem
^ Depi^g, Juden im Mittelalter, S. 187, 109.
— 150 —
allgemeinenUnwilleii derweitesten BerOlkernngs-
kreise gegen das Jadentam im Interesse der per-
sönlichen Sicherheit der Juden selbst die geeignetste
Massregel der franaösischen Regierung gewesen , die An-
stifter des ganzen Unglficks dadurch den Augen der Leute
entsiehen, dass man dieselben aus dem Lande schaifte.**)
Die treibende Kraft dieser Ausweisungsmassregeln in
Frankreich, mit denen ähnliche Massregeln in Spanien
Hand in Hand giengen, war der Gtogenpapst Benedikt XI.
gewesen. Die ausgewiesenen jüdischen Gläubiger aber er-
boten sich jetit allmählich, nachdem die französische
Regierung Ernst gemacht hatte, den Stand ihrer
Forderungen genau anzugeben, wenn man ihnen da-
gegen das Recht einräume, nach Frankreich zurück-
zukehren, ein Angebot, auf das die französische Krone
auch eingieng, und so wurde allmählich einer steigenden
Zahl von Juden der Aufenthalt in Frankreich wieder ge-
stattet Die Rückkehr der Juden nach Frankreich
erfolgte in grosser Ordnung. Jüdische Kommissare, die
hlesu die Krone aufstellte, hatten allen Juden, welche zu-
rückkehren wollten, Erlaubnisscheine mit Angabe des
Niederlassungsorts auszustellen, und die ReichslandsySgte
(s6n6chauz) und Stadtamtleute hatten die bestimmte Weisung,
alle Juden gefänglich einzuziehen, welche ohne diese Voll-
macht zurückkehrten. Die Jüdischen Kommissäre aber
hatten wieder Unterkommissäre in den einzelnen Landes-
teilen, z. B. im Dauphinft und im (Gebiete von Velay.
welche fiir diese Teile das Geschäft Überwachten. Die
Juden, bestimmte der Erlass rom Jahre 1315, dürfen in
das Königreich und in die Städte zurückkehren, in welchen
sie früher gewohnt haben und sich dort 12 Jahre lang
aufhalten. Sie können daselbst von der Arbeit ihrer
Hände oder vom Verkaufe kaufmannsguter Waren
leben, auch dürfen sie Geld auf Pfänder leihen,
während ihnen das Nehmen von „Schaden*^, d. h. Zinses-
zinsen, verboten sein soll. Ihre alten Forderungen sind zu
einem Drittel ihnen selbst und zu zwei Dritteln der
Krone heimzuzahlen. Sie dürfen wegen dessen, was sie
vor ihrer Ausweisung gethan haben, nicht verfolgt werden.
Kein Landesherr darf in seinem I^mde andere Juden als
seine eigenen halten und ihre Verhältnisse erleiden keine
Veränderung, wenn sie aus dem Ghebiete eines Landeherrn
in das Gebiet des Königs ziehen oder umgekehrt Mit
ihren Schuldnern dürfen sie nur am Ende des Jahrs ab-
rechnen, während es den Schuldnern jederzeit freisteht,
**) Vslbonais, Histoire da Daaphin^, Genf 1721, Bd. 2. Dq»pmg,
.luden im Mittelalter, 8. 902 f;
— 161 —
mit üuren Gläubigem äbsurechneii. Im übrigen sollten die
alten Freiheitsrechte der Juden in Frankreich auch ferner
Gültigkeit haben« Ihre Synagogen und Kirchhofe
durfte sie gegen Bückerstattung des ihnen dafür
bezahlten Kaufpreises wieder surückerwerben.
Was Ton ihren Büchern nicht verkauft war, erhielten
sie surück mit Ausnahme des von der Kirche verbotenen
Talmuds. Die Krone ernannte «wei geschworene Juden-
richter, um diese Ordnung zu vollziehen und wegen der
Erbgüter Entscheidungen zu treffen, die seit der Aus-
weisung unter der Hälfte ihres Werts verkauft worden
waren. Wurde den Juden nach Yerfluss der 12 Jahre ihr
Aufenthaltsrecht nicht verlängert, so sollte ihnen ein Jahr
Zeit zur Verwertung ihres Vermögens gegeben
werden.^«)
War es damit den Juden schon im Jahre 1815 wieder
gelungen, wenigstens auf die Dauer von 12 Jahren Zutritt
in Frankreich zu erlangen, so glückte es ihnen wenige
Jahre später, ihre Stellung in £esem Lande noch mehr
zu verbessern, indem ihnen unter dem Nachfolger KOnig
Ludwigs X. von Frankreich, dem KOnig Philipp dem
Langen, im Jahre 1817 das Becht eingeräumt wurde, dass
sie künftig nicht mehr der „numus mortua'' oder dem
„Sterbfallrecht unterworfen sein sollten und ihnen das
Erbrecht zugesichert wurde. Femer wurde bestimmt,
dass sie in der Champagne und anderwärts ün Ver-
hältnis zu ihrem Vermögen sollten besteuert werden
nnd nur ihrer vorgesetzten Obrigkeit verantwort-
lieh sein sollten. Würden sie wegen eines Verbrechens
verhaftet, so sollten sie gegen entsprechende Bürgschaft
wieder auf freiem Fuss gestellt werden dürfen. Weiter
wurden sie von der Verpflichtung zum gerichtlichen
Zweikampf befreit, nur wenn sie einen nachgewiesenen
Mord begangen haben sollten, waren sie hiezu verpflichtet.
Ihre Personen, Güter und Bücher sollten auf Niemands
Klage mit Beschlag belegt werden können, ohne dass die
ReichslandsvOgte und ^tleute vorher die Gründe des
Klagenden angehört hatten. Endlich waren sie bei Strafe
des Betrugs verpflichtet, nur kaufmannsgute Waren
zu verkaufen.''^)
Wie ün eigentlichen Frankreich, so wird auch im
englischen Aquitanien damals die Stellung der Juden
immer gefährdeter. Im Jahre 1320 untem^mien wilde
Volkshaufen, die sogenannten „pastonreux^, d. h. an den
Bettelstab gekommene Bauersleute, einen Angriff auf die
^ Depping, Jaden Im Mitlslaller, 8. 908.
— 152 —
Borg YOQ Verdau an der Gk^onne, wo sich die Jaden
der Gtegend hingeilüchtet haben, erstärmt die Barg and
erschlägt die Besatsang. An 120 jüdische Gemeinden, wie
Gastel-Sarrasin, Bordeaax, Agen and Foix, werden
damals zerstört, bis in Montpellier das Haapt der Be-
wegung geköpft und der Aafstand von den Behörden mit
Gewalt anterdrückt wird. Der Graf von Toaloase hatte
einige der Haapträdelsfiihrer des Aafstands verhaften lassen,
allein mit Hilfe einiger Mönche gelang es den GtofiBuigenen,
za entkommen. In Schaaren flüchten jetzt die Jaden nach
Spanien, wo aber die Yolkswnt bald ebenso über sie
losbricht. Der pästliche Bannflach gegen die Aufständigen
erweist sich als wirkungslos and erntet noch Hohn and
Spott Wohl schreitet im Jahre 1821 König Edaard IL
Ton England als Herzog von Aqaitanien in der Sache
ein and sichert den Beichsschatz der Güter der ermordeten
Jaden, indem er dem Beichslandsvogt yon Gascognien
erklärt, dass diese Güter der englischen Krone zustehen
and niemand ein Becht habe, dieselben an sich za nehmen,
aber schon im Jahre 1328 werden in Estelle, Yiana,
Marseille and anderen Städten eine grosse Anzahl Juden
yon den aufgeregten Volksmassen erschlagen und beraubt,
so dass der Jammer hierüber in den Judengemeinden ein
allgemeiner ist und in ganz Deutschland und Frankreich
im Jahre 1828 für die Opfer dieser Aufstände in den
Judengemeinden gesammelt wird, welche seither in zu-
nehmender Menge nach Deutschland kommen und
dadurch die schon vorher wenig günstige Stimmung gegen
die Judenschaft noch vermehren/^)
7. IMe zunelimende geaellscbaftllehe BesekriDknvg der
Jndengemelnden rom 18. Jahrkaodert bis znm Jaden-
krmwall ron 184Sb
Das 18. Jahrhundert zeigt sich uns in jeder Beziehung
als eine Zeit des tiefsten sittlichen Zerfalls. Seit
im 10. Jahrhundert Deutschland aus einem Ackerbau-
staat mehr und mehr ein Industriestaat geworden
war, hatte sich zunächst im 11. Jahrhundert eine Zeit
städtischer Blüte eingestellt, die ihren Höhepunkt unter
dem gewaltigen Salier Heinrich m. erreicht hatte. Seither
schon zeigten sich die ersten Keime des Zerfalls. Mehr
und mehr sahen sich die deutschen G^werbsleute bei der
zunehmenden Menge ihrer industriellen Erzeugnisse auf
'< ) Depping, Jaden ün Mittelalter, B. 209 f.
— 168 —
den Absatz ihrer ErzengniBse in den Donauländern, in
Rnssland and der Levante angewiesen, bis seit der
Mitte des 12. Jahrhunderts es den Lombarden und
Sizilianern gelang, den Deutschen, Franken und
Engländern diesen Markt abzujagen. So erfolgte im
13. Jahrhundert der wirtschaftliche Zusammenbruch
erst der französischen Wirtschaftsverhältnisse, dem
derjenige der englischen und deutschen Besitzklassen
nachfo^fte. Hand in Hand mit dem Aufhören des
Eörnerbaus in Deutschland infolge der zunehmenden
Einfuhr von Bodenerzeugnissen aus den neuer-
schlossenen Bohstoffländem sehen sich die alten Staaten
Europas mehr und mehr auf den Gewerbebetrieb ange-
wiesen und es beginnt jener Zeitabschnitt städtischer
Gewerbeentwicklung, der seinen Zusammenbruch mit
der Erschliessung Innerasiens im 13. Jahrhundert
findet.
Die Klagen über den Mangel an eigenem sitt-
lichen Halt innerhalb der Christenheit wie über den
üebermut und die Missachtung, denen die Ange-
hörigen der christlichen Kirche infolge dieses Mangels
an sittlichem Halt seitens der Juden und Heiden sich
ausgesetzt sehen, sind in jener Zeit üppigsten Genus s-
lebens der europäischen Kulturländer allgemein. So
erwähnt im Jahre 1221 Cäsar von Heisterbach, die
Juden und Heiden klagen allgemein über den Hoch-
mut der Christen, verabscheuen desshalb die christliche
Keligion und schmähen dieselbe. Im heiligen Lande
fuhren die Christen nichts als ein zügelloses Leben,
fröhnen dem Spiele, der Schlemmerei und der Un-
zucht, 80 dass alles darüber empört sei. In Damiette
sei ein Cruzifixus von den Sarazenen misshandelt
worden. Christen werden noch immer von den Juden,
Sarazenen und falschen Christen gekreuzigt, so
solle kürzlich wieder ein Christ von einigen Juden
gekreuzigt worden sein.^)
Es war das grosse Verdienst der christlichen
Kirche, dass sie in dieser Zeit schweren inneren Zerfalls
die Zügel mit neuer Kraft erfasste und das gefährdete
Schiff des Christentums durch die brandenden Wogen der
Zeit den gefährlichen Klippen entführte, indem sie den
Kampf gegen den inneren Feind der Kirche, den
christlichen Sittenzerfall, wie den äusseren Feind,
das Judentum, mit gleichen Eifer in die Hand nahm.
Das Vorgehen der christlichen Kirche gegen die üeber-
*) Aronius, Regelten zur Geschichte der Jaden^ 8. 187, 194, 804.
— 154 —
macht der Jaden auf gesellschaftlichem Gebiete
erstreckte sich aaf imhezu alle Zweige desselben. In
erster Linie wnrde allen Laienangehörigen nnd hiein
weniger geeigneten Priestern der christlichen Oemeinschaft
verboten, sich mit Jaden aber Glaabensdinge xn
streiten. So wird am 1. Mars 1227 aaf einer Pro-
vinzialsynode in Trier beschlossen, kein anwissender
Priester solle in Gegenwart von Laien mit einem
Jaden aber Glanbenssachen streiten. So bestimmt
am 12. Mai 1267 ein Wiener Provinzialkonsil, die
Jaden sollen künftig nicht mehr mit angebildeten
Leaten aber den katholischen Glaaben streiten
and nicht ihre Kinder oder Franen znrückhalten,
wenn sie znm Christentam übertreten. Aach sollen
sie nicht Christen zam Jadentnm verlocken oder frech
beschneiden.^) Diese Verordnnngen ¥rar«i Ansfahrongs-
gesetze eines päpstlichen Erlasses, der dahin gieng, duss,
am die Bedrängnis der christlichen Kirche dorch
die Jaden zn bekämpfen, alle Geistlichen die genannten
Aasschreitangen der Jaden bekämpfen soUten. Be-
sonders sollten sie Beligionsgespräche mit Juden
möglichst hintanhalten, da hiednrch vielfach einfältige
Lente in die Schlingen des Irrtnms geraten. Nötigen-
falls sei die weltliche Macht zar HUfe aafzafordem;
alle Widerstrebenden aber sollten dnrch geistliche Strafen
and wenn es Jaden seien, dnrch gegenseitige ünter-
stütznng derGlänbigen gezwangen werden. Man sieht
daraas einmal, welcherZwang von den strenggläabigen
Jaden aasgeübt warde, am ihre Angehörigen beim jü-
dischen Glaaben za erhalten, and wie sehr manche
Christen sich damals geneigt zeigten, znm Jadentnm
überzntreten. Für beide Dinge liegen eine Reihe vob
Beispielen vor. So tanft im Jahre 1220—1221 der Haas-
kaplan des Herzogs von Brabant die Tochter eines
Jaden in Löwen, mit dem er Religionsgespräche
za führen pflegte, gegen den Willen des Vaters,
nachdem sie entführt worden ist. Der Jade gevrinnt
darch Bestechang den Bischof von Lüttich, der die
Tochter aas dem Kloster freizageben befiehlt, woranf
aber der Bischof beim Erzbischof von Köln verklagt
wird. Der Papst entscheidet dahin, dass das Kloster gegen
den Bischof za schützen sei.^
Wie sehr das mehr oder weniger gewaltsame Ent-
führen von Jadenkindern zom Zwecke des Taufens
damals Sitte war, ersieht man ans der Bestimmang des
, Regesten zur Geschichte der Jaden, 8. 9Ca, 185 f.
— IW —
dsterreichischen Jndenrechts vom Jahre 1244, nach
welcher jeder, der den Sohn eines Jaden entführte, als
Dieb bestraft werden sollte.*) Das Entführen von Jnden-
töchtem war also straflos, was ein weiterer Beweis für
die niedere Stellung ist, welche die jüdische Volks-
anschannng dem Weibe anweist
Weitere Nachrichten stammen vom Jahre 1241. Am
24. Mai 1241 will sich der Sohn eines Juden in Frank-
furt a. M. taufen lassen, wird aber hieran von seinen
Verwandten und Freunden gehindert Es entsteht hieraus
ein Aufruhr gegen die Juden, bei dem etwa 180 Juden
durch das Schwert oder das Feuer umkommen, das sie
selbst an ihre Häuser legen. Der Brand zerstört die
Hälfte der Stadt, der Best der Juden, 24 an der Zahl,
mit dem Babbiner lässt sich in der Todesgefahr taufen.
Da die Frankfurter Juden im Schutze des Beichs
standen, war das Beich verpflichtet, im Namen seiner
Hintersassen deren Interessen zu wahren ; die Sache wurde
denn auch untersucht, doch erliess König Eonrad, der Sohn
Kaiser Friedrichs n. von Hohenstaufen, den Bürgern von
Frankfurt mit Bücksicht auf ihre sonst bewährte Treue
die erwirkte Strafe und den Schadenersatz, da sich ergeben
hatte, dass der entstandene Schaden mehr durch Nach-
lässigkeit als durch die schlimme Absiebt der Bürger
herbeigeführt worden war.^)
Ein anderer Fall stammt vom Jahre 1260, in welchem
eine Nonne Agnes, die aus einem in den Kriegsunruhen
zerstörten deutschen Kloster zu ihrem Vater, einem
Bitter, zurückgekehrt ist, von diesem verfuhrt wird und
ihr Kind tötet Sie findet darauf bei einer Jüdin Sara
in Köln ein Unterkommen als Amme und bringt bei
dieser 5 Jahre zu, gewinnt diese zum Christentum,
beichtet einem Predigermönch, geht nach Bom und
wird absolviert Heimgekehrt ruht sie bei der Jüdin
Sara aus. Als nun der Judengemahl sie erblickt, gerät
er in Wut, weil sie seine Frau zum Christentum verleitet
hatte, und bringt ihr drei gefährliche Stiche bei. Dann
geht er um Mitternacht mit den Juden der Nachbarschaft
in die Synagoge. Seine Frau Sara aber sieht im Traum,
wie die heilige Jungfrau mit zwei Mädchen zu Agnes
kommt und sie wieder erweckt Als Agnes am Morgen
verschwunden ist, sprechen die Judengatten nicht von der
Sache, da jeder Teil glaubt, der andere habe die Nonne
begraben, bis ihnen nach kaum 40 Tagen eine Frau Grüsse
^ Arouhis, BegeBten zur Geschichte der Jaden, 8. 284.
^ Böhmer, Codex diflon^ 8. TS. Stobbe, Joden in Dentschland,
S. 97. Aronine, Regeeten xnr Geschichte der Juden, 8. SM,
— 156 —
von A^es bestellt Sara preist nun die Macht Christi,
der Tote belebe, ihr Mann aber, ergrimmt, hält sie zwei
Jidire eingeschlossen, bis es ihr gelingt, mit ihren Kindern
zu entfliehen, als ihr Mann verreist Sie lässt sich taufen,
erhält den Namen Gertrud und wird von den Christen,
die sie als sehr reich und edel kennen, fi*eudig aufge-
nommen. Zwei Söhne und eine Tochter folgen ihrem
Beispiele. Sie bleibt in der Kölner Diözese, trifft dort
Agnes und erfährt von ihr, dass sie nicht getötet worden
war, obgleich sie drei Wunden erhalten hatte.^)
Wie gross die Gefahr für den weiteren ge-
sicherten Bestand des Christentums damals
geworden war, zeigen vor allem die mannigfachen
Uebertritte von Christen zum Judentum. So be-
klagt sich am 4. März 12SS Papst Gregor IX. bei der
deutschen Geistlichkeit, wie Leutia, die nur dem Namen
nach Christen seien, freiwillig zu den Juden gehen,
sich beschneiden lassen und freiwillig Juden werden.
Den KonzilbescMüssen entgegen werden den „Lästerern
des Heilands^ öffentliche Aemter übertragen und
die Juden nützen diese aus, um gegen die Christen
zu wüten und sie zu Juden zu machen.^ So wird am
3. November 1264 der Babbi Abraham aus Augsburg,
ein zum Judentum übergetretener Christ, in Weissen-
bürg gefoltert und verbrannt, weil er sich an
Heiligenbildern vergriffen hatte.^ So werden am
30. September 1270 in Weissenburg 7 Christen ver-
brannt, welche sich zum Judentum bekehrt hatten,
darunter ein Babbi Abraham, ein Proselyt aus Frank-
reich, ein einstiger Barfüsserprior , und ein Babbi Isak,
ein Proselyt aus Würz bürg.*) Im Jahre 1263 findet
eine grosse öffentliche Disputation über die Vor-
züge des Christentums zwischen Babbinern und
christlichen Gottesgelehrten statt, und es sind
namentlich die damals mächtig aufblühenden Prediger-
mönche oder Dominikaner, welche in eifriger Arbeit
mit dem Talmud in der Hand den Juden die Ver-
werflichkeit der darin enthaltenen Anschauungen
darzulegen suchen und den Babbinern vorwerfen, sie ver-
breiten die Lehre, dass die Juden berechtigt seien,
die Goim, d. h. die Angehörigen anderer Beligions-
gemeinschaften, zu töten.^ Das Vorgehen der Kirche
in dieser Bichtung nimmt denn auch damals immer schärfere
*) Thomas von CliaQtimpr^ Bach der Wander. Qleiwitz 1875, 8. 88.
Aronius, 8. 278.
^ Aronius, Begesten xor Geschichte der Jnden, 8. 903, 288, 312.
^) Depping, Joden im Mittelalter, 8. 299 f.
— 167 —
Formen an, indem Papst Gregor IX. (1227—1241) das
Lesen des Talmnd verbietet and befiehlt, denselben
überall zu verbrennen, wo man seiner habhaft werden
könne.^ Im Jahre 1283 werden denn auch in Paris nnd
in Montpellier die Schriften des Maimonides öffent-
lich dorch den Henker verbrannt*), im Jahre 1240 werden
am französischen Hofe grosse Beligionsdispnta-
tionen abgehalten und im Jahre 1242 in Frankreich
24 Wägen mit Talmaden öffentlich verbrannt.
Wie die Kirche einerseits nach Kräften zn verhindern
sachte, dass Uebertritte von Christen znm Jadentam
stattfanden, so sah sie andererseits mit grosser Strenge
daraaf, dass diejenigen Jaden, welche die Taafe ange-
nommen and sich zam Christentam bekehrt hatten, anch
bei diesem verblieben. So bestimmt das lateranische Konzil
am 30. November 1215, da es mannigfach vorgekommen sei,
dass getaufte Jaden Einzelnes von ihren alten Glaubens*
brauchen beibehalten, sollen die Geistlichen daraaf achten,
dass diess nicht mehr vorkomme, da wer sich freiwillig
dem Christentam zuwende, durch heilsamen Zwang
dabei festgehalten werden müsse. ^^) Was man durch
ehrliche üeberzeugung, Belehrung und gutes Beispiel
nicht erreichen konnte, weil es dazu leider vielen christ-
lichen Elementen am eigenen sittlichen Halt und am
eigenen Glauben gebrach, das suchte man jetzt durch
äusseren Zwang zu stände zu bringen. Wie im Jahre 1229
der ehrliche Freidank in seinem Gedichte „Bescheidenheit^
über die Ungläubigkeit der Juden klagt, welche be-
zweifeln, dass eine Jungfrau (Magd) den Heiland
geboren habe und dass es einen dreieinigen Gott
gebe, so finden wir, wie am 30. September 1270 in Weis-
senburg ein Jude aus Wiirzburg gerädert und zwei
weitere Juden und eine Jüdin verbrannt werden, weil
sie sich nicht bekehren wollen.^^) Man hetzt gegen die
Juden, wie man kann, und siugt ihnen die schändUchsten
lüsterungen des christlichen Glaubens nach und es ist
wohl glaublich, dass derlei Dinge, wie sie die Chroniken
erzählen, bei der gegenseitigen Erregtheit damals
anch thatsächiich vorgekonmien sind. So gibt es um die
Jahre 1239 — 1270 in Köln einen grossen Aufruhr wegen
*) Depping, Jaden im Mittelalter, S. 156.
*) Babbi Motes Ben Mai man, der bedeatendate jodische Geleiirte
des Mittelaltera, seboren am 80. M&n 1186 in Cordova, siedelte 1169
nach Fes und ll65 nach Foatat (Altkairo) aber and gl&nzte vor allem
durch seine mathematiachen , astronomischen nnd &rstlichen Kennt-
niae, aber auch durch seine Kenntnis der jodischen, arabischen nnd
irieebisehenPhilotonhie. _
'") Aronivs, Begesten zur Geschichte der Jaden, 8.176,199,812,815.
— 168 —
Beliqaidnschändang. Ein Christ hatte dort ein
Haus in der Jadengasse erworben and es an einen nea
hereingezogenen Weber vermietet Da diesem der Weg
in die S[irche za weit war, liess er ein Bild des Oe-
krenzigten and za beiden Seiten desselben Bilder der
Maria and des Johannes an die Wand malen and dorch
ein^i Vorhang and ein Thürchen vor zadringlichen Blicken
and Berfihrnngen schützen. Als er nan das Haas nach
Jahresfrist wieder yerlässt and ein Jade hineinzieht,
bleiben die Bilder dort and es entsteht das Gerede, die
Jaden haben beim Einweihnngsschmanse dieselben mit
Wort and That geschmäht, wobei sich namentlich die
Jadenweiber beteiligt haben sollten. Ein Jade habe dem
Heiland ein Messer an der Stelle in die Seite gestossen.
wo die Lanze Christus durchbohrt habe, und es sei darauf
Blut aus der Wunde geflossen. Die Jaden erschrecken,
die Sache wird bekannt^ man stürmt das Haus, die Juden
werden verhaftet, ihr Vermögen beschlagnahmt, einige
lassen sich taufen, andere werden umgebracht, der R^t
flieht Das Haus aber wird in ein Kürchlein mit dem
wunderthätigen Bilde verwandelt")
Ein weiterer ahnlicher Vorfall wird vom Jahre 1248
gemeldet Die Juden zu Belitz verschaflen sich durch
Besteehung einer Magd eine Hostie, die sie „zur
Schande und Unehre des Heilands martern, hauen, stechen
und verunehren", worauf Blut herausfliesst Da geben die
Juden erschrocken der Magd die Hostie zurück und be-
stechen sie, zu schweigen und die Hostie bei sich unter
dem Dache zu verstecken. Aber brennende Lichter ver-
raten bei Nacht den Ort des Heiligtums, die Sache wird
entdeckt und die Juden werden verbrannt") Ein anderer
ähnlicher Vorgang spielt in England. Im Jahre 1255
verbreitet sich in Lincoln das Gferede, man habe ein
vermisstes Kind in einer tiefen G-rube aufgefunden und
es sei von den Juden in dieselbe geworfen worden, weil
es in der Judengasse Lieder zu Ehren der heiligen
Jungfrau gesungen habe. Es entsteht infolge dessen ein
Judenkrawall und die dortigen Juden werden aus-
gewiesen und wenden sich nach Frankreich.^^
Wie sehr die Erregung gegen die Juden damals sich
gesteigert hatte, ersieht man aus den schweren Strafen,
welche auf der Ermordung oder Verletzung von
Juden standen. Während noch um das Jahr 906 ein
Konzil in Mainz einfach bestimmt, wer aus Hass einen
") AxtmiaB, R^mten zur Geschichte der Jodm, S. 815, S82, fifi.
**) Deppiag, Joden in Ifitleialler, 8. 170 t
— 159 —
Jaden oder Heiden töte, solle als Mörder bestraft
werden"), so wird in den Jahren 1039 — 1056 anter Kaiser
Heinrich XEL der Mörder eines Jnden namens Viyns durch
Abhauen der rechten Hand und Blendung bestraff)
and das österreichische Judenrecht vom Jahre 1244
enthält eine zunehmende Reihe von Bestimmungen fiber
die Verletzung von Juden. Schlägt ein Christ einen
Juden, ohne dassBlut fliesst, so hat er dem Herzog
4 Mark Silber zu zahlen; kann er nicht zahlen, so wird
ihm die Hand abgehauen. Verwundet ein Christ
einen Juden, so hat er dem Herzog 12 Mark Gold, dem
Juden 12 Mark Silber und die Eurkosten zu zahlen.
Tötet ein Christ einen Juden, so ist er als Mörder
nach Gebühr zu strafen und seine ganze fahrende
and liegende Habe fällt dem Herzog zu. Wird ein
Jude heimlich ermordet, ohne dass der Mörder durch
Zeugen ermittelt werden kann, so will der Herzog, fSedls das
Gericht durch die Untersuchung zu einem bestimmten
Verdacht gelangt, den Juden gegen den Verdächtigen
beistehen. Spottet ein Christ fiber die Judenschulen,
so hat er dem Judenrichter 2 Pftind zu bezahlen. ^^) Ver-
wüstet ein Christ den Judenkirchhof, so wird er
zum Tode verurteilt und sein Vermögen vom Herzog
eingezogen. Thut ein Christ einer Jüdin Gewalt an,
so soU ilun die Hand abgehauen werden.^*^ Auch in
Böhmen wird im Jahre 1254 von König Ottokar ü.,
Markgraf von Mähren, der Schutz bekannt gegeben,
den Papst Lmocenz IV. den Juden gegen die falschen
Anschuldigungen und gehässigen Anfälle von
Fanatikern habe angedeihen lassen, und es werden hohe
Geldstrafen gegen idle festgesetzt, welche den Gottes-
dienst in den Synagogen stören oder Gewaltthätig-
keiten gegen die Juden begehen. Als Räuber soll
bestraft werden, wer einen Juden tötet oder ein Juden-
kind raubt'*) So bestimmt femer das Prag er Stadtrecht
Yom Jahre 1269, wenn ein Christ einen Juden erschlage,
solle er wegen Erschlagung eines königlichen Kammer-
knechts '^ bestraft werden.'*)
^ Arooiiit, Betetten lor Gtoidiichts der Juden, S. 06, 888 f., 811.
^) Man denke an den alten VolkBanadrack: ,,Da geht es ni, wie in
der Jadeatchoie.**
») Depping, Jnden im filittelalter. S. 196.
^ Nicnt nur die Jnden sind nammerknecbto, es gibt andi noch
andere Eammerknechte. KönigUclier Kammerknecht m jeder freie
AagetteUto der Beichsregiemng; die SteUnng entiprickt also etwa dem
lientigea Snbalternbeamten, w&hrend der Amtmann (minister) dem
lifthern Beamten der heutigen Zeit entsprach. War der betreffende
Subahernbeamte Ton edler Geburt, so hiess er Edelknecht •
— 160 —
Ein weiteres Mittel der Kirche, die Christen yon
den Jaden abzusondern, ist das immer strenger durch-
geführte Verbot des geschlechtlichen Verkehrs
zwischen Christen und Juden. Welche Dinge in dieser
Beziehung gerade im 13. Jahrhundert vorkamen, beweisen
mannigfache Nachrichten. So wird am 9. Februar 1267
im Erzbistum Gnesen -Posen bestimmt, wenn ein Jude
Unzucht mit einer Christin treibe, solle er in strenger
Haft gehalten werden, bis er 10 Mark Strafe erlegt habe;
die Christin aber solle durch die Stadt gepeitscht
und auf ewige Zeit daraus vertrieben werden. So
bestimmt das Prag er Stadtrecht vom Jahre 1269, wenn
ein Jude bei einer ledigen Christin auf frischer Thal
ertappt werde, solle es ihn Haut und Haar kosten, die
Christin aber solle dem geistlichen Gerichte überantwortet
werden. Werde ein Jude aber bei einer verheirateten
Christin auf frischer That ertappt, so solle er an der
Wegscheide gepfählt und sein Vermögen vom Ge-
richt eingezogen werden. ^^ So bestimmt das Igiaaer
Stadtrecht vom Anfang des 14. Jahrhunderts, wenn ein
Jude beim Ehebruch mit einer Christin ertappt and
durch zwei Männer überfuhrt werde, sollen beide lebendig
begraben werden, ebenso wenn ein Christ beim Ehebrach
mit einer Jüdin ertappt und von einem Christen und zwei
Juden überführt werde. So wird im Jahre 1221 eine
Jüdin in Worms von einem Geistlichen verführt
Dieser spielt die Bolle des Engels und erklärt den Eltern,
das sei der Messias. Viele Juden strömen infolge dessen
in das Haus, um denselben zubegrüssen, sind aber sehr
enttäuscht, als ein Mädchen zur Welt kommt. ^^
Man muss sich zur richtigen Beurteilung aerartiger
Vorkommnisse der gespannten Erwartung völUg klar sein,
mit welcher gerade in jenen Tagen ernstester Verhältnisse
zahlreiche Juden dem Erscheinen ihres Erlösers ent-
gegensehen. So waren z. B., als im Jahre 1198 sich 14 Tage
ktng nach Sonnenuntergang ein Stern von besonderer
Grösse zeigte und mit seinem Glänze wie eine Feuerkugel
den Himmel erleuchtete, viele Juden überzeugt, dass dies8
ein Zeichen für das Kommen des Messias sei. So ver-
kaufen im Jahre 1236 in Prag die Juden ihre Habe,
rüsten sich und verlassen die Stadt, weil sie hebräische
Briefe erhalten haben, der Messias komme, und als im
Jahre 1241 die Tataren in Europa einfallen, halten
namentlich die deutschen Juden dieselben für Nach-
kommen der jüdischen Stämme, welche zur Zeit
*^ ArontoB, Regesten lar Geschichte der Juden , 8. 802, 818, 244,
— 161 —
Alexanders des Grossen in den Bergen des kas-
pischen Meers eingeschlossen wurden. Man hellte
desshalb, jetst werde die Herrschaft der Jaden über
die Welt kommen und unterstützte die Tartaren mit
Wein, Waffen und Getreide, indem man den Behörden
erklarte, die betreffenden Fässer enthalten vergifteten
Wein fiir die Feinde, welche diesen als Koscherwein
bestellt hätten. So erhielten die Juden auch noch Zoll-
freiheit Der Verrat wurde aber entdeckt und die
Juden teils mit ewigem Gefängnis teils mit dem Tode
bestraft So schreibt im Jahre 1241 der Landgraf Heinrich
?on Thüringen ausdrücklich dem Herzog Heinrich von
Brabant und Löwen, die Mongolen bringen nicht nur
die Christen, sondern auch die Heiden und Juden
am, damit die Juden von ihrem Messiaswahne befreit
werden. **)
Wie diese alten Verbote des geschlechtlichen Ver-
kehrs zwischen Juden und Christen, so werden jetzt dem
allgemeinen Zuge der Zeit nach ständischer Glie-
derung entsprechend auch die alten seither vielfach in
Al^ang gekommenen Kleidervorschriften bei den
Joden wieder strenger durchgeführt, was sich schon im
Interesse besserer Sicherheit der Juden empfahl. So
bestimmt das lateranische Konzil vom 30. November 1215,
dass in allen lÄndem, in denen sich die Christen nicht
durch die Tracht von den Juden und Sarazenen
onterscheiden, diess künftig den Geboten des Moses ent-
sprechend durchgeführt werden solle, da sonst durch
Irrtum Verkehr zwischen Christen und Jüdinnen oder
Sarazeninnen und umgekehrt stattfinden könnte. So
beklagt sich am 4. März 1283 Papst Gregor TK. bei der
deutschen Geistlichkeit, dass trotz der Eonzilvorschrift,
nach welcher die Juden beider Geschlechter in allen
Christenländem eine besondere Kleidung tragen sollten,
dieselbe in einigen Gegenden Deutschlands von
den Behörden eiiiach nicht durchgefürt werde. Es sei
unwürdig für den Christen, sich durch den Verkehr
mit den Ungläubigen zu beflecken. Die Folge ist denn
auch ein entschiedenes Einschreiten der deutschen
KirchenbehOrden in der Sache. So bestimmt im Jahre 1259
ein Provinzialkonzil des Erzbistums Mainz in Fritzlar,
die Juden sollen binnen zwei Monaten überall wieder die
alten Abzeichen und eine besondere Tracht annehmen,
damit man sie deutlich von den Christen unterscheiden
könne. Am 14. lißrz 1254 beklagt sich Papst Innocenz IV.
^ AronhiB, Begetten zur Geschichte der Jaden, S. 227 f., 202, 271,
254 f.
11
- 162 —
beim Bischof von Eonstani, dass den kirchlicheiL Ge-
boten entgegen in dessen Stadt nnd Diösese, (m der
anch die Stadt Ulm gehört), die Jaden keine Juaenab-
zeichen mehr tragen, was doch nötig sei, damit kein
sträflicher Verkehr derselben mit Christinnen statt-
finde und sich niemand mit Irrtnm entschuldigen könne.
Der Papst fordert desshalb den Bischof auf, dafor zu
sorgen, dass die Juden künftig wieder ihre Abzeichen
tragen und keinen Verkehr mit Christinnen haben. So
wird am 9. Februar 1267 im Erzbistum Gnesen^Polen
bestimmt, die Juden sollen bei Geldstrafe den ge-
hörnten Hut, den sie auch in Polen früher getragen
und lediglich aus Dreistigkeit abgelegt haben, wieder
annehmen, damit man sie deutlich von den Christen
unterscheiden könne. ^*)
Nicht minder scharf zeigt sich das Vorgehen der Kirche
gegen die Juden in den Vorschriften, welche den Juden
eine bessere Bücksichtnahme auf die kirchlichen
Feste der Christen auferlegen, als diese seither einzu-
halten gewohnt waren. So bestimmt das lateranische Konzil
vom 80. November 1215, die Juden sollen sich künftig in
der Charwoche nicht mehr öffentlich zeigen dürfen, da
es mannigfach vorgekommen sei, dass einige derselben an
diesen Tagen bunt geputzt einhergegangen und dadurch
die in Trauer versetzten Christen verspottet haben. Es
müsse als „Schmähung des Erlösers" angesehen
werden, wenn ein Jude in der Charwoche sich öffentlich
zeige. Von den Begierungen wird desshalb verlangt,
dass sie solche Juden gebührend bestrafen, damit sie es
in Zukunft nicht mehr wagen, den Gekreuzigten in
Gegenwart von Christen zu schmähen. So be-
stimmt das Mainzer Provinzialkonzil in Fritzlar im
Jahre 1259, kein Jude solle sich künftig bei Strafe von
1 Mark Silber am Charfreitag auf der Strasse oder
an der Hausthüre oder am Fenster zeigen. So wird
am 9. Februar 1267 im Erzbistum Gnesen-^Polen be-
stinunt, damit nicht die Christen von dem Unglauben
und den schlechten Sitten der unter ihnen wohnenden
Juden ergriffen werden, zumal da das Christentum in
jenen Gebieten noch eine junge Pflanzung sei, sollen die
in der Diözese wohnenden Juden nicht vermischt
unter den Christen wohnen, sondern in einem ab-
gesonderten Teile der Stadt oder des Dorfs ihre
Häuser eines neben dem andern haben und zwar so, dass
das Juden viertel von den gemeinsamen Wohnungen der
"} Aronini, Begesten zur Qetchichte der Jaden, S. 80S(, 176, 271, 801 f.
— 168 —
Christen durch einen Zaun, eine Mauer oder einen Graben
getrennt sei. Der Bischof und die Landesregierung
soUen desshalb Christen und Juden, deren H&user durchein-
ander stehen, durch geeignete Mittel zum Verkauf oder Aus-
tausch derselben nach dem Schiedssprüche ehrlicher Männer
zwingen. Sollte diese Sonderung nicht bis zum nächsten
Johannis der Täuferfeste durchgefBhrt sein, so sollten der
Bischof und der Landesherr yon der Kirche ausgeschlossen
werden, falls sie nicht gegen die Widerstrebenden mit
aller Strenge eingeschritten waren. Inzwischen aber sollten
die Juden, wenn man das Allerheiligste an ihren Häusern
Yorttbertrug, sich beim ersten Tone des Glöckchens in ihre
Häuser zurückziehen und Fenster und Thüren verschliessen.
Nach Durchführung der Sonderung aber sollten die Juden
in jeder Stadt und in jedem Dorfe nur noch eine Synagoge
haben. '^ So bestimmt das Iglauer Judenrecht vom
Anfang des 14. Jahrhunderts, am Charfreitag solle kein
Jude den ganzen Tag über mit Christen verkehren.'^)
Von Interesse für die allgemeine Stellung der
Juden im 18. Jahrhundert sind unter anderem die in
den Predigten des Bruders Berthold von Begensburg
(1250—1272) enthaltenen Stellen über die Juden. Berthold
zeigt in diesen Schilderungen den Juden gegenüber eine da-
mals nicht mehr gewöhnliche Mi Id e. Wohl sagt er, die Juden ,
Heiden und Ketzer seien dem Teufel verfallen und Oott nicht
wohlgefällig, er nennt die Juden Stinker, Räuber und Diebe,
Tor denen das Reich und die Landesregierungen die
Christenheit viel besser schützen sollten; er gebraucht
Gegensätze wie „ein Christ dem Namen nach, ein Jude
an Werken." Wucherer und Jude ist ihm gleichbe-
deutend. Dann ist es sehr charakteristisch, wenn er den
Jndenfrauen ihre Putzsucht vorwirft, wie sie mit ihren
gelben Bändern und Schleiern prunken, und meint,
solche Dinge sollten nur Jüdinnen, Dirnen und die Zu-
hälterinnen der Geistlichen tragen. Wenn man die Juden
anter den Christen dulde, so geechdie das seitens der Kirche
dnmal, um die Jaden an die Blarterung Christi zu mahnen,
dann aber, weil alle Menschen, welche den Antichristen über-
leben, vor dem jüngsten Tage Christen werden. Würden es
aber der Juden so viele, dass sie die Oberhand über die
Cbristen gewinnen, so solle man sich ihrer erwehren wie der
Heiden. Dann sucht Berthold in seinen Zuhörern die An-
häoglicfakeit an den rechten Christenglauben zu stärken,
indem er alle Christen warnt, sich nicht durch die
Reden der Juden in ihrem Glauben wankend machen
") Aioniof, Bageiton zor Getehichte der Jaden, 8. 801 f., 244, 810 f.
11 •
-- 164 —
zu lassen, er erinnert an das Gebot der Kirche, nach dem
angelehrte Leute nicht mit Juden über Glaubensdinge
streiten sollten; das sollen sie den auserwählten Meisten
überlassen, denn die Juden seien in der heiligen Schrift gar
wohl bewandert und haben einen feinen Plan erdacht, wie
sie die Christen in ihrem Glauben erschüttern kcHmen.
Den Juden müsse yerboten werden, von ihrem Glanben
öflEentlich oder heimlich zu reden und kein ordentlidier Christ
sollte im gleichen Hause mit einem Juden wohnen
oder mit ihm speisen. Daneben anerkennt aber Berthold
auch voll und ganz die mancherlei Vorzüge der Juden.
Er rühmt, wie die Juden ehrerbietig gegen ihre Eltern
seien, wie sie ihre kirchlidien Feiertage und Tagesgebete
meist viel besser einhalten als die Christen, wie ihre Ehen
meist ein Muster von Zucht und Massigkeit seien. Wenn
es die Kinder, die vor der Taufe sterben, in der Hölle am
besten haben, so nimmt er dabei die Judenkinder nicht
aus, denn, sagt er, der Christ dürfe niemand betrügen, auch
keinen Juden oder lULuber; man könne Gott in dem Vieh
beleidigen, wierielmehr in Juden und Heiden, die doch auch
nach Gottes Ebenbild geschaffen seien, deashalb solle die
Obrigkeit audi die Juden an Leib und Gut schützen wie
sie die Christen schütze. Wenn darum Schüler oder thdrichte
junge Leute einen Judenjungen oder auch altere christiiche
Personen einen alten Juden zum Spotte ins Wasser stossen,
um ihn gegen seinen Willen zu taufen, so sei ein solches
unwürdiges Gebahren zu tadeln. Erwähnung verdient endlich
noch die Nachricht, dass nicht alle Juden in ihrem
Glauben übereinstimmen, sondern dass sie vielerlei
Glauben haben. *^)
Erneute Bedeutung erlangt endlich seit dem Vorgehen
der Kirche gegen die Juden die strenge Aufsicht über
das von den Juden aus rituellen Gründen nicht verzehrte
und dcsshalb an Qiristen abzugebende Schlachtfleisch.
So werden am 16. November 1256 in Landshut meist auf
den Verkehr mit Lebensmittel bezügliche Bestimmungen ge-
troffen, wobei unter anderem bestimmt vnrd, dass das Fleisch
von kranken Tieren und das von den Juden verkaufte
Fleisch 7 Fuss von den christlichen Schlächterbänken weg
an besonderem Orte verkauft werden solle. Uebeotreter zahlen
5 Pfd. und werden 10 Jahre von den Bänken ausgeschlossen.*')
So wird am 9. Februar 1267 vom Erzbistum Gnesen bei
Strafe des Kirchenausschlusses allen Christen verboten,
Fleisch oder andere Lebensmittel von den Juden zu
kaufen, damit nicht diese die Christen, weil sie diese für
11
) Aroniu, B«g«ilea rar Oeiehidite der Joden, 8. 816, 319 f., 268.
— 166 —
ihre f^einde halten, bei dieser Gelegenheit hinterlistig
yergiften. Auch die Schlachtgebühren der Jaden
werden um jene Zeit mannig&ch neugeordnet, wobei eine
Erhöhung derselben unter dem zunehmenden Druck der
erstarkenden Handwerkerbewegung stattgefunden zu haben
sdieint So einigen sich am 13. Mai 1237 die Metzger
Ton Tuln über eine Handwerksordnung, welche unter
anderem bestimmt, wenn ein Metzger einen Ochsen für 1 Pfd.
Goldes kaufe, so solle der Jude für das Schächten 24 Denare
baar beosahlen; für das Schächten von Vieb, welches für
6 Soldi gekauft wird, hat der Jude 16 Denare Schächtgebühr
zü entrichten; für ein Vieh im Werte von einem halben
Pfund beträgt die Schächtgebühr 12 Denare. Kleineres Vidi,
sog. Klauenyieh, zahlt zwei Denare Schächtlohn, ein Lamm
zahlt einen Denar. ^
Eng zusammen mit den Judentaufen hängen die Ver^
folgungen der Juden wegen des ihnen zur Last gelegten
Blntglaubens. Der Blutaberglaube, d. h. der Olaube, dass
der Genuas von Menschen- oder Tierblut imstande sei,
als Mittel gegen gewisse gefährliche Krankheiten zu
dienen, ist bäanntlich uralt. Wir erinnern an die Sage vom
armen Heinrich, wie sie uns der schwäbische Dichter
Hartmann von Owen erzählt, von jenem reichen Kranken,
dem sich ein armes Mädchen opfern will, indem sie sich aus
fraOTi Vorsätze bereit erklärt, sich vom Arzte bei lebendigem
lidbe zerschneiden und das Blut abzapfen zu lassen, eine
Geschichte, welche bekanntlich damit in befriedigendster
Weise endet, dass der betreffende Kranke das arme Mädchen
noch reditzeitig aus den Klauen des Arztes vom Seciertische
rettet und heiratet, und bei der nicht ausgeschlossen ist,
dass der blutgläubige Arzt ein Jude war. Jedenfalls war
die Ansicht, dass die Juden zeitweise Menschenblut
gemessen, im Mittelalter allgemein verbreitet. So wird
sdion vom Jahre 169 vor Christus erzählt, als König
Antiochus Epiphanes von Syrien den Tempel zu Jeru-
salem geplündert habe, sei er auf ein verborgenes Oemach
gestossen , in welchem ein Grieche auf dem Bette gelegen sei,
der den König um Bettung angefleht habe, da er in den Tempel
gelockt und nicht mehr herausgelassen worden sei Auf
dringendes Bitten hätten ihm die Aufwärter gesagt, es be-
stehe bei den Juden ein geheimes Gesetz, das ihnen
gebiete, jährlich zu einer gewissen Zeit einen
Menschen zu opfern. Sie suchten daher einen Fremden
in ihre Gewalt zu bekommen, mästeten diesen bis zur be-
stimmten Zeit, führten ihn sodann in einen Wald, wo sie ihn
**) Arooins, Regesten zur Geschichte der Juden, S. 221, 801.
— 166 —
opferten und etwas toh seinem Fleische ässen, der übrige
Körper aber werde in eine Grabe geworfen. So wird im
Jahre 419 in dem syrischen C&te Imnestar zwischen
Chalcis und Antiochia von den Jnden an einem Festtage
ein christlicher Knabe ans Kreoz geheftet und zu Tode ge-
geisselt*^ So wird am Ende des 6. Jahrhunderts dem Juden
Nasas in Sizilien vorgeworfen, er opfere dem Elias
Christensklayen, so erzählt Thomas von Cbantimprei
die Jaden los«i alle Jahre in jedem Lande, welche Stadt
die anderen mit Christenblnt zu yersorgen habe. Die
Jnden glauben, sie können Ton der Marter des Aussatzes,
die sie zur Strafe erdulden, nur durch Christen blut be-
freit werden, sie glauben, sie können nur dadurch genesen.^)
Dieser Glauben nun ist es, welcher schon seit den
ältesten Zeiten, namentlich aber in den Judenverfolgungen
des 12. und 18. Jahrhunderts eine Rolle von zunehmender Be-
deutung spielt So wird vom Jahre 1071 erzahlt, mehrere Juden
aus Blois haben iriLhrend des Osterfestes ein Kind gekreuzigt,
den Leichnam aber in einen Sack gethan und in die Loire
geworfen. Nachdem sie dieses Verbrechens überfuhrt gewesen
seien, habe sie das Gericht der Gra&chaft Chartres zum
Feuertode verurteilt *^) So soll im Jahre 1144 während des
Osterfestes zu Norwich der zwöUgÄhrige heilige Wilhelm von
den dortigen Juden geknebelt, an den Galgen gehängt und
ihm durch eine seitliche Wunde das Blut abgezapft worden
sein. Die Juden haben dann,, heisst es weiter, den Leichnam
im benachbarten Walde verbergen wollen, seien aber von
dem Flurwächter überrascht worden, dem jedoch durch die
mit Geld bestochene Obrigkeit Schweigen geboten
worden sei. Nach kurzer Zeit aber sei das Verbrechen dennoch
ruchbar geworden und bestraft worden.*^ So wird vom Jahre 1 160
berichtet, dass damals die Juden von Glocester ein Kind
gekreuzigt haben.**) So heisst es, im Jahre 1179 sei in Po n-
toise (Pont-Isere) am 25. März vor dem Osterfeste der heilige
Robert von den Juden geschachtet worden, indem die Juden
dem Körper des Knaben alles Blut entzogen haben.*^ So
sollen im Jahre 1181 die Juden von London gegen Ostern ein
Kind namens Rodbertus in der Nähe der Eorche des heüig^s
Edmund ermordet haben **) und im gleichen Jahre wird eruhlt,
die Juden von Braisne haben einen von ihnen des Dieb-
stahls und Mords besdiuldigten Qiristen, nachdem sie ihn
vorher unter Geisseihieben durch die Stadt geschleppt haben,
^ Depping, Jaden im Mittelalter. S. 88.
*^ AzemoB, Regesten lar Geschiclite der JudoD, 8. 807 t
Monomenta Germ, hist, Script Bd. 6, 8. 520.
AcU sanctomm, Bd. 8. 8. 690, 680, 68t
Robert Ton Toomay, BigordoB uid QuUidomt Armoricus.
— 167 —
gekrauEigt Als König Philipp August ton Franlcreich hierron
Kunde erhalten habe, sei er sofort nach Braisne gekommen
und habe zur Strafe achtzig Juden rerbrennen lassen.**) So
▼orde am 29. Juni 1230 in Weissenburg im Elsass ein
Knabe, der hdlige Heinrich, von den Juden gemordet. So
soll im Jahre 1225 eine Frau in München, vom Grold der
Juden verffihrt, ihrem Nachbar ein kleines Kind gestohlen
und es den Juden gebracht haben, welchem diese dann das
Blut abgezapft hab^ sollen. Bei einem zweiten Versuch ertappt,
wurde die Unglückliche dem Gerichte übergeben, wo sie fdles
gestand, worauf 140 Juden zum Feuertode verurteilt wurden.
So werden an Weihnachten 1235 sieben Juden im Schlosse
zu Westm inster in Qegenwart des Königs Heinrich HL
des {^eichen Verbrechens überfuhrt und gestehen vor Gericht
ein, dass sie aus Norwich ein Kind gestohlen und dann
beschnitten haben, um es zum Osterfeste loreuzigen zu können.
Die Schuldigen wurden ins Gefängnis geworfen. Im gleichen
Jahre wird das gleiche Verbrechen am 1. Dezember von den
Juden in Erfurt begangen. So werden vom 1. — 3. Januar
1235 in Lauda an der Tauber und in Tauberbischofs-
heim einige Judenhäuser geplündert, weil ein Christen*
knabe ermordet worden war. Acht Juden werden vom
Gericht wegen der Sache hingerichtet und die Leichen ver-
brannt. Gewaltthätige sind über uns gekommen mit ihren
Banken, melden jüdische Zeitgenossen,- mit fremden Kindern
orreiGhen sie ihr ersehntes Ziel.**) Am 28. Dezember 1235
werden in Fulda 32 Juden, Männer und Frauen, von Kreuz-
fahrern und Bürgern erschlagen. Sie hatten gerichtlich
gestanden, am Weilmachtstage die fünf Knaben eines vor der
Stadt wohnenden Müllers, während dieser mit seiner Frau in
der Kirche war, getötet, deren Blut in in Wachs getränkten
Beuteln gesammelt und das Haus angezündet zu haben. Die
(unf Leidien werden nach Hagenau zu Kaiser Friedrich H.
Ton Hohenstaufen gebracht, wo infolge davon eine grosse Auf-
regung unter der Bevölkerung entsteht Der Kaiser aber
meinte: „Wenn sie tot sind, so gehet und begrabet sie; zu
etiras anderem taugen sie nicht", wies die Kläger ab und
sprach die Fuldaer Juden frei, ein Erfolg, der durch
groBsartige Geschenke der Juden beim kaiserlichen
Hofe erzielt worden sein soU.'^ Ein weiteres Beispiel ist
folgendes: In den Jahren 1239 — 1270 wohnt in der damals sehr
starken Judengemeinde in St. Die ein Jude, der unter seinen
Stammesgenossen als grosser Zauberer gilt Dieser be-
täubt seine christliche Dienerin mit einem Trank und
fldmeidet ihr dann einen Körperteil zu unbekanntem Zweck
") Bigordut, Histor. Gall.
n Aioniiu, Regesteil zur Geichichte der Jaden, 8. 206 ff., 816.
- 168 —
ab. Die Sache wird aber bekannti die Dieaerin wird ita das
Gericht des Herzogtmns Lothringen gebracht nnd der Jade
von diesem zum Tode verurteilt. Man bindet ihn an
den Schwanz eines Pferds nnd sdildft ihn zum Gralgen. Als
er hier sagen will, wanun er die That vollbradit habe,
hindert ihn der Henker am Reden, weil die anderen
Jnden dem Henker Oeld dafiir yersprochen haben,
dass er ihn nicht reden lässt Man hängt ihn an den Füssen
auf, nach zwei Tagen kaufen die Juden den Leichnam los
und begraben ihn.^ Im Jahre 1240 beschneiden die Juden
zu Norwich ein Christenkind und halten es in der Absicht,
es später zu kreuzigen, im Ghetto unter dem Namen Jumim
verborgen. Der Vater üand nach langem Suchen sein Kind
und führte beim Bischof Wilhelm von Bete Klage. Dieser
liess vier des Verbrechens überführte Juden an den Galgen
hängen.*') So werden femer am 5. August 1243 in Kitzingen
in Bayern mehrere Juden und Jüdinnen, wahrscheinliGh
wogen Blutgebrauchs beim Passahmahle, gefoltert,
hingerichtet und 14 Tage au& Bad geflochten. Dann w^en
sie auf dem Würzburger Judenlmx^hhofe beerdigt'^ Im
Jahre 1244 wird auf dem St Benediktus-Gottesacker zu London
der Leichnam eines Knaben gefunden, der fahle Spuren
und Bisse sowie an mehreren Stellen hebriLische Schrifbeeichen
aufweist Die getauften Juden, zur Erklärung dieser Zeichen
gezwungen, Ceuiden die Namen der Eltern des Kinds und
lasen, dass es ganz jung an die Juden verkauft worden war.
Zu gleicher Zeit verliessen die angesehensten Jnden heimlich
die Stadt")
Eine Stütze gegen diese Verfolgungen der Juden
wegen Glaubensmords finden dieselben bei der
römischen Kirche. So bestimmt der Freiheitsbrief, den
am 22. Oktober 1246 Papst Innocenz IV. den Juden verleiht,
niemand solle künftig den Juden vorwerfen dürfen, dass sie
sich für ihren Kultus des Menschenbluts bedienen, da
ihnen das alte Testament die Anwendung jeglichen BluteB,
vom menschlichen ganz zu schweigen, verbiete, und da in
Fulda und mehreren anderen Orten viele Juden wegen eines
solchen Verdachts getötet worden seien. '^) Am 5. Juli 1247
teilt Papst Innocenz FV. allen Erzbischöfen und Igischöfen in
Deutschland mit, es seien bittere Klagen der deutschen
Juden an ihn gekommen, dass einige geistliche undweltr
liehe Fürsten und andere Vornehme und Mächtige
in den bischöflichen Städten und Sprengein gottlose
Pläne gegen die Juden schmieden, um sie in unge-
rechter Weise ihrer Habe zu berauben. Man besdiuldige sie
Äroniaa, Regesten Kar Geschichte der Jaden, S. 816, 232, 289.
Mathtas von Paris, Bd. 5* S. 89 and 519.
^
— 169 —
fälschlich, aie haben am OsterfeBte das Herz eineB getöteten
KnaboD gemeinsain yerzehrt, weil sie glanben, das Oeeets
schreibe dies Yor; ihr Gesetz befehle aber gerade das Gegen-
teil Femer yerdächtige man sie gleich des Mords, wenn
man rafallig irgendwo eine Lei che finde. Mit solchen MShrchen
wüte man gegen sie nnd beraube sie ohne Anklage, Geständnis
oder Ueberführnng ihres Eigentums nnd bedrficke sie dnrch
Hunger, Haft und andere Quälereien so sehr, dass die Juden
jetzt schlimmer daran seien lüs ihre Väter unter König
Pharao in Aegypten, und gezwungen seien, aus den Orten,
die sie und ihre Voreltern seit unvordenklicher Zeit
bewohnt haben, elend in die Verbannung zu ziehen«
Da nun der Papst nicht wolle, dass die Juden, deren Be>
kehrung der Herr in seiner Barmherzigkeit erwarte, unge-
recht geqaält werden, so befehle er den Bischöfen, sie
gegen derartige Angri£Ee der geistlichen Fürsten (Prälaten),
Vornehmen und Mächtigen mit allen Mitteln der Kirche zu
schätKen.'*) Man sieht daraus, es sind namentlich die Aebte
derdnrdi die zunehmende wirtschaftliche Macht der
Juden geschädigten Klöster, welche die Leiter und
Veranstalter der damaligen Judenhetze bilden, während
die bischöfliche Weltgeistlichkeit mit den Fürsten
unter Leitung Boms auf der Seite der Juden steht
Wie wenig Eindruck freilieh dieses Vorgehen der
Kirche bei der nun einmal herrschenden Missstimmung
weitester Beyölkerungsschichten macht, zeigen
zahlreiche Nachrichten. So berichtet aus dem Jahre 1250
eine Chronik, die Ton den Juden in Saragossa angenommene
schandliche Satzung, dass jeder, der ein Christenkind zur
Opferung abliefere, von allen Abgaben befreit und aller Schulden
ledig w^en soUe, sei bei dem Juden Moses in Albay-Huzet
(AllMyuoetto) befolgt worden, der im Juni 1250 den sieben-
jiümgen Dominikus del Val den Juden zur Kreuzigung
überliefert habe.^ So soll im gleichen Jahre zu Oraona
in Kastilien ein jüdischer Rabbiner in seinem Hause ein
Christenkind geopfert haben. '^) So wird im Jahre 1255 von
Lincoln in England berichtet, es sei vor dem Peter- und
Paolstage der ach^ährige heilige Hugo von den dortigen
Joden gestohlen, versteckt gehalten und später gekreuzigt
worden, wobei die Juden ihn solange mit Buthen geschlagen
liaben, bis er fast das ganze Blut verloren gehabt habe.
Neanzehn Juden wurden lungerichtet, siebzig andere ins 6e-
Sngnis gesetzt'^) So heisst es vom Jahre 1257, die Juden
^ AnmiDa, Begesten aar Geschichte der Jaden, 8. 242, 277.
") Acta tauet Bd. 6 des Aug., 8. 777—788.
*^ Hearr Deaportai, Le mvitere du taug. 8. 67.
"] Mathaoa rai Paria, Bd 6, 8. 89.
— 170 —
Ton London haben, um ihr Jahresopfer su begehen, ein
Christenkind geschlachtet Im Jahre 1260 werden die Jnden
in Weissenbnrg beschuldigt, einen Knaben getötet su
haben.**) Im Jahre 1263 1^ in Schwein fürt die eine der
beiden einander in der Stadt befehdenden Parteien
das Verschwinden eines siebenjährigen Mädchens den
Juden sor Last, so dass der Bfirgermeister nur mit Mfihe eine
Judenverfolgung yerhindert Man behauptete dann später,
die (Gegenpartei hBhe das Kind erschlagen«**) Im Jahre 1264
wird Ton Hersog Boleslaue von Polen auf Grund päpst-
licher Verordnung verboten, künftig die Juden ansuklagen,
dass sie sich des Menschenbluts bedienen, da ihnen ja
doch durch ihr eigenes Gesetz untersagt sei, Blut
zu vergiessen. Wolle ein Christ einen Juden anklagen, ein
Ghristenkind geschlachtet zu haben, so solle er die Anklage
vor einem Gerichtshofe von S christlichen und 3 jüdischen
Siebtem stellen müssen. Werde von diesem Gericht der
Jude schuldig befunden, so solle er nach dem Gesetz
bestraft werden, werde aber seine Unschuld nachgewiesen,
so solle den Ankläger diejenige Strafe treffen, welche dem
Schuldigen gebührt hätte. *^
Besonders stark tritt die Beschuldigung wegen
Bitualmords zur Zeit der grossen Judenkrawalle am
Ende des 13. Jahrhunderts hervor. So findet man unter
König Budolf von Habsburg in Bern die Leiche eines
erwürgten Kinds. Man bemächtigt sich einiger Jnden,
die auf der Folter gesteben, einen Kitualmord begangen
zu haben, worauf sie gerädert werden; die anderen
Juden entfliehen aus der Stadt und beschweren sich beim
Reichsgericht, worauf dieses die Stadt Bern auffordert,
die Juden ihre Freistätte ruhig geniessen zu
lassen. Bern weigert sich aber, worauf der König
deswegen gegen die Stadt zu Felde zieht, aber
stirbt, ohne dieselbe unterwerfen zu können, und erst nach
des Königs Tod kommt eine Uebereinkunft zwischen der
Stadt Bern und den Juden zu stände, nach der sie zu-
rückkehren dürfen, aber als Schadlosbaltung 1000 Mark an
die Stadtkammer und 500 Mark an die Kammer der Land-
vogtei Kyburg bezahlen müssen.*^ So soll am 1. Juli 1267
ein altes Weib in Pforzheim den dortigen Juden ein
elternloses siebenjähriges Mädchen zum Schlachten
verkauft haben. Die Juden, so meldet der betreffende
zeitgenössische Bericht, legen dasselbe auf Linnen, yer-
wundete es an fast allen Gelenken und pressten ihm das
^ AronioB, Regelten zur Oeeehichte der Jaden, 8. ns» 806 f.
'*) Depping, Joden im BfitteUüter, S. IM, 180 f.
— 171 —
Blat ans, das sie in dem Linnen sammeln, während sie
die Leiche mit Steinen beschwert in den Flnss werfen,
wo sie Fischer, durch die zum Himmel zeigende Hand des
Leichnams anftierksam geworden, nach drei Tagen finden.
Als der Markgraf von Baden kommt, nm nach der Sache
zusehen, welche zn einem Aafrnhr fbhrt, richtet sich
die Leiche auf nnd blntet wieder. Die kleine Tochter des
Weibs yerr&t die Sache, weil Kinder nnd Tmnkene die
Wahrheit sagen, worauf die jüdischen Mörder gerädert
and mit der Alten gehängt werden, nachdem sich zwei
derselben vorher gegenseitig erwfirgt hatten, nm den
Schmerzen der Badstrafe zn entgehen. Am 3. Ajml 1279
heisst es weiter, haben die angesehensten Juden von London
ein Christenkind gebrenzigt; sie werden des Verbrechens fiber-
föhrt und gehängt'^) Ebenso soUen in North amp ton die
Joden ein Uhristenkmd unter Qualen gekreuzigt'*) nnd im
Jahre 1382 soll in München ein im Vermfe stehendes Weib
dea Juden einen Knaben verkanft nnd diese ihn am ganzen
Körper zerstochen haben, wie auch im gleichen Jahre in
Mainz ein Kind dmrch seine Amme den dortigen Jnden
aberliefert und von ihnen umgebracht worden sein soll. Auch
im Jahre 1286 sollen in München die Juden ein Kind ge-
opfert haben. Das entrüstete Volk warf in das Haus der Mörder
den Feuerbrand. ^^) Ferner wird Yom Jahre 1286 erzahlt,
dass damals in München die Juden zwei Knaben gemartert
baben, worüber das Volk so sehr in Wut geraten sei, dass es
180 Juden, welche in die hölzerne Synagoge znsammenge-
sperrt waren, durch ringsum angelegtes Feuer verbrannt habe.
Im gleichen Jahre soll im Apnl in Oberwesel am Bhein
der vierzehnjährige heilige Werner von Juden drei Tage hin-
durch langsam zu Tode gemartert worden sein.^')
Am schlimmsten freilich geht es in der Schweiz gegen
die Juden los. Im Jahre 1287 wird den Juden in Bern
yorgeworfen, sie haben zu Ostern den heiligen Budolf geraubt,
ibn forchtbare Qualen erdulden lassen und dem Kinde endlich
den Hals abgeschnitten. Die Hauptschuldigen wurden ge-
rädert, ihre Mithelfer ausgetrieben. Der Rat der Stadt beschloss
ans diesem Anlass, künftig keinen Juden mehr in seinen
Mauern zu dulden.*^ Ebenso wird im Jahre 1289 von einem
ritaellen Morde in Schwaben erzählt, wie auch im Jahre 1292
iB Konstanz und Golmar Knaben aus iUmlichen Gründen
gemordet worden sein sollen.^*) Im Jahre 1293 wird von den
*^ Aronius, Bansten rar OeBchichte der Juden, 8. 806 f.
*^ Floient de woroester, Chron. 222.
^ Baden», Bavaria sancta, B<L 2> 8. 815.
*^ Monum. Germ, biet, 17, 77.
Morer, Helvetia aanta.
Besportes, Le myitto du Bang, 8. 70.
— 172 —
Juden von Krems berichtet, sie haben ein Kind gemordet, das
Yon Brunn fortgeschleppt worden war^^), und im Jahre 1294
wird wiederholt ein ritneller Mord ans Bern gemeldet^*) Ebenso
erregt ist das Volk gegen die Juden in Zflrich, wo es
im Jahre 1294 in drohendem Aufruhr gegen den Bat das
Blut der Juden fordert, als der Rat gegen Bezahlimg
einer Busse yon 500 Gulden der Judengemeinde die
Auswanderung und das sichere Geleite aus der
Stadt zusichert So werden auch in Schaffhausen and
Winterthur zusammen 38 Juden wegen Ähnlicher Vor-
fälle auf Scheiterhaufen verbrannt, w&hrend der Best der
dortigen Jndengemeinden aus der ungastlich gewordenen
Schweiz entflieht. Besser gelingt es dem Bäte von Luzern,
die Bewegung zu unterdrücken, indem er jede Beschul-
digung der Juden, wie dass sie Kinder kreuzigen und
andere Ähnliche Beleidigungen derselben, mit schwerer
Strafe bedroht, w&hrend es in Dissenhofen am Bhein
ebenfalls zu Hinrichtungen kommt, indem ein wegen Kinds-
mords Verurteilter angibt, dass der Jude Michael ihm
S Gulden fQr das Blut eines Christenkinds geboten habe,
worauf der Jude zum Scheiterhaufen und zum Rade yer-
urteilt wird.^^) Im Jahre 1302 wird ansBemken in Deutsefa-
land ein ritueller Mord gemeldet^*) Im Jahre 1303 wird Ton
den Juden zu Weissensee in Thüringen berichtet, sie haben
an Ostern den Schüler Konrad, nachdem sie ihm die Muskeln
zerschnitten und die Venen geöffnet hatten, um ihm alles Blut
zu entziehen, getötet und den Leichnam in einem Weinberg
aufgehängt Die Soldaten unter Führung Friedrichs, des
Sohnes des Landgrafen Albert von Thüringen, legen mit den
Bürgern der Stadt Hand an die Schuldigen. Im Jahre 1305
sollen die Juden in Prag gegen Ostern einen Christen, der
durch Armut gezwungen ihnen dienen musste, nackt auf ein
Kreuz genagelt, ihn mit Buten geschlagen und ihm ins
Gesicht gespieen haben, weeshalb sie von den entrüsteten
Bewohnern erschlagen werden. Im Jahre 1320 wird in
Pui ein Chorknabe der dortigen Kirche durch einen Juden
gemordet Im Jahre 1321 töten in Annecy die Juden
einen jungen Geistlichen und werden infolge dessen durdi
ein Dekret König Philipps V. aus der Stadt yertrieben. Im
Jahre 1331 werfen zu Ueberlingen am Bodensee die Juden
den Knaben eines Bürgers namens Frey in einen Brunnen.
Die später am Leichnam gefundenen Einschnitte liessen auf
eine vorhergegangene Entziehung des Blutes schliessen und
das Obergericbt liess an den Urhebern des Verbrechens, ohne
^) Monnm. Oerm. hist, 11, 658.
^ Depping, Jaden im Mittelmlter, S. 181.
^ Annal. Colmsr., Bd. 8, 8. 82.
— 173 —
erst die ZostimmuDg des Kaisers, dessen Wohlwollen
gegenüber den Jaden bekannt war, abzuwarten, sofort das
Todesurteil Yollstrecken. Im Jahre 1338 fallt ein fräuldscher
fidehnann in München den Juden zum Opfer, welche ihn ge-
schachtet haben sollten, wesshalb sein Bruder unter den Juden
ein grosses Blutbad anrichtet Im Jahre 1346 wird erzählt,
die Juden in München haben sich eines kleinen Knaben
namens Heinrich bemächtigt, ihm die Venen geöffnet und
ilm mit mehr als 60 Stichen durchbohrt Im Jahre 1347
sollen die Juden von Messina am Charfreitag ein Kind
gekreuzigt haben/*^ Man sieht, an Beispielen Ar Ritual-
morde fehlt es nicht, aber die Frage ist eben nur, wie weit
diese Beispiele Glaubenswürdigkeit haben.
8. Das Pfandreelit der Juden.
ft. Dl« Jttloiiolivldaa dm dratiolitii OnndlMiilMr.
Wir haben gesehen, wie seit den ältesten Zeiten die
Juden das wirtschaftliche Leben der europäischen
Völker durch nahezu YÖllige Beherrschung des inter-
nationalen flandelsverkehrs und des Edelmetall*
markte in Händen haben. Wie lange die Juden diese
Stellung zu behaupten wussten, ist aus den uns überlieferten
Nachriditen deutlich ersichtlich. Noch zur Blütezeit der
Märkte der Champagne im 13. Jahrhundert treiben die
Juden nicht nur Geldgeschäfte, sondern auch den leb-
haftesten Handel mit Goldschmiedwaren, Alaun,
Pfeffer, Kermes, Leder und anderen Dingen und audi
in Deutschland wie in den Donauländern ist dieses
Verhältnis dasselbe. So meldet der Levite Judas, Sohn des
David und der Sephora, aus Köln, der im Jahre 1128 zum
Chiistentum übertritt und den Namen Hermann erhält,
in seiner Lebensbeschreibung, wie er schon vor 20 Jahren
mit allerlei Waren aus Köln nach Mainz gezogen sei, denn
alle Juden liegen dem Handel ob, weil sie nur
durch Handel ihr Leben fristen können.^) So ver-
kauft im Jahre 1313 der Jude Fantin von Bar an der Aube
Leder an das Kloster Clairveaux.') Neben dem Warenhandd
aber treiben die Juden seit den ältesten Zeiten die gross-
artigsten Geldgeschäfte, vor allem das Pfandgeschäft,
und seit den ältesten 2jeiten haben sich feste Gewohnheiten
for die Darlehensgeschäfte der Juden ausgebildet, indem
Bie stets ein Pfand vom doppelten Werte des Darlehens
^^ Die Jaden und das ChristeDblut, Leipzig, Oermanikus.
2 Arooioa, Remten zur Qesehiehte der JodeiL 8. 108.
*) Bomqnelot, Les foires de la Obampagne, Bd. 2, 8. 156.
— 174 —
nehmen, wobei sehr ofk ganz nach heutiger Jadenge-
wohnheit derartige Warenliefernngsgeschäfte mit
Darlehensgeschäften rerbnnden werden.
In welche schlimme Abhängigkeit schon seit dem 12. Jahr-
hnndert die Ffirsten wie die grossen geistlichen Herr-
schaften Ton den Jnden gekommen warra, zeigen ans
eine Reihe Yon Nachrichten. Die Gelegenheit, die einzelnen
Landesherrschaften in GeldTerlegenheit za verwickeln nnd
sie dadaroh zar Anfiiahme yon Staats an lehen \m den
Jaden za zwingen, boten auch damals wie immer, seit die
Welt besteht, die Kriege derselben. Frieden ernährt,
Unfrieden yerzehrt Eriegskosten, Militärlasten, Löse-
gelder sind die grossen Blatsaager am Marke des Volkswohl-
stauds Ton jeher gewesen. Beispiele dafür mögen reden: Als
im Jahre 1107 der Herzog Swatoplok von Böhmen Ton
König Heinrich V. gegen ein Lösegeld von 10,000 Mark Silber
aas der Oe&ngenschalb entlassen wird, besteaert er zor Aof-
bringang der Snmme die Kirchenstifter nnd die Stadtgemeinden
derart, dass in den Städten die Fraaen ihre Sdunacksachen
Yerkanfen müssen, bringt aber nor 7000 Mark zusammen,
so dass wiederholte Steaeramlagen stattfinden. Das Bistam
Prag mass desshalb 70 Mark Gold bezahlen und verpfimdet
6 kostbare Kirchenmäntel für 600 Mark Silber an die
Regensbnrger Juden; Geistliche, Laien, Jaden, Kaofleate,
Mfinzer und Graakler müssen beisteaem.') Am 14. Mai 1224
müssen nach einem Turnier zu Friesach in Steiennaik
die gefangenen Ritter sich zu den Juden begeben, um
durch kostbare Pfänder sich Lösegeld zu rersdiaffen.
Man sieht daraus, wie der unnötige I^nk und Aufwand,
namentlich aber der mit Glücksspielen verbundene Turnier-
sport die Edelleute damals in die Hände der Juden bradite.*)
Wie tief damals nachgerade die Landesherren una
Edelleute in den Taschen die Juden stecktm, zeigen
denn auch viele Nachrichten. Im Jahre 1906 sdiuldet die
Herrschaft Broyes den Juden 1440 Pfd.; im Jahre 1290
schuldet die Herrschaft Trainel den Juden 1323 Pfd«; im
Jahre 1222 schuldet der Gra&chaft Champagne den Juden
5600 Pfd.; im Jahre 1281 schuldet die Herrschaft Duilly
den Juden 246 Pfd.; im Jahre 1242 schuldet die Henv
Schaft Ghappes den Juden 166 Pfd.^) Um das Jahr 1270
yerpfilndet Albert Rappsilber dem Nikolaus Rappsilber sein
Erbe in Rostock für 17 Mark. Die 17 Mark, welche Albert
dem Nikolaus zahlen sollte, soll er in drei Baten an den
Juden Sele bezahlen, zu Ostern 7 Mark, zu Johannis dem
Täufer 5, zu Michaelis 6 Mark.")
•) Aronios, Becetleii mr OeteUehta der Jaden, S. 99. 18S, 814 f.
«) BomqMloi, Im foires da la Ghttnpegne, Bd. 2, 8. ue.
— 176 —
Nicsht besser als bei den weltlichen Grundhenren sieht
es freilich bei den geistlichen Grundherren, den Bi-
schöfen nnd Klosteräbten, ans. So beschuldigt am
29. Juli 1099 Papst Clemens IIL den Erzbischof Ruthud von
Mainz, einen der Speirer Kirche gehörigen goldenen
Kelch Yon den Juden erhalten und diesen nach Ableaguung
des wirklichen Thatbeetands erst herausgegeben zu ^bon,
nachdem er der That überfuhrt worden sei. So wird im
Jahre 1160 nach dem Tode des Erzbischots Arnold von
Mainz der Domschatz beraubt Den einen Teil nimmt das
Reich an sich, der zweite Teil wird gestohlen, der dritte
und letzte Teil aber den Juden verpfändet^)
Welche Machtstellung die Juden namentlich der
Geistlichkeit gegenüber sich durch ihre wirtschaftliche Ueber«'
macht angeeignet haben, erhellt z. B. aus der Naduricht, dass
als im Jahre 1206 der Erzbischof Albrecht von Magdeburg
auf Besuch in Rom ist und feierlich von der dortigen
Judengemeinde empfangen wird, er in seiner Judenfreund*
lichkeit das jüdische Gesetzbuch küsst So bestimmt im
Jahre 1213 der Bischof Leothold von Basel von dem Gelde, das
Graf Rudolf von Homberg dem Bistum für die Ueberlassung
der Einkünfte der Schutzvogtei über die Stadt Basel zahlt,
6 Mark zur Aaslösung des dem Juden Willious ver*
pfändeten Bischofsrings und Seidengewands. Die
Anzahl von Klöstern und Bischo&kapiteln, welche damals den
Joden Geld schuldig sind, dürfte denn auch nahezu genau
so gross gewesen sein, als die Zahl der bestehenden Stifter
überhaupt war. So schuldet im Jahre 1201 das Kloster
Saint Bemi von Sens den grossen Champagneijuden Muiasse
Noir und Valin 4000 Pfd. So schuldet im Jahre 1207 das
Benignuskloster in Dijon den Juden 1700 Pfd.*) So hat um
das JiJur 1215 das seit der Zeit der Aebte liCuthold und
Gottfried sehr zurückgekommene Kloster zum St Leonhard
ein Hissale, die Moralia Jobs und Heimos, ein vergoldetes
Kreuz und 2 Leuchter, 2 Altargewänder, 3 Gewänder
nnd ein Messgewand fttr 5 Mark bei den Juden in Ehn-
heim, und einen Kelch, SMessgewinder und 4 Bücher
bei den Juden in Rosheim für 9 Pfund und 30 Denare
verpiandet^) Im Jahre 1217 verkauft der sehr verschuldete
Propst Dietrich von Lauterberg dem Grafen Friedrich von
Brena bei Magdeburg (?) 24 Bauerngüter, welche dieser dem
Kloster früher verkauft hatte , zurUck unter der Bedingung, dass
die Grafschaft dafür eine Sdiuld von 200 Mark übernehme,
die der Propst ohne Wissen der Brüder b«i den Juden
P Aronhif, Begesten zur Oesdiichte der Joden, 8. 95, 125, 166,
178 £, 191.
*) Bonrqelot, Let foirei de la Champagne, Bd. S, 8. 159.
— 174 —
angenommen hatte, und den Best auf andare Weise zaUa^
Am 26. März 1343 werden die Einkünfte der PrSbende des
Propstes Heinrich von St. Stephan sn Mainz dem Kapitel
dieser Kirche zugesprochen, das sie aber auf eigene Kosten
erst Yon den Juden auslösen muss^, an welche sie der Ptopst
rerpfiuidet hatte. Am 26. Novembcor 1243 weist der Buti^er
(Schalk) Marquard von Nürnberg von dem Gelde, das er
Yon dem erw^ten Bischof Heinrich von Bamberg zu fordern
hat, den Juden von Schwein fürt 50 Mark Silber an. Am
17. September 1246 beklagt sich Papst Innocenz lY. bei der
Geistlichkeit von Böhmen, Polen, Russland, Preussen,
Kassubien undPommern, dass die Predigermönche yod
ihren Wohnungen Abgaben an die Juden bezahlen müssen. Um
das Jahr 1260 rerkauft der Propst Dietrich von Marchthal
einige Güter, um die Klosterschulden zu bezahlen, da es besBer
sei, weniger im Frieden zu besitzen, als bei grossem Besitie
sich Yon den Gläubigem drängen lassen zu müssen; denn wer
bei den jetzigen masslosen Zinsen in die Hände der
Juden falle, der brauche vieL Um das Jahr 1%0
Terpfandet das Kloster Herren alb zur Bezahlung der
Steuer an die GrafiM^aft Vaihingen den Kirchenornat
für 4Vt Mark bei den Juden. Am 10. Juli 1260 verkaufen
die Brüder von Scheftlarn dem Kloster Beiharting ihren
Hof in Thal um 12 Pfd., für die sie, um die Steuern an
Herzog Otto von Bayern zu zahlen, Stücke aus dem Kirchen-
schatze den Juden verpfändet haben. Im Jahre 1253
verkauft das Kloster Michelsberg bei Bamberg dem Kloster
Michelfeld zwei Höfe für 20 Mark Bamberger Geld und
Gewicht, da sie einen Kirchenornat nidit aus eigenen
Mitteln einlösen können, den sie aus Not gegen Lieferung von
Getreide den Juden gegen Zins versetzt haben. Am
18. Februar 1267 wird ein Streit zwischen den beiden Kam-
mergrafen des Herzogs von Oesterreich, den Juden-
brüdern Lublin und Nekelo, und dem Bischof Konrad von
Freising wegen 16 Lehensgütem in Urleugesdorf derart be-
endigt, dass durch Schiedsspruch die beiden Juden alle An-
sprüche verlieren, wenn sie dem Bischof nicht bis zum 26. Juli
200 Mark Silber Wienerisch zahlen. Odilen sie es, so sollen
sie den Niessbrauch haben und der Bischof Bürge für die
Herrschaft Polendorf wegen der GMdsnmme sein, die diese
Herrschaft dem Hadmar von Kuenring auf dessen 16 Güter
geliehen hat, nämlich für 14 Mark Gold und Silbergeräte
im Werte von 80 Mark und 60 Pfd. Rgsb. Groschen.^ Am
80. August 1267 nimmt das Kloster Prüfling bei Regens-
burg von schwerer Not bedrängt bei dem B^ensburger
*) Aronina, Rmsten sor Gesdiichte der Jaden, 8. 281, 282, 288»
240 f., 264, 268| 266«
— 177 —
Bärger Alhard 100 Pfd. auf, um die Pfänder der Kirche
bei den Juden auszulösen und sich andere Vorteile sbu
Terschaffen. Am 14. Februard 1259 nimmt das Neustift in
Freising bei dem Juden Wölfiin, 20 Pfd. Münchner Pfg.
gegen Zinsen auf. In den Jahren 1260 — 1262 bezahlt der
Bischof Albert II. von Regensburg unter anderen Kirchen-
schulden 100 Pfd bei dem Juden Aron. Am 6. April 1261
überträgt der Bischof Meinrad von Halb er Stadt der Graf*
fichaft Regenstein zur Bezahlung der Schulden, welche die
Gra&chaft bei den Juden zu Quedlinburg unter Bürgschafts-
leistung des Bistums gemacht hatte, die Erträgnisse der
Amtmannschaft Neindorf. Am 29. Mai 1262 verkauft das Kloster
Marbach an den Bürger Heinrich Tanz zu Basel aus Not
einige Weinberge für 45 Mark Silber, da es durch die lau-
fenden Zinsen bei den Juden schwer leidet Am 4. De-
zember 1263 verkauft Rudolf von Strätlingen der Marien-
kirche zu Interlaken einige Güter und Redite für 21 Mark,
womit er die Juden bezahlt Im Jahre 1264 verkauft Kune-
mnod von Sonnenberg, um. seinen Bruder, den Erzdiakon
nnd Schatzmeister Arnold am Bamberger Domkapitel, aus
den Händen der Juden zu befreien, seine Oüter in Dabers-
mannsdorf für 50 Pfd. Bambcorger Denare an das Kloster
Langheim. Im Jahre 1264 befreit der Propst Gerold von
Reichesperg, soweit er kann, die Kirche und Weinberge
von den Quälereien der Juden und Christen, legt aber dann
sein Amt nieder, weil er die Arbeit nicht mehr tragen kann.
Am 12. Juli 1265 schliesst der Bischof Leo von Regensburg
einen Vergleich mit dem Herzog Heinrich von Bayern, nach
welchem Bayern auf alle Ansprüche an die 700 Pfd. Begens-
bnrger Denare verzichtet, welche es als Ersatz für rückständige
Zinsen (den Schaden) des Bischofs Albert bei den Regens-
biurger Juden zu fordern hatte, wogegen es ein Lehen erhält
Am 5. Januar 1266 verkauft der Abt Hermann in Seligen-
Stadt wegen der unerträglichen Schuldenlast seines
Klosters und wegen der zu zahlenden Jiidenzinsen ge-
wisse Güter.»)
Was gerade die Klöster und Stifter damals im
Unterschiede zur Weltgeistlichkeit so sehr gegen die
Joden Schaft aufbringt, ist die Thatsache, dass es den
Juden fortwährend in zunehmendem Masse gelingt, eine
Menge von Häusern, Höfen und anderen Liegenschaften
in i&en Besitz zu bringen, welche seither den Klöstern Ein-
künfte gewährt hatten. Am 30. November 1215 beschliesst
denn Bxndk das vierte lateranische Konzil, um den zunehmenden
Schäden abzuhelfen, eine neue allgemeine Judenordnung
^ Aronios, Regeetpn zur Geschichte der Jadeo, S. 269, 285, 280, 295
m, ä92, 288 K, «b, 284.
12
— 178 —
Dieselbe bestimint: 1. Je mehr die Christen durdi ihre
Religion vom Zinshandel (asnra) bei Geldgeschäften
ssnrfickgehalten werden, um so mehr widmen sich die Juden
diesem Geschäftszweige nud sangen dabei die Christen in kuier
Zeit ans. Um desshidb die Christen gegen diese Bedrückung
durch die Juden zu schützen, sollen in Znknnft alle
Juden, wekhe unter irgend einem Vorwande übertrieben
hohe Zinsen erpressen, von allem geschäftlichen Ver-
kehr mit Christen ausgeschlossen werden, bis sie die
betreffenden Christen entschädigt haben. Christen, welche
sich weigern, dem Geschäftsverkehr mit den Juden
zn entsagen, sollen im Notfalle hiezu durch Kirchen-
strafen gezwungen werden. Die gleiche Strafe des Aos-
schlusscs Tom Geschäftsverkehr mit Christen soll jeden Juden
treffen, der sich weigert, eine Kirche für Zehnten und
Spenden zu entschädigen, welche sie seither von den
Christen aus Häusern u. s. w. bezogen hatte, ehe dieselben
in die Hände der Jnden gerieten. Man sieht, die geist-
lichen Stifter werden dadurch empfindlich in ihren Er-
trägnissen geschädigt, dass eine zunehmende Anzahl von
Hänseru und Hofgüteru, welche seither christlichen
Familien gehört nud im Schutze dieser Stifter gestanden
hatten, durch die Auswucherung ihrer Besitzer in die Hände
Ton Juden und damit in die Steuerpflicht anderer
Herrschaften, in der Regd der Beichsgewalt, übergehen;
wesshalb auch der ernste Wunsch, welchen der beträfende
päpstliche Erlass am Schlüsse ausspricht, es werde von den
Fürsten wohl erwartet werden dürfen, dass sie in dieser
Sache nicht den Jnden helfen, sondern den Christen
gegen ihre jüdischen Bedrücker beistehen, wohl
berechtigt erschien. So überträgt z. B. am SO. Juli 1269
das Kloster Andreasberg bei Worms der dortigen Audreas-
kirche ein Klagrecht gegen die dortigen Juden, das
daher rührt, dass die Juden einige Häuser des Kloster-
gebietB an sich gebracht, diese zur Erweiterung ihre
Friedhofs abgebrochen und dadurch dem Kloster die
Einkünfte der betreffenden Häuser entzogen haben. So
wird am 9. Februar 1267 im Ensbistum Gnesen-Polen
bestimmt, die Juden sollen dem Priester des Bezirks, in
dem sie wohnen, dafür, dass sie den Platz wegnehmen,
den eigentlich Christen bewohnen sollten, gemäss der
Grösse des Schadens, den sie dadurch verursachen, auf
Grund eines bischöflichen Spruchs alle Einkünfte ersetzen.')
Die betreffenden Häuser hatten also so lange, als sie von
Christen bewohnt waren, dem betreffenden Kloster einen
*) AronluB, Begetten zur Geschichte der Juden, S. 174 f., 808» 810.
— 179 —
Zins besahlt und dieser Zins war durch den Uebergang der
Hänser in den Besitz der Juden Ton diesen nicht melu' bezahlt
worden, während das Kloster behauptete, ein Recht auf den
Bezug dieses Zinses auch durch die Juden zu haben. Man
sieht, es ist der Kampf gegen die Steuervorrechte der
Juden, der hier seinen Anfang ninunt So yereinen sich am
23. November 1263 das Stift in Xanten und sämtliche Stifts-
kirchen der Stadt und Diözese Köln zu gegenseitigem
Schutz und Beistand gegen alle Oewalttibätigkeiten. Die
Bosheit und Frechheit der Bösewichter sei so gestiegen, dass,
wenn man ihr nicht entgegentrete, die Geistlidien bald
schlimmer daran sein werden als die Edelknechte und die
Juden.»^
Wodurch die geistlichen Pralaturen in derartige Ab-
hängigkeit von den Juden geraten waren, ist freilich aus
zahlreichen Nachrichten ersichtlich. So flächtet im Jahre 1248
der Abt Heinrich von Ebersheim aus Furcht vor König
Friedrich IL von Hohenstaufen nach Strassburg und ver-
schwendet dort durch prächtiges Leben das Kloster-
vermögen. Nadbdem das Baarvermögen erschöpft ist, ver-
pfändet er einige Höfe und den Kirchenschmuck an die
dortigen Juden. Da die landesherrlichen Schutzvögte
dieser Prälaten fortwährend Gteld zu ihren Kriegszügen
imd Fehden, zu ihren prunkvollen Turnieren und Ge-
richtstagen bedürfen, werden die geistlichen Stifter bei jeder
Gelegenheit geschröpft und gebrandschatzt, so dass sie allmäh-
lich immer mehr verarmen. Am 5. März 1257 ist das Kloster
Michelsberg bei Bamberg durch häufige Beraubungen in
solche Not geraten, dass es, um seine Mönche unterhalten zu
können, den Juden ein Buch in vergoldetem Einband und
anderen Kirchenschmuck hat verpfänden müssen und
zwar solange, dass, da die Zinsen immer zum Kapital ge-
schlagen vnirden, die Juden vom Gericht die Erlaubnis
erhielten, die PfiLnder zu verkaufen. Abt und Kämmerer regeln
desshalb die Einnahmen und Ausgaben des Klosters und be-
stimmen, dass der Kämmerer zunächst von dem Juden Joseph
den Kirchenschmuck für 62 Mark Silber und die Zinsen
im Betrag von 15'/t Mark einlöse und die verkauften Bflcher
wieder herbeischaffion solle. '^)
Ganz ähnliche Verhältnisse wie an diesen Orten finden
vir in Ulm. Auch hier sehen wir seit der Mitte des 13. Jahr-
hunderts die Aebte von Reichen au am Bodensee, die seit-
herigen Stadtherren und Inhaber des Patronatsrecht auf die
Schutsvogtei der Stadt vor den Verfolgungen, der flohen-
Btaufen sich nach Ulm flüchten und dort ein heiteres Leben
*^ AxonioB, B«gef|Bn zur GMchiehte der Juden, S. 196, 264, 286.
12 •
— 180 —
führen, so dass eine Gülte um die andere darauf geht!
Felix Fabri meldet, dass um jene Zeit die ülmer sich be-
strebt haben, sich von der Herrschaft des Abts von Beichenan
fireizumachen, und dass ihnen der benachbarte Adel, offen-
bar unter Ftthrung des Schutzvogtes der Stadt, des Grafen
Ton Dillingen, damals bei diesem Bestreben nach Kräften
beigestanden sei, wie auch zahlreiche Adelige der Umgegend
damals in Ulm dauernd ihren Wohnsitz genommen haben.
Das Mittel, welches die Ulmer Borger bei ihrem Beginnen
anwendeten , habe darin bestanden , dass sie den Abt als
Stadtherrn (und Inhaber der Zölle und des G^leitswesens
der Stadt) zu hohen Ausgaben zwangen, indem sie
von demselben verlangten, dass er die Kosten ftr die
800 Speerreiter bezahle, zu deren Leistung er ^Is Geleits-
herr und Zollinhaber) verpflichtet war. Diese opeerreiter,
welche sich aus dem Landadel der Umgegend rekrutierten,
lebten dann in Ulm auf Kosten des Abts, so lange es
den Ulm er n geflel, so dass die Ausgaben des Abts ins
Ungemessene wuchsen und die Zollerträgnisse nicht mehr
ausreichten, um die Kosten der Geleitsreiterei zu
decken.*')
Diese Erzählung Felix Fabris findet ihre Bestätigung
und innere Wahrscheinlichkeit einmal durch eine
weitere Nachricht, nach welcher im 15. Jahrhundert die
Stadt als Inhaberin der Zölle und Geleite der Um-
gegend genötigt war, zur Sicherung des Geleits gegen
den Herzog Georg von Bayern 500 Speerreiter
zu unterhalten, und dann dadurch, dass im Jahre 1255 ge-
legentlich eines schon erwähnten Vertrags der Stadt mit
ihrem damaligen Herrn und Schutzvogt (dominus et ad-
vocatus), dem Grafen Albert von Dillingen, festgesetzt
wird, dass von den Gerichtsgebühren der Schutzvogt
ein Drittel, der Stadtamtmann (minister civium, Beichs-
schultheiss) aber zwei Drittel erhalten solle, w&hrend
100 Jahre fi-üher der Stadtamtmann nur ein Drittel und
Reichenaudas andere Drittel bezogen hatte. Daraus geht
zweifellos hervor, einmal, dass damals der Abt vonBeichenan
sein Herrendrittel an den Ulmer Steuererträgen
nicht mehr selbst bezieht, sondern dass dessen Anteil
der Ulmer Stadtgemeinde zufliesst, der es ohne
Zweifel, wie dies damals fast flberall geschah, ver-
pfändet worden war. Eine weitere Bestätigung findet
diese Nachricht aber durch ein Klagelied des am
22. Juni 1255 verstorbenen Abts Konrad von Zimmern
von Keichenau, in welchem derselbe nach Beklagang
") Veeieii]ii«7er, Tractatos FeUcii Fabri, 8. 27, 187 f.
— 181 —
des mancherlei Schadens und der vielen Leiden,
welche das Kloster in dem voransgegangenen Streit
zwischen Kaiser Friedrich IL nnd Papst innocenz IV.
Babe erdulden mfissen, in die Worte aasbricht:
Haec sunt, sed plora, laedente te tarnen illa
Maxime et nrbs Ulma, tna qnondam regia yilla.^')
Abo was der Abt am meisten bddagte, ist der Verlust der
einst dem Kloster gehörigen Einkünfte des befestigten
Reichsweilers Ulm. Reichenan hatte in der Hohen*
stanfenzeit zn der pästlichen Partei gehalten nnd infolge
dessen sich schweren Drangsalen ausgesetzt Im Jahre 1219
hatte dieser Kampf zwischen Kaiser Friedrich IL nnd den
P&psten begonnen nnd seither Jahrzehnte lang weiter gedauert,
namentlich wnrden Schwaben nnd Bayern im Jahre 1238
durch den Krieg König Heinrichs VIL mit Herzog Otto IV.
Ton Bayern bedrängt nnd yerwüstet. Im Jahre 1239 blüht
der Dominikanerorden mit seiner scharfen Spitze gegen
die Judenschaft auf nnd zahlreiche Benediktiner, denen
es in den üppigen, judendienerischen, von einem yer-
konunmenen Feudaladel bevölkerten Stiftern des heiligen
Benedikt nicht mehr gefallt, treten sofort in den Dominikaner-
Orden über; in den Benediktinerklöstem sind zwei Parteien
nnd zweierlei Aebte, ein 6hi belline nnd eine Weife; Zucht,
Ordnung and Wohlstand gehen zu Grunde. Im Jahre 1245
mi Kaiser Friedrich IL gebannt nnd rom Konzil zu Lyon
abgesetzt und ein neuer schwerer Krieg entsteht infolge
dessen im Reiche. Wohl tritt der rerschuldete Landadel und
das Stadtcrjunkertum immer mehr auf die Seite der Hohen-
staufen, aber die weifischen Dominikaner sind stärker
pnd auch in den Benediktinerklöstern siegt die weifische
judeofeindliche Richtung, was freilich die härtesten Verfolgungen
dieser Stifter durch die Ghibellinen zur Folge hat So wird
z.B. das Kloster Zwief alten im Jahre 1246 yon dem kaiser-
lich gesinnten Landadel der Nachbarschaft ausgeplündert und
Terwistet, weil es zum Papste hält nnd erst im Jahre 1249
mit Unterstützung König Wilhelms yon Holland neu er-
baut^*), auch das Kloster Reichenan selbst wird Ton den
umliegenden Städten der Seegegend hart bedrängt, wozu ein
sweimaligee Brandunglück kommt, so dass der äussere
Wohlstand des Klosters einen bedeutenden Stoss erleidet Die
Zeiten, wo das Kloster 60—60,000 Gulden jährlich einge-
nommen nnd 400 Mönche und Zöglinge in seinen Mauern
") Mone. QuelleDsammlang der Baditchen LandeBgeachichte, Bd. 8,
8. 199. SttliD, Wirtpmb. Geschichte, Bd 2, 8. aiil. ScbOnhut, GhronU^
^ Bflicheoan, 8. 182 ff. Urkunde von 1297 bei Kaiser, die Bricha^
boediktinerabtei Elchhigen, Zeitschrift fttr Bayern 1817, Bd. 2, 8. 869.
n«SMl in den Yerh. des Verein flir Kunst und Altertum 1889. Hft 1, 8. L
^ Hollherr, Geschichte des Klosters Zwiefiüten, 8. 48 ff.
— 182 —
gehabt hatte, waren Y<Mrbei und die Armvi halte ihren Emmg
in das Kloster gehalten. Daher jammert Abt Konrad:
Los tibi papalis, quo dqMsait Fiidericnm,
His oonjoucta malis, nolnit snper hoc inimicom
Et oontemptorem fid^ sacrae riolentom
Beddere oommissnm sibi, dam negat ipee talentom.'' ^^)
Diees war denn anch die Zeit, in welcher die Ulmer
den Hanptschlag gegen die Herrschaft des Abts von
Reichenan in ihm Stadt ausübten nnd den ersten Sduitt
sor Reichsnnmittelbarkeit dadurch YoUzogen, dass sie
sich, wohl mit Hilfe der Ulmer Jadengemeinde, in den
Pfandschaftsbesitz der Steuererträgnisse nnd Ge-
fälle der Ubner Stadtgemeinde setzten, zu denen jeden&Us
auch die Stonererträgnisse der Ulmer Judengemeinde
gehörton. Die Ubner, meldet Felix Fabri, thaton damals
so manches, was nach Gesetz und Recht nicht hätte
sein sollen, und die Mönche hatten wohl das Recht auf
ihrer Seite, aber sie vernachlässigten dasselbe and
waren mit Blindheit geschlagen und erst als sie ihre
Oflter und Rechte yerloren hatten, giengen ihnen die
Augen auf. So kam es denn auch, dass das Kloster
schliesslich sogar — im Jahre 1846 — seinen (seither nur
verpfändeten) Elosterhof den Bürgern verkaufen
musste, welche aus dem Zwinger des Elosterhofs
einen öffentlichen Platz, den „Grfinhof, machten
und dort den Oel« und Eornmarkt einrichteten, während
der grosse Zehntstadel des Elosterhofs zur Bflrger-
zeche oder Trinkstube umgebaut wurde. Dort auf
dem Orflnhofe blieb denn auch der Wochen markt bis
zur Vergrösserung der Stedt (im Jahre 1886^'^).
In den verschiedensten Gegenden des Reichs finden
damals derartige Aufnahmen von „Burgen^, d. h. von
mit einer meist sehr geringen Anzahl von Familien oder
„Bürgern^ besetzten befestigten Wohnplätzen, in den un-
mittelbaren Reichsschutz statt; die Folge ist, dass die-
selben künftig keinem Land esffirsten mehr unterstehen,
sondern ihren Schutzvogt unmittelbar vom deutschen Eönig,
dass sie statt des seitherigen bischöflichen oder abteilichen
Burggrafen den Reichslandsvogt des betreffenden
Bezirks als Gerichtsherrn erhalten. So nimmt im
Jahre 1218 Eaiser Friedrich U. den Schultheissen , die
Ratgeber und Bürger der Burg Bern in Burgund
in seine und des Reichs Gewalt und deren Schutz auf,
macht die Burg und die Bürger daselbst und ihre Nach-
kommen auf ewig frei und befreit sie von allen Zinsen.
»*) Stiliii, Wirtembeigiache Geschichte, Bd. 2, S. 201.
'*) Veeaanmeyer, Tnustatiu Felicis Fshri, 8. 24.
— 188 —
die sie seither zu leisten hatten, (senritii exactione^*); auch
die Erträgnisse der Stadt Zflrich werden im Jahre 1218
vom Reiche eingezogen.^^ Es Ist das Jahr 1218, in welchem
Kaiser Otto IV. von Sachsen, der Besitzer zahlreicher
hohenstanfisch-z&hringischer Oüter, am 10. Mai
auf der Harzbarg stirbt nnd die Schweizer Städte
hatten wohl die Gelegenheit geschickt aosgenfltzt, um sich
die Beichsnnmittelbarkeit zu verschaffen.^'^ Kaiser
Otto IV. von Sachsen hatte bekanntlich im Jahre 1208 nach
der Ermordung König Philipps von Hohenstaufen , des
anglücklichen jüngsten Sohnes Kaiser Friedrich Botbarts,
durch Herzog Otto von Witteisbach die Tochter des er-
mordeten Königs geheiratet und dadurch einen grossen Teil
der Hohenstaufen'schen HausgOter und Rechte in Schwaben
and wohl auch die Erträgnisse der ülmer Schutzvogtei in
seine Hände gebracht. Die Folge war damals der üeber-
gang zahlreicher Weiler Schwabens in die Reichsunmittel-
barkeit gewesen. So war der Weiler Esslingen im
Jahre 1209 von König Otto IV. von Sachsen zum Reiche
gezogen worden und dadurch im Jahre 1210 an die Höh en-
s taufen gefallen, worauf Kaiser Friedrich n. denselben
sofort befestigte und zur „Burg^ machte.^^^ So hatte auch
Nflrnberg am 8. November 1219 von Kaiser Friedrich n.
einen Freiheitsbrief erhalten, nach dem kein Borger von Nürn-
berg einen andern SchutzTogt als den römischen König haben
sollte.'*) Vergebens wehrte sich das Kloster Reichenau
gegen die Wegnahme seines Patronatsrechts auf die
Ernennung des Ulmer Schutzvogts und gegen die Er-
setzung von üntervögten durch die Reichsgewalt;
sein Jahrhunderte lang fortgesetzter Protest endete mit
dem Ende seiner Herrschaft in der Stadt im 15. Jahrhundert.
Immerhin gelingt es durch die eifrige Arbeit späterer
pflichterfbUter Aebte oder Bischöfe einzelnen Klöstern oder
Stiftern, sich wieder in bessern wirtschaftlichen Stand zu
setzen. So kauft um das Jahr 1200 das Kloster Johannisberg
im Rheingau eine neben seinem Hofe in Winkel gdegene
Besitzung, bestehend aus Häusern, Aeckern, Weinbergen und
Wiesen, die für 8 Mark dem Juden Elias verpfändet war.
Um das Jahr 1203 geht das Dorf Klein-Ting, das seither
Tom Grafen Peter von Breslau den Juden verpfändet ge-
wesen war» an das dortige Augustinerkloster über. Am
38. Juni 1203 wird der Steuerertrag des Falkenmeister-
Dienstguts in Breslau, der seither dem Juden Joseph
Piessel, (JlmischeB ürkandenbach, 8. 34 f.
Stelteo. Aagsb. Chronik, 8. Sl.
PfdL Geschichte von EsBÜn^n, 8. 28 ff.
H^geJ, StftdtechroDiken, Bd. 1, 8. XIII.
— 184 —
gehört hatte, durch den Herzog Heinrich L der Vinoentiner-
abtei Terausgabt.'^ Am 30. März 1204 erwirbt die Stephans-
kirche in Wien von dem dortigen Kämmerer Gottfried
4 Plätze neben der Judenschule gegen die Donau, die
seither dem Juden Schlom gehört hatten. Am 31. Maiz 1227
beschwert sich das Kloster St Emmeram in Regen sburg,
dass die dortigen Juden widerrechtlich einige Grundstöcke
des Klosters in Besitz genommen, dort ihre Synagoge erbaut
und ihren Friedhof eingerichtet haben. Auch sonst be-
schweren und kränken die Juden das Kloster in
hohem Grade. Papst Gregor IX« weist dessbalb den Abt
und den Prior von Prül und den Propst von Ripen an, faUs
die Sache sich so yerhalte, die Juden in Regensbnrg
vom Geschäftsverkehr mit den Christen aaszu-
schliessen und sie dadurch zum Nachgeben zu zwingen.^)
Dass dieses Vorgehen der Kurie den Juden gegenftber
ausserordentlich wirksam war, beweisen unter anderem
die Worte, welche im Jahre 1229 der Dichter Freidank
schreibt: Was sich einmal in den Händen der Römer
befinde, bekomme man kaum zurück; leichter löse
man Pfänder bei den Juden aus. So verkauft im
Jahre 1238 der Erzbischof Theoderich von Trier sein neues
Haus in Koblenz, das er f&r 7 Mark bar von dem Juden
Süsskind gekauft hat Am 9. Juli 1239 überträgt derSnb-
diakon Blasius der Nikolauskirche in Passau unter anderem
die Weinberge in Kossay, die aber erst für 10 Pfand
Wienerisch bei dem Juden Bibas ausgelöst werden müssen«
dem sie verpfändet sind. Am 1. Mai 1257 erhält das
Kloster Maulbronn in der Diözese Speier wegen seiner
unerträglichen Schulden, derenthalben es teils den
Juden gegen hohe Zinsen teils anderweit hart ver-
pflichtet ist, von Gertrud aus Spei er, der Witwe des
Merkelin (Marx) Simeler, und ihren Kindern 90 Pfd. Hlr.
gegen den massigen Satz von 5Vt Prozent Bei unpünktlicher
Zinszahlung muss das Kloster nach alter Speirer Grewohn-
heit den doppelten Satz zahlen.^) Am 24. April 1257
zahlt ein christlich gesinnter Mann, ein Pilgrim, für das
Kloster Benediktbeuren 5 Pfd., die dieses einem Juden
schuldete. Am 7. Dezember 1269 verkauft Herr Haimon
zu Montenach dem Kloster Interlaken gewisse Güter
für 21 Pfd., um dringende Judenschulden zu bezahlen.*^)
Der Eindruck, den man aus allen diesen Nachrichten
bekommt, ist der, dass nicht allein die Klöster und Stifter,
sondern auch die weltlichen Fürsten und Edelleute Deutsch-
lands, also die gesamten grundbesitzenden Klassen, damals
^*) Aronios, Regesten rar Geschichte der Jaden, S. 160, 161, 166,
194 f.. 222 ff., ^ f., 270.
— 186 —
in eiBer Weise den Jnden Tersoliiildet waren, welche eine
Steigemng nicht mehr znliess, so dass eine Aendemng der
bestehenden Verhaltnisse nnnmganglich nötig war.
b. m« JtduMhvUn gign fiAmd« Fllbito.
o* Das DarlsDksn auf Kfiebengnt
Eine besondere Bolle spielt im Mittelalter der Dieb-
stahl von Eirchengat. Bei den reichen Schätzen an
Edelmetall und kostbarem Gewand, welche die kirchlichen
Stifter bargen, lag die Versnchong sehr nahe, dass sich
pflichtvergessene Geistliche oder andere Personen bei Geld-
verlegenheiten dorch Hinterlist oder Gewalt an diesen
Schätzen vergriffen nnd durch Verpfändung solcher G^en-
stände sich bares Gteld bei den Darleihern verscha^n.
Seit alter Zeit finden sich denn auch infolge dessen Ver-
ordnungen, welche das Darleihen auf Eirchengut
oder gestohlenes Gut beschränken bezw. verbieten.
Die Kirche hilft sich diesem ihrem zunehmenden
▼irtschaftlichen Bückgange durch die Macht der
Juden g^enüber dadurch, dass sie allen ihren Angehörigen
streDge verbietet, einem Juden oder sonstigen Darleiher
(Kowertschen) Urchliche Fahrnis zu verpfänden oder eine
Bürgschaft einem Juden gegenüber für jemand zu leisten.
Schon im März 806 muss Kaiser Karl der Grrosse den Bi-
schöfen, Aebten und Aebtissinen befehlen, die Kirchen-
schätze stets sorgfältig zu beaufsichtigen, damit nicht
durch die Unredlichkeit oder Nachlässigkeit der
Wächter etwas verloren gehe. Man habe ihm berichtet,
dass jüdische und andere Kanfleute sich rühmen, sie können
alles, was sie wollen, bei den Kirchendienern kaufen, und
Kaiser Ludwig der Fromme bestimmt, kein Jude solle bei
Verlost des Vermögens und der rechten Hand ein Kirchen-
gut, es sei Gold, Silber oder sonst etwas, als Pfand oder
för eine Schuld von einem Christen annehmen.'') Man
sieht aus dem Alter dieser Verordnungen, wie weit dieser
Krebsschaden zurückgeht So werden im Jahre 1024 einem
Wormser Geistlichen kostbare Gewänder gestohlen,
worauf man ein Schreiben an die Geistlichen der anderen
Orte richtet, darauf zu achten, ob nicht von dem ge-
stohlenen Gute etwas den Geistlichen oder Juden des
betreffenden Orts gebracht werde. Wie dringend not-
wendig eine Aufsicht der Behörden in diesen Dingen war,
zeigen viele Nachrichten. So ist es im Jahre 1107 der
Hauptgrund, warum damals die spanischen Maurenfflrsten
gogen die Juden Torgehen, dass diese die Schätze der
**) Aronios, Begesten zur Geschichte der Jaden, S. 96 f.
— 186 —
mauretaniBcheii Moscheen durch derartige Pfandflchafteo
völlig ausanplüudem beginnen.'^ Unter König Heinrieb IL ^on
England (1154—1189) wird ein Jade zu einer Geldstrale
Temrteilt, weil er sich das Tafelgeschirr der Abtei von St
Edmondsbnry hat verpfänden lassen. '*) Im Jahre 1181 sendet
der Erzbischof Goifred von Narbonne seine goldenen und
silbernen Eirchengef&sse an die Jaden, am sie einzu-
schmelzen and das Metall für seine Bechnang zu yerkaufen,
und anter König Philipp August von Frankreich ÜISO
bis 1223) beschuldigt man die Juden, aus diesen Kelchen
getranken zu haben.") So untersagen auch im 12. Jahr-
hundert die Babbiner ihren Glaubensgenossen, Kreuze,
Kirchengeräte, Messgewänder und Gebetbücher zu erwerben,
während sie Schulbücher und Bechtsbücher wohl kaufen
dürfen.") So wird im Jahre 1206 in Frankeich und in
der Champagne allen Juden yerboten, Darleihen anf
Kirchenge&sse und Kirchenschmuck , auf Liegenschaften
der Eörche und blutige Gegenstände zu geben.") So rügt
im Jahre 1207 Papst Innocenz ni. dem König von Frank-
reich gegenüber, die Juden lassen ihre Häuser bis Mitter-
nacht offen und nehmen gestohlenes Gut darin auf;
auch kommen geheime Ermordungen in ihren Häusern
vor, so sei ein armer Schüler in einem Judenhause tot auf-
gefunden worden. Es dürfte desshalb angezeigt sein, hier
einige Beispiele von Strenge zu geben. '^ So ver-
pfändet im Jahre 1215 der Abt Gottfried yon St Leonhard
in Strassburg das Messbueh, ein vergoldetes Kreuz,
zwei Kandelaber, drei Ghorröcke und ein Messgewand
gegen 5 Mark an die Juden von Ehnheim, und einen Kelch,
drei Messgewänder und vier Bücher für 9 Pfd. 20 Pfg. an
die Juden von Bodesheim.")
Die Kirche half sich diesem Krebsschaden gegenüber
in doppelter Weise, indem sie sowohl gegen den Innern
Feind, die herrschende Sittenlosigkeit der Kleriker,
als gegen den äussern Feind, die wirtschaftliche Macht
des Judentums, thatkräftig einschritt und bei den welt-
lichen Behörden Verordnungen durchsetzte, welche den
Juden das Darleihen auf Kirchengut erschwerten. So
durfte nach dem Augsburger Stadtrecht kein Jude
auf Messgewänder, Kelche oder andere Dinge ausleihen,
welche der Kirche zugehörten, „vean mit Gewissheit^ '^)
So beschliesst eine Provinzialsynode in Trier anfangs
des Jahrs 1227, kein Geistlicher soUe einem Juden oder
öffentlichen Darleiher Bürgschaft leisten oder
") Depping, Jaden im Mittelalter, S. U, 125, 118, 148, HS f., 158.
*^ Stobbe, Jaden in Deutschland, 8. 128.
*«) Mayer, Aagtlmrger Stadtrecht, S. 58.
— 187 —
einem Jaden einen Kirchenschmack oder Bficher
verpfänden.**) So bestimmt der Sachsenspiegel vom
Jahre 1224—1282, wenn ein Jade Kelche, Bücher
oder Priestergewänder kaafe oder als Pfand nehme
and man finde dieses Gat bei ihm, so solle man ihn als
Dieb bestrafen; dagegen sollen andere Käufe, welche
die Juden bei Tage and im unverschlossenen
Hanse yomehmen, durch drei Zeugen von ihnen be-
wiesen werden können und sie sollen dann mit ihrem
Judeneide das hiefür bezahlte oder geliehene Geld be-
halten dürfen, auch wenn es gestohlenes Gut sei.*^
So bestimmt um das Jahr 1260 der „Spiegel deutscher
Leute^, wenn ein Jude Kelche, Bücher oder Gewänder
ohne Gewährsmann kaufe oder als Pfand nehme, so
solle er als Dieb bestraft werden.*^ So bestimmt das
Meissner Judenrecht von 1266, der Jude solle jedes
Pfand ohne Zeugen annehmen dürfen, ausgenommen
geistliche Gewänder und anderes Kircheneigen-
tum. Diese darf er nur unter Zuziehung zweier Christen
and eines Juden yon gutem Bufe als Pfand übernehmen.
Wird ein Jude wegen geistlicher Gewänder, Ornate
and kirchlicher Geräte angeschuldigt, so muss er seine
Bälgen (Gen^rsmänner) beibringen oder als Zeugen zwei
Christen und einen Juden von gutem Rufe, sonst verliert er
das Pfand und das darauf geliehene Gut. Leugnet ein Jude,
Kircheneigentum zu haben, und man findet die Sachen bei
ihm, 80 yerliert er diese samt dem darauf geliehenen Gelde
and muss seinem Richter Strafe zahlen ; weitere Strafen sollen
aber nicht erfolgen. So bestimmt am 15./24.(?) Angust 1249
das Stadtrecht von Iglau im Herzogtum Oesterreich,
kein Kaufmann, Krämer, Gastwirt, Jude oder sonst jemand
solle bei Strafe kirchliches Eigentum als Pfand oder
zur Aufbewahrung anders als vor sicheren Zeugen an-
nehmen. So bestimmt das Prager Stadtrecht vom Jalune 1269,
wenn man bei einem Juden Kelche, Bücher oder Mess-
gewänder finde, ohne dass er angeben könne, von wem er
sie als Pfönder erhalten habe, solle er dieselben ohne Ent-
schädigung herausgeben müssen.
Mau sieht, das Rechtsverhältnis in der Sache ist durch-
weg gleichmässig in der Art geordnet, dass wenn ein Jude
ein Gut als Pfand in Besitz bekommen hatte, das einem
Christen nach dessen Angabe gestohlen worden war,
der Jude entweder durch eine vorgeschriebene Anzahl von
Zeugen oder durch seinen Judeneid beweisen konnte, dass
^ Anmias, Begetten zur Gesclüclite der Jaden, 8. 196 f., 200 f.
*^ AroDios, Regesten xur Oetchichte der Jaden, S. 277, 296, 2i4,
311,186.
— 188 —
ihm das betreffende Out in der That als Pfand übergeben
wordenwar. Es hatte also nicht der angeblich bestohlene
Christ das Recht, im schwören, dass der betreffende Gegen-
stand sein Eigentum sei, sondern der Jude schwor, dass
er ihn auf rechtmässige Weise als Pfand an sich gebradit
habe. Die in die heutigen Beditsordnungen aufgenommene
Bestimmung, dass der redliche Erwerber einer Sache,
welche auf unrechtmässigem Wege aus dem Besitz ihres
Eigentümers gekommen ist, dem Eigentümer dieser Sadie
nicht herauszugeben braucht oder nur dann, wenn er Ersatz
dafür erhält, entspricht nämlich weder dem deutschen noch
dem römischen Recht, sondern ist jüdischen Ursprungs.
Das römische Recht schützt unbedingt den Eigentümer
und gibt ihm das Recht, seine Sache Ton jedem Besitzer
zurückzuTerlanffen, das Recht des Eigentümers geht nach
ihm dem Recht des gutgläubigen Besitzers vor; der
letztere muss die Sadie dem Eigentümer ausliefern
und kann sich zum Ersatz des Schadens an den halten,
Ton dem er die Sache erworben hat Ebenso bestinunt
das alte deutsche Recht, dass der Eigentümer dem
gutgläubigen Besitzer den Schaden nicht zu ersetzen
braucht, weil einer gestohlenen oder geraubten Sache
dieser Fehler so lange anklebt, bis sie zu ihrem Eigen-
tümer zurückgekehrt ist; kurz nach gemeinem Rechts-
grundsatze musste, wer eine Sache an einen andern
verkauft hatte, diesem „Gewährschaft^ leisten, das
heisst, er musste für allen Schaden einstehen, der
dem Käufer etwa erwuchs, falls ihm das Recht an dieser
Sache streitig gemacht wurde und nur für den Juden
bestand hierin ein Ausnahmsrecht'^
So bestimmt der Sachsenspiegel, der Jude brauche
dem Christen keine Gewährschaft zu leisten, falls er
dies nicht thun wolle. Da jeder, welcher von einem Juden
kauft, sich bei den talmudischen Rechtsverhältnissen sagen
musste, dass diese Sache gestohlen sein konnte, da der
Jude ja ohne Gefahr auch gestohlene Sachen kaufen konnte,
so konnte der Christ auch keinen Erfolg erwarten, wenn sich
diess in der That herausstellte. Die älteste Anerkennung der
dem deutschen und römischen Rechte also vollständig
entgegenstehenden jüdischen Rechtsanschauung stammt
aus dem Jahre 1090, wo König Heinrich IV. der Juden-
gemeinde von Speier das Freiheitsrecht erteilt, wenn bei
einem Juden eine gestohlene Sache gefunden werde und
der Jude behaupte, sie gekauft zu haben, so solle ihm das
Recht zustehen, mit seinem Judeneide zu erhärten, um
welchen Preis er sie gekauft habe, und wenn ihm dann der
»') Stobbe, Juden in Deutochland, 8. 119 f., 195 f.
— 189 —
Eigentümer diese Summe bezahle, solle er die Sache heraas-
geben müssen. Das betreffende Vorrecht der Jnden hat seinen
ürsprang also im talmudischen Becht and die Beichs-
behörden gaben mit seiner BewULigang einem Bechtssatze
die Anerkennung, der sich durch die zonehmende Macht
der jüdischen Verkehrsentwicklong eingebürgert hatte. Es
heisst nämlich in der Mischnah: findet jemand seine
Kleider oder Bücher in der Hand eines andern and es ist
em Diebstahl festgestellt, so hat der Käufer zu schwören,
wie viel er dafür aasgelegt hat, und erhält seine Auslage
zorflck, damit der Verkehr nicht erschwert werde.
Die Folge dieser Aenderung des alten deutschen
römischen Bechts im Sinne des jüdischen Bechts,
welche eine Folge der zunehmenden wirtschaft-
lichen Abhängigkeit war, in welche die deutsche
Beichsregierung unter den salischen Kaisern von den
Juden gelangt, machte sich denn auch bald in steigendem
Masse geltend. Bitter beschwert sich 56 Jahre später, im
Jahre 1146, der Abt Peter von Clugny beim Könige von
Frankreich über dieses alte, wahrhaft teuflische
Vorrecht der Juden, das lediglich die Folge habe,
dass die Leute das gestohlene Gut in Menge den Juden
zutragen.'^ Gleichwohl blieb es seither bis auf den
heutigen Tag bei der Bestimmung des Judenrechts. Dem
Jaden ist wohl verboten, auf Kirchengut oder gestohlenes
Gtnt darzuleihen, aber die Uebertretung dieses Gesetzes
ist ihm in einer Weise erleichtert, dass der bestehende
Bechtszustand geradezu eine Versuchung zur Schlechtig-
keit ist So bestimmt Kaiser Friedrich n., als er im
Jahre 1288 die Verhältnisse der Wiener Judengemeinde
durch einen ausfuhrlichen Freiheitsbrief ordnet, durch
welchen er seine Kammerknechte, die Juden in Wien,
dem Beichsschutze unterstellt, ganz besonders, dass wenn
bei denselben ein gestohlenes Gut gefunden werde und
der Jude durch seinen Judeneid bekri^tige, dass er dieses
Out um einen bestimmten Preis gekauft habe, er das ge-
stohlene Gut nur gegen Erlegung seines Kaufschillings
auszufolgen haben solle. So verordnet das österreichische
Judenpriyilegium vom Jahre 1244, wenn ein Christ be-
haupte, dass ihm ein im Judenbesitz befindliches Pfand
durch Diebstahl oder Gewalt abhanden gekommen sei,
der Jude auf einen gleichwertigen Gegenstand zu schwören
habe, dass er es gutgläubig erworben und wieviel er
dafür gegeben habe, worauf dann der Christ das Pfand
"*) Stobbe, Jaden in DeotacUand, 8. 120 f. Depping, Jaden im
Mittelaltnr, 8. 114.
— 190 —
gegen Ersatz dieses Kapitals und der seither daffiraof-
gelaufenen Zinsen zurückerhalten solle. ^) So bestimmt
eine Dortmunder Judenordnung vom Jahre 1258, wenn
ein Jude ein Pfand, dessen Verkauf ihm erlaubt worden
sei, auf den Markt schicke, und es werde von jemand mit
Beschlag belegt, der behaupte, es sei ihm gestohlen oder
geraubt worden, so solle der Jude nur dann schwören
müssen, er habe es in gutem Glauben erworben, wenn
dem Bestohlenen der Beweis gelinge, dass ihm der Gegen-
stand wirklich gestohlen worden sei.'®) Der Eid des angeb-
lich Bestohlenen ist idso als Bechtsmittel nicht zugelassen,
sondern nur der Beweis. So bestimmt um das Jahr 1260
der Spiegel deutscher Leute, wenn ein Jude Gegenstande
öffentlich bei Tageslicht und nicht in verschlossenem Hofe
kaufe oder beleihe und diess zu Dritt bezeugen und eidlich
beweisen könne, so solle er sein Geld, aber ohne Zinsen,
zurückerhalten, auch wenn das Gut gestohlen sei.'®) So
bestimmt auch der Sachenspiegel : Hat ein Jude eine Sache
unverhohlen und unverstohlen bei Tageslicht und nicht in
verschlossenem Hause gekauft und die Sache erweist sich
als gestohlen, so sollen dem Juden die Pfennige, die er
laut seinem Eide dafür gab oder darauf lieh, ersetzt
werden. So bestimmt das Meissner Judenrecht von 1265,
wenn ein Christ ein Pfand, das ein Jude angenommen
habe, als gestohlen zurückfordere, solle der Christ es
nicht durch seinen Eid zurückerhalten, sondern der
Jude es durch seinen Eid, dass er es als Pfand bekonunen
habe, behalten. Hat der Jude Zeugen, so braucht er nicht
zu schwören.*^) Wenn ein Christ mit einem Boten des
Judenrichters wegen einer ihm gestohlenen Sache sich in
den Schulen und im Gemeinderat der Juden erkundige,
ob sie einer von ihnen habe, den Besitzer aber nicht er-
mittle und die Sache dann später doch bei einem der Jud«i
gefunden werde, so solle der Jude das daf&r gegebene
Geld verlieren und dem Judenrichter Strafe zahlen, sonst
aber keinen Schaden leiden. So bestimmt femer das
Augsburger Stadtrecht, falls ein Christ ein ihm ge-
stohlenes geerbtes Gut in der Hand eines Juden
finde, solle es ihm der Jude gegen Erstattung des dafttr
bezahlten Hauptguts zurückgeben müssen. Scheine dem
Christen das Lösegeld zu hoch, so solle der Jude seine
Berechtigung zur Forderung desselben nach Judenrecht
erbringen.*')
**) Aroniai, Begesten lur Geschichte der Jaden, S. 283.
"*) Aronins, Begesten zur Qeschichte der Juden, 8. 206, 277, 206,
298, 820.
*>) Mayer, Augiborger Stodtrecht, S. 56.
— 191 —
ß. Dm Dttrleiben auf Tiere, Harnische, blotige and feuchte Oew&nder.
Nicht minder häufig als die Diebstähle und Baub-
anfälle auf EirchengOter waren die Diebstähle von
Haustieren, namentlich von Pferden, und auch hier
waren es die Juden, welche unter dem Schutze ihres tal-
mudischen Judenfreiheitsrechts den Verbrechern in
jeder Beziehung Vorschubdienste leisteten. So stiehlt z. B.
in den Jahren 1260 — 1272 ein Schuhmacher Jordanus in
Wismar ein Pferd und verpfändet es bei den Juden.
Auch in dieser Beziehung waren desshalb Schutzbestim-
mungen der Behörden nothwendig, welche aber, da sie
nicht den Kernpunkt des Krebsschadens, das talmudische
Judenvorrecht, beseitigten, wenig Erfolg hatten. So
bestimmte die Judenordnung des Herzogs Boleslaus von
Polen vom Jahre 1264, kein Jude solle sich ein Pferd
anders als bei hellem Tage verpfänden lassen dürfen.'^
So bestimmt das Meissner Judenrecht vom Jahre 1265,
wenn ein Christ einem Juden ein Pferd verpfände
und dies später von Jemand anderem als sein Eigen-
tum zurückgefordert werde, solle der Jude, wenn er
seine Gewährsmänner nennen oder Zeugen für die Ver-
pfändung beibringen könne, das Pferd behalten, wenn
nicht aber, solle er das Pferd herausgeben, sonst aber
keinen Schaden leiden. Werde der Jude von einem der
Gewährsmänner angegriffen, so solle er durch Eid oder
Zeugen beweisen, dass ihm das Pferd verpfändet
worden sei, worauf ihm der Schaden von dem Bestohlenen
zu ersetzen sei. So wird am 23. August 1268 in Oester-
reich, Steiermark, Böhmen und Mähren bestimmt,
kein Jude, der sich in Brunn aufhalte, solle nach
Sonnenuntergang weder von bekannten noch unbekannten
Leuten ein Pfand annehmen und auch bei Tage nicht
mit Pferden, Ochsen, Kühen oder anderen Dingen,
▼on denen der Verdacht bestehen könnte, dass sie ge-
stohlen wären, Pfänder stellen lassen ausser mit dem
Zeugnis zweier Stadtgeschworenen.'')
Wie es den Juden geboten war, Geld auf Kirchen-
geräte nur unter bestimmten Vorsichtsmassregeln darzu-
leihen, so war ihnen auch mannigfach verboten, Harnische
oder andere zur militärischen Ausrüstung der Bürger
dienende Gegenstände als Pfänder zu nehmen, da hie-
durch bei plötzlichen Truppeneinziehungen, bei
Allarmierungen der Stadtbürgerschaften wegen eines
üeberfalls u. s. w. leicht Gefahr entstehen konnte. Es
war desshalb die Bestimmung getroffen, dass wenn eine
**) Deppiog, Juden im Mittelalter, S. IM.
'*) AxonioB, Regetten inr Geschichte der Jaden, S. 208, 806 f.
— 190 —
gegen Ersatz dieses Kapitals and der seither dafür auf-
gelaufenen Zinsen znriickerhalten solle. ^) So bestimmt
eine Dortmunder Judenordnang vom Janre 1258, wenn
ein Jade ein Pfand, dessen Verkauf ihm erlaubt worden
sei, aaf den Markt schicke, und es werde von jemand mit
Beschlag belegt, der behaupte, es sei ihm gestohlen oder
geraubt worden, so solle der Jude nur dann schwören
müssen, er habe es in gutem Glauben erworben, wenn
dem Bestohlenen der Beweis gelinge, dass ihm der G^en-
stand wirklich gestohlen worden seL^) Der Eid des angeb-
lich Bestohlenen ist also als Bechtsmittel nicht zugelassen,
sondern nur der Beweis. So bestimmt um das Jahr 1260
der Spiegel deutscher Leute, wenn ein JudeG^enst&ide
öffentlich bei Tageslicht und nicht in verschlossenem Hofe
kaufe oder beleihe und diess zu Dritt bezeugen und eidlich
beweisen könne, so solle er sein Geld, aber ohneZinsen,
zurückerhalten, auch wenn das Gut gestohlen sei*®) So
bestimmt auch der Sachenspiegel : ^t ein Jude eine Sache
unverhohlen und unverstohlen bei Tageslicht und nicht in
verschlossenem Hause gekauft und die Sache erweist sich
als gestohlen, so sollen dem Juden die Pfennige, die er
laut seinem Eide dafür gab oder darauf lieh, ersetzt
werden. So bestimmt das Meissner Judenrecht von 1265,
wenn ein Christ ein Pfand, das ein Jude angenommen
habe, als gestohlen zurückfordere, solle der Christ es
nicht durch seinen Eid zurückerhalten, sondern der
Jude es durch seinen Eid, dass er es als Pfand bekonmien
habe, behalten. Hat der Jude Zeugen, so braucht er nicht
zu schwören.*^) Wenn ein Christ mit einem Boten des
Judenrichters wegen einer ihm gestohlenen Sache sich in
den Schulen und im Gemeinderat der Juden erkundige,
ob sie einer von ihnen habe, den Besitzer aber nicht er-
mittle und die Sache dann später doch bei einem der Juden
gefunden werde, so solle der Jude das daf&r gegebene
G^ld verlieren und dem Judenrichter Strafe zahlen, sonst
aber keinen Schaden leiden. So bestimmt femer das
Augsburger Stadtrecht, falls ein Christ ein ihm ge-
stohlenes geerbtes Gut in der Hand eines Juden
finde, soUe es ihm der Jude gegen Erstattung des daf&r
bezahlten Hauptguts zurückgeben müssen. Scheine dem
Christen das Lösegeld zu hoch, so solle der Jude seine
Berechtigung zur Forderung desselben nach Judenrecht
erbringen.'*)
**) Aronioi, Regesten lur Geschichte der Juden, S. 233.
"*) Aroniiu, Begesten zur Qeschichte der Juden, 8. 266, 277, 206,
298, 890.
**) Mayer, Augtbnrger Stadtrecht, S. 56.
— 191 —
ß> Um Dmrieihen auf Tiere, Harnische, blatige and feuchte Oew&nder.
Nicht minder hänflg als die Diebstähle und Banb-
anfalle auf Eirchengflter waren die Diebstähle von
Haustieren, namentlich von Pferden, nnd auch hier
waren es die Juden, welche unter dem Schutze ihres tal-
mudischen Judenfreiheitsrechts den Verbrechern in
jeder Beziehung Vorschubdienste leisteten. So stiehlt z. B.
in den Jahren 1260 — 1272 ein Schuhmacher Jordanus in
Wismar ein Pferd und verpfändet es bei den Juden.
Auch in dieser Beziehung waren desshalb Schutzbestim-
mungen der Behörden nothwendig, welche aber, da sie
nicht den Kernpunkt des Krebsschadens, das talmudische
Judenvorrecht, beseitigten, wenig Erfolg hatten. So
bestimmte die Judenordnung des Herzogs Boleslaus von
Polen vom Jahre 1264, kein Jude solle sich ein Pferd
anders als bei hellem Tage verpfänden lassen dürfen.'^
So bestimmt das Meissner Judenrecht vom Jahre 1265,
wenn ein Christ einem Juden ein Pferd verpfände
and dies später von Jemand anderem als sein Eigen-
tum zurückgefordert werde, solle der Jude, wenn er
seine Gewährsmänner nennen oder Zeugen für die Ver-
pfändung beibringen könne, das Pferd behalten, wenn
nicht aber, solle er das Pferd herausgeben, sonst aber
keinen Schaden leiden. Werde der Jude von einem der
Gewährsmänner angegriffen, so solle er durch Eid oder
Zeugen beweisen, dass ihm das Pferd verpfändet
worden sei, worauf ihm der Schaden von dem Bestohlenen
zu ersetzen sei. So wird am 23. August 1268 in Oester-
reich, Steiermark, Böhmen und Mähren bestimmt,
kein Jude, der sich in Brunn aufhalte, solle nach
Sonnenuntergang weder von bekannten noch unbekannten
Leuten ein Pfand annehmen und auch bei Tage nicht
mit Pferden, Ochsen, Kühen oder anderen Dingen,
von denen der Verdacht bestehen könnte, dass sie ge-
stohlen wären, Pfänder stellen lassen ausser mit dem
Zeugnis zweier Stadtgeschworenen.'®)
Wie es den Juden geboten war, Geld auf Kirchen-
geräte nur unter bestimmten Vorsichtsmassregeln darzu-
leiheo, so war ihnen auch mannigfach yerboten, Harnische
oder andere zur militärischen Ausrüstung der Bürger
dienende Gegenstände als Pfänder za nehmen, da hie-
darch bei plötzlichen Trappeneinziehungen, bei
Allarmierungen der Stadtbürgerschaften wegen eines
Ueberfalls u. s. w. leicht Gefahr entstehen konnte. Es
var desshalb die Bestimmung getroffen, dass wenn eine
"^ DeppiBf, Jaden im Mittel«lter, S. IM.
*") Aronios, Regelten rar Geichichte der Juden, 8. 208, 806 f.
— 192 —
solche Verpfändung dennoch geschah, der Jude den Hamiacfa
gegen Eratattnng des ansgeliehenen Hauptguts zurückgeben
mosste, während er des Rechts auf die bedungenen Zinsen
rerlustig gieng.^) So bestimmt die Judenordnung von Biel
vom Jahre 1306, die Juden sollen verpflichtet sein, alle
Waffen, welche ihnen die Bürger der Stadt verpfänden,
der Stadt zurückzugeben, so oft sie deren benötigt sei«
doch sollen ihnen diese Pfänder nach dem Gebrauch um-
gehend wieder zugestellt werden.^) Verboten war femer
den Juden, teilweise bei Todesstrafe, Darlehen auf
blutige oder feuchte Gewänder zugeben, da hier die
dringende Gefahr nahe lag, dass es Mördern, Totschlägern
oder sonstigen Verbrechern durch solche Verpfändungen
gelingen könnte, dem Arm der Gerechtigkeit zu entgehen.
Wie schlimm es die Juden in Bezug auf diese Dinge
vielfach getrieben haben mussten, ersieht man daraus, dass
die Behörde sich teilweise gezwungen gesehen hatte, auf
die Uebertretung dieses G^tzes die Todesstrafe zu
setzen. So verordnet z. B. das Oesterreichische Juden-
Privilegium vom Jahre 1244, die Juden dürfen alles als
Pfand annehmen, ausgenommen blutige oder feuchte
Gewänder oder Kirchengewänder, und um das Jiüir 1258
bestimmt die Dortmunder Judenordnung, während die
Juden sonst kraft kaiserlicher Freiheitsbriefe das Becht
haben, das auf gestohlenes oder geraubtes Gut, wenn
es ihnen verpfändet ist, gegebene Geld vom Eigentümer
zurückzufordern, wenn sie einen Judeneid ablegen können,
dass sie die betreffende Sache gutgläubig erworben
haben, solle dieses Becht künftig ausser Kraft treten in
Bezug auf blutige Gewänder oder solche, die nass
gemacht worden sind, um das Blut abzuspühlen, so-
wie auf zerdrückte oder zusammengeschlagene
Kelche, weil dabei unehrlicher Erwerb von vorn-
herein zu vermuten sei.^^) So bestimmt ferner das Becht
der Stadt Prag vom Jahre 1269, die Juden sollen keine
blutigen oder nassen Gewänder als Pfand nehmen;
thun sie es dennoch, so sollen sie wie Diebe mit dem
Leben bestraft werden. Und die Nürnberger Juden-
ordnung bestimmte, kein Jude und keine Jüdin sollen auf
ein Pfand, das die Bürger nicht beleihen dürfen, einem
Käufler oder einer Käuflerin, einem Knecht oder einer
Magd bei Strafe von 60 Hlr. für jedes geliehene Pfund and
kostenfreie Bückgabe des Pfands Ober 1 Pfd. Hlr. leihen,
ohne dass derjenige seine Zustimmung gegeben habe, dem
^) Stobbe, Juden in Deutschland, 8. 246.
**) Aronioi, Begetten zur Qesefaichte der Juden, S. 288, 265 f., Sil.
— 198 —
das Pfand gehöre.'*) So verbieten auch die Judenordnongen
von Augsburg, Weissenburg, Würzburg, Schaff-
haas en und anderen Orten den Juden, Geld auf blutige
oder nasse Gewänder zu leihen, in denen Leute ermordet
worden sind. Erfolgte dies dennoch, so musste der Jude
das Pfand ohne Ersatz herausgeben.'^
«. Pu "Fntonalphaä. imd du BiigioliBftnMht.
Eine der geföhrlichsten Klippen, welche von jeher
dem deutschen Bürger seitens der ihn auswuchernden
Völker, der Juden und der Lombarden — denn eines
yon beiden hat dies jederzeit besorgt und wenn der eine
gieng, kam der andere dafilr herein — , gedroht hat, war
die in der Herzensgute des Deutschen wurzelnde Be-
reitwilligkeit, dem Verwandten oder Freunde durch Ueber-
nsimievonBürgschaftsverpflichtungen beizuspringen,
und so sehen wir auch im Mittelalter infolge der oft allzu
leichfertigen Missachtung des Sprichworts, dass „Allzugut
liederlich ist^, an einer Eeihe von Beispielen, wie durch
Bürgschaftsyerpflichtungen zahllose Existenzen zu Grunde
gerichtet werden. Konnte ein Schuldner nicht bezahlen, so
durfte auch der jüdische Gläubiger ihn in Schuld-
haft nehmen lassen, soweit nicht landesherrliche Be-
stimmungen, wie z. B. in Ulm, im Wege standen. Obgleich
alio nach jüdischem und romanischem, (oströmischem)
Bechte keine Schuldhaft zulässig ist, machten die
Juden doch hierin von den Bestimmungen des deutschen
Rechts Gebrauch. Während aber ein christlicher Gläubiger
den Schuldner in seinem Hause in Haft nimmt und ihm dort
Wasser und Brot gibt, darf der Jude seinen Schuldner
nur einem „ehrsamen Christenmanne^ in Gewahrsam
geben, da es für unwürdig galt, dem Juden eine Herr-
schaft über den Christen einzuräumen und jedes
Zusammensein von Christen und Juden in dem-
selben Hause unstatthaft und unpassend erschien.
So bestimmen im Jahre 814 die Kaiser Karl der Grosse
und Ludwig der Fromme, kein Jude solle einen Christen
als Unterpfand yon einem Juden oder andern Christen
in Haft oder Gewahrsam bringen dürfen, damit dieser
nicht an seiner Ehre Schaden nehme, bei Strafe der
Freigebung des Christen und Verlust von Schuld und
Unterpfand.*')
WCtrfel, NOmbergs Jadengemeinde, 8. 86.
Stobbe, Juden in Deutschland, 8. 246, 180.
^ Aronioi, Regesten zor Geschichte der Jaden, 8. 27.
Leistong oder Leistmachong ist „pactum moribns introductnm et
legibus prorindaliboB constabilitam, qao debitor ant fidejussor promittit
osditori, d ad tempos constitatam non solvat, se cnm eerto comitata in
18
5
— 194 —
Wie wenig diese Bestimmungen freilich* in den fol-
genden Jahrhunderten der steigenden furchtbaren Macht
des Judentums Beachtung fanden, beweisen mannigfache
Nachrichten. So wird im Jahre 1135 aus Frankreich
geklagt, dass den Juden halb Paris gehöre. Sie be-
halten die Schuldner in ihren Häusern statt des
Gefängnisses, nachdem sie sich von ihnen haben das
Ehrenwort geben lassen, sich nicht zu entfernen.
Eine Aenderung erfährt dieses Verhältnis gegen das Ende
14. Jahrhunderts, als bei der sinkenden Macht des
Judentums es der Kirche gelingt, Ober den jüdischen
Wuchergeist Herr zu werden und so entwickelte sich
allmählich als Ersatz der Personalhaft im Hause
des Juden die ritterliche Ehrenhaft des „Ein-
lieg e r s^ oder der „Leistung^, jener Personalhaft, welcher
sich vertragsmässig der Schuldner und seine Bürgen f&r
den Fall der Nichterfüllung ihrer Verbindlichkeiten unter-
warfen. ^*^ Der Leister war bekanntlich ein Bürge,
welcher dem Darleiher versprochen hatte, auf sein Qeheiss
zu dem Schuldner oder in ein Gasthaus einzuziehen
und dort so lange zu bleiben, bis die Schuld samt
Zinsen bezahlt war. Es war also eine Gefangen-
schaft auf Ehrenwort***) Das Verbot der Aufnahme
Ton Leistern an die Juden schaffte ihnen dabei das
Freiheitsrecht, dass man von ihnen auf diese Weise
kein Geld erpressen konnte. Eine Besserung der
durch diese Standesunsitte herbeigeführten Missstände
erfolgte erst, als gesetzlich bestimmt wurde, dass stets der
Jude die Kosten des Einlagers solle bezahlen müssen.
So durfte nach dem Nürnberger Judenrechte ein Jude
weder in seinem noch in einem andern Judenhause einen
Schuldner in Personalhaft nehmen, auch in einem christ-
lichen Hause durften wegen jüdischer Forderungen nur
dann Einlieger gehalten werden, wenn der Jude die
Kosten zahlte. Diese Bestimmung nahm dem Siche-
rungsmittel seine Bedeutung für den jüdischen Gläubiger;
denn gerade, dass der Einlieger auf seine eigenen
Kosten leben musste, gab der Strafe Nachdruck. Wurde
ein christlicher Bürger einem Juden gegenüber Bürge
und der Bürge wurde von dem Selbstschuldner ausgelöst,
ocam astiguatum yeDtarum neqae inde decessarnm. donec creditori
tarn de lorte qium de atoris et expensit faerit satitractam." Speidel,
Bibiiotb. jur. Bd. 2. WQrfel, 80 f. Im Jahre 1577 wurde dai Eiulager
wegfeD des Prasiens und Schweigens nnd der ehrenrQhrigen
Schmahaogen der Leister darch Öffentlich angeschlagene QemtUde
nnd Hchriften gesetslich aufgehoben.
"*) Würfel, Nambergs Jadengemeinde, S. 80.
^ Stobbe, Juden in Deutschland, 8. 180.
— 196 —
80 hatte der Jade dem Bürgen diess binnen 8 Tag'en mit-
znteilen, wenn er daheim war; war er aber nicht daheim,
so hatte er es nach der Nürnberger Judenordnong bei
Strafe Yon 60 Hh*. in dessen Hause innerhalb derselben
Frist knnd zu thun and den Bürgschaftsbrief zurückzu-
geben, und kein Jade durfte gegen einen Selbstschuldner
Klage erheben ohne den gerichtlichen Spruch der Bürger
der Stadt bei Strafe des Verlusts des Anrechts auf die
Bürgschaft Ferner war es allen Nürnberger Bürgern
yerboten, fremden Leuten Bürgschaft gegenüber
einem Juden zu leisten; nur wenn ein Bürger einen
Gast hatte, der Kaufmann war, so durfte er dessen Bürge
gegen die Juden werden, aber nur auf das Gut, das der
Gast hatte, und bis zur Summe von 10 Pfd. Hlr. bei Strate
Ton 10 Pfd. Hlr. Kein Bürger durfte weiter der Bürge
eines „Gasts^, d. h. eines in der Stadt anwesenden
Fremden, oder eines „Ausmanns^, d. h. eines auswärts
befindlichen Fremden, gegen einen Juden werden ohne
Erlaubnis der „Bürger vom Bat^ bei Busse des vierten
Pfennigs yon dem Gelde, für das er Bürge geworden war,
und kein Bürger durfte Selbstschuldner gegen einen Gast
werden, nur ein Kaufmann durfte für den andern Bürge
und Selbstschuldner werden, wenn dieser auch ein Kauf-
mann war, und ein Wirt durfte Bürge oder Selbstschuldner
eines Kaufmanns werden, der bei ihm zu Herberge war.
Strenge war es weiter bei Strafe von 10 Pfd. Hlr. für
jedes Leistpferd in Nürnberg den Juden verboten, Leist-
pferde oder Leister in ihrem Hause oder im Hause
eines anderen Juden oder eines Christen gegen Kost zu
halten.*»)
Welche Bolle die BürgschaftsverpTlichtungen
nicht nur von einzelnen Personen, sondern von ganzen
Zwangskörperschaften, von Stadtgemeinden und
Landesherrschaften, bei Staatsanlehen den Juden
gegenüber spielten, zeigen viele Meldungen. So leistet im
Juni 1203 die Grafschaft Champagne dem Kloster Vitry
Bürgschaft für 400 Pfd. Provins, zahlbar der Grafschaft
Bethel, unter Abquittierung durch die Juden. So
schuldet um das Jahr 1241 die Abtei Quedlinburg dem
Juden Jakob von Blankenburg 213 Mark Silber mit
fortlaufenden Zinsen. Da diese Schuld notwendig
bezahlt werden muss, um die Zinsenlast zu beseitigen
and die Bürgen zu entlasten, so verpfändet die
Abtei einige Zehnten an die Grafschaft Begenstein.
Was die ständige Klage der damaligen Landesherr-
schaften bildet, ist die zunehmende Schuldenlast ihrer
*') Worfel, NOrnbergs Judeiigemeinde, S. 86.
— 196 —
Kassen durch die bei den unzureichenden Oefällen nicht
bezahlbare Zinsenlast, welche alljährlich dem Haupt-
schuldgute zuwächst und dasselbe anf diese Weise bald
ins Ungemessene steigert. Die wirthschaftlichen Verhält-
nisse der Beichskammer wie der Landesherrschaften
sind denn auch im 13. Jahrhundert durch die ewig sich
steigernden Heereslasten derart zerfallen, dass ein Zu-
sammenbruch der Verhältnisse unausbleiblich ist So
verschreibt z. B. am 1. März 1242 König Konrad IV. yon
Hohenstaufen dem Propst Heinrich von Pfalzel für 300 Pfd.
Trierisch, die ihm dieser geliehen hat, drei Juden mit
ihrem ganzen Vermögen, nämlich Heilmann und dessen
Schwiegersohn Heckelm von Cochem und Äron yon Cröw,
yon denen der Papst die genannte Summe samt Zinsen
erhalten soll. Kommen die genannten Juden ihrer Ver-
pflichtung nicht nach, so steht dem Gläubiger das Recht
zu, deren Häuser und fahrende Habe zu yerkaufen. Genügt
diess nicht, so ist der Fehlbetrag aus dem königlichen
Schatze zu decken.^*) So klagt im Jahre 1284 das Kloster
Hirschau über die grosse Schuldenlast, in welche es durch
das übergrosse Zinsnehmen der Juden und durch die
auf des Klosters Kosten erfolgte Geiselschaftsleistung
gekommen sei.^') So erlässt König Ludwig der Bayer am
24. Noyember 1315 der Stadtgemeine Esslingen ihre
Bürgschaft bei den Ueberlinger Juden und befreit
am 31. Januar 1316 die Stadt yon allen Schulden und
Bürgschaften bei denjenigen Juden, die sich auf die
Seite des Hauses Oesterreich gestellt hatten. ^^) So
y erspricht im Jahre 1368 eine Anzahl Bürger yon Frank-
furt am Main behufs Sicherung der HeimzcJilung eines „bei
den Juden^ gemachten städtischen Anlehens, auf
Verlangen der betreffenden jüdischen Gläubiger jederzeit in
eine beliebige Herberge zu Mainz einzuziehen.^') So yer-
sprechen im Jahre 1374 die Bürger yon Nürnberg, für
den Burggrafen Friedrich yon Nürnberg in einem Nürn-
berger Gasthause entweder selbst zu leisten oder mit einem
Knecht und einem Pferde einzuliegen, wenn sie nicht selbst
leisten wollen, wobei die Wahl des Gasthauses den jüdischen
Gläubigern zustehen soUte.^'^) So heisst es in einer andern
Nürnberger Schuldurkunde yom Jahre 1375, jeder Bürge
solle yerpflichtet sein, ein Pferd in die Häuser der ge-
nannten Juden zu stellen und dort so lange leisten zu
lassen, bis sie sich abgeleistet und abgegessen haben.
Aroniat, Begesten zur Geschichte der JadeD, S. 280 f.
Stobbe, Juden in Deatschland, S. 248.
St&lin, Wirtemb. Geschichte, Bd. 8, S. 146. Vergl vornen 8. 19.
Monnmenta ZoUenma, Bd. 4, No. 268. Stobbe, 24a
— 197 —
d. Dlo FBxBlioUulttB dM JidtadailtlhgiMhlllt.
or. Die Oerichtsziutftndigkfiit, der Zeagenbeweis und der Reinignngseid
der Jnden.
Der ordentliche Gerichtsstand des Jaden im Mittel-
alter war infolge seiner Zugehörigkeit zum Beichsbürger-
verbande in allen Streitigkeiten mit anderen Bürgern das
Seichsgericht, während in Streitigkeiten der Jaden anter
sich das Gericht der betreffenden Jadengemeinde zaständig
war. So bestimmt z. B. im Jahre 809 Kaiser Earl der
Grosse, wenn ein Jude einen Christen verklage, so solle
der Christ seine ünschald darch drei Zeagen nachweisen,
der Jade aber je nach dem Wert der Sache 4, 7 oder
9 Zeagen haben. Verklage aber ein Christ einen Jaden,
so sollen drei Christen oder drei Jaden als Zeagen
genügen. Um das Jahr 1090 verleiht Kaiser Heinrich IV.
dem Jadenbischof Salomon and Genossen in Worms
einen Preiheitsbrief. Die Jaden, laatete derselbe, sollen
in allen Rechtssachen dem Kaiser anterstehen , nicht dem
Bischof and dessen Kämmerer, dem Grafen and dessen
Schnltheissen, sondern nar dem, den sie selbst hiezn aas
ihrer Mitte erwählt and dem Kaiser zar Beleihang vorge-
schlagen haben. Will ein Jade an den König apellieren,
so ist ihm dazn Zeit za lassen. Die Strafe ist in Geld
zu zahlen. Jn den Jahren 1159 — 1181 beklagt sich Papst
Alexander m., dass die Jaden bei Streitigkeiten mit
Geistlichen letztere vor das weltliche Gericht ziehen
und ihre Sache darch einfache Urknnde ohne Zeagen oder
einen beliebigen Christen oder Jaden gegen Becht and
Vernnnft za beweisen nnternehmen, gegen sich selbst aber
das Zeagnis erprobter Nichtjnden nicht gelten lassen.
Da es nan aber verboten sei, geistliche Personen vor ein
weltliches Gericht za ziehen, verbietet der Papst den
Geistlichen, bei solchen Streitigkeiten vor Gericht za er-
scheinen. Christen sollen nar das Zeagniss von 2 bis
3 ehrsamen and frommen Männern znlassen, einer sei
ungenügend. Am 19. März 1179 bestimmt das dritte late-
ranische Konzil, das Zeagnis von Christen gegen Jaden
sei in allen Bechtsstreitigkeiten znznlassen, da sich die
Juden ja ihrer Zeagen anch gegen die Christen bedienen.
Wer künftig in diesem Pankte die Jaden den Christen
vorziehe, solle gebannt werden, denn der Jade habe
hinter den Christen zarückzatreten, da er von
diesem nar aas Menschlichkeit gednldet werde.**)
Am 1. Jali 1244 verleiht der Herzog Friedrich von Oester-
**) Aroniui, Regesten zur Geicbichte der Juden, S. 26, 76, IST, 182,
238 1, 200.
— 198 —
reich, Steiermark und Erain allen Juden seines
Landes einen Freiheitsbrief, nach dem bei Streitigkeiten fiber
bewegliches oder unbewegliches Vermögen oder in Kriminal-
fällen, die sich auf einen Juden bezogen, Christen nur mit
anderen Christen und 1 Juden als Zeugen zugelassen
werden sollten. So bestimmt in den Jahren 1224 — 1232 der
Sachsenspiegel, kein Jude solle der Gewährsmann eines
Christen sein müssen, wenn er nicht fQr ihn yor Gericht
antworten wolle. Am 30. Juni 1230 werden der Juden-
gemeinde in Regensburg ihre alten Freiheitsrechte
bestätigt, nach denen man deren Angehörige vor keinen
Richter bringen darf, den sie nicht selbst gewählt
haben, und weder Geistliche noch Laien etwas durch
Beweis yon ihnen behaupten durften, wenn kein Jude
als Zeuge anwesend war. üeber einen Juden darf nur
seine Schule oder das Gericht Recht sprechen. Wird
ein Jude yon seinem Richter yorgeladen und erscheint
auf zweimalige Ladung nicht, so hat er 4 Denare Strafe
zu zahlen; folgt er der dritten Ladung nicht, bezahlt
er dem Richter 36 Denare. Bei Streitigkeiten yon Juden
unter sich spricht nicht der Stadtrichter Recht, sondern
der Herzog oder der Oberstkämmerer des Landes. Bei
Verbrechen gegen die Person steht die Rechtsprechung
ausschliesslich dem Herzog zu. So bestimmt um das Jahr 1260
der „Spiegel deutscher Leute", Juden dürfen nicht Ge-
währsmänner für Christen sein und am 2. Dezember 1261
yerordnet der Herzog Barnim L yon Pommern, dass die
Juden in Stettin oder sonst in Pommern nach dem Magde-
burger Judenrechte leben sollen. Im Jahre 1265 lässt
wegen der wiederholten Streitereien über das Juden-
recht der Markgraf Heinrich der Erlauchte yon Meissen
und Osterland dieses aufzeichnen. Dasselbe bestimmte
betreffs des Zeugenbeweises, der Jude solle den Zeugen-
beweis gegen einen Christen wegen einer Schuld oder
irgend einer Sache mit 2 Christen und 1 Juden ftUiren.
wobei beide Teile nach ihrem Gesetze schwören sollten, der
Christ aber solle seine Sache mit 2 Juden und 1 Christen
beweisen. Die Juden haben lediglich yor ihrem Richter
Recht zu stehen. So bestimmt das Prag er Stadtrecht
yom Jahre 1269, kein Jude solle (in eigener Sache) Zeuge
sein, sondern er solle nur dann Recht bekommen, wenn er
einen Christen und einen Juden zum Zeugen habe.*^) So
ist in Ulm für die Juden betreffs ihrer Forderungsrechte
an Bürger das Stadtgericht zuständig, welches ihnen
*^ Aronins, Regesten zur Geschichte der Jaden, 8. 197, 277, 288,
811,21.
— 199 —
bei allen redlichen Forderungen, die sie gehörig beweisen
konnten, zu helfen hatte.^^)
Wie die Gerichtsordnung überhaupt damals be*
stimmtere, den Juden weniger günstige Vorschriften
f&r das prozessualische Verfahren erhält, so wird nament-
lich auch der Eid der «luden jetzt mehr als seither mit
einem religiösen Charakter umgeben. Schon Kaiser
Karl der Grosse verordnet, wenn ein Jude gegen einen
Juden klage, solle der angeklagte Jude sich auch nach
seinem Gesetze verteidigen, wenn aber ein Jude gegen
einen Christen klage, so solle der angeklagte Christ sich
mit seinen Zeugen durch einen Eid auf Beliquien oder
durch das Gottesurteil des Glüheisens rechtfertigen.
Dem angeklagten Juden abersoUeman (nach der Sitte der
Juden) einen Dornenkranz aufsetzen, ihm stehend
die Eniee zusammenbinden und ihm einen Dorn-
zweig von 5 Ellen um die Hüfte legen, bis er den
Eid geleistet habe. Wenn er dann heil bleibe, solle er
gereinigt sein.^'') Man sieht, es ist genau das Verfahren,
welches wir bei derGerichsverhandlnng gegen denHei-
land seitens des kaiserlich römischen Landgerichts
in Jerusalem in Anwendung bringen sehen, die also
auch im fränkisch-römischen Beiche weiter gilt, so
bald es sich um denEid eines Juden gegen einen
andern Juden handelt. Verstösse ein Jude, schrieb
das betreffende Earolingische Judenrecht weiter vor, gegen
ein christliches Gesetz oder begehe er ein Verbrechen
an einem Christen und er werde überführt, so solle er die
Strafe des Elternmords leiden, d. h. in einen Sack
genäht und in den Abgrund gestürzt oder ver-
brannt werden. Wesentlich milder gegenüber diesem
strafprozessualischen Beinignngseid war das Gerichts-
verftdiren beim gewöhnlichen civilprozessualischen Reini-
gnngseid, wenn es sich um Bechtsstreitigkeiten
zwischen Juden und Christen handelte. So bestimmen
die Kaiser Karl der Grosse und Ludwig der Fromme betreffs
des Eids der Juden gegenüber einem Christen, man
solle Sauerampfer zweimal vom Kopfe aus im Umkreise
seiner Füsse streuen, und der Jude solle in der rechten Hand
die 5 Bücher Mosis halten und die Worte sprechen: So
wahr mir der Gott helfen soll, der das Gesetz Mosis auf dem
Berge Sinai gegeben hat und so wahr der Aussatz des
Syrers Naaman nicht über mich kommen soll, wie er über
jenen gekommen ist, und die Erde mich nicht verschlingen
soll, wie Dathan und Abirai: In dieser Sache habe ich
nichts Böses gegen Dich verübt. ^'^
^ J&ger, Ulms Yerfassnng, 8. 896.
— 200 —
Eine wichtige Neuerung in der Ableistung des
Jadeneids erfolgt am Ende des 12. Jahrhunderts, indem
bestinunt wird, dass künftig die Juden ihre Eide im Rechts-
yerfahren gegen Christen auch in deutscher Sprache
ableisten sollten. So bestimmt in den Jahren 1183 — 1200
der Erzbischof Konrad yon Mainz eine neue Fassang
in deutscher Sprache für den Judeneid in Erfurt^^
Im Jahre 1258 (?) befiehlt die Dortmunder Juden-
ordnung, der Jude solle zum Schwur mit dem Bichter und
Kläger in die Synagoge gehen, die rechte Hand bis zum
Handgelenk in das dritte Buch Mosis legen, das Buch ge-
schlossen werden und ein (Geistlicher dem Juden den Eid
vorlesen. So oft der Jude beim Nachsprechen stockt und
der Eid desshalb nochmals yon vorn gelesen werden muss,
so oft muss der Jude dem Kichter Strafe zahlen. Der
Geistliche erhält 1 Pfd. Pfeffer oder dessen Geldwert
Hatte der Jude auf diese Weise den Eid in hebräischer
Sprache geleistet, so musste er nochmals in deutscher
Sprache erfolgen. Nur solche Juden, welche vor den
Herzog vorgeladen werden, müssen auf die Gesetzes-
rolle schwören. So bestimmt das Prager Stadtrecht vom
Jahre 1269, wenn ein Jude einem Christen schwöre, solle
er auf die fünf Bücher Mosis schwören.*')
ß^ Der Uebergaog der jodischen Pfandgericlitsbarkeit an die geneinen
bOrgerlichen Gerichte«
Zur Durchführung eines durch die gemeinen bürger-
lich-christlichen Gerichte gesetzlich geordneten Ver-
kehrs betreffs des Darleihgeschäfts auf Pfander gegen
Zins kommt es erst seit dem 13. Jahrhundert. War früher
dieser Verkehr vor den königlichen Gerichten der
Reichsschultheissen erfolgt, deren Gerichtsyorstande
die Ausfertigung der Urkunden besorgten, so war es all-
mählich den Judengemeinden gelungen, ein der christlichen
Bürgergemeinde ebenbürtig zur Seite stehender reichsge-
setzlich anerkannter Zwangskörper zu werden. Die Juden-
gemeinden erhalten wie diese das Siegelrecht, ebenso
wie dies auch die einzelnen Juden als freie Leute
und Reichskammerknechte, d. h. Beamte des Reichs,
so gut wie die Edelknechte haben.**) So wird im Jahre 132
in Zürich eine Judenbescheinigung durch die Siegel yon
drei Juden bekräftigt, indem eine darin genannte Jüdin
erklärt, da sie kein eigenes Siegel führe, erachte sie sich
durch die beigefllgten Siegel ihrer drei Söhne für gebunden.
**) Aromas, Regesten cor Geschichte der Judeo, S. 28. 168, 265,
284, 811.
**) Btobbe, Jaden in Deutschland, S. 2ia
— 201 —
Der durch diese politische Selbstst&ndigmachang
der Jadengassen oder Judenfreihöfe, welche ganz
analog der Selbstständigmachung der Handwerker-
gassen eder Handwerkerviertel der Vorstädte sich
entwickelte, in seinen Gefallen geschädigte Ibsens ist dieser
Entwicklung gegenüber im Bande mit den königlichen
Gerichtsbeamten (jadices) anter Führang der einzelnen
Landesherrschaften eifrig bemüht, dieselbe za anter-
drücken. So schliessen im Jahre 1206 die Erone von
Frankreich, die Gräfin von Champagne and der Freiherr
Gai von Dompierre einen Staatsvertrag ab, dnrch welchen
neben einem Zinsenmaximnm yon 2 Pfg. vom Pfand
wöchentlich für alle Jadendarlehen festgesetzt wird, dass
künftig jeder Schnldarkande ein besonderes Siegel
beigedrnckt werden sollte, dessen Aafbewahrang in jeder
Stadt hieza aafgestellten Gerichtspersonen übertragen wnrde.
In jeder Stadt wurde jetzt ein eigener Schreiber (nota-
rias) aafgestellt, der eine Eaation za leisten hatte; aasser
ihm hatte niemand das Recht, die Verträge der Jaden
aafzttsetzen and beide vertragschliessenden Teile massten
schwören, nur die in der Vertragsarkande enthaltene Somme
zn Lehen gegeben and genommen za haben.^^)
Hatten also seit einiger Zeit die Jaden begonnen, ihre
Darlehensy ertrage lediglich mit dem Siegel der be-
treffenden Jadengemeinde vor dem Jadenmeister
beglaabigen za lassen, so sachte man, den Jadengemeinden
dieses Becht znr Führang eines eigenen Amtssiegels wieder
zu entziehen. So entzieht z. B. im Jahre 1228 König
Ladwig Vin. den französischen Jadengemeinden
das Becht anf eigenes Siegel, weil seitens derselben
damit grosser Missbranch getrieben worden sei, und ver-
ordnet, dass nur solche Urkunden gerichtliche Gültigkeit
haben sollen, welche von den Landesbehörden mit dem
Gerichtssiegel versehen worden seien, und auch in
England verfflgte König Richard, dass alle Schuld vertrage
der Jaden stets in Gegenwart von zwei jüdischen und
zwei christlichen Bechtskundigen , zwei Notaren und zwei
Schauem, d. h. ürkundspersonen, doppelt abgefasst und eine
Schrift dem darleihenden Juden ausgeliefert, die andere
aber in der Lade der Stadtkämmerei niedergelegt
werden solle. Diese Lade musste 3 Vorlegeschlösser haben,
zu deren einem der Schlüssel in den Händen des Juden-
richters war.*') Ebenso wird im Königreiche Aragonien
im Jahre 1240 gegen die Habsucht der Juden und deren
allzohohes Zinsnehmen eingeschritten. Allen Juden, wird
u
) Depping, Jaden im Mittelalter, S. 148, 155, 149, 294 f.
— 202 —
bestimmt, sollen künftig vor einem besondern Schreiber
gfotariüs) schwören, sich an die (besetze zu halten. Der
id darf weder in der Synagoge noch an einem ge-
heimen Orte, sondern naryordem Gemeindegericht
stattfinden, wo die Christen schwören. Der Jade muss
anf das Gesetzbach Mosis and den Dekalog schwören,
wie es die „Eidesformel von Barcelona^ yorschreibt
Schaldarkanden von nicht beeidigten Jaden werden nicht in
die Grandbücher eingetragen. Der Zins darf 4 Pfg. vom
Pfand monatlich nicht übersteigen. Die rückständigen
Zinsen znmHaaptgate za schlagen and so eine neae
Seh nid za bilden, ist verboten; eine grössere Zinsen-
samme als das Haaptgat beträgt, darf nicht erhoben
werden; sobald der Schaldner so viel Zinsen bezahlt hat
als das Darlehen beträgt — also z. B. bei einem Zins fasse
von 10 Prozent nach 10 Jahren — darf kein Zins mehr
berechnet werden and das Pfandschaftsverhältnis moss
gerichtlich beendigt werden, indem entweder der Schald-
ner sein Darlehen sammt den rückständigen Zinsen heim-
bezahlt oder der Darleiher das Gnt zar gerichtlichen
Versteigerang bringt, seine Forderang deckt and einen
etwaigen Restbetrag dem Schaldner aasfolgt Von Wich-
tigkeit war desshalb wegen dieser Bechtsbestimmang, dass
dem jüdischen Gläubiger nach Yerflnss der 10jährigen Pfand-
schaftszeit der angestörte Weiterbesitz des Pfands
gewährleistet warde, ein Fall, anf den desshalb aach die
einzelnen Judenrechte Bücksicht nehmen. So bestimmt
z. B. König Heinrich Vn. von Hohenstaafen, als er am
30. Juni 1230 der Judengemeinde in Begensbarg
ihre seitherigen Freiheitsrechte bestätigt, das alle
Güter, welche die Juden 10 Jahre lang im Pfand-
schaft sbesitze gehabt haben, ihnen auch femer ungestört
weiterverbleiben sollen. ^') Alle anders abgeschlossenen
Schuldurkunden waren rechtsungültig, der Jude verlor
seine Forderung und diese gehörte zur Hälfte dem Angeber,
zur andern Hälfte dem Statthalter. Notare, welche unge-
setzliche Verträge aufnahmen, wurden abgesetzt. Der
Schaldner musste schwören, dass er die Haupts nmme
richtig erhalten habe.^^) Aehnliche Einrichtungen
finden sich um dieselbe Zeit allgemein in Deutschland.
Die Aenderung, welche wir hiemit in der Organi-
sation der Jndengemeinden eintreten sehen, hieng mit
einem weitern verfassungsrechtlichen Vorgang
zusammen, der sich damals allgemein im heiligen laiche
vollzog, mit dem Uebergange der Pfand Schäften auf
AI
) AroDias, Regesten snr Geschichte der Joden, S. 197.
— 208 —
dieBarggrafeB-,Haii8grafen-, Marktgrafen-, Stadt-
haaptmanns- (capitanens), Bürgermeister- (magister
civium)- oder Weilermeister (maire, villicus)-Aemter,
d. h. der vom deatschen Könige beliehenen Vorstände der
Reichsbttrgergemeinden in den einzelnen Reichsbargen oder
Reichsmärkten ans den Händen der geistlichen Jmmnnitäts-
harren an die Beichsbürger. So erhält im Jahre 1207 die
Bürgergemeinde der Begensbarger Königsstadt das Becht
zur Aufstellung des Hansgrafen. So wird im gleichen Jahre
in Metz das Präsentationsrecht desBeichsschnltheissen
(Magister scabinornm) dem vereinigten Bat der 12 Oberrichter
und dem neuerrichteten Kollegium der 18 Stadträte (Fried-
gericht, Einung) der Bürgergemeinde unter Vorsitz des
Bürgermeisters (magister ciyium, mair e, villicus, magister
viilae, d. h. WeUermeister) übertragen, während die Be-
leihung selbst durch den Bischof ais Landesherrn
namens der Beichsgewalt erfolgt. Den Weilermeister
aber wählte seither das vereinigte Bichter- und Stadt-
ratskolleginm alljährlich ohne ferneres Einspruchsrecht des
Bistums.**) Den gleichen Vorgang findet man in T r i e r, ebenso
in Nürnberg,**) auch in Köln tritt neben das Eichter-
kollegium (officium de Eicherzeche) ein gewählter Stadtrat
(ofBciales parochiarum), **) wie auch in Sien a im Jahre 1209
Kaiser Otto IV. der dortigen Eeichsbürgergemeinde das
Recht zur freien Wahl der Stadtsiegel -Bewahrer
(consules), des Eeichsschultheissen, den Ertrag des Eeichs-
marktzolls(fodrum)undderEeich8münze verpfändet.**)
Das gleiche Verhältnis besteht im Städtchen Horb in
Schwaben.*^ Ebenso bildet sich in Ulm um jene Zeit
neben dem Obergericht (judices) des Eeichsamtmanns
(minister civitatis) ein Stadtrat von 10 Zunftmeistern
und tritt mit dem stets aus 8 von 12 Eichtern
bestehenden EichterkoUegium zu einer „Einung" von
17 Batgebern (consules) zusammen, von denen je 2, ein
Richterbürger und ein Zunftmeister, je einen Monat lang das
Amt von Konsuln, d.h. Gemeindesiegelbewahrern,
Pratoren im Sinne der altrömischen Zehnmännerverfassung
(decemviri), verwalteten. *®)
Dass diese ganze Entwicklung nur unter schweren
Kämpfen erfolgen konnte, war begreiflich. So wird in
Piacenza im Jahre 1221 die neue Verfassung vomEeiche
^ Gemeiner, Regensborger Chronik, Bd. 1, S. 295. Heusler, Ver-
faBsangsgescbichte von Basel, S. 471, 147,469 471,463. Hegel, Ge-
Kbicbte der ital. Städteverfassunar, Bd. 2, B. 422 f.
•*) Hegel, St&dtecbroniken, Nürnberg, Bd. 1, 8. XVIII.
12 Maorer, Deatache StAdteverfasaung, Bd. 1, S. 227. 221,
^ Böhmer, Acta Imper., 8. 766, 6B1.
'^ Oberamtsbeachreibung von Horb, S. 110.
— 204 —
wieder aufgehoben.^ So wird in Köln im Jahre 1225
den RichterbOrgem yon dem Zanffcmeisterrate der Zutritt
in den Gemeinderat verboten, ein Verhältnis das wir in
Ulm noch im Jahre 1292^") finden, und am 23. lanuar 1231
wird durch Reichsgesetz im ganzen Reiche jede weitere
Einrichtung von Einungen oder Zünften ohne Ge-
nehmigung der Reichsbehörde yerboten und die Auf-
hebung aUer derartigen Einrichtungen angeordnet, soweit
sie ohne Genehmigung der geistlichen Landes-
herrschaft und der Reichssultheissenämter erfolgt
sind,^') wie auch die selbstgegrOndeten Gemeindemüni-
ämter aufgehoben werden mit der Bestimmung, dass nur
die landesherrlichen Reichsmünzen gelten sollten. ^) Bitter
beklagen sich auf dem Reichstage zu Rayenna die
geistlichen Landesherren, wie die Handwerks-
zunftmeister der Vorstädte sich in die Gemeinderäte
eindrängen; sie ahmen bei der Einrichtung ihrer neuen
Verfassungen die Gebräuche der alten Römer nach
und suchen dadurch zur bürgerlichen Freiheit zu ge-
langen, dass sie sich bei ihren privatrechtlichen Streitig-
keiten nicht mehr der königlichen Gerichte der
Reichsschultheissen und Reichsamtleute bedienen,
sondern dieselben vor ihre selbsteingerichteten Fried-
gerichte oder Einungen und deren Konsuln bringen.^')
Die geistlichen Landesherrschaften suchen sich ferner den
Zunftver bänden gegenüber dadurch zu helfen, dass sie
dem „Landwe k^, d. h. den Handwerkern yom Lande,
ebenfalls gestat):en, ihre Erzeugnisse in den Städten im
Kleinen zu vo saufen*'), und suchen durch diesen wirt-
schaftlichen Drüv.k sie zur Nachgiebigkeit zu zwingen oder
schaffen die neu errichteten Einungen mit Bezugnahme
auf die Reichsge^etzgebung ab, wie dies z. B. im Jahre 1232
das Bistum Regensburg thut; aber dieser Widerstand
hält nicht lange^ vor und schon am 10. November 1245
wird auch in Regensburg die Einrichtung der Einung
mit von der Gemeinde alljährlich neu gewähltem Bürger-
meister (procurator), Siegelbewahrern oder Pflegern (con-
sules) und Zunftmeistern (Handwerksamtleuten, Hand-
werkergassen- oder Handwerkerviertelsmeistern, magistri
vicorum), diesmal in unwiderruflicher Weise ge-
nehmigt**) Auch in Ulm geht es in ähnlicher Weise,
**) Presse], ülmisches ürkondenbuch, Bd. 1, 8. 202 f.
**) Fischer, Deutsche Handelsgeschichte, Bd. 2, S. 101 ff., Bd. 1, B. 518.
Bd. 2. 8. 108.
**) Gemeiner Regensburger Chronik, Bd. 1, 8. 8S1 1
*') Maurer, Deutsches St&dtewesen, Bd. 1, 8. 12, 14, 241 Gemeitter,
Regensburger Chronik, Bd. 1, 8. 845.
— 205 —
auch hier geht der Landesherrschaft, der Abtei
Beichenaa,ein grosser Teil ihrer landesherrlichen Bechte
verloren and za diesen Bechten gehört offenbar auch in
Ulm wie in anderen Städten das Becht der Ernennung
des Bürgermeisters des Jndenyiertels oder Jnden-
freihofs, des Jadenhofmeisters.
Wie die Znnftgemeinden, Znnftgassen oder Zanftyiertel
der einzelnen Handwerke in den Vorstädten sich auf diese
Weise ziemlich weitgehende Befugnisse betreffs der frei-
willigen Gerichtsbarkeit erkämpfen, so gelingt dies
jetzt auch den Judenhofgemeinden der Vorstädte, wie
wir oben an dem Beispiel von Köln des Nähern erörtert
haben.^') Der Abschlnss der K a u f y e r t r ä g e n. s. w. erfolgt
vor dem Judengericht und nur die gesetzlich vorge-
schriebene Beglaubigung durch den landesherrlichen
Beamten, den Schreinsamtschreiber der dortigen Laurenz-
pfarre, and die Urkundenbewahrung findet vor
dem königlichen Gerichte statt ^'), wie z. B. auch für
Oesterreich eine Verordnung des Herzogs Wilhelm vom
Jahre 1396 bestimmt, alle Schuldbriefe sollen gemein-
schaftlich vom Stadtrichter und vom Judenrichter
gesiegelt werden.
Weitere strengere Verordnungen betreffs der Ab-
fassung von Schuldurkunden erfolgen erst im U.Jahr-
hundert So wird z. B. im Jahre 1840. ;j' Botenburg
an der Tauber verordnet, alle SchuldbrLäfe sollen alle
zwei Jahre vor Gericht erneuert werden, widrigen-
falls Hauptgut und Zinsen verloren sein 1 (\ilten. So wird
auch in Frankfurt am Main am Ende des 15. Jahr-
hunderts bestimmt, die Juden sollen ihre Schuldbriefe
binnen zwei Jahren nach der Ausstellung einlösen
lassen. Die Massregel bezweckte, den Gläubiger und den
Schuldner zu zwingen, von Zeit zu Zeit jpit einander ab-
zurechnen, und dadurch Betrügereien zu verhüten.^")
Wie notwendig es im Interesse einer geordneten Bechts-
pflege war, betreffs der Schuldurkunden den Juden auf
die Finger zu sehen, zeigen zahlreiche Mitteilungen. So
gesteht im Jahre 1397 ein Jude vor Gericht, die
Jaden pflegen in anderen Ländern falsche Schuldur-
kunden zu machen. Sterbe z. B. jemand, von dem sie
eine Schnldurknnde besitzen, so machen sie eine andere
Urkunde, in der sie den Schuldbetrag verdoppeln
oder erhöhen, auch machen sie andere Siegel an die
Urkunden und betrügen so die Lente.*^ So nimmt im
Jahre 1373 die Stadt Augsburg von ihren Juden einen
•^ Vgl. oben 8. 7 f.
^ Stobbe, Jaden in Deutschland, S. 128 f.
— 206 —
Schaden, d. h. eine Entschädignngssumme, fOr yon ihren
Bftrgern seitens der Jaden zuviel verlangten Wacher von
Ober 100000 (?)GaIden, weil der Augsburger Jude Barach
eine gefälschte Schaldarkunde gegen den dortigen
Vitztum (yicedominns) ausgefertigt hatte.^)
Nach der Ansicht des Corpus juris Canonici war der
ursprüngliche Zustand die Gütergemeinschaft Nach
natürlichem und göttlichem Rechte sind alle Dinge den
Menschen so gemein wie die Luft und das Sonnenlicht Er-
zeugungskräfte sind die menschliche Erzeugungskraft und
die Erzeugungskraft der Grundstücke, Tiere, Körner u.s.w.
Die Zeit ist ein Gemeingut und darf nicht yerkaoft
werden. Der Kirchenvater Ambrosius verwirft den Ge-
danken, als hätte der gerechte Gott den Einen zum Ueber-
fluss, den Andern zur Dürftigkeit bestimmt Darum dürfe
niemand so unverschämt sein, Dinge für sein Privat-
eigentum zu erklären, welche über seinen Privatbe-
darf hinaus dem Gemeingute entnommen seien. Mein
und Dein ist nur durch Menschenrecht und durch den
Sündenfall entstanden, also der Ungerechtigkeit
entsprossen. Man kann es deshalb wohl im gewöhnlichen
Leben dulden, aber im Notfalle hat die öffentliche
Gewalt das Recht, die ursprüngliche Gütergemein-
schaft wiederherzustellen, indem sie dem, der zuviel hat,
den nötigen Anteil kraft ihres Amts wegnimmt „Dulcis-
sima rerum possessio communis est" Diese Anschauung
weicht vom heutigen Sozialismus, wie man sieht,
wesentlich dadurch ab, dass sie auf religiöser Grandlage
beruht und die entschiedene Verachtung aller irdischen
Güter ausspricht Die Armut ist das bessere, Gott
wohlgefälligere, der Reichtum ist nicht geradezu
Sünde, aber eine hohe Gefahr für die Seele. Der
Eigennutz als Triebfeder wirtschaftlicher Thätigkeit
ist verwerflich. „Avaritia" ist Götzendienst, die „cupi-
ditas" ist die Wurzel alles Uebels; beide sind darum aaszu-
rotten. Alle weltliche Thätigkeit ist eigentlich ein Uebel;
Spekulation und Wucher sind verwerflich. Der ungeheure
Kirchenbesitz des Mittelalters mit seiner grossartigen
Armenpflege war der Anfang dieses kommuni-
stischen Ideals.*'^)
Wucher, d. h. Gewinn aus der Stundung einer
Forderung, zu nehmen, ist nach mittelalterlicher An-
*^ Von aiiiB SBdschen prieft wegen, Ton ainen iaden, der hiesx
Boroch** US78). „von des brives des Titztanui von Baracb.*" Stobbe,249.
«^ Röscher, Geschichte der Nationalöko&omik, 8. 5 f.
— 207 —
schaanng ftlr einen Christen schlechthin und unter jeder
Form verboten. Wer dies thnt^ ohne hieza wie der öffent-
liche Darleiher von der Behörde berechtigt zu sein, ist
ein Dieb und Bänber, ja noch schlimmer als ein
solcher, die Kirche stösst ihn dämm aus nnd nimmt ihn
nur nnter der Bedingung wieder anf, dass er Alles, was
er erwuchert hat, wieder znrflckerstattet Wer dem andern
em Hauptgut leiht, der darf nur dieses Hauptgnt und
seine Auslagen zurflckyerlangen , unter keiner Form aber
eine Vergütung f&r die Säumnis. Es ist deshalb auch
verbotener Wucher, wenn Jemand einem andern etwas
Terkauft und mit BOcksicht darauf, dass die Zahlung erst
später erfolgen soll, den Preis höher stellt oder mit
BAcksicht darauf, dass die Zahlung früher erfolgt,
niedriger. (Discontgeschäft) Jeder derartige Abzug (Dis-
cont) ist Wucher. Der Herr hat gesagt: „Leihet, dass
ihr nichts dafOr hoffet^, deshalb ist der Wucher (Discont)
schlechthin Sünde. Wer Geld für die Säumnis nimmt,
der verkauft dem Andern etwas, was gar nicht besteht,
setzt uns Thomas von Aquino auseinander und das Wiener
Stadtrecht vom Jahre 1435 sagt, die Erlaubnis, Geld auf
«Schaden" bei Juden oder Christen aufzunehmen, sei zur
Hälfte ungültig, da man rechtlich nur einem Juden
gegenüber verpflichtet sei, eine Forderung auf
Schaden anzuerkennen/*)
Ein ganz anderer Fall, als bei dem Darleihen von
Währungsgütem, d. h. von Sachen, die einen obrigkeit-
lich festgesetzten Preis hatten, lag vor, wenn es
sich um das Darleihen eines freien Guts handelte,
Der Ertrag eines wirtschaftlichen, d. h. eines durch
den Gebrauch nicht verzehrbaren, einen mehrmaligen
(Gebrauch (secundus usus) zulassenden Guts bestand nach
der Bechtsauffassung des Mittelalters einmal aus dem
«usus**, d. h. dem Nutzen, der „Beute**, welche dasselbe
abwarf, und dann aus dem „fructus**, d. h. dem Ertrage,
den die darauf verwendete persönliche Arbeitskraft
dfgab. Der Bezug des ersten dieser beiden Ertrage, der
Rente, des usus, war das Becht des Eapitalherrn,
der zweite Teil gebührte dem arbeitenden Bewirt-
Bchafter desselben, dem „ Armmanne ^ oder Arbeiter,
der natürlich ebensogut gleichbedeutend mit dem Kapital-
herrn sein konnte. Der Zins oder census, die Zehnte,
die Gülte entsteht nun dadurch , dass ein Eapitalherr
^in Becht auf den usus, d. h. die nach dem Ausfall
Geschäftsbetriebs wechselnde Beute einer Unter-
**) Stobbe, Jaden in DentacÜand, S. 116.
— 208 —
nehmang einem andern gegen festes Entgeld über-
l&BSt Der Grandherr z. B. leiht einem Zinsmann sein
Gut gegen einen Jahrzins, dieser lässt es von seinem
Knecht bestellen nnd erhUt dafGür als Unternehmer, als
verbindendes Zwischenglied zwischen Grundherr
nnd Arbeiter, den Mehrertrag des nsas Qber den zu
bezahlenden censns, beziehungsweise trftgt den ent-
stehenden Minderertrag des nsas unter den census.
Was die Wuchergesetzgebung des kanonischen Rechts
bezweckte, war also nichts, als dafür Sorge zu tragen,
dass der Anteil des Eapitalherrn am Ertrage des voii
ihm hergeliehenen nicht verbranchbaren G^enstands
kein übermässig grosser wurde. Der Zins sollte keine
drückende Abgabe sein, die der Schuldner unter allen
Umständen zu leisten verpflichtet war, sondern lediglich
der Ausdruck der Verbindung des kapitalbedfirftigen
Wirtschafters mit einem besitzenden Manne zu einer
Erwerbsgesellschaft mit gemeinsamer Teilung von
Nutzen und Schaden. Der Darleihende sagte sieh,
dass er sich wirtschaftlich dadurch verbessern kSnne,
wenn er auf eine bestimmte Zeit sich seines Herrenrechts
auf den Ertrag seines Eigentums begab, und entschloss
sich, die hiedurch wie er hoffte zu steigernde Beute
aus seinem Besitz f&r eine gewisse Zeit einem andern
abzutreten. Von dem Tage der Beleihung an ist von
Rechtswegen nicht mehr der Eigentttmer, sondern der
beliehene Unternehmer der Herr des usus und des
fructus des dargeliehenen Gegenstands, der als solcher
die Verwaltung oder nutzbringende Verwendung
desselben besorgt und so lange, ais die Beleihung dauert,
den vollen Ertrag des usus bezieht, während der Eügen-
tflmer lediglich den ausbedungenen festen Zins erhalt
Dabei galt aber als Grundsatz, dass der Kapital-
eigentttmer die Leihgebühr nicht hSher ansetzen
durfte, als der Verlust betrug, den er durch die Weg-
gabe des von ihm dargeliehenen, durch den Gebrauch
nicht verzehrbaren Gegenstands, des Grundstftcks, der
Baumwolltuche, der Goldstücke u. s. w. erlitt Erhielt er
mehr, so hatte er dies zur Abschreibung der Schuld
im Interesse des Schuldners zu verwenden, weil eben nach
der Ansicht der Eanonisten und Scholastiker der Eapital-
herr, also der Käufer von fflnsforderungen, lediglieh
befugt war, sich ausser der Rückgabe seines Hauptguts
f Caput) den Verlust für die Weggabe seines Guts
(Interesse) vergüten zu lassen oder den Gewinn, der ihm
nach dem landesüblichen Zinsfuss (judicio bonorum
mercatorum) entstanden wäre, wenn er sein Hauptgut
— 209 ~
anderweitig verwendet hätte (lacram cessans). Beides
zusammen, Hauptgnt (capat) nnd entgangener Gewinn
und entstandener Schaden (interesse) (ttr die Vertrags-
zeit bildet die Schuldsamme (sors). Ueber diese
Schuldsumme hinaus weitere Forderungen an den
Schuldner zu stellen, ist dem Christen nach Ansicht der
Kirche nicht gestattet Dagegen ist es ihm ganz folge-
richtig erlaubt, sich den etwaigen Schaden ersetzen zu
lassen, der ihm dadurch entsteht, wenn der Schuldner
zur festgesetztenZeit seiner Verpflichtung nicht nach-
kommt, da er hiedurch behindert ist, seine Sache wieder
selbst umzutreiben.
Beide Faktoren sind schon in der ältesten Zeit als
berechtigt anerkannt worden, während aller weitere Gewinn
als Unrecht bezeichnet wird. So erkennt schon Graf Albertus
Magnus von BoUstädt, der bekannte Dominikaner-Gelehrte,
geboren in Lauingen 1205 (1198?), das Becht des Gläubigers
auf den Schaden an und der Dominikaner Thomas von
Aqoino, geb. 1224, billigt auch dem Christen den ent-
gehenden anderweitigen landesüblichen Gewinn aus dem
Hanptgut (lucrum cessans) als erlaubten Ertrag seines dar-
geliehenen Geldes zu. Die Höhe war damds der übliche
Judenzinsfuss von 10 Prozent. Wer mehr Gewinn aus
einem Darlehen nahm, war nach der Anschauung der
christlichen Sittenlehre ein Wucherer (usurarius), dem
die kirchliche Gemeinschaft, der Empfang des
Abendmahls und der Sakramente nnd ein ehrliches
Begräbnis zu versagen waren. So meint der Lehrer der
Staatswissenschaften Heinrich von Langenstein, den der
Herzog Albrecht in. von Oesterreich im Jahre 1384
an die Uniyersität Wien berief, alle Spekulation sei
Klugheit des Fleisches und der Welt, die nicht aus
Gott sei. Man dürfe wohl in der Art spekulieren, dass
man mehr wiederbekomme, als man weggegeben
habe, aber nicht so, wie die Wucherer thun, sondern
indem man bdisches opfere, um Ewiges zu erlangen. Der
Erde solle man darleihen für zeitlichen Gewinn, also
sein Geld den Bauern geben, denn auch das liebe Tier
gebe für Geringes und Massiges, das es empfange, Köstliches
und Vieles wieder, die Tiere für ihr Futter Fleisch und
Blnt, der Acker für ein Saatkorn das Dreissig-, Sechzig- und
Handertfaltige ; der Staat aber sollte nicht zuviel Grund-
zinsen entstehen lassen, denn eine allzu grosse Ver-
mehrung der Kententitel führe zur Ueberschuldung
des Landes; da sei es Pflicht jedes ehrlichenFflrsten,
dagegen einzuschreiten. Auch Leibrenten, die
Lebensversicherungen des Mittelalters, hält Langenstein für
14
— 210 —
ünchristlich, da sie leicht daza yerfthren, den Tod des
Versicherten za wünschen, and auch der gerechte
Aasgleich der gegenseitigen Leistung (aeqnalitas) allzu
angewiss sei, so dass jeder Vertragsschliessende hoffe,
mehr za emp&ngen, als er hingegeben habe. Ein anderer
Wiener Staatsgelehrter aas derselben Zeit, Heinrich yon
Hoita, yerlangt, einem Wacherer and Spekalanten
sollte kein ehrlicher Ghristenmensch mehr kochen, Kleider
machen, ihn ärztlich behandeln, man sollte mit ihm
überhaupt nicht mehr verkehren, nm ihn zom Bewnsst-
sein seines Unrechts za bringen; auch sollte kein armer
Christ oder eine fromme Sammlang eine Unterstfltznng
yon ihm nehmen, denn im erspekulierten Oelde sei
kein Segen. Das „Negotium^, d. h. der Spekalations-
handel im Gegensatze zum ehrlichen kaufmannischen
Handel, der „mercatura^, nimmt dem Menschen den
Innern Frieden und jene seelische Buhe, welche
ihn za Gott ftthrt, ist die Anschauung des Mittelalters.
Des Menschen yornehmste Beschäftigung ist und
bleibt nach Ansicht der christlichen Kirche der Acker-
bau, yon der technischen Beschäftigung, der
Industrie und dem regulären Kaufmannsgeschäft
meinen die Kirchenyäter: „Deo non displicunt", Gott hat,
nichts dagegen, dagegen der Spekulant (negotiator) wird
damit abgefertigt, dass er „Deo placere non posse^, dass
sein Thun Gott nicht wohlgefällig seL*^
Thomas yon Aquino, der berühmteste Theologe des
Mittelalters, unterscheidet zweierlei Dinge, solche die
durch den Gebranch selbst yerzehrt werden (res con-
sumptibiles), und solche, bei denen dies nicht geschieht;
bei den letzteren kann man sich f&r den Gebranch etwas
yergüten lassen, also z. B., wenn man Jemanden ein Haus
yermietet oder einen Acker, der Frucht trägt Anders bei
den durch den Gebrauch yerzehrbaren Dingen. Bei
diesen lässt sich der Gebrauch nicht yom Besitz der
Sache selbst trennen; man kann nicht Jemanden ihren
Besitz übertragen und sich dann für den Gebrauch noch
besonders bezahlen lassen. Zu diesen Dingen aber ge-
hören alle sogenannten Währungsgüter, d. h. diejenigen
Verkaufsgegenstände, welche eine obrigkeitlich be-
stimmte Taxe, eine Währung, haben, yor allem also
die Landesmünze, dann aber aber auch alle zünftigen
Verkaufsgegenstände, wie Brot, Fleisch, Frucht, Mehl,
Eisen, Salz u. s. w. Alle diese Dinge, vor allem die
Landesmünze, yerzehren sich im Gebrauche. Landes-
'^ RoMlier, Geschichte der KationalAkonomlk, S. la
— 211 —
mfinze, die ausgegeben ist, bleibt verzehrt Leiht einer
dem Andern Landesmünze, so hat der, welcher dieselbe
empfängt^ damit das Secht, sie zn gebrauchen. Würde er
dagegen ausser dem Hauptgate samt dem Gewinn-
entgang und Schaden noch weitem Gewinn nehmen,
so wäre er wie Jemand, der einem Andern Wein
verkaufte und sich dann nicht blos den Wein, sondern
ausserdem den Gebrauch des Weins ausbezahlen liesse.
Er verkaufte etwas, was gar nicht existiert, das besondere
Recht des Gebrauchs, was doch mit dem Besitz der
Landesm&nze gegeben ist/^ Man sieht aus dieser
Beweisführung des berühmten Scholastikers, dass das
Mittelalter in durchaus sozial-neuzeitlicher Auf-
fassung den einzig gerechten Begriff vom Gelde
hatte. Es kannte nur einen Ertrag, der entstand aus dem
Zusammenwirken von Arbeitskraft und Arbeits-
stoff, aber jeder im Voraus festgesetzte Gewinnbezug
dafllr, dass man eine beim Gebrauche verschwindende
Sache auf Zeit weggab, war ungöttlicher Wucher (usura),
der keinem Christen zustand. Wer darum absichtlicn
Wucher (usura) nahm, d. h. wer einen höhern Preis
ffir eine durch den Gebrauch verzehrbare Sache forderte,
weil die Heimzahlung erst später erfolgte, der
verkaufte seinem Nächsten die Zeit. Die Zeit lässt
sich aber nicht verkaufen, sie ist ein Gemeingut Aller.
Währung, das ist ein allgemein giltiger Satz im Mittel-
alter, ist unfruchtbar, so gut wenn sie im Kasten liegt,
vie wenn man sie ausleiht; fruchtbar ist nur die Arbeit
(Arbeitskraft), die mit Hilfe der Naturkräfte (Arbeits-
stoff) Güter hervorbringt Währung ist lediglich be-
stimmt zum Gebrauche und dadurch aufgebraucht, also
Terzehrt Bei der Währung giebt es nur einen primus
Qsus, einen einmaligen Gebrauch, beim freien Gut,
z. B. bei der Liegenschaft, beim Silberpokal, beim
Schiffen. s.w., einen mehrmaligen (secundus usus); Währ-
Qngsmünze aber ist lediglich zum Kaufen bestimmt;
hat sie diesen Zweck erfüllt , so ist ihr Dienst zu Ende.
War so das Erhöhen einer Forderung, also das
Nehmen von Schadenersatz für die Stundung eines
Terzehrbaren Guts, Wucher, so gab es auch Münzen
und andere Gegenstände, welche nicht als verzehr-
bar angesehen wurden, weil sie nicht allein einen Nenn-
wert, (einen Gebrauchswert), sondern auch einen
Handelswert hatten.*^) Als solche Gegenstände wurden
alle Sachen angesehen, welche nicht der Landes-
^ Boteher, GeBchichte des NatioiuilökonGinik, S. 10.
— 212 —
wfthrnng angehörten. Diese Sachen waren nicht allein
Torhanden, am als Zahlnngsmittel und zum sofortigen
Gebranch zu dienen, sondern sie waren ein Handels-
gegenstand, der keinen von der Obrigkeit festge-
setzten Wert hatte, sondern der Handelskonjnnktur
unterlag. Zu diesen Gegenständen gehörte vor allem bis ins
14. Jahrhondert das Gold, dessen Wert bei der Unsicher-
heit der damaligen Mfinzverhältnisse, namentlich
dengrossen Schwankungen zwischen der Relation
Ton Gold und Silber, ein durchaus unbestimmter
war; der Mflnzempfänger konnte damit einen Handels-
gewinn machen und es wurde ursprünglich nicht als
Wucher angesehen, wenn ein Christ einem andern Christen
eine Anzahl ausländischer Münzen (Abenteuergeld)
oder anderer ähnlicher Gegenstände leihweise fibergab nna
dieser als Entgeld ffir deren Benfltzung einen Zins bezahlte
Ebenso wie mit einer Anzahl fremder Münzen konnte es
selbstverständlich mit jeder andern vertretbaren (fun-
giblen) Handelsware gehalten werden, d. h. mit jeder
Sache, welche nicht in denselben Stücken, sondern
nur in gleich guter Menge geliefert werden mnsste,
z. B. einem Ballen Baumwolltuch oder Leinwand.
Da der Beliehene mit diesen fremden Münzen, Tuch-
ballen u. s. w. einen Handelsgewinn machen konnte,
lag kein Wucher vor, sondern ein redliches Zinsge-
schäft Stieg der Wert der ungarischen, böhmischen oder
rheinischen Goldstücke, so konnte der Beliehene einen
Kursgewinn machen, fiel der Wert der dargeliehenen
Sohbarchentfardel, der Leinwandfardel, der Golschentnche,
der Edelmetallbarren, so konnte er damit Verluste er-
leiden. So bestimmt z. B. die Ulmer Judenordnung vom
Jahre 1385, nicht nur die Wechsler sondern auch die Juden
sollen unbehindert redlichen, ungefährlichen Wechsel
mit rheinischem, ungarischem, böhmischem und
welschem Gelde treiben dürfen, da das alles „Abenteuer-
gut** sei.****) Wucher ist dagegen, wenn einer eine Sache
deshalb teurer verkauft, weil sie erst später be-
zahlt werden soll, ebenso wie es Wucher ist, wenn einer
eine künftig zu liefernde Sache deshalb billiger
verkauft, oder wenn jemand die Heimzahlung eines
Darlehens in fungiblen, d. h. vertretbaren Gegen-
ständen absichtlich auf eine Zeit ausbedingt, wo
diese Dinge teurer sind.
Immer strenger wurden die Ansichten über den
Wucher seit dem 16. Jahrhundert, in der Zeit
**) NaUing, Ulmi Fiseherciimeii, a a
— 218 —
Merkanülisinns. Je mehr sich das Zanftweeen jetzt unter
dem Btkckgang der Erwerbsverhältnisse verknöcherte, je
mehr man begann, immer weitere Gegenstände, so das
Gold, die Tücher, zn Währungsgut, zu zfinftigen
Monopolartikeln mit festem Preise zn machen, je mehr
sich der zflnftige Geist anch des seither dem freien
Verkehr ttberlassenen Kaufhauses, der Wochen- und
Jahrmärkte bemächtigte, die seither als notwendiges
Gegengewicht gegen die Uebergriffe des Zunftgeists
gedient hatten, um so mehr sah sich die Darleihe ein-
geschränkt, so dass z. B. die Ulmer Wucheryer-
ordnung vom Jahre 1501 das Ausleihen von Tüchern
zum Spekulieren gegen Entgeld als Wucher verbietet
So bestimmen die allerdings im Jahre 1555 wieder auf-
gehobenen 12 Wucherartikel des Ulmer Stadtpfarrers
Ulrich Erafft vom 9. Juli 1501 ausdrücklich: als Wucher
anzusehen sei, wenn ein Schuldner, der dem verein-
barten Wechsel, d. h. dem Schlussschein, und seiner
Zusage nach dem Gläubiger rohe Barchente auf Ascher-
mittwoch nicht bezahlt habe, dazu gedrungen werde, 4, 5
oder 6 Gulden von einem Fardel für die Prolongation
(fllrs „Anstehenlassen'') zu geben, oder wenn ein Schuldner,
der die Verpflichtung übernommen habe, ihm gelieferte rohe
Barchente auf Aschermittwoch zu bezahlen, vom Gläubiger
Verlängerung (Zug) bis Jakobi erhalte unter der Bedingung,
dass er den Bleicherlohn verlieren solle, wenn er auf
Jakobi wieder verlängern wolle ; oder wenn der Schuldner
die rohe Ware auf die Viertage nicht bezahle und Ver-
längerung bis Jakobi erlange unter der Bedingung, der
Glaubiger solle dann die Ware gebleicht erhalten, ohne
dem Schuldner den Bleicherlohn zu bezahlen, oder wenn
einer dem andern weisse Ware zu leisten schuldig sei und
ihm statt derselben rohe gebe, und der andere rechne ihm
dann für das Bleichgeld mehr auf, als dies in Wirklichkeit
betrage, so dass der eine fibemommen werde; oder wenn
einer, der Geld brauche, zu einem, der Tücher habe, komme
and demselben solche um eine bestimmte Geldsumme abkaufe
in der Hoffiiung, er woUe das Tuch wieder verkaufen, und
der Verkäufer kaufe dann, wenn der Kauf abgelaufen sei,
dem Käufer die Tücher um einen geringern Preis wieder
ab, als er sie verkauft habe, oder wenn man Tücher
unwechle und der, welcher wechsle, keine Tücher habe,
sondern dem andern, mit dem er wechsle, soviel Geld
gebe, als auf dieselbe Zeit der Tagespreis der Tücher sei ;
das alles sei gefährlicher Wucher; noch mehr Unrecht
aber sei es, wenn man dem Schuldner weniger Geld gebe,
als das Tuch nach dem Tageskurs wert sei, wie es auch
— 214 —
Wncher sei, wenn einer Tficher auf Jakobi anstehen nnd
einen nenen Schnldbrief machen lasse, so dass es scheine,
als ob er wieder von nenem gewechselt habe, oder wenn
einer einem andern Tficher leihe und daffir eine Ent-
schädigung nehme. Wncher sei, wenn einer einem andern
die Lieferung der verfallenen Tficher (den Wechsel) recht
lange anstehen lasse, nnd dann f&r das Wechselgeld sich ein
weiteres Tuchfardel geben oder das Fehlende bar darauf
zahlen lasse, damit ein ganzes Fardel entstehe, nnd dieses
dann auch verwechsle. Auch wenn einer einem andern,
auf Georgi, den 23. April, ein weisses Fardel gebe mit
der Bestimmung, dass dieser ihm auf Jakobi, den 25. Juli,
ein rohes Fardel liefere, und dafDir ein Wechselgeld
nehme mit der Bestimmung, der andere solle ihm anf
Bartholomäi, den 24. August, gebleichte Tficher daf&r
geben, und dann wieder um diese Summe wechsle, so seien
das auch gefährliche Finten, durch welche die „üblichen
Kaufmannswechsel übernommen" werden. Ebenso
wenn beim Wechsel mit Bletzentfichern der Schuldner die
Tficher auf das Ziel, auf das er gewechselt habe, nicht
liefere, weil er keine Bletzen habe, der Gläubiger aber anf
der Lieferung bestehe und derart mit derselben dränge,
dass der Schuldner statt der Bletzentficher wertvollere
ganze Währungstficher zum Preis der Bletzentficher Uefem
mfisse und so fibervorteilt werde.''^)
Strenge galt femer bis ins 15. Jahrhundert herein
der Bechtsgrundsatz, dass der Pfandgegenstand stets in
den vollen Besitz des Schuldners fibergehen mfisse.
Es war also nicht gestattet, Geld auf ein Grundstock
zu leihen und dessen Ertrag dem Schuldner zu lassen,
sondern der Geldgeber musste das verpfändete Grund-
stfick in eigene Verwaltung nehmen und den etwaigen
Ertrag, der nach Bestreitung der Bewirtschaftungskosten
zuzfiglich seines landesfiblichen Bentenentgangs ffir das
dargeliehene Kapital (lucrum cessans) fibrig blieb, zur
Abschreibung von der Schuldsumme verwenden.
Eine Aenderung hierin kommt erst im Jahre 1420 zu
Stande. War es seither von der Kirche strengstens ver-
boten gewesen, den Pfandgegenstand im Besitze
des Schuldners zu lassen und sich lediglich eine fest-
stehende Rente verpfänden zu lassen, so wird jetzt
von der Kirche gestattet, Liegenschaften auch in
der Art in Pfandschaft zu nehmen, dass der Pfand-
gegenstand im Besitze des Schuldners blieb und
von diesem als Unternehmer weiter verwaltet wurde. So
'•) Nübling, Ulms BmmwoUweberei, 8. 120 ff. und 186 ff.
— 216 — .
entstand die Einrichtung des sogenannten Rentenkaufs.
Die rechtliche Begrtlndang dieser Einrichtung geschah
dadarch, dass die Kirche erklärte, bei diesem Renten-
kaufe sei ja der Schuldner in der Lage, aus dem ver-
pfändeten Gegenstande Erzeugnisse zu gewinnen , also
Ertrag zu ziehen, während dies bei der Satzung, also
dem Verkaufe mit Vorbehalt der Wiedereinlösung, nicht
angieng, weil hier der Gläubiger das Pfandgut in Besitz
ni^m. Diese Satzung war deshalb auch als Wucher
strenge verboten^*)
Diese allgemeinen Grundsätze bedingen denn auch die
ganze Einrichtung des mittelalterlichen Darleihgeschäfts.
Das Darleihen des Gelds geschieht unter Einsetzung
Ton Pfändern und es ist jedermann, auch dem Christen,
auch im Mittelalter ohne Anstand gestattet, einem andern
Geld darzuleihen und sich dafür eine Pfandsicher-
heitdurch persönlicheBnrgschaft, Liegenschaften
oder Fahrnis geben zu lassen, nur muss dabei stets der
betreffende Pfandgegenstand, also auch d ie Liegenschaft,
80 lange in den Besitz des Gläubigers überführt werden,
bis die Auslösung desselben erfolgt, so dass also sämt-
liche Erträgnisse des Pfandguts dem Pfandbe-
sitzer zufallen. Von diesen Erträgnissen hat nun
der Pfandbesitzer diejenigen Beträge abzuziehen, welche
ihm aus der Verwaltung des Pfandguts als Auslagen
erwachsen, und sodann den Rest zur Abschreibung an
seinem Darlehen zu verwenden. Dass zu diesen Auslagen
auch der Gewin nen t gang (lucrum cessans) gehörte, der
dem betreffenden Geldherm dadurch erwuchs, dass er sein
Geld dem andern gegeben hatte, wurde dabei als ganz in
der Ordnung angenommen, nur durfte dieser Gewinnent-
gang nicht höher gerechnet werden, als der gesetzliche
Jndenzinsfuss von 10 Prozent betrug, also als die
Summe, welche der Geldherr dem Juden gel) en musste, um
das benfitzte Darlehen zu erhalten, da man nicht verlangen
konnte, dass er sein eigenes Geld weggab. Die sämtlichen
Erträgnisse des Pfandgegenstands aber fielen dem Pfand-
besitzer zu. Der Geldherr gab dem Geldnehmer eine
bestimmte Summe und erhielt dafür nicht eine andere
Geldleistung, sondern dessen Pfand. Den vollen Er-
trag der Summe erhielt von jetzt an der Beliehen e,
den Ertrag des Pfands der Geldherr. Wie er das
Pfand nutzbar umtrieb, war seine Sache. Vom Ertrag
zog er die Verwaltungskosten zuzüglich des ihm ge-
bührenden landesüblichen Zinssatzes ab, den etwaigen Rest
") Boicher, Geschichte der Nationalökonomik, S. 10.
- 216 —
schrieb er bei der Rückgabe an der Schuld gat, so dass
der Gtoldherr also den Wert seines Darleihens, das es
bei der anderweitigen landesfiblich-kaufmänniBchen Ver-
wendung in der Darleihzeit täi ihn gehabt hätte, also das
Hanptgnt samt seinem Gewinnentgang und Schaden (sors,
d. h. capnt nnd Incrnm cessans nnd damnnm emergens)
zurückerhielt. Damit war er dann abgefunden; er hatte
wieder, was er hingegeben hatte.
Ganz folgerichtig war deshalb die Forderung ge-
setzlicher Verzugsgebühren (usurae punitoriae)
erlaubt. So wird unter Papst Alezander m. auf dem
Konzil von Tours bestimmt, wenn jemand eine Liegen-
schaft als Pfand für ein Darlehen erhalten habe, so
solle er dasselbe zurückgeben, sobald er sein Haupt-
gut und die gehabten Auslagen aus dem Ertrage
zurückerhalten habe.'^^ Da indessen aus einem solchen
Verhältnisse leicht ein dauernder Zustand entstehet
konnte, wurde bestimmt, dass der Darleiher dem Schuldner
den Pfandgegenstand entweder gegen Bezahlung
solle zurückgeben oder, wenn diese nicht erfolge, den-
selben solle verkaufen müssen, sobald der Geldherr so
viel Zinsen erhalten habe, als das Hanptgnt betrag,
also bei 10 Prozent nach 10 Jahren. Eine Folge dieser
Bestimmung war, dass die Schutzjudenverträge der
Landesherrschaften gewöhnlich auf 10 Jahre ab-
geschlossen wurden. Erst als im Jahre 1420 die Kirche
gestattete, ein Grundstück, welches im Besitze des
Schuldners blieb, dauernd mit einem festen Zinse
(Zehnten) an den Geldherrn zu belasten, wurde es möglich,
mehr Zinsen aus einem Darlehen zu beziehen, als
dessen Hauptsumme betragen hatte, indem der Pfandherr
das Grundstück jetzt im Besitz des Schuldners lassen nnd
auf beliebige Weise mit einem Zinse belasten konnte. ''')
t Dtr ZlniUeinliaiidol dar Jndtn.
Durch das ganze Mittelalter spielt die Frage der
öffentlichen Darleiher eine hochbedeutsame Bolle.
Man kann nicht ohne Darleiher leben, die Wirtschaft
kann ohne Kredit nicht bestehen, aber die Besorgung
dieser Verrichtung muss in einer Weise erfolgen, welche
den Gesetzen der wirtschaftlichen Billigkeit ent-
spricht So gestattet die Kirche denn jedem ihrer Ange-
hörigen, von einem andern Zinsen, d. h. Zehnten
(census) oder sogenannte „ Rente ^, aus dessen Wirt-
schaftsbetriebe oder Unternehmung zu kaufen^
?
Corp. jud. Canon, 8. 668 ff.
fioBcher, Qesehichte der Nationalökonomie, 8. 10.
— 217 —
nur darf er seine Fordening, die er als Anteil am Oe-
Schaftsgewinn des andern, als Dividende, erhält, des
Gewinns wegen einem dritten nicht wiederverkaufen.
Der Zehnten bezw. Gältenzins des Mittelalters ist also
die festgesetzte Leistung an Naturalien bezw. LandesmOnze
f&r üeberlassnng des Gebrauchs einer nicht ver-
zehrbaren Sache. Er ist der landestlbliche Durch-
schnittsanteil des Kapitalisten am Ertrage des
Wirtschaftsbetriebs des Schuldners und dieser
feste Bezug hat nichts Unrechtes an sich, so lange er sich
in angemessenen Grenzen hält. Ist der Jahrgang des
städtischen Geschäftsbetriebs oder des landwirtschaftlichen
Hofbetriebs ein schlechter, so ist der Ertrag des Be-
liehenen, des Handwerkers oder Bauern, ein kleiner, ist
der Ertntg ein reicher, so macht der Beliehene ein gutes
Geschäft
Was nun aber völlig verboten war und von der Kirche
als Wucher (usura) bezeichnet wurde, weil es nur dem
gewerbsmässigen, von der Behörde belehnten Darleiher
(usurarins) erlaubt war, war der Zwischenhandel mit
Forderungen, d. h. der gewerbsmässige Ankauf
von Zehntbriefen oder anderen Forder nngsrechten zum
Zwecke der Stundung gegen Entgeld. NurdasNehmen
Yon Zins, von Renten, von Ertraganteilen, war
also erlaubt, nicht aber das Nehmen von Säumnis-
gebQhr. Wie jeder Zwischenhandel auch mit anderen
WährungsgOtern, z.B. mit Frucht, Brot, Fleisch u.8.w.
seitens des Landesherrn nur dem hiemit beliehenen Mono-
polisten zustand, so war der einzige, der solchen Ankauf
von Forderungen ausüben durfte, im Mittelalter der
^pnblicus usurarins^, der öffentliche Forderungshändler.
DerZinszwischenhandelsberechtigte ist die Landes-
herrschaft, der Grundherr, und in ihrem Namen und
Auftrage der öffentliche Wucherer.
Die Berechtigung und Notwendigkeit derartiger
Geschäftsleute lag nahe. Der Wirtschafter braucht Geld
zum Betriebe, er weiss aber in zahlreichen Fällen nicht,
wohin er sich zu wenden hat. Diese Lücke füllt der
nsararius aus. Er giebt dem geldbedürftigten Unternehmer
das von ihm gebrauchte Geld und lässt sich dafür einen
Schuldbrief ausstellen oder er kauft solche Zehntbriefe bei
anderen Kapitidisten und treibt den Zehnten vom Schuldner
ein, indem er die Gebühr für seine Mühewaltung, die
nsora, darauf schlägt, und somit den Zins vergrössert
Allen Christen aber ist es strenge verboten, eine be-
stimmte Summe in der Währung des eigenen Lands
einem andern darzuleihen und sich dafür ein Entgeld
— 218 —
aasznbedingeii. Die Aasstellang eines trockenen oder
eigenen Wechsels, also die Ansstellnng eines Scheins,
dnrch welchen sich der Anssteller verpflichtet, an einem
bestimmten Tage eine fest bestimmte Snmme zn be-
zahlen, ist stri^ar.
Die Einrichtung der „öffentlichen Darleiher""
erfolgt auf Grand der Erkenntnis der Behörden, dass das
Darlehensbedfirfnis anf Pfander dnrch den freien Ver-
kehr, das einfache Darlehen gegen Pfänder nicht gedeckt
wird. Die Behörde sagt sich, dass es besser ist, be-
stimmten unter Aufsicht der Behörde stehenden Personen
die Befriedigung der eine Stundung ihrer Forderungen
bezweckenden Schuldner als Monopolgewerbe zu fiber-
lassen, als bei freiem Wettbewerb allen Krebs-
schäden dieser Einrichtung Thflre und Thor zu öffnen.
Man sieht, es ist der gleiche Gesichtspunkt, aus dem
heraus die ganze öffentlich-rechtliche zwangs-
körperschaftliche Gestaltung des mittelalter-
lichen Erwerbslebens erfolgt, aus dem heraus die
angesehene grobwarenhandelnde Eaufleutezunft, die Woll-
händlergenossenschaft, die feinwarenhandelnde Erämer-
zunft, die Handwerkerinnung bis herunter zum priyilegierten
Frauenwirt und Henker entsteht
War die Gefahr fttr den öffentlichen Nutzungs-
h an dl er, um seine Forderung zu kommen, in der Begel
wohl keine sehr grosse, da er ja immer zwei Bürgen
und Selbstzähler, nämlich den ersten Eigner der rftck-
ständigen Forderung und den Pfandschaftsschuldner,
hatte, so war daffir die Aussicht, seine Forderung nötigen
Falls nur durch gerichtliche oder sonstige Zwangs-
mittel erhalten zu können, ein Faktor, mit welchem
er in hohem Grade zu rechnen hatte, und welcher das
Gewerbe zu einem wenig angenehmen stempelte und ihm
die Eigenschaft des Anrüchigen, Unehrlichen verlieh.
War der öffentliche Forderungshändler einerseits ver-
pflichtet, jedem, der ein Darlehen gegen Pfander
verlangte, ein solches bis zum halben Werte des Pfands
zu besorgen, so blieb ihm auch, wenn er nicht in
Hunderten von Fällen um sein gutes Geld kommen wollte,
nichts fibrig, als in Fällen mit Härte aufzutreten, wo der
gemeine Mann das Gef&hl hatte, dass hier Mitleid und
Nachsicht am Platze wäre. Dass der Jude sich za
diesem Handwerk herbeiliess, hat ihm deshalb auch der
gemeine Mann nie verziehen und hat dem öffentlichen
Darleiher von Anfang an seinen Makel verschafft wie dem
Gerichtsvollzieher (Fronboten), dem öffentlichen Henker
und Frauenwirt, ja wie sogar dem mit dem Seciermesser
— 219 —
arbeiteaden Arzte, dem im Mittelalter sogenaimten
Scheerer. Alle diese Gewerbe verlangen eine gewine
Rauheit des Charakters, einen Orad von Hartherzig-
keit, den der Durchschnittsmensch nicht billigen kann^
and man sah jeden, der sich dazu hergab, ein derartiges
Handwerk zu treiben, wohl oder Abel mit scheelen Augen
an, es galt nicht fOr anständig, mit derartigen Lenten
Umgang za pflegen, man mied ihre Gesellschaft and
reizte sie damit, den Ersatz ffir die hiednrch erfolgte
«capitis minntio'' in anderen, minder edlen Gtonfissen zn
Sachen, welche ihnen der in der Begel nm so reichere
wirtschaftliche Ertrag ihres Gewerbs gestattete. Nie-
mand zwang den Jaden gerade, sich zam öffentlichen
Fordernngshändler herzugeben, der Menschheit diesen
Schergendienst za leisten; wiederholt stellte es die fran-
zösische Gesetzgebung des 13. and 14. Jahrhunderts den
Jaden frei, sich der „gemeinen Kaufinannschaft und dem
Handwerk'' zn widmen. Die Jaden machten davon
keinen Gebraach, sie mieden lieber das Land.
Was also dem Christen verboten, dem „öffentlichen
Wucherer'' aber erlaubt ist, das ist der „Yorkaaf von
Forderangen^, der Aufkauf von rfickständigenZins-
and anderen Forderungen zum Zweck der Stnndang
g^en Entgeld, der Kleinhandel mit Forderangs-
recbten, mit Nutzangen. Wie nur der ErftmerzQnftige
Einfuhrware in Ulm aufkanfen und daselbst mit Gewinn
wiederverkanfen darf, wie nur der zünftige Zimmermanns-
meister Zimmergesellenarbeiten in Ulm kaufen and da-
selbst mit seinem Meistemutzen weiterverkaufen darf, so
darf nar der zünftige „Fordernngshändler" (publicus
asararios) Forderungsansprfiche (nsus^ aufkaufen und f&r
deren Standnng ein billiges Entgela, einen Lohn, eine
Entschädigang, einen Aufschlag (justam praestaüonem,
justum fenus), ein Gesuch, eine SuchgeblUir (provisio)
nehmen. So ist die usura eine gesetzlich eingerichtete
Abgabe des Schuldners an den gewerbsmässigen usu-
rarius f&r die Bemühungen desselben. Während der
(Feldherr eines Unternehmers sich mit seiner Rente (usus),
mit der Rückgabe (rendita) seines weggegebenen Kapitals,
mit seiner vereinbarten Forderung für die Weggabe seines
Hauptguts begnügen muss, darf der öffentliche Dar-
leiher ein justum fenus als Entschädigung für das
Sachen des Gelds als „Gesuch" (provisio) in Gestalt der
asura beziehen und diesen Judenzins von 10 Prozent
darf d^alb auch der christliche Geldherr als
lucrum cessans zum Hauptgute schlagen, da er
dem justum fenus oder dem gemeinen kaufmannsmässigen
— 220 —
Gewinnanteil entspricht, wie er jedem freien Gross-
händler nnd Geldherrn zu beziehen erlaubt ist, eine
gerechte Dividende ist, kein ungerechter Abgabenzins
ohne Rficksicht auf Wohl und Wehe des Schuldners.
Deshalb war auch jedem Christen eine Vergfitung fDr die
Gefahr, ein „fenus lucratiTum', erlaubt, sobald es sich
um eine besondere Gefahr handelte, wie zum Beispiel bei
Darlehen zu Rhedereizwecken , wo Schiff und Ladung
verloren sein konnten.''^) Usura est, quidquid accedit^
Usus, d. h. Forderungsrechte zu vereinbaren, ist jedermann
berechtigt, „usura^ zu beziehen, ist Privilegium der
lombardischen oder jüdischen Wuchergenossenschaft
des Landes. Die „usura^ ist die Belohnung des
Geldstunders, das „justum fenus^ desselben.
Dem Christen ist also wohl gestattet, Rente zu
kaufen, d. h. Forderungsrechte auf einen be-
stimmten Tag, auf Termin, zu vereinbaren, ver-
boten ist ihm nur, bei Nichteinhaltung dieser Verfallzeit
Säumnisgebflhr zu nehmen. Doch ist auch dieses
Verbot dem frühem Mittelalter fremd und erst aufge-
kommen, seit das Konzil von Trier im Jahre 1227 sich
zu dieser Bestimmung entschlossen hatte. Seither hielt die
Kirche diese Bestimmung aufrecht bis zum Jahre 1571,
wo das Nehmen von Säumnisgebühren auch dem
Christen auf der Synode von Besannen wieder ge-
stattet wurde, wenn bei Abschluss des Schuldvertrags die
Vertragsschliessenden sich darüber geeinigt hatten. So
wurde das Jahr 1227 das Geburtsjahr der öffentlich-
rechtlich gegliederten Forderungshändlerge-
nossenschaften oder Wuchererzünfte, welche durch
die weiteren Konzilien von Trier im Jahre 1238, von
Wien im Jahre 1267 und von Köln im Jahre 1300
weitere Ausgestaltung erhalten haben, und auch Ulm hat
damals wohl seine durch das Stadtrecht vom Jahre 1292
als längst hergebrachte Einrichtung erwiesene
JudendarleiherkOrperschaft bestätigt erhalten, die
dort wahrscheinlich seit dem Jahre 1188 im Schntze
des Klosters Reichenau und der diesem unterstellten
Wengenpropstei bestand und 272 Jahre lang bis zur
Austreibung im Jahre 1499, freilich unter wechselnden
Schicksalen dieser Genossenschaft, bei sich behalten.
Man sieht überall, wo man im Kleinverkehr mit
Währungsgütern eine Vergütung, einen Wucher
^*) Ueber das „Fenus naaticum/* den RhedereigeBeUschaltsvertrag mit
hohem Dmdendenanteil des Darleihers, vgl. Brixener Synode vom Jahre 1G(3.
^enns est, qui aliquid praestat'*, also Teilnahme am Gewinn oder Schaden,
HandelsgeseUschaft Vergl. Nenmann, Geschichte des Wuchers, S. 49.
— 221 —
(osara) gestatten rnnss, gilt als das eigentlich zu yer-
gfltenoe die Arbeit, die Mfihewaltnng; so also aach
beim gewerbsmässigen FordernngshandeL Als dieser
aufkommt und sich ungemein rasch Bahn bricht, kann
man nicht anders, als dem Darleiherhandwerk einen Vor-
teil davon zugestehen. Dennoch halt man an dem Grund-
sätze fest, dass nnr die Arbeit des Darleihers belohnt
wird, der f&r die Mfihe des Anfsnchens (proyisio) des
Grelds beim G-eldherrn oder die Beschaffung des Gelds aus
seinem eigenen Vorrat, also f&r die Bef5rderung des Gelds,
einen Lohn verdiente. Auch hier ist der Grundsatz:
Geld ist nichts und schafft nichts, Arbeit ist Alles.
So entsprach die alte AufbMung vom ordentlichen
Jndenpfande der heutigen Auffassung vom Inhaber-
papier''^) und der Judenpfandschein des Mittelalters
mit seinen Bürgen entsprach formell und materiell dem
anerkannten Wechsel unserer Zeit. Wie beim heutigen
Inhaherpapier, der Obligation auf den Träger und dem
Wechsel, der Schuldner verpflichtet ist, j e d e m Inhaber
seiner Schuldurkunde die darin eingerftumten Leistungen
aoszuf&hren, so ist dies auch beim Jndenp&nde des Mittel-
alters der FalL Nach mittelalterlichem Rechte hatte jeder
Schuldner die Befugnis, durch Ableistung des Eids,
dass er nichts schuldig sei, sich rechtskräftig von
einer Forderung zu befreien, so dass jedes weitere
Beweismittel des Klägers ungfiltig war. Besass dagegen
der Gläubiger einen Pfandschein, also einen Wechsel,
so konnte er, wenn auf Rückgabe dieses Pfands ge-
klagt wurde, sich ebenso durch den Eid, dass er eine
Forderung in bestimmter Höhe habe, dieses P&nd
sichern. Dabei hatte der öffentliche Darleiher, aber
nur dieser, das Vorrecht, nicht blos die Höhe der
Hauptschuld, sondern auch der dazu gekommenen
Wucherschuld (usura) zu beschwören, weil dem Christen
bei Darlehen an andere Christen nur das Nehmen von
einmaligen Zinsen in Gestalt des ihm aus der Weg-
gabe seines Hauptguts entstehenden Gewinnentgangs
(lucrum cessans^ bis zur Höhe des ordentlichen oder
ngemeinen^ Juaenzinsfusses von in der Regel 10 Pro-
zent zustand, wie er solche dem Juden zahlen musste,
bei dem er die betreffende Summe beschafft hatte, oder die
ihm, falls er das Gheld selbst besessen hatte, dadurch ent-
gieng, dass er dieses Gield nicht anderweit hatte umtreiben
and einen billigen Nutzen damit hatte erzielen können.
Nur dufte dieser Nutzen ehea nicht höher als auf
*) Stobbe, Juden ia DeoUcUuid, 8. 218, 11&
— 222 —
10 Prosent bezw. den sonst festgesetzten „gemeinen
Jndenzinsfnss^ berechnet werden, während das Zn-
schreiben rückständig gebliebener Zinsen zom
Hanptgnte nnd damit die Bildung eines neuen
Hanptgnts, also das Nehmen von Zins vom Zinse, das
Erheben einer Gebühr f&r die Stundung einer aner-
kannten Forderung, nur dem von der Landesherrschaft
damit belehnten „öffentlichen Forderungshändler", dem
„usurarius riihlicus", gestattet war. Die Verpfändung
des Wertgegenstands an den christlichen Eapitalisten
geschah deshalb nur auf ein Jahr; wurde nach Ablauf
desselben die eingegangene Verpflichtung vom Schuldner
nicht erfüllt, so hatte der Kapitalist das Becht, den nicht
ausgelösten Pfandschein zu verkaufen und sich aaf
diese Weise f&r den Schaden (damnum emergens), der
ihm aus der Nichtbezahlung der Schuld erwuchs, schad-
los zu halten. Zum Aufkauf dieser Pfandscheine war
aber nur der Jude berechtigt
Wie scharf sich infolge der zunehmenden Auswuchernng
des Volks durch die Juden die VerhUtnisse gerade seit
dem Beginne des IS. Jahrhunderts zuspitzten, so dass
vielfach seitens der Schuldner grosse Gewaltthätig-
keiten verübt wurden, zeigen viele Nachrichten. So
bestimmt das österreichische Judenprivilegiom vom
Jahre 1244, wenn ein Jude auf Liegenschaften oder gegen
Pfandbriefe den Grossen des Landes Gheld leihe und
dies durch Brief und Siegel beweise, so solle ihm der
Herzog die verpfändeten Besitzungen wie andere
Pfänder zuweisen und ihn darin gegen Gewalt
schätzen, und wenn ein Christ einem Juden gewaltsam
seine Pfandbriefe wegnehme oder sonst Gewalt-
thätigkeiten in dessen Hanse verfibe, solle er wegen
Schädigung der herzoglichen Kammer streng be-
straft werden. So befiehlt am 9. Juni 1246 König Konrad lY.
dem Gerhard von Sin zig, sds Burggrafen von Lands-
kron, ohne Aufschub dem Konrad von Brauneck ftir
einen Juden, den dieser gefangen halte, 100 Mark
Kölnisch''') zu zahlen, damit der Jude frei komme.^^)
Genau entsprechend der Rechtsauffassung der neueren
Zeit vom Lihaberpapier und dem Wechsel hatte also
auch im Mittelalter der Pfandglänbiger, wenn der be-
treffende Pfandschein verfallen war, das Hecht, sich aas
eigener Machtvollkommenheit mit dem Pfände bezahlt
zu machen. So bestimmt z. B. das Judenprivilegium des
3 Nach lieatigem Geldwerte 24000 Mark. (1 Hark Köbiisch gleich
ark). AroDiai 289.
**) AfoniiM, Regesten snr Geachidite der Jodeo, 8. 168, 284 f^ 299.
— 223 —
Herzogtums Oesterreich vom Jahre 1244, dasswenn ein
Jade ein Pfand von einem Christen ein Jahr dnrch
in Händen gehabt habe, ohne dass es ausgelöst worden
sei, er dasselbe solle yerkanfen dfirfen, falls der Pfand-
wert die geliehene Summe nicht fibertreffe, doch solle
er vorher dem Gericht Anzeige hievon machen müssen.
Sei das Pfand aber Jahr und Tag bei einem Jaden
geblieben, solle niemand mehr darfiber Bede zu stehen
haben. Wenn ein Christ behaupte, er habe einem Juden
etwas verpfändet, und dieser leugne es, solle der Jude,
falls der Christ die Wahrheit der Angabe des Juden be-
streite, sich durch den Eid, dass ihm nichts verpfändet
worden sei, von diesem Verdachte reinigen dfirfen.''^
So bestimmt das Ulmer Stadtrecht vom 9. August 1296^*)
wegen Forderungen von Grundzinsen und Pfand-
schulden solle eine einmalige Ladung durch den Fron-
boten genfigen, kein Bfirger solle einen andern Bfirger in
Schuldhaft nehmen dfirfen, Bfirgschaftsleistungen
der Borger (vadimonia) unter sich sollen verboten sein, ebenso
Ladungen vor fremde Gerichte oder geistliche Gerichte
bei Streitigkeiten von Bflrgem mit Bfirgem, alle Pfänder
aber, welche dem Verkaufe ausgesetzt wurden, sollten sofort
nutzbringend „bei den Juden^ (apud Judaeos) der
Stadt angelegt werden, falls dies m^lich war, andern Falls
aber „unter Benachrichtigung des Eigentfimers vor Stengen^
verkauft werden. Pferde von Geistlichen, Rittern und Edel-
knechten (ministri) durften fOr anerkannte Forderungen in
den Herbergen gepfändet werden, keinem Bfirger aber
durfte sein von am selbst bewohntes Haus mit Beschlag
belegt werden, so lange noch andere Pfandgegenstände wie
Zugvieh, Aecker, Wiesen u. s. w. vorhanden waren. Hatte
einer seine Gfiter einem Andern gegen Zins geliehen, so sollte
der Gläubiger dieses Zinspflichtigen das Becht haben, gegen
Uebemahme des betreffenden Zinses die genannten Gfiter
zu seiner Befriedigung an sich zu ziehen. Von der Septua-
gesima bis zur Osteroktave durfte niemand einen Eid in
Schuldsachen schwören; die wahrend dieser Zeit beim
Gericht anfallenden Eide wurden vorgemerkt, mit dem Ab-
leisten aber bis zum obigen Zeitpunkte zugewartet Klagte
ein Bfirger während dieser geschlossenen Zeit gegen einen
andern Borger in Schuldsachen, so musste eine einstweilige
VerfDgung getroffen werden, wodurch eine Sicherung
des Klägers durch ein „bei den Juden^ zu hinter-
legendes Pfand erfolgte; die hiedurch entstehenden
Kosten wurden dann den Kosten des Hauptverfahrens
") Aronios, Begetten rar Geschichte der Jaden, B. 277.
^ Piend, Uhner Urkundaihacb, Bd. 1, B. 880 t
— 224 —
zugeschlagen, so dass derjenige, welcher schliesslich Becht
behielt, von diesen Kosten fi'eiblieb. Hatte ein Borger
Lehensgflter im Qebiete der Stadt inne nnd befriedigte
seine Gläubiger nicht, so hatte der Glänbiger, wenn er
sein Guthaben als zu Becht bestehend nachgewiesen hatte,
das Becht, dieses Lehen in derselben Form und mit den
gleichen Befugnissen wie der beklagte Lehensträger in
Besitz zu nehmen; wollte aber der Grundherr, dem das
Lehen gehörte, den Gläubiger nicht damit beleihen, so
stand dem Kläger das Becht zu, das betreffende Lehen
als Pfand in Besitz zu nehmen.^)
Ein weiteres wichtiges Vorrecht der öffentlichen
Darleiher war, dass sie, wie heute der Wechsel-
gläubiger, beim Bankbrnch stets das erste Becht
auf Befriedigung hatten. So räumt im Jahre 1380
der Herzog Friedrich von Bayern den Juden seines
Herzogtums das Vorrecht ein, nicht nur selbst pfänden
lassen zu dürfen, sondern auch die „ersten Gelter'' za
sein, d. h. bei einer Zwangsvollstreckung das erste Becht
zur Befriedigung zu haben." ^)
So wird in dem Landfrieden, den im Jahre 1255 der
Herzog Heinrich von Bayern, die Bischöfe Otto von
Passau, Koni*ad von Freising, Heinrich von Bam-
berg und zahlreiche Grafen, Freie und Dienstmannen auf
zwei Jahre schliessen, unter anderm bestimmt, wenn ein
Christ ein Darlehen auf Pfänder gebe und dabei eine
Säumnisgebflhr(usura) nehme, ohne sich hiebei der
Hilfe eines Juden zu bedienen, solle dies als Land-
friedensbruch gelten.®') Nur die Juden sollen dies
dfirfen; wenn ein Jude aber hiebei mehr als 2 Pfg. vom
Pfund fBr die Woche nehme, solle er dem Bichter 1 Pfund
geben müssen.®')
In welcher Weise damals die Darlehensverträge ab-
gefasst wurden, zeigen zahlreiche Beispiele. So gebraucht
z. B. im Juni 1260 der Edelmann Ulrich von Wahrberg
Geld und erhält solches von dem Juden Jakob. Als
Sicherheit für sein Darlehen erhält der Jude den Zehnten
des Dorfs Elgersheim bei Mergentheim mit allen
Hechten auf 3 Jahre verpfändet Der Ertrag eines vierten
*^ Bazing, Ulmer Stadtrecht in den Württ Viertebahnheften 1891,
8. 95 ff.
*') Stobbe, Jaden in DenUchland, 8. 249.
**) Es Bol defaein Christen gesnch nemen noch pfant anf den
schaden setzen, niman an (ohne) die inden oder er ist fridbrftcb.
Der Christ darf also sowohl „Oesnch", d. h. Säomnisgebahr, berechnen, als
seinen etwaigen Schaden sichersteUen , aber Dar anter Znhilfenabine
drs Juden darleihers als Handwerksmonopolisten hiefQr.
**) Aronius, Regesten aar Geschichte der Joden, 8. 262.
— 226 —
Jahrs soll zwischen beiden gleich geteilt werden, wobei
Ulrich die Wahl des Jahrs zusteht Hat Jakob den Ertrag
des ersten oder zweiten Jahrs erhalten, mnss er die Güter,
wenn Ulrich sie auslösen will, auf Grund der Abschätzung
genannter (christlicher) Schiedsrichter dem Schuldner
wieder zurückgeben. Entsteht dem Juden ein rechtlich
begründeter Verlust oder Schaden, so muss ihn Ulrich
nach stattgehabter Verhandlung in Rothenburg ent-
schädigen; für zugefügte Gewalt haftet aber Ulrich
nicht Betreffs des Weinkellers soll Ulrich durch Brief
des Jakob von seinen Verpflichtungen befreit werden.
Der Jude ist nicht gehalten, ferner etwas zu leihen,
ausser auf Ulrichs Wort und Handschrift Nach Aus-
losung der Güter sind aus dem ersten Ertrage der weitere
Gläubiger Erkarius, aus den folgenden aber die Gläubiger
Heinrich yon Hausen und Uster zu befriedigen. Man sieht
daraus, wie sehr damals die Güter mit Pfandschulden
belastet sind. Ein anderes Beispiel ist folgendes: Am
8. November 1257 erhält Simon yon Schauenburg vom
Herzog Ludwig II. von Bayern 60 Pfund Hlr. bis zum
10. Februar 1258 geliehen. Zahlt er sie inzwischen nicht
heim, so sollen dem Herzog alle seine Güter in Dossen-
heim und sein Anteil an der Burg Schauenburg verpfändet
sein. Im Falle der Nichteinlösung verspricht er, für die
Zinsen der 60 Pfd. Hlr. bei den Juden aufzukommen.^^)
Man sieht, der Hergang ist folgender: Die Grafschaft
Schauenburg erhält vom Herzogtum Bayern 60 Pfund Hlr.
auf drei Monate gegen Zinsen und Verpfändung von
Liegenschaft geliehen. ZaJüt die Grafschaft nach dieser
Zeit die Summe nicht zurück, so nimmt Bayern dieselbe
bei den Juden gegen Zinsen auf und Schauenburg ist
dann verpflichtet, den hieraus erwachsenden Kosten oder
»Schaden'' zu ersetzen.
g. Die B«io1ixlikaiig Am Ztisflbnei.
Der Zinsansatz für Darlehen auf fahrende Pfänder
geschidi in der Begel nur nach Tagen oder Wochen,
weil es sich bei diesen Geschäften meist um Darlehen auf
kurze Zeit handelte. Da als Begel galt, dass der Jude
nur gegen Zinsen lieh, war nicht der Jude verpflichtet,
bei einem Rechtsstreit hierüber den Beweis zu fahren,
dassZinsen ausgemacht waren, sondernder Schuldner
mnsste den Beweis erbringen, dass das Darlehen als
ein unverzinsliches eingegangen worden war. Ver-
langt wurde, wenn eine Darlehensforderung samt
*^ AroniuB, Regesten zur Geschichte der Juden , S. 262, 275, 285.
Vergl. Nenmann, Geschichte des Wuchers in Deutechland, 8. 158 ff.
Stobbe, Jaden in Deatschland, S. 114 ff.
15
— 226 —
Zinsen hieraas rechtlich gültig sein sollte, in der Begel,
dass der betreffende Gläubiger den Eid geleistet hatte,
nicht mehr Zinsen nehmen zn wollen als gesetzlich
erlaubt war und als das Hauptgut betrug. So wird
im IS. Jidirhundert den Juden von Montpellier das
Nehmen von Zinsen nur für solche Darlehen gestattet,
bei denen sie gelobt hatten, nicht mehr Zinsen zu nehmen,
als das Hauptgut betrug. ^^)
Es gab nach mittelalterlichem Bechte zwei Arten
von Darlehensverträgen, solche mit beschränkter
Haftbarkeit, bei welchen lediglich ein Pfand ohne
weitere Versprechung gegeben wurde, und dann solche mit
solidarischer Haftbarkeit Bei ersterem Vertrage konnte
der Gläubiger nicht auf Zahlung klagen, wenn ihm
die aufgelaufenen Zinsen nicht mehr gedeckt wurden,
sondern er musste das Pfand zunächst vor Zeugen dem
Schuldner zur Auslösung anbieten und dann dreimal
vor Gericht aufbieten, ohne den Schuldner einzuklagen.
Nach der dritten Aufbietung durfte er es behalten; war
es weniger wert, als die Forderung betrug, so hatte er
keine Nachfordernng gegen den Schuldner. Anders
war es dagegen, wenn der Schuldner dazu „gelobt"
hatte; in diesem Falle konnte der Jude mit Klage
gegen ihn vorgehen und wenn das Pfand nicht aus-
reichte, den Rest der Forderung geltend machen."^
So bestimmt die Weissenburger Judenordnung vom
Jahre 1312, wenn ein Jude Geld auf Pfänder ohne Zeugen
leihe, solle er die Höhe der Schuld beschwören, aber den
Schuldner nicht zur Auslösung zwingen dürfen, wenn
ihm der Schuldner nicht die Heimzahlung der Schuld
besonders gelobt habe.^*) So bestimmt das Münchner
Judenrecht, wenn ein Jude auf Pfinder leihe, solle er das
Hauptgut und den Arbeitslohn für seine Mühewaltung,
die sogenannte „Gesuchgebühr^, auf demselben Pfände
haben. Sollte das Pfand hiezu nicht ausreichen, so solle
der Schuldner nicht verpflichtet sein, weitere Leistungen za
thun.'*) So bestimmt die Frankfurter Judenordnung,
wenn der Gläubiger ein Jude oder sonst des Ober-
massigen Zinsnehmens verdächtig sei, und der Schuldner
sich vor der Einleitung der Klage erbiete, dem Gläubiger das
Pfand für die dargeliehene Summe eigentümlich zu über-
lassen, solle der Gläubiger diess annehmen und die
Pfänder behalten, selbst wenn sie die Schuld nicht
decken**), während die Wormser Reformation be-
stimmt, wenn das Pfand zur Deckung der Schuld nicht
**) Depping, Jaden im Mittelalter, 8. 169.
n Stobbe, Jaden in DeatichlMid, B. 247 f.,
127.
— 227 —
ausreiche, solle der Gläubiger den Best einklagen
können „ungehindert einichs auszngs, gewonheit,
herkommen oder anders, so dagegen furgezogen werden
möchte.**^ Man sieht die Veränderung der Bechts-
anschauung durch den Bomanismus und die ent-
gegengesetzte Anschauung, die im Volke und im
alten Ordnungsrecht weiter lebte.
Der Kampf gegen den Wucher, d. h. gegen den
übermässigen Gewinn, ist so alt wie die Gesellschaft.
So erklärt schon der römische Staatsmann Cato fenerari
nnd occidere als gleichbedeutend und TertuUian nennt
die usura „fenoris reduntantia", also übermässiges
fenus, gestattet also ein massiges fenus." Auch der
Kirchenvater Hieronymus erklärt lediglich die supera-
bundantia beim fenus als Sünde. *'') Man sieht, die
Kirche ist nicht gegen das Zinsnehmen (census), sondern
nur gegen das Uebermass darin. So verordnet Hippolyt,
dass die usurarii weder zum Katechumenenamt noch zur
Taufe zugelassen werden dürfen, und die Synode von Elyira
bedroht im Jahre 306 die usura der Laien mit dem Eirchen-
ausschluss. So erlaubt Kaiser Konstantin der Grosse (325)
wohl die Forderung der centesima im Monat, also
12 Prozent im Jahre, bei Goldzinsen (Gülten) und den
halben Jahresertrag bei Früchten, verbietet aber jedes
Nehmen von weiterem Gewinn. So verordnet im Jahre 345
die 1. Synode von Karthago, „ut clericis non liceat
fenerari.'* So bestimmt der Kirchenvater Augustinus (geb.
354 in Hippo in Numidien) das fenus als Wechselge-
schäft mit der Hoffnung auf Gewinn, indem er meint,
wenn es sich hiebei auch in der Begel um Geld handle,
80 gehöre der Warenwechsel mit Dingen wie Frucht,
Wein, Oel u. s. w. ebenso dazu. Wer eben mehr zurück-
zuerhalten hoffe, als er erhalten habe, sei ein fenerator
und desshalb tadelnswert.^^) So verbietet im Jahre 398
die Synode von Karthago, künftig einen gewerbsmässigen
Wucherer zum Geistlichen zu weihen, und im Jahre 419
bestimmt die 6. wichtige Synode von Karthago, „ne omnino
coidam clericorum liceat, de qualibet re fenus acci-
pere^*^ Den Laien ist also das fenus gestattet, den
Geistlichen ist es verboten. Wenn ein Geistlicher
ein Wechselgeschäft abschliesst, bestimmt die Synode,
*^ Funk, Geschichte des Zinsfusaes, S. 10.
*^ Fenus est, mutuam pecaniam dare, a qua aliqnid plus, quam
dedjsti, exspectas aedpere; non pecaniam solam, sed aliqnid plosi quam
dedisti, siTe ülad triticam sit, me yinnm, sire oleum, sive quoollbet
tliod; si plna, qoam dedisti, exspectas aedpere. fenerator es et in hoc
improbandna, non laudandos. Fonlc, Geschichte aes Zinsfusses, S. e ff.
16 ♦
— 228 —
solle er sich auch Währimgsinüiuse dafbr ausbedingen
dürfen f nur dürfe es nicht mehr sein, als er erhalten
habe. So gestattet im Jahre 538 die Synode von Orleans
allen Geistlichen vom Diakonos an abwärts das fenns.
So hat z. B. am das Jahr 580 zur Zeit Gregors von Tours
ein gewisser Maurus für 400 Soldi Waren gekauft und
für die Summe zwei Schuldscheine über zusammen 500 Soldi
ausgestellt Er leidet nun ziemlichen Verlast an den
Waren und bezahlt desshalb nur 410 Soldi; der Gläubiger
besteht aber auf seiner Forderung und ruft die Hilfe des
Papstes Gregor des Grossen an, der den Gläubiger hierauf
auffordert, er solle als christlicher Edelmann mehr
Güte und Milde beweisen und nicht auf dem strengen
Rechte beharren und einen Gewinn aus dem Schaden des
Nächsten ziehen. Gott werde ihm schon ersetzen, was er
einem Armen geschenkt habe.^') So wird im Jahre 787 auf
der Synode von Northumberland der gewerbsmässige
Wucher in England verboten und im Jahre 789 folgt das
Frankenreich durch die Synode von Aachen nach,
indem die in Abgang geratenen Verordnungen des Konzils
von Nicäa und des Papstes Leo gegen den Zins-
zwischenhandel erneut werden.*^) Mehr als 1 2 Prozent
Zinsen oder mehr als den halben Fruchtertrag zu nehmen,
ist nicht gestattet und jede übermässige Bereicherung
durch fenus soll nicht allein den Geistlichen, sondern
auch den christlichen Laien verboten sein. So be-
fiehlt im Jahre 840 König Lothar L allen Grafschafts-
gerichten seines Reichs, künftig jeden zu strafen, der ihnen
von den Bischöfen als Wucherer (usurarius) bezeichnet
werde.'*) So verbietet im Jahre 855 die Synode von Va-
lence alles übermässige Zinsnehmen (usura). So erneuert
im Jahre 868 die Synode von Worms die Beschlüsse der
**) Funk, Geschichte des Zinsfiisses. S. 11, 14.
**) Item in eodem (Nicfteaoo} condlio tea in decretii papM LeoDis
nee non et in cmnonibos, qoi dteontar apottok>ram, aicat in lege ipea
Domiotts ipse praecepit, omnino omnibot interdictum est, ad nsaram
aliqaid dare. Die betreffende Vorschrift des Papstes Leo I« gegen die
nsnra lantet: Nee hoc quoque praeterenndnm esse dnximas, qaosdam
Incri tnrpis cnpiditate captos asurariam exercere peconiam et
fenore velle ditescere. (Also ist nor das Streben nach fiberniftssiger
fiereichemng durch fenus verboten, d. h. der Handel mit fenns» nicht
das fenus selbst) Quod nos non dicam in eos, qui sunt in clericali
officio constituti, sed et in laicos cadere, qui Christianos se dici
cupiunt, oondolemus. Quod yindicari acrius in eos, qui fuerint oomprobati
(computati, confutati?) decemimns, nt omnis peccandi opportonitas adi-
matur. Funk, tieschichte des Ziosfusses, 8. 19.
*') Prohibemus, ut nemo usuram facere praesnmat post episcopi
sui contestationem. Quod si quis post ^ns interdictum £ioere
praesumpserit, a comitibns distringator. Funk, Geschichte des Zinsfasses,
— 229 —
Synode von Karthago vom Jahre 419 und yerbietet
aUen Oeistlichen das Wechselgeschäft mit der
Absicht aufQewinn(fenus"}. So verleiht Kaiser Basilius
von Macedonien (867—880) dem biblischen Wucher-
verbot volle staatliche Giltlgkeit in seinem Reiche, während
sein Sohn, Kaiser Leo der Weise (880) von Macedonien,
dieses Gesetz wieder aufhebt und das Giesetz Justinians
wieder in Kraft setzt, welches den Zinsfuss von 12 Prozent
ermässigt hatte, indem es Fürsten und Edellenten 4, den
Eanflenten 8, dem übrigen Volk aber 6 Prozent als Census
gestattet und nur bei überseeischen und Natural-
darlehen 12 Prozent bewilligt hatte. So befiehlt der
Erzbischof Hinkmar von Reims der Geistlichkeit,
die Laien vom Wucher abzumahnen und eine Ver-
ordnung von Soissons vom Jahre 889 verbietet wieder-
holt allen Wucher. Auffallend ist dem gegenüber, dass
wir ans dem 10. Jahrhundert gar keine diessbezüglichen
Nachrichten haben, so dass man den Eindruck gewinnt,
als ob hier die betreJDfenden Gesetze weniger scharf ge-
handhabt worden seien. Noch im Jahre 1049 verbietet
eine Synode von Reims einfach den Geistlichen und
Laien, „usuras exercere."'") Auch die Synode von Gerun-
dium in Spanien im Jahre 1078 bedroht lediglich alle
widerstrebenden usurarii mit dem Kirchenbanne und die
Synode von Poitiers droht nur den wuchernden Geist-
lichen mit dem Kirchenausschluss, wie auch im Jahre 1125
die Synode von London nur auf die usura von Geist-
lichen die Absetzung und den Entzug des Beneficiums
setzt *^) Auf der lateranischen Synode vom Jahre 1139
werden alle usurarii auf Lebenszeit mit der infamia
belegt und wenn sie ihr Gewerbe nicht aufgeben, vom
kirchlichen Begräbnis ausgeschlossen, wie sie auch
nur unter Vorsicht zum Sakrament zugelassen werden
sollten. Im Jahre 1150 erklären die Kanonisten Zonaras
und Balsamon dem Patriarchen Markus von Alexandrien,
die Geistlichen dürfen keine Wechselgeschäfte um Ge-
winn machen, wohl aber die Laien. Im Jahre 1163 klagt
die Synode von Tours, das Wucherverbot werde von den
Geistlichen durch diePfandnutzung umgangen und die
Synode von 1179 klagt, dass so viele Personen andere Er-
werbsarten aufgeben und sich ganz dem Wucher widmen.'*)
*^ Fank, GeBchichte des ZinsfiiBses, 8. 16, 18, 20.
*^ ,,Ne Ollis clericaa vel laicoa ninras exerceret'* Funk, Oo-
achichts des Ziosfuses, 8. 20.
**) Seditonarios nanqaam ordinandoa clericos sicat necasararioB
uc injorianim suamm ultores; er Bchliesst also nur dieusarari tod
der Prieelerweilie aus, nicht aber die feneratores.
— 280 -
Die Klagen über die Answacherung weitester
Bevölkerungkreise seitens der Jaden mehren sich seit
dem 13. Jahrhundert in erschreckendem Masse. Der Zins-
satz hat anter dem herrschenden Monopolsystem
der Jadendarleiher bei der rücksichtslosen Art
and Weise, wie die Jaden ihrem Volkscharakter
entsprechend dieses Monopol ausnützen, eine uner-
träglicheHöhe erreicht. Der Retter in der allgemeinen
Not ist auch diesem Krebsschaden gegenüber, dem die
verlotterte Staatsgewalt des nur an seinen sici-
lianischen Interessen hängenden Hohenstaufen-
kaisertums thatenlos zusieht, die Kirche, vor allem
der thatkräftige, charaktervolle und sittenreine
Papst Innocenz III., der in jener 2ieit traurigsten,
allgemeinsten Sittenzerfalls mit zielbewusster Hand
das Ruder des christlichen Schiffs erfasst und die
Richtung der Fahrt mit kundiger Hand bestinuut Schon
seit dem Anfang des 13. Jahrhunderts sehen wir die Kirche
gegen das übermässige Zinsnehmen der Judengemeinden
als Oeldleiher - Genossenschaften gesetzlich einschreiten.
Im Jahre 1200 verlangt Papst Innocenz in., dass die
Obrigkeiten die Juden zur Wiedererstattung der
Zinsen an ihre christlichen Schuldner zwingen sollen,
widrigenfalls er den Juden das Marktrecht entziehen
werde. Man solle alle öffentlichen Wucherer von der
Kirchengemeinschaft ausschliessra und nicht kirchlich
begraben, auch keine Gaben von ihnen annehmen. Dieser
Erlass hat denn auch alsbald segensreiche Folgen. Im
Jahre 1206 schliessen die Krone von Frankreich,
die Gräfin von Champagne und der Freiherr Gul von
Dampierre einen Vertrag ab, durch welchen betreffs
der Zinsen, welche die Juden für ihre Darlehen fordern
durften, festgesetzt wurde, dass diese höchstens 2 Pfennige
vom Pfund wöchentlich sollen betragen dürfen.'^) Das ergab
also im Jahre 52 mal 2=104 Pfg., oder, da das Pfund
240 Pfg. hatte, 43^/8 vom Hundert, eine erschreckende
Summe, die aber bei der Seltenheit des Edelmetalls in
jener Zeit nicht auffallig ist und auch in heutiger Zeit
viel mehr vorkommt, als mannigfach bekannt ist Auch
die Synode von Avignon vom Jahre 1209 klagt, der
Wucher werde allgemein getrieben, als sei er erlaubt;
man solle alle Wucherer an den Sonntagen mit dem
Kirchenbanne belegen, wie auch die Synoden von Nar-
b onnevomJahre 1227, Ghateau-Gontier vom Jahre 1231,
von Arles vom Jahre 1244 und von Mainz vom
') Depping, Jaden im Mittelalter, 8. 14a
— 281 —
Jahre 1261 ähnliche Bestimmungen treffen**), and in England
das Oleiche die Synode von Lambeth vom Jahre 1830
bestimmt y indem sie alle Wahrsager, Meineidigen, Brand-
stifter, Bäuber, Fälscher, groben Diebe und Wucherer
mit dem Eirchenbanne belege, wobei bestimmt wurde, dass
die Absolution erfolgen könne, wenn der unrechte Gewinn
zurückgegeben werde. Ebenso verordnet die Synode von
Rayenna, kein Notar solle einem Wucherer ein Testament
machen, ohne dass der Geistliche dabei sei.
War ursprünglich neben den Juden allen Fremden,
auch den Lombarden, der Wucher erlaubt, so drohten
bereits die Synode von Ayignon von 1209 und das
lateranische Konzil von 1215 allen Christen mit dem
Kirchenbanne, die mit Juden ein Geschäft machen, bei
dem übermässige Zinsen verlangt werden, so dass
nur den Juden gestattet blieb, gegen massigen Ge-
winn Zwischenhandel mit Zinsen zu treiben, während
den Lombarden diese Duldung nicht zu teil wurde.
Die Synode von Sens vom Jahre 1269 verbietet, sie auf-
zunehmen oder ihnen Kirchengebäude zu vermieten, und
bitter klagt die Synode von Vienne, wie zahlreiche
Stadtgemeinden den Zwischenhandel mit Zinsen ge-
statten und die Schuldner zur Zahlung zwingen, und
Papst Clemens V. belegt desshalb alle solche Gemeinden
mit dem Banne, wie auch im Jahr 1261 die Mainzer
Synode gebietet, wenn ein Wucherer einen Monat lang
frech im Bann verharre, auch der Frau, den Kindern
und dem Gesinde desselben die Sakramente zu verweigern,
and da die Wucherer Schulen errichten, um ihre Kinder
im Schreiben zu unterrichten, und Gilden zur Vertretung
ihrer Sache gründen, dies strenge verbietet.'^
Die Wucherverbote wurden nun aber alsbald dadurch
umgangen, dass man sich ein benutzbares Pfand geben
liess und sich mit dem Ertrage desselben schadlos hielt
oder dass man den Schuldner eine grössere Schuldsumme
unterschreiben liess, als er erhalten hatte; oder dass der
Geldbedürftige vom Kapitalisten gegen Kredit eine Ware
über dem Marktpreise kaufte, um sie sofort gegen Bar
billiger wieder zu verkaufen und so das Geld zu erhalten,
oder dass man statt des Zinses ein sogenanntes Handgeld
gab. Die Kirche trat infolge dessen diesen Machenschaften
dadurch entgegen, dass den Darleihern auferlegt wurde,
bei jedem Darlehensvertrage zu schwören, dass sie das
Hauptgut vollständig ausbezahlt haben.*^
^ Funk. Geschichte des Zinsfüsses, S. 20, 27 ff.
^ Deppmg/ Juden im Mittehater, S. 160.
— 282 —
Im Jahre 1240 wird im Königreiche Aragon das Zinser-
maximnm f&r die Juden auf 4 Pfg. monatlich vom Pfoad
festgesetzt, also auf 12 mal 4 Pfg. gleich 48 Pfg. jährlich,
was einem Zinssatz von 20 vom Hundert entspricht;
aueh inKastilien wird der Zinssatz auf 25 vom Hindert
herabgemindert Man sieht den Erfolg des Voigehens
der Kurie. Die Juden sind dort befugt, sich fOr 3 Oeld-
stücke 4 zurückzahlen zu lassen, ebenso f&r 3 Fanegas
Getreide 4 Fanegas. Ist das Hauptgut so lange im
Besitz des Schuldners gewesen, dass die Zinsen dem
Hauptgut gleichkommen (also nach 3 Jahren), so darf
der Jude keine weiteren Zinsen verlangen. Die
Schuldurkunde muss in Gegenwart von Zeugen durch
den Notar aufgesetzt und das Geld dem Entleiher
vor diesen vorgezählt oder das Getreide vorge-
messen werden. Nur wenn die Schuldsumme 3 Maravedi
oder weniger betrug, durfte das Darlehen auch mündlich
ohne Zeugen abgeschlossen werden. Jeder darleihende
Jude oder Maure (Kowertsche) musste schwören, nur den
gesetzlichen Zinsfuss zu nehmen. Konnte der Schuldner
die Schuld nicht heimzahlen, so sollte der Alcalde
(Bürgermeister) demselben erst die Fahrnis und wenn
diese nicht ausreichte, die Liegenschaft dem Gläubiger
übergeben und dieser solange die Nutzniesung
haben, bis er die schuldige Summe herausgezogen
hatte. Eine Forderung, deren Zahlung nicht binnen
6 Jahren verlangt wurde, war verjährt. Schuldurkunden
waren nur in der Hand dessen gültig, dem der Schuldner
sie ausgestellt hatte, und durften durch keinen anderen
eingeklagt werden. Liegenschaften durften die Juden
nicht behalten, sondern mussten sie im Aufstreiche ver-
steigern. •*)
Aehnlich sind die Verhältnisse in Südfrankreich.
Im Jahre 1261 beschweren sich die Bürger von Monosque
in der Provence, dass die Juden vom Pfunde monatlich
6 Pfennig Zins nehmen, also 6 mal 12 gleich 72 Pfennig
im Jahre oder 30 vom Hundert.*^) Im Jahre 1270
wird von dem Prior der Dominikaner zu Poitiers
und dem Grafen von Poitou in Verbindung mit einem
von den königlichen Räten zu ernennenden Weltpriester
eine Untersuchung über das Darleihensgeschäft der Juden
in der Herrschaft Poitou angestellt Alle Pfarrer und
Amtleute müssen in ihren Bezirken öffentlich ausrufen lassen,
dass diejenigen, welche sich über ungebührliche Forderungen
zu beklagen haben, sich vor der üntersuchungskommission
**) Depping, Jaden im Mittelalter, S. 282 f., 267.
— 233 —
stellen und dieBer eidlich in Gegenwart von Zeugen an-
geben sollen, wieviel sie über den gesetzlichen Zins-
fnsLs haben bezahlen müssen, und jedem, der den Eid
leistete und einen guten Leumund hatte, sollte bei Summen
unter 10 Sous voller Glaube beigemessen werden, während
bei höheren Beträgen oder wenn der Schuldner keinen
guten Buf hatte, die Bekräftigung der Aussage durch
Zeugen erforderlich war. Die Untersuchungsbehörde hatte
die Befugnis, in allen Streitsachen wegen Dariehens-
forderungen zu erkennen, wenn die Streitsumme nicht über
100 Sous betrug; bei allen höheren Beträgen war dagegen
das königliche Hofgericht zuständig. Kein Jude aber
sollte gezwungen werden, mehr zurückzugeben, als er seit
einer bestimmten Zeit über den gesetzlichen Zinsfuss ge-
fordert hatte.**) Im Jahre 1271 bestimmt das Konzil von
St Quentin, dass die öffentlichen Behörden künftig den
jüdischen Darleihern besser auf die Finger sehen sollen
und in den Jahren 1271 und 1280 wird wiederholt allen
Juden von Frankreich von König Philipp dem Kühnen ver-
boten, übermässigen Zins zu nehmen.**) Im Jahre 1299
erneuert König Philipp IV. von Frankreich den zwischen
König Ludwig IX. und den Landesherren geschlossenen
Vertrag, nach welchem die Juden nur solche Forderungen
bezahlt erhalten sollten, die schriftlich und ohne
Festsetzung eines Schadenssatzes eingegangen worden
waren und es wurde bestimmt, dass bei den Gerichten
lediglich die Forderungen für das Hauptgut und die
gesetzlichen Zinsen klagbar sein sollten.
Ebenso wie in Frankreich wird auch im englischen
Südfrankreich gegen den übermässigen Judenzinsfuss ein-
geschritten, indem im Jahre 1284 König Eduard n. von
England als Herr der Gascogne allen Juden befiehlt,
sein Gebiet zu verlassen, da äagen wegen ihres über-
mässigen Zinsennehmens an ihn gekommen seien, ebenso im
Jahre 1314.*^) Im Jahre 1302 hatte das Herzogtum
Burg und allen seinen Juden das Freiheitsrecht erteilt,
auch ferner in Burgund zu wohnen und dort Handel zu
treiben; doch sollte niemand verpflichtet sein, ihnen eine
Zinsenschuld zu bezahlen. Im Jahre 1317 wird in
Montpellier gegen das übermässige Schadennehmen der
dortigen Juden eingeschritten und es wird denselben
eingeschärft, künftig die vorgeschriebenen Abzeichen zu
tragen.*') Auch in England selbst ist man erbost über
die Höhe des Judenzinsfusses. Im Jahre 1264 entsteht in
London ein Judenkrawall, weil ein Jude mehr als
*^ Deppug, Jaden ün Mittelalter, 8. 168, 185 f., 166 and 204.
— 284 —
2 Pfennige wöchentlich von einem Pfund Sterling,
also mehr als den gesetzlichen Zinsfass, gefordert
hatte, wobei zahlreiche Juden ihr Leben einbflssen,
die Judenhäuser geplttndert und die Synagogen
zerstört werden. **®)
Ebenso schlimm sieht es in Deutschland aus, wo
das Geld minder flttssig ist als im blühenden Spanien.
So berichtet der Bruder Berthold von Begensbnrg
(1250 — 1278) über den Wucherzinsfuss der Juden.
Die Juden, schreibt er, die es am ärgsten treiben, leihen
den Schilling um 13 oder das Pfund um 4 oder höher die
Woche aus, also gegen 87 yom Hundert im Jahre. '®^)
Am 9. Februar 1267 wird yom Erzbistum Gnesen-
Polen bestimmt, wenn die Juden unter irgend einem
Vorwand von den Christen drückende und über-
mässige Zinsen erpressen, solle ihnen alle Gemein-
schaft mit den Christen so lange entzogen werden, bis
sie ausreichenden Ersatz geleistet haben, und die Christen
sollen in diesem FaUe, wenn nötig durch geistliche
Strafen, yom Verkehr mit ihnen abgehalten werden. Den
Fürsten aber wird aufgegeben, dieserhalb den Christen
nicht zu zürnen, sondern yielmehr solche Bedrückungen
durch die Juden zu yerhindern.'^^) So bestimmt das
Prag er Stadtrecht yom Jahre 1269, kein Jude solle künftig
yon der Mark mehr als 5 Pfg. Zins monatlich nehmen,
yom Pfunde aber 6 und yon 30 Pfg. einen Pfennig."*) Man
sieht, auch in Böhmen wird es jetzt rasch besser. Am
schlimmsten freilich sieht es im Norden Deutschlands
aus. Am 31. Juli 1270 bestimmt der Bischof Otto yon
Minden, da das allgemeine Konzil yerordnet habe, dass
die Juden keine schweren und übertriebenen
Zinsen mehr yon den Christen erpressen sollen, so
sollen die Juden yon Minden künftig yon den dort an-
sässigen Geistlichen und Laien nicht mehr als die üblichen
4 Denare wöchentlich yon der Mark Zinsen nehmen. '®0
Nach dem Augsburger Stadtrecht yom Jahre 1276 darf
kein Jude yon einem halben Pfund Pfennige mehr Zins
nehmen als wöchentlich 2 Pfennige und yon 60 Pfennigen
einen. '^^ Im Jahre 1310 erlaubt König Heinrich den Juden,
wöchentlich 2 Hlr. Zins yom Einheimischen und 8 Hlr.
yom Fremden für das Pfd. zu nehmen. ***•) Im Jahre 1335
erlässt Papst Benedikt XII. dem Bischof yon Würzburgdie
Zahlung aller Zinsen, welche derselbe den Juden schuldig
1<M\
"5
IW
Depping, Juden im Mittelalter. 8. 149.
Arooias, Regesten zur Geschichte der Joden, S. 320, 801, Sil, 813.
'^ Majer, Aagsburger Stadtrecht, S. 56.
"^) Stobbe, Ja^n in DeatBchland, S. 224.
— 286 —
geworden war, imd bestiiiimt, dass dieselben sich mit Rfick-
erstattnng des ihnen schuldigen Haaptgnts zufrieden
geben mttssen, da die Jaden dem Bischof ungesetzliche
Zinsen abgenommen '^^ haben, und im gleichen Jahre be-
freit der Erzbischof Heinrich von Mainz den Bat und
die Bttrger von Mainz yon dem Eide, durch den sie den
Juden versprochen hatten, die ihnen yon den Bürgern
gezahlten Zinsen nicht mehr zurückzufordern.^^)
Im Jahre 1338 wird in Frankfurt am Main der yorge-
schriebene Judenzinssatz bei Darlehen an Bürger fQr
jedes Pfund H&ller wöchentlich auf 1 Vt Hlr., bei Darlehen an
Auswärtige aber auf 2 Hlr., also 32,5 bezw. 43,3 Prozent
festgesetzt^®^) und im Jahre 1340 wird seitens des Herzog-
tums Bayern für die Städte München, Ingolstadt und
andere Orte bestimmt, dass die Juden dem Inländer das
Pfund Pfennige gegen 2 Pfennige, dem Ausländer aber
für 3 Pfennige wöchentlich leihen, also zum Bezüge Ton
43,3 bezw. 65 Prozent berechtigt sein sollten, und die
Judenordnung yon Winterthur bestimmt im Jahre 1840,
wenn die Juden den gesetzlich festgesetzten Zinssatz
überschreiten, sollen sie yerpflichtet sein, diese Mehr-
forderung herauszuzahlen, wenn sich dies binnen einen
Monats herausstelle; spätere Anforderungen sollten rechts-
ungültig sein.'^) Kurz man wird im Allgemeinen sagen
können, dass der gesetzliche Zinsfuss für derartige Juden-
darleihen im 14. und 15. Jahrhundert zwischen 21,6 und
86,6 Prozent schwankt'«^)
Ein beliebtes Mittel, den durch die allzuharten
Zinsbedrückungen der Juden notleidenden
Schuldnern zu helfen, war die Zinsstundung, welche
seit den Kreuzzügen immer mehr in Aufnahme kam. So
verordnet z. B. am 31. Dezember 1199 Papst Innocenz m.,
als er den Geistlichen des Erzbistums Magdeburg be-
fiehlt, zur Unterstützung der Christen im Morgenlande
beizutragen, es solle allen Personen, die das Kreuz nehmen,
Stundung ihrer Zinsen gewährt werden und mit allen
Juden, welche sich dessen weigern, der Geschäfts-
verkehr yon den Christen so lange abgebrochen werden,
bis sie sich dazu herbeilassen.*®^) So ersucht im Jahre 1208
Papst Innocenz III. die Krone yon Frankreich, alle
Schuldner, welche gegen die Albigenser ziehen, yon
der Zahlung der rückständigen Zinsen freizu-
sprechen und ihnen betreffs der Heimzahlung der
Hauptschuld Stundung bis zur Kückkehr bezw. zur
'*^ Btobbe, Juden in Deutschland, 8 261 f.. 108, 112, 110.
^^ Aronins, Begesten zur Geschichte der Jaden, 8. 155, 178.
— 286 —
gerichtiüchen Toterkl&rung zu gewähren.'^ So fordert
am 17. — 29. April 1213 derselbe Papst die Öläubiger der
Mainzer Kirchenproyinz zam Krenzzag auf and
bestimmt, dass die Kreuzfahrer von der Zahlung ihrer
Zinsen befreit sein und dass die Juden durch die
weltlichen Gerichte gezwungen werden sollen, den
Kreuzfahrern die Zinsen über die Dauer des Kreuzzugs
zu erlassen. Welcher Jude sich dessen weigere, der
solle von allen Christen vom Geschäftsverkehr und
Umgang ausgeschlossen werden. *^^) Im gleichen Jahre
befiehlt das Konzil von Paris, da durch die zahlreichen
neuen eigenen Judengemeinderäte diekirchlicheGe-
richtsbarkeit vernichtet werde, solle sich niemand
den Strafen unterwerfen, welche die Synagogenräte
gegen Personen aussprechen, welche die Verbrechender
Darleiher den Bischöfen heimlich mitteilen.'**^ Die jü-
dischen Gemeindegerichte waren also gegen Juden
mit Strafen vorgegangen, welche es für richtig ge-
halten hatten, Gesetzesübertretungen von Ge-
meindegenossen betrefRs der Zinsengebote den
Behörden anzuzeigen. Trotzdem gelingt es im Lanfe
des 13. Jahrhunderts den Juden immer mehr, ihre Selbst-
verwaltung herauszubilden und ihre Gemeinden zu einem
mächtigen Staat im Staate zu machen. Ebenso werden
am 80. November 1215 durch das damals stattfindende
lateranische Konzil alle Teilnehmer an dem bevorstehenden
Kreuzzuge von der Zinszahlung über dessen Dauer be-
freit. Alle Juden sollen gezwungen werden, den Kreuz-
fahrern die Zinsen zu erlassen; wer sich weigere, solle so
lange vom christlichen Geschäftsverkehr ausgeschlossen
bleiben, bis er nachgebe. Sollte ein Kreuzfiüirer seine
Schuld dem jüdischen Gläubiger zur Zeit nicht heim-
zuzahlen in der Lage sein, so sollen ihm die welt-
lichen Fürsten einen Aufschub in der Art verschaffen,
dass dem Schuldner vom Beginn seiner Reise an bis zar
sichern Nachricht von seinem Tode oder seiner Rück-
kehr die Zinszahlung erlassen, vom Juden dagegen
der Ertrag des Pfandgegenstands während dieser
Zeit nach Abzug der nötigen Auslagen auf das
Hauptgut angerechnet werde. Dies bringe den Juden
wenig Nachteil, indem wohl die Heimzahlung verzögert^
aber die Schuld nicht aufgehoben werde. '^ Das Verhältnis
ist also dasjenige, dass der jüdische Pfandgläubiger
während der Abwesenheit des Schuldners den gesamten
'•^ Depping, Juden im Mittelalter, S. 154, 867.
*I2o^'^"^""» Regcsten «nr Geschichte der Jaden, S. 178, 176, 204.
288, 208*
— 287 —
Ertrag der in seiner Yerwaltang beflndlichen Pfandliegen-
schaft bezieht, davon die Betriebsansiagen bestreitet und
den Ueberschuss am dargeliehenen Hanptgute abzieht
Aach das Konzil von Chatean-Qontier im Jahre 1231,
die beiden Konzile von Lyon in den Jahren 1246 nnd 1247,
das Konzil von Albi im Jahre 1254, von Montpellier
im Jahre 1258, von Sens im Jahre 1269, von Arles nnd
Poitiers im Jahre 1273, von Avignon im Jahre 1282
verbieten den Gerichten die Fortsetzung aller wegen
Forderungen von Juden anhängigen Kechtsstreitig-
keiten. Es sollte dem nachgewiesenen Bechtseinwand
Yon Christen, dass bei Abschlnss des Darlehens eine
Zinsenüberforderung stattgefunden habe, stattgegeben
and die Klage in diesem Falle eingestellt werden. *®*) In
gleicher Weise werden denn auch yon Papst Gregor IX.
wiederholt alle Kreuzfahrer yon der Zinszahlung
während des beyorstehenden Kreuzzugs befreit, wie dies
auch am 17. Juli 1245 durch das Konzil yon Lyon ge-
schieht, wo y erordnet wird, dass alle Testamente yon
Gelddarleihern, wenn die betreffenden Personen sterben,
ohne den unerlaubten Gewinn zurückgegeben zu
haben, rechtsungültig sein sollen. '^^ Das Gesetz
galt für Christen und Juden; alle Geldleiher sollten den
aogerechten Gewinn zurückgeben, den sie an Kreuz-
fahrer gemacht hätten.*®*)
k. Die Sif^fliokt dat PfluidiAbAben ud dU Helamhfamg dn Darlftkou
Während nach romanischem und heutigem Bechte,
wenn ein Pfand durch Zufall untergeht, dieses dem
Eigentümer yerloren geht, also der Verlust den
Schuldner trifft, muss nach altdeutschem Bechte der
Gläubiger in diesem Falle den Pfandwert ersetzen.'^*)
Das talmudische Recht schreibt yor, der Pfandinhaber
solle einstehen müssen für Diebstahl, Abhandenkommen des
Pfands in Fällen, die er durch Vorsieht hätte yermeiden
können, während bei Ereignissen, gegen die keine Vor-
sicht schütze, wie Feuerbrunst, üeberschwemmung u. dergl.,
die Heimzahlung der Schuld nicht yon der Bückgabe des
Pfands sollte abhängig gemacht werden dürfen. Wird fest-
gestellt, dass ein Jude durch Feuer, Diebstahl oder Gewalt
sein Eigentum und die ihm übergebenen Pfänder yer-
loren hat, und wird er um dieselben yon einem Christen
in Anspruch genommen, so kann er sich durch seinen Eid
lösen. Verwahrlost ein Jude einem Christen dessen Pfand,
so dass der Christ dasselbe nicht wieder erhalten kann,
^ Depping, Jaden im Mittelalter, & ie2 f.
n Stobbe, Juden in Dentachland, & 120, 246.
— 288 —
80 muss er es dem Christen auf Qrand seines Eids er-
setzen, bestimmt das alte Augsburger Stadtrecht yom
Jahre 1276**^) und das Meissner Judenrecht yom Jahre 1265
bestimmt, wenn ein Jude mit seinem übrigen Besitze
ein Pfand durch Feuer oder Diebstahl oder Raub
verliere und dies durch einen Eid auf sein Gesetz oder
mit glaubwürdigen Zeugen beweise, so soUe er nicht ge-
halten sein, das Pfand zu bezahlen.'^') So bestimmt das
Augsburger Stadtrecht, wenn ein Jude Geld auf ein
Pferd ausleihe, solle er das Pferd beim Fütterer einstellen
und Bürgen dafür nehmen. Geschähe dann dem Pferd
etwas durch Schuld des Juden, so solle der Jude den
Schaden tragen, geschähe ihm aber etwas ohne Schuld des
Juden, so sollen der Selbstschuldner und seine Bürgen
den Schaden leiden."*)
Betreffs der Heimzahlung der Darlehen an die
Judengläubiger galt der ^chtssatz, dass wenn der
Schuldner dem Gläubiger das Geld zurückbrachte und
sein Pfand zurückforderte, der Gläubiger solches dem
Schuldner vor zwei jüdischen und einem christlichen Zeugen
ohne Widerspruch zurückzugeben hatte und dann von
diesem Tage an keine Zinsen mehr berechnet werden
durften. Geschah dies nicht, so haftete der Jude dem
Schuldner für allen Schaden, der etwa durch Feuer,
Diebstahl oder in anderer Weise dem Pfandgegenstande
widerfuhr. Brachte der Jude an einem spätem Tage dem
Christen sein Pfand zurück und der Christ löste es dann
nicht ein, so fiel aller Schaden, der dem Pfandgegenstande
später durch Feuer, Diebstahl oder Haub zustiess, dem
Christen zur Last Geht also das Pfand unter, nachdem der
Schuldner sich zur Heimzahlung erboten hat, so muss der
Jude Ersatz für den Mehrwert leisten, den das Pfand über
das Hauptgut und die Zinsenforderung hatte, er trägt also
die Gefahr für die mora in accipiendo; befindet sich
aber der Schuldner in mora, so hiat dieser die Gefahr
zu tragen.'*®) So bestimmt z. B. das Meissner Juden-
recht von 1265, wenn ein Christ, der ein Pfand gegeben
habe, das Geld dafür bringe und das Pfand zurückfordere,
und Zeugen stelle, nämlich zwei Juden und einen Christen
und der Jude das Pfand nicht herausgebe, so soUen
von diesem Tage an keine Zinsen mehr laufen, und wenn
dann der Jude das Pfand durch Feuer, Diebstahl oder
sonstwie verliere, solle er dem Christen zahlen, was das
Pfand mehr wert sei als das darauf geliehene Geld mit
''«) Stobbe, Jaden in Dentscbluid, S. 247, 131.
1^^ Aroniua, Begetten zur Geschichte der Jaden, 8. 296.
"«) Majer, Aagtbnrger Stadtrecht, 8. 56.
— 289 —
den Zinsen. Bringe aber der Jnde am folgenden oder
einem spätem Tage dem Christen das Pfand znr Einlösung
mit zwei Christen nnd einem Juden als Zeugen und der
Christ I5se es nicht ein und der Jude verliere es dann
durch Feuer, Diebstahl oder Baub mit seinem andern
Besitze, so sei er nicht yerpflichtet, es dem Christen zu
bezahlen. Eine Ausnahme machten jedoch bei diesen
Vorschriften die jüdischen Feiertage; an diesen war
kein Jude verpflichtet, ein Pfand herauszugeben. So
bestimmt z. B. das Judenpriyilegium des Herzogtums
Oesterreich vom Jahre 1244, kein Jude solle an einem
judischen Feiertage zur Auslösung von Pfändern genötigt
werden dürfen. *"•)
Waren die Schuldner hohe Herren, so hielt es für
die Juden oft schwer, Bezahlung zu erhalten. Die Juden
halfen sich in diesem Falle dadurch , dass sie andere
hohe Herren durch Zusicherung wirtschaftlicher Vor-
teile in ihre Dienste zogen und diese zur Vollstreckung
ihrer Forderungsrechte veranlassten. So versprechen im
Jahre 1376 zwei ülmer Juden dem Pfalzgrafen Friedrich
bei Bhein die Hälfte ihrer Forderung an den Qrafen
Heinrich von Werdenberg, wenn er denselben durch
Krieg zur Bezahlung nötige.'^*) Am schlimmsten waren
in der Begel die Juden daran, wenn die Beichsregierung
sich veranlasst sah, die Forderungen, welche einzelne
Landesherrschaften an das Beich hatten, durch Erlassung
der Judenschulden dieser Landesherrschaften zu tilgen.
Trat formell in diesem Falle auch die Beichsregierung
als Schuldner an die Stelle der Landesherrschaft, so
konnten doch in der Begel die jüdischen Gläubiger nur
mit grossen Abstrichen zu ihrer Forderung kommen.
So erteilt z. B. König Heinrichs Vn. von Luxemburg im
Jahre 1311 den Bürgern von Esslingen wegen ihres
Kriegs mit dem Grafen von Wirtemberg einen zwei-
jährigen Aufschub ihrer Judenschulden. ^|^ So befreit im
Jahre 1312 König Heinrichs Vn. den Edelmann Konrad
von Weinsberg zur Entschädigung fOr die Auslagen,
die er im Beichskriege gegen den Grafen von Wirtem-
berg gehabt hatte, von seinen Judenschulden. So
befreit in den Jahren 1315 und 1316 König Ludwig der
Bayer die Stadt Esslingen zum Ersatz fQr ihren Schaden
im vorausgegangenen Beichskriege auf zwei Jahre von
allen Zinsverbindlichkeiten und Leistungen auf Grund des
Bürgschaftsrechts und Schuldklagen gegenüber den Juden
von Ueberlingen und den anderen Juden, welche zu den
"^ Aronioi, Regesten zur Geichicbte der Juden, S. 296, 284.
^'^ Btobbe, Jaden in DeatschlMid, & 181, 249 f.
— 240 —
Feinden des Königs übergegangen sind. So erlässt König
Ludwig der Bayer im Jahre 1316 den Bürgern Ton
Heilbronn alle Gelddarlehen, welche sie von den dortigen
Jaden erhalten haben. So erlässt König Lndwig der
Bayer im Jahre 1823 dem Stifte Fulda alle seine Juden-
schulden. So bestätigt im gleichen Jahre König Ludwig
der Bayer dem Stifte Bamberg und dessen Dienstleuten
die Befreiung von allen Judenschulden, welche sie Tom
Kaiser Heinrich VII. erhalten hatten. So erlässt König
Ludwig der Bayer im Jahre 1326 einer ganzen Reihe von
Edelleuten ihre Schulden bei den Juden der Beichsvogtei
Elsass. So verzichtet im Jahre 1338 der Herzog Heinrich
von Bayern gegenüber den Bürgern von Straubing
und Deggendorf auf alle seine Ansprüche, welche durch
die Erschlagung von Juden an diesen Orten seiner Kammer
erwachsen waren, und bescheinigt den Bürgern dieser
Städte, das sie den betreffenden Juden nichts mehr schuldig
seien. So spricht König Ludwig im Jahre 1341 das
Kloster Waldsassen von allen Schulden bei seinen Juden
frei. So befreit die Beichskammer im Jahre 1343 den
Burggrafen Johann von Nürnberg von allen seinen
Schulden bei 85 mit Namen aufgeführten Juden und bei
anderen Juden, [denen er sonst noch Geld schuldig ist,
und gebietet allen Juden, den Burggrafen seiner Schulden
ledig zu sagen, wie denn auch im Jahre 1344 der Jude
Moses von Gunzenhausen eine Verzichtleistungser-
klärung auf seine Forderungen an den Burggrafen von
Nürnberg abgibt. Im Jahre 1346 erlässt Kaiser Karl lY.
dem Grafen von Wirtemberg seine Schulden bei den
Juden in Colmar und Schlettstatt, welche bereits
seinem Vater erlassen worden seien, da die Juden ihm
mit Leib und Gut als jetzigem Beichsoberhaupt gehören.
So bestimmt Kaiser Karl IV. im Jahre 1347, dass falls
die Burggrafen von Nürnberg in ihren Schuldurkunden
auf einen Erlass ihrer Schulden durch das Reich verzichtet
haben, diese Bechtsklausel keine Verbindlichkeit haben
solle. Ln Jahre 1348 befreit König Karl den Bischof von
Augsburg von allen seinen Judenschulden. Im Jahre 1349
befreit die Beichskammer die Grafen von Wirtemberg und
ihre Unterthanen von allen Judenschulden und im gleichen
Jahre befreit die Reichskammer den Markgrafen von Baden
von allen seinen Judenschulden. Im Jahre 1350 befreit die
Reichskammer die Stadt Weissenburg und die Deutsch-
herren zu Nürnberg von allen Judenschulden.' '^)
Gieng ein Jude mit Tod ab, so giengen seine For-
derungen wie seine Schulden zunächst an seine Herrschaft
IIB
) Stobbe, Jaden i& DevtBcUuid, & 260 ff.
— 241 —
über and diese hatte als Schntzyogt oder Patron die
Pflicht, sich mit den Schuldnern und Gläubigern des yer-
storbenen Hintersassen auseinanderzusetzen, wofür ihr
bestimmte Teile der Erbschaft als „Sterbfall" zufielen.
So bestimmt ein reichsgerichtliches Urteil yom Jalire 1299,
dass dem Erzbischof Gerhard von Mainz alle Forderungen
der unter seiner Vogtei stehenden bei dem letzten Juden-
krawalle umgekommenen Juden zufallen sollten, falls keine
Erbsinteressenten vorhanden waren."*)
9) IHe SteuerrerliSltiilsse im Allgemeinen nnd die
Belehflkammerkneelitselisft.
Die Reichskammerknechtschaft der Juden ist
thatsächlich , wie Lambrecht ganz richtig erklärt, von
Anfang an vorhanden. Nur ist eben Knechtschaft (ser Vi-
tium), nicht Leibeigenschaft; der „gedingte Knecht^
ist kein „Sklave", sondern entsprechend dem englischen
nEnight'* der freie Hintersasse, Zinsmann oder
Steuerzahler eines Patrons, der freiwillige Lohn-
arbeiter, der lediglich im Vertragsverhältnis zu
seinem Herrn steht. Der Jude ist Beamter (minister),
nicht Eigenmann, (servus im engem Sinn). Die Juden
stehen als Knechte, als freie Steuerzahler im Schutze
des Beichs und es fragt sich nur, wer diesen Schutz
namens des Reichs handhabt.'^^ KöniglicheKammer-
knechte, d. h. Steuerzahler, Zinsmänner des Königs,
sind sie nur, wenn sie auf grundherrlichem Königsgut
wohnen."*) Nicht diese Frage ist also zweifelhaft, sondern
lediglich die Frage, wann der Jude aus den Landes-
herrschaften in die Beichsstädte und damit in den
unmittelbaren Schutz des Beichs gezogen ist, und
man nimmt wohl mit Recht an, dieses Verhältnis sei erst
nach den Jahren 1096 und 1146 allmählich entstanden,
indem die Juden damals infolge der Judenverfolgungen
aus den landesherrlichen Gaugrafschaften nach den reichs-
grandherrlichen Bischofsstädten und in den Schutz
der Kirche zogen, so dass die königliche Gewalt sich
veranlasst sah, die burggräflichen Rechte in den
Städten de r Kirche abzuehmen.
"^ Lambrecht, Wirtschaftsleben, Bd. 1, S. 292 und 454 f. „Servire*'
heilst ^fSerntiam dare** ; sendtium aber heisst Frohndienst, d. h. Herren*
dieost oder Leistang an Geld oder Arbeit, welche man dem Pati^one als
Kaigeld fQr die Patronatspflicht giebt.
*'^ Aronins, Regesten zur Geschichte der Juden, S. 140 f., 80.
"^ Der Grundsatz, dass die Juden durchwe^r Kamm er knechte des
Königs seien, scheint ihren Anfang mit dem Landfrieden vom Jahre 1106
genommen tu haben. (Yergl. Aronius, 8. 141).
- 242 —
So erfolgt die Uebernahme des Jadenschatzes
seitens der Kaiser im 9. Jahrhundert lediglich auf Grund
freier Vereinbarnng zwischen beiden yertragschliessenden
Teilen. Der römische Kaiser als Patron verspricht, seinen
gewöhnlich ans dem spanischen Arabien in das römische
Beich übersiedelnden Klienten vor „Beunruhigung und
Verläumdnng^, vor Eingriffen in sein rechtmässiges Eigen-
tum und ungerechten Zoll-, Vorspann- oder Einquartierungs-
anforderungen zu schützen; er giebt ihm das Recht, in
seinem Machtgebiet das Marktrecht auszuüben, d. h. Handel
zu treiben, christliche Sklaven zu mieten, Sklaven von
auswärts einzuführen und im Lande feil zu haben, und
sichert ihm zu, dass er nur auf Grund des Judenrechts
zur Feuer- oder Heisswasserprobe oder zu körperlichen
Strafen solle verurteilt werden dürfen. So nimmt um das
Jahr 825 Kaiser Ludwig der Fromme den Rabbi Donatas
und dessen Neffen Samuel in seinen Schutz auf, wobei
folgende Bedingungen zwischen beiden Teilen vereinbart
werden: 1. Der Kaiser verspricht den beiden Juden, sie
vor jeder Beunruhigung und Verläumdung zu schfitzen.
2. Niemand darf den beiden Juden etwas von ihrem recht-
mässigen Eigentum wegnehmen oder einen Zoll oder einen
Vorspann- oder Herbergdienst (Einquartierung) von ihnen
fordern. 3. Die beiden Juden dürfen ihr Eigentum ver-
tauschen oder verkaufen, an wen sie wollen, nach dem
Gesetze der Juden leben und mit Ausnahme der Sonn-
und Festtage Christen zu ihrer Arbeit mieten; auch ist
ihnen gestattet, fremde Sklaven zu kaufen und innerhalb
des Reichs wieder zu verkaufen. 4. Bekommen die beiden
Juden einen Rechtsstreit mit einem Christen, so ist dieser
von drei christlichen und drei jüdischen Richtern zu ent-
scheiden, bekommt ein Christ aber Streit mit einem der
beiden Juden, so kann er diesen durch christliche Richter
fnhren. 5. Da die beiden Juden sich beschweren, die
Christen hetzen die Sklaven der Juden auf, ihre jfidischen
Herren aus religiösen Gründen zu verachten, und fiberreden
sie, sich durch die Taufe von ihnen freizumachen, so
verbietet dies der Kaiser. 6. Christen, welche dazu raten,
man solle die Juden töten, sollen so lange die Juden dem
Kaiser treu bleiben, eine Strafe von 10 Pfund Gold be-
zahlen mttssen. 7. Zum Gottesurteil durch Feuer oder
heisses Wasser oder zur GFeisselung sollen die beiden
Juden nur dann verurteilt werden dfirfen, wenn dies
nach dem Judenrechte zulässig ist.^^®) Mit der Besoldung
der auf diese Weise vom Reiche flbernommenen Pflichten
und dem Einzug der hiefflr von dem Klienten dem
"*) AronioB, Regesten rar Gescbicbte der Joden, £L 81 C
— 248 -
Seiche zufidlenden Gebfibren und Dienste waren unter
den Karolingern in der Begel wie mit der Verwaltung
des Beicbs Oberhaupt meistens die geistlichen Fürsten
betraut So überlässt z. B. König Karl der Einfache dem
Erzbischof yon Narbonne die ihm zustehenden Reichsge-
falle und Zdinten aus den Aeckern, Weingärten, Mühlen der
dortigen Juden.^^) So beklagen sich am 22. Februar 839
der Jude Gbiudiocus und seine Söhne Jakob und Vivacius
bei Kaiser Ludwig, dass der Schutzbrief, den ihnen der
Kaiser Ober ihre rechtmassig yon ihren Vorfahren ererbten
Guter Valerianis und BagniUs erteilt habe, ihnen böswillig
geraubt worden sei und bitten desshalb um eine
Erneuerung desselben, was denn auch geschieht Der
Schutzbrief bestinunt, dass die genannten Juden und ihre
Nachkommen diese Güter mit allen Zubehörden als Ge-
bäuden, Höfen, Weingärten, Wiesen, Weiden, Wasserläufen,
Mühlen und Wegen, ohne Widerspruch besitzen sollen und
dass es ihnen jederzeit freistehen solle, diese Güter zu
verkaufen und zu vertauschen. ''^)
Seit der Mitte des 10. Jahrnunderts nun sehen wir,
entsprechend der allgemeinen grossen Bewegung, welche
damals gegen die Herrschaftsrechte der Bischöfe und
Aebte in den ihnen zum Aufenthalt dienenden aufblühenden
Stadtgemeinden entsteht, wie auch die Ausübung des
kaiserlichen Judenpatronats durch die geistlichen Fürsten
lebhafte Anfechtungen erfährt So entsteht z. B. in dem
emporblohenden Magdeburg eine heftige Bewegung zu
dem Zweck, das Schutzrecht Ober die dortigen Juden
und Kaufleute der Kirche zu entreissen, so dass am
9. Juli 965 Kaiser Otto der Grosse in einem Freiheits-
briefe, den er der Moritzkirche zu Magdeburg verleiht,
bestimmt, die Juden und anderen Kauf leute der Stadt
sollen wie seither lediglich unter der Gewalt des Bi-
schofs bleiben i<o), wie auch im Jahre 973 Kaiser Otto 11.
dem Bistum Merseburg alles überlässt, was die Mauern
der Stadt Merseburg einschliessen, samt dem Er-
trag der Steuern der dortigen Juden und Ka uf leute '*'),
und im August 979 Kaiser Otto n. dem Erzbischof von
Magdeburg den dortigen Stadtbann überlässt, so dass
in Zukunft der bischöfliche Vogt die Gerichtsbarkeit
über alle in der Stadt und der Vorstadt wohnenden
Kaufleute, Juden und andere Bewohner jeglichen
Stands ausüben solle."*) So gibt im Jahre 1004 Kaiser
Heinrich ü. dem Bischof Wigbert yon Merseburg den
Blrtrag der Steuern der dortigen Kaufleute und Juden
**^ Depping, Jaden im Mittelaller, S. 61, 62. Aioning. 66.
"V Arooiiis, Regesten zur Geichichte der Jaden, 8. 42 f., 978, 67, 69
16»
— 244 —
sorftck, welche derselbe vor langen Jahren durch ein
Taaschgesch&ft yerloren hatte. So stellt s. B. König
Wilhelm der Eroberer von der Normandie nach der
Eroberung Englands die Juden dieses Etoigreichs
in seinen besonderen Schutz, erklärt ihr Vermögen als
königliches Eigentum und bestimmt, dass niemand
das Hecht haben solle, sich dasselbe anzueignen.
Die Beschlagnahme des Vermögens der englischen Juden
durch den neuen Herrscher ist also nicht etwa so auCEU-
fassen, als ob dieser den Juden dasselbe abgenommen bitte,
um sie zu berauben, sondern die betreffende Staatshandlnng
der neuen Begierung bezweckt lediglich, sich in den Oe-
nuss der hohen jödischen SteuergeftUe zu setzen. '"'^ So
vermacht im Jahre 1086 die Gemahlin des Herzogs Boger
Ton Apulien, des Sohns des Normannenherzogs Bobert
Ouiscard, der Frauenkirche von Salerno den Ertrag der
Judensteuer dieser Stadt und ihr Oemahl tritt dem
Erzbischof von Salerno das dortige Judenyiertel mit
allen Juden darin ab, wobei nur diejenigen Juden ebe
Ausnahme bilden sollten, welche auf Grund und Boden
wohnten, der dem Herzog gehörte. Alle nicht in dieser
Stellung begriffenen Juden von Sidemo sollten dem Bistum
zu allen Diensten und Auflagen, wie dem Grundzins,
dem Thorzins und anderen Diensten, verpflichtet sein,
wie sie das seither dem Herzog oder der Stadt gegeben
hatten.'**) Mat hat also in Salerno damals zweierlei Juden,
von denen die einen im Ghetto oder der Judengasse wohnten
und deren Landesherr der Erzbischof war, während die
anderen auf dem Grund und Boden der Krone von Sizilien
wohnten und dieser steuerpflichtig waren. So erneuert in
den Jahren 112fi — 1140 der Herzog Sobeslaus von Böhmen
den Schutzvertrag der deutschen Gemeinde in der
Prager Vorstadt Nach demselben führt der Böhme
den Zengenbeweis gegen den Deutschen mit zwei
Deutschen und einem Böhmen und umgekehrt; ebenso soll
es bei Streitigkeiten mit Bömern und Juden gehalten
werden. Man hat also in Prag vier nationale Ge-
meinden, von denen jede ihre eigene Verwaltung und
ihr eigenes Gericht hat. Alle vier aber stehen im Patronat
der Krone von Böhmen, sind dieser steuerpflichtig und
damit nach mittelalterlichem Sprachgebrauche „Kammer-
knechte'' derselben. >») Am 6. April 1157 bestätigt
Kaiser Friedrich L der Judengemeinde in Worms den
Schutzvertrag Kaiser Heinrichs IV. ^) So sind die
Juden in Konstantinopel das ganze Mittelalter seit
*2 Dcpping, Juden im Mittelalter, 8. 123, 129.
^ Arooiui, Regelten rar Qeeehiehte der Juden, 8. IOC, 128.
— 246 —
dem Jahre 1204 ünterthanen, Hintenaseen and Schatz-
befohlene der Repnblik Venedig and befinden sich sehr
wohl dabei and als König Heinrich n. (1133 bis 1189)
von England seinen Zag nach dem heiligen Lande
nnteminunt, setzt er den englischen Bürgern eine Stener
von 70,000 Pfd. Sterling, den Jaden aber eine solche
von 80,000 Pfd. Sterling an. Diese Stener worde indess
von den Jaden nicht bezahlt, worauf die Krone die
reichsten Jaden des Landes verwies and ihnen die
Aaswanderang erst nach Bezahlong eines Anstrittsgelds
von 5000 Mark erlanbte.***)
Sind so seit dem 10. Jahrhundert etwa meist die
Staatsbehörden im Besitze der Jadensteuern, so
sehen wir seit dem Anfang des 13. Jahrhunderts das
Recht auf den Ertrag der Judenschutzgelder in zu-
nehmendem Masse wieder an die geistlichen Fürsten
flbergehen, welche in kluger Ausnutzung der Zeityerhält-
nisse sich dieses Becht durch Pfandschaftsyertrage yom
Reiche zu erwerben wissen, wobei indess zahlreiche Aus-
nahmen yorkommen. So verzichtet am 20. November 1209
die Reichskammer unter Kaiser Otto IV. von Sachsen
in einem Vertrage mit dem Erzbistum Mainz unter Erz-
bischof Siegfried auf alle Ansprüche an den Ertrag der
Jodengefalle in den Städten des Erzbistums.^*^) So leiden
im Jahre 1210 die Juden in Passau schweren Schaden
dorch gewaltsame Beraubung und verlangen desshalb
von ihrem Patron, dem Bischof Mangold, Entschädigung,
worauf sich das Bistum mit ihnen derart vergleicht, dass
die Stadtgemeinde Passau ffir 400 Mark von allen For-
derungen frei sein sollte, welche künftig noch Christen
oder Juden wegen dieser Angelegenheit machen sollten.
Am gleichen Tage vergleicht sich sodann das Bistum
von Passau mit der Stadtgemeinde wegen der Sache in
der Art, dass die Stadt die Bezahlung von 400 Mark an
die Passauer Judenschaft fibemimmt und die Bürger
Walther Isnar, Ulrich Pröbstlin und der Schneider Herbord
den Juden 200 Pfd. Pass. Münze zahlen, während das
Bistum ihnen dafür den Passauer Zoll verpfändet.*^
Am 10. Juni 1212 verpflichtet sich Kaiser Otto IV.
Yon Sachsen dem Viztum von Rusteberg und Ulrich
von Dullenstedt gegenüber, den Vertrag zu halten, den
er vor seiner Kaiserkrönung mit dem Erzbistum Mainz
geschlossen hatte, und demzufolge die Beden der Juden-
gemeinden Mainz, Erfurt u. s, w., die unter seiner
Gewalt standen, dem Erzbistum zufielen« Im
"!) Deppiag, JadflD im Mittelalter, S. 899, 125, 868.
Aradu, Begssteii lur Geschichte der Jaden, 8. 167 n., 171.
q
— 246 —
Jahre 1212 tritt Kaiser Friedrich n. als König von 8i-
zilien dem Erzbistom Cosenza den Ertrag der Jnden-
steoer dieser Stadt and das dortige Färberbanngeld
ab.'**) Am 3. Janoar 1216 bestätigt König Friedrich IL
seinen Getreuen, den Joden yon Regensborg, die
ihm yon ihnen vorgelegte Urkunde Kaiser Friedrichs I.
und befiehlt bei Verlust seiner Onade, dass niemand
die darin enthaltenen Freiheitsrechte solle brechen oder
sie durch Verleumdung oder Schadenzufbgung verletzen
dürfen. Um dieselbe Zeit fiberlässt Kaiser Friedrich IL von
Hohenstaufen als König und Landesherr der Provence
die Einkünfte von mehreren Juden der Kirche von
Arles.»*) So ttberlässt König Heinrich m. (1216—1272)
von England den Ertrag der englischen Judensteuer
auf einige Jahre an seinen Bruder König Bichard von
Deutschland.-")
Um welch* ein wichtiges GefUI es sich bei der
Judensteuer handelte, erhellt daraus, dass z. B. im
Jahre 1217 nahezu der dritte Teil der französischen
Steuerertrage von 7550 Pfd. von den Juden der Nor-
mandie bezahlt wird'**) und so steigt denn auch die
Anzahl der Staatsverträge Ober dieses Gefäll während des
13. Jahrhunderts fortwährend. So sehen wir im Jahre 1219
das Recht auf den Bezug der Judensteuer von Marseille
in der Hand des dortigen Bischofs, der dieses Gefall im
gedachten Jahre durch Vertrag mit der Judengemeinde
auf 2 Lampreten festsetzt.'**^ Im März 1227 verleiht König
Heinrich vn. der Hohestauie von Deutschland dem Grafen
Wilhelm von Jülich und seinen Erben das Becht, den
Ertrag der Steuern aller Juden, welche sich in seinem
Lande niederlassen, frei von König und Reich zu be-
sitzen und über sie nach freiem Ermessen zu verftkgen."^
So schliesst im Jahre 1280 König Ludwig IX. einen Ver-
trag mit dem Bischof von Beziers, durch den sich die
französische Krone alle Rechte auf den Ertrag der dortigen
Judensteuer vorbehält mit Ausnahme dessen, was davon
dem Bischof und den Kanonikern gehöre.^^) Man sieht, die
französische Krone ist bestrebt, von ihrem Rechte auf das
Judenregal zu sichern, was zu sichern ist. Wären ihre
Rechte nicht bedroht gewesen, so wäre ein solcher Ver-
trag nicht nötig erschienen. Am 16. Februar 1288 Über-
lässt König Heinrich Vn. von Hohenstaufen dem Bischof
Siegfried von Regensburg als Entschädigung für seine
Auslagen im Reichsdienste auf Lebenszeit alle Einkünfte,
Gerichtsgefälle und Gerechtigkeiten, welche der Reichs-
^
Deppiog, Jaden im Mittelalter, 8. 189, 191 f., 151, 266, 157 f.
ArooittB, Regesten zur Geschichte der Jaden, 8. 180, 195, 201.
- 247 —
kammer yon denjengen in Begensbnrg wohnenden Jaden
zustand, deren StenergefiUe der Beichskammer gehörte.**^
Es gab also demnach anch in Regensbnrg zweierlei Jnden-
bOrger, solche, welche im Patronat des Reichs standen, also
Beichskammerknechte waren, nnd solche, die in der Vogtei
des Bischofs standen, also bischöfliche Kammerknechte waren.
Im Jahre 1234 nimmt Kaiser Friedrich n. yon Hohen-
staofen in Anbetracht der Schwäche, d. h. der verhältnis-
mässig geringen Anzahl, des Jndenyolks nnd mit
Rflcksicht darauf, dass die in seinen Ländern lebenden
Jaden dnrchweg nnd jeder einzeln darch gesetzliches
Vorrecht der Kirche nnd der kaiserlichen Gewalt
seine „besonderen Kammerknechte^ sind, anf die
Bitte seiner beiden Kammerknechte C. nnd 0. deren
Personen sowie ihre Söhne, Töchter nnd alle ihre Ofiter
in seinen and des Reichs besonderen Schutz anf,
indem er ihnen die guten Gebräuche und bewährten
Gewohnheiten, die sie unter seinen Vorgängern hatten,
bestätigt, nachdem sie seither den ihnen obliegenden
Diensten nachgekommen und in der dem Reiche schuldigen
Treue yerharrt haben. Man sieht aus dieser wichtigen
Urkunde, wie das Jndenpatronat ein Recht des römischen
Kaisers ist und die Judenpatronate der Landesherrschaften
nichts anderes als Reichslehen sind. Die Aufnahme in
den unmittelbaren Reichsschutz, welche nichts
anderes bedeutete, als die Befreiung yon allen Steuern
an die Landesherrschaft, war damals ein yon allen
stärkeren wirtschaftlichen Existenzen angestrebtes Frei-
heitsrecht und sie wird denn auch yon allerlei Bürger-
schaften und einzelnen Personen seit dem 18. Jahrhundert
in zunehmendem Masse erworben. So nimmt z. B. am
18. Noyember 1284 König Heinrich VH. die Bfirgerge-
meinde in Wflrzbnrg in den Reichsschutz auf und
yerspricht, die Bürger nicht durch Steuern zu beschweren,
nnd damit dies dem Bischof, der Geistlichkeit, den Juden
nnd allen Bürgern treu gehalten werde, stellt er einen
Freiheitsbrief darüber aus.'**) Am 8—81. August 1288 nimmt
Kaiser Friedrich ü. seine Kammerknechte die Juden
in Wien in den unmittelbaren Reichsschutz und er-
teilt ihnen hierüber einen Freiheitsbrief, der im Allge-
meinen dem Worms er Freiheitsbriefe Kaiser Heinrichs IV.
entspricht**^ So erklärt am 18. Noyember 1244 der Erz-
hischof Siegfried DX yon Mainz in einem Freiheitsbriefe
an die Bürger yon Mainz, dass er den dortigen Juden
^ Aronini, Regesten sor Geschichte der Joden, 8. 205, 204, 129,
^f.,287.
— 248 —
halten werde, was er ihnen yersprochen habe.'**) So Ter-
pfändet am 5. Februar 1247 der G^genkönig Landgraf
Heinrich Haspe von Thüringen die Juden in Würzbarg,
deren Steuerertrag seither der Reichskammer zustand,
dem Bischof Hermann yon Wflrzburg uud seiner Kirche
f&r 2300 Mark Silber. Würzburg soll die betreffende Juden-
Steuer zu seinem Nutzen besitzen, doch sollen nach dem
Tode des Bischofs König Heinrich oder seine Nachfolger
am Reiche das Recht haben, dieses Stenergefall gegen Be-
zahlung des Pfandschillings zurückzukaufen, was allerdings
nie mehr geschah. Die Einkünfte, welche der Bischof
hiebei yon den Juden in der Pfandschaftszeit bezogen hatte,
sollten nicht in Anrechnung gebracht werden dürfen.'^ Im
April 1247 wird der Freiheitsbrief der Bürger von Wien,
welchen Kaiser Friedrich ü. ihnen yerliehen hatte, während
seiner Fehde mit dem Herzog Friedrich dem Streitbaren,
dem letzten Babenberger von Oesterreich von letz-
terem aber aufgehoben worden war, dieser auf ihre Bitte
nach dem Tode des Herzogs und dadurch stattgehabten
Rückfall des Herzogtums an das Reich vom Kaiser Frie-
drich n. erneuert. >^) Am 27. März 1250 nimmt der Erz-
bischof Konrad von Köln auf die Bitte der Büi^r yon
Dortmund zum Vorteil derselben die dortigen Juden
mit ihren Knechten gegen eine Jahresabgabe yon 25 Hark
Kölner Groschen in seinen Schutz. Dieselben dürfen ohne
Schaden an Leib und Gut auswandern, sobald sie die
Abgabe geleistet haben. Einwandernde Juden gemessen
ebenfalls den erzbischöflichen Schutz, wenn sie die Abgabe
bezahlen.'*^) Im August 1251 yerpfllndet König Konrad IV.
yon Hohenstaufen dem Gottfried yon Hohenlohe f&r
seine Dienste die Stadt Rothenburg samt den dortigen
Juden nebst Gebsattel um 3000 Mark Silber.'^) Am
3. April 1252 yerspricht König Wilhelm yon Holland
yon Deutschland in einem Freiheitsbriefe fQr die Stadt
Goslar, die dortigen Juden als seine Kammerknechte
gnädig zu schützen, wofür sie ihm aber auch als ihrem
Herrn und römischen König in schuldiger Weise sollten
dienen, d. h. steuern müssen.'"^) Am 22. März 1253 weist
der Erzbischof Konrad yon Köln den Grafen Walram
und Otto yon Nassau 500 Mark Kölner Denare auf die
Einkünfte aus dem Zoll, Aer Bede, der Münze und dem
Judenschutzgelde in Siegen an. Sollten sich die
Einkünfte aus dem Judenschutze und der Münze
erhöhen, so sollte der Mehrbetrag zwischen dem Erzbischof
und den Grafen geteilt werden.**®) Am 27. April 1252
8. oben, S. 11 f.
AronioB, Regesten zur Qeachichte der Jaden, 8.241, 245, 249, 25B.
=?
— 249 —
schliesst der Erzbischof Eonrad yon Köln, da es sehr
nfitzUch und ehrend sei, wenn er den Juden, die
sich seinem Schutz unterwerfen wollen, diese Wohl-
that erweise, einen zweij&hrigen Vertrag mit denselben.
Alle .luden, welche die Stadt betreten, sollen bei allen
ihren Geschäften unter seiner Gerichtsbarkeit stehen,
wofttr sie ihm an Johannis dem Täufer, dem 24. Juni, und
an Weihnachten ein bestimmtes Schutzgeld zu bezahlen
haben. Mehr soll weder vom Vogt noch dem Kämmerer oder
sonst jemand ihnen abgenommen werden. Nach Ablauf der
zwei Jahre dürfen die Juden fortgehen oder bleiben. Wollen
sie bälder auswandern, so ist ihnen dies erlaubt, wenn sie
das Schutzgeld vorher bezahlen. Wollen sie länger bleiben,
so soll Aber die Höhe des Schutzgelds eine neue Verein-
barung getroffen werden. Seine weltliche Gerichtsbarkeit
über die Juden soll sich erstrecken auf Diebstahl, Fälschung,
Körperverletzung (Bligendait), Einschreiten gegen Juden,
die sich dem Judenbanne nicht unterwerfen, Ehebruchs-
faUe von Juden mit Jüdinnen und Christinnen. Zur lieber-
führung bedarf es des Zeugnisses von Christen oder Juden.
Kein Jude soll für die Vergehen des andern büssen. Klagen
von Juden gegen Juden sind in Gegenwart des Anzu-
klagenden dem Erzbischof vorzutragen, wobei der Ankläger
sich zur Strafe der Talion verpflichten muss. Wird von
der Judengemeinde der Ausschluss eines Gemeindeange-
hörigen aus dem G«meindeverband einstimmig beantragt,
so hat der Erzbischof diesen aus der Stadt zu schaffen.
Der Judenbischof wird alljährlich von der Judengemeinde
erwählt, f&r die Beleihung erhält der Erzbischof 5 Mark,
nnd damit die Kölner Juden freiwillig dableiben und noch
mehr Juden der guten Behandlung zu lieb sich nieder-
lassen, werden der Bürgermeister, die Schöffen und der Bat
von Köln, nachdem sie sich dem Erzbischof für die Ein-
haltung dieser Bestimmungen verbürgt haben, aufgefordert,
ihm zu Ehren die Juden zu fördern, zu begünstigen und
zu schützen, wo sie können."^) So wird im März 1253 in
einem Vertrage zwischen Gottfried von Hohenlohe und
Engelhart und Konrad von Weinsberg über ihre gegen-
seitigen Bechte in der Stadt Oe bringen unter anderem
bestimmt, die Juden sollen ausschliesslich unter dem hohen-
lohischen Vogte stehen.^'') Im September 1263 erteilt
der Bischof Hermann von Würzburg den Juden der
Stadt nnd Diözese einen Freiheitsbrief, den am 25. Sep-
tember 1253 Papst Innocenz IV. bestätigt, da er die
Ueberzeugung habe, dass es der Würde der Kirche nicht
^ AroDtns, Regesten zur Qesdiicble der Jaden, 8. 260 f., 25B f.
— 250 —
widerepreche, wenn der heilige Stahl die Jaden schfitze,
deren Verkehr mit Christen er ja dalde. Die Jaden
hatten am den bischöflichen Schatz nachgesacht, weil man
sie angeblich in angerechter Weise mit Diensten und
Stenern bedrfickt hatte.'*') Am 28. Oktober 1254 bestätigt
der Herzog Ottokar n. Przemysl yon Oesterreich,
Markgraf yon Mähren, den Freiheitsbrief des Papstes
Innocenz IV. fbr die Jaden vom 22. Oktober 1246 and des
Bischofs Hermann yon Wfirzbnrg wegen ihrer Kirchhofe
and Synagogen, ihres Eigentums and ihrer Personen.^)
Am 10. Janaar 1255 schreibt König Wilhelm yon Holland
yon Deatschland den Bürgern yon Worms, er werde
ihnen so yiel Bechte geben, dass nicht nur die Christen,
sondern aach die Jaden sich ft*eaen werden, sich in sein
Patronat gestellt za haben.'**) Am 1. Febraar 1255 werden
darch ein Schiedsgericht die Streitigkeiten zwischen dem
Erzbischof Konrad yon Köln and dem Grafen Wilhelm
yon Jülich wegen des Bechts auf den Ertrag der Jaden-
steaer der Kölner Diözese and des erzbischöf-
lichen Herzogstams aasschliessUch dem Erzbischof
and der Kölner Kirche zagesprochen. Am 28. Febraar
1255 fiberträgt der Bischof Bichard yon Worms seinem
Kapitel seine Einkünfte in der Stadt Worms, daranter
40 Pfand Hlr., welche die dortigen Jaden ihm alljährlich
an Martini, den 11. Noyember, za bezahlen haben.'^ Am
29. Noyember 1255 wird bei der Aassöhnnng des Bischofs
Eberhard ü. yon Konstanz mit den dortigen Bfirgem
anter anderm anter Ein willi gang der Jaden aasdrfick-
lieh bestimmt, dass der Betrag, den die Konstanzer
Jaden haben bezahlen mfissen, entweder zarflckgegeben
oder mit ihrer Einwilligang behalten werden solle. Die
Stadt hatte also wahrscheinlich die Jadengemeinde anter
Verletzung bischöflicher Bechte besteaert. Im Jahre 1257
schliesst die Stadt Marseille einen Vertrag mit dem
Herzog Karl von Anjoa, Graf yon Proyence, nach dem
der Herzog yon den Christen, Jaden and Sarazenen
in Marseille keine höhere Abgabe als seither verlangen
darfte,"») Im Jahre 1258 wirft die Stadt Köln dem
dortigen Erzbischof yor, dass er die Jadengemeinde
der Stadt in anrechtmässiger Weise besteaert habe ^*^) and
am 28. Jani 1258 werden die Streitigkeiten zwischen dem
Erzbischof and den Bürgern yon Köln darch Schieds-
spruch beendet, wobei der Erzbischof erklärt, die Bürger
dfirfen sich nicht darum kümmern, wie er seine Juden
***) Aronias, Regesten zur Geschichte der Juden, S. 257, 259. 269.
'**) Depping, Juden im Mittelalter, 8. 256 f.
'**) Stobbe, Juden in DentscUand, 8. U.
— 261 —
behandle, da er die Kölner Jadengemeinde vom Reiche
zn Lehen habe, deren Steuern l^ziehe und dafür ihre
Vergehen strafe. Die Bttrger hatten sich darüber be-
schwert, dass der Erzbischof die Juden verhaftet habeJ*^
Wenn die Juden vom Seich an den Erzbischof gekommen
sind, weiss man nicht Im gleichen Jahre wird in Hil-
desheim der dortigen Judengemeinde der Schutz
und das Geleite aufgekündigt und ihre Synagoge ge-
schlossen.'*^) Am 25. Juli 1258 bestätigt König Richard von
Cornwallis von Deutschland den Bürgern und Juden
in Worms ihre Freiheitsrechte und gibt ihnen 1000 Mark
Silber. Die Juden aber zahlen dem Bischof und den
Bürgern 200 Mark ftkr ihren Schutz.»*) Im Dezember 1269
schreibt der Erzbischof Konrad von Köln den dortigen
Bürgern, er habe den Vertrag mit seinen Kölner
Juden mit einem neuen Zusätze versehen und lege ihnen
desshjalb denselben vor, da er den Juden versprochen habe,
die Bürgerschaft zu bitten, sich für die treue Einhaltung
dieses Vertrags durch ihn zu verbürgen. Die Bürger
sollen dafür wie seither die 4 Soldi von den Juden er-
halten, so dass die Juden an beiden Terminen im Jahre,
wo sie dem Bischof ihre Abgaben zahlen, den Bürgern
als Beitrag zu den öffentlichen Bauten ebenso vielmal
4 Soldi zahlen sollen, als sie dem Bischof Mark (zu 20 Soldi)
zahlen. ■'*) Am 11. März 1260 lässt der Bischof Eberhard
Yon Worms auf Bitte der dortigen Judengemeinde
dieser eine Abschrift des ihr von Kaiser Heinrich IV.
erteilten Freiheitsbriefs anfertigen, da wegen der Un-
sicherheit im Lande und der Gefährlichkeit der
Strassen keine Urkunden versandt werden können.*")
Man sieht, wie seit der Mitte des 13. Jahrhunderts
bereits die Streitigkeiten zwischen den geistlichen
Stad t he rren und denReichsbürger Schäften der Städte
am das Bei ch auf die Judenbesteuerung entsteht. So
beklagt sich im Juli 1261 der Bischof Walter vonStrass-
barg, dass die Bürger die Juden, mit denen sie doch
gar nichts zu schaffen haben, ebenfalls besteuern,^) und
verbietet deshalb dem Rate von Strassburg aufs strengste,
die Juden künftig zu besteuern, weil sie in seinem landes-
herrlichen Schutze stehen und nicht in dem der Stadt. *••)
Am 22.-23. September 1261 nimmt der Bischof Robert
von Magdeburg während der Versammlung zum Laub-
hüttenfest die reichsten der dortigen Juden fest und
entlässt sie erst wieder nach Bezahlung (de redemptione,
^tdicitur) von 100,000 Mark Lösegeld. Dann lässt er in
"*) AronioB, Regsten snr Geschichte der Jaden, S. 250 f., 270, 274.
'"^ Maarer, Deatechei StAdteweaen, Bd. 2, 8. 795 f.
— 262 —
Halle und Magdeburg alle Judenhioser militirisch
besetzen and alles Gold und Silber der Jnden wegschaffen.
Die Bürger von Halle nehmen sich darauf der Juden
an, worauf der Bischof die Stadt belagert und eine Fehde
entsteht, die bis zum Jahre 1261 dauert, an welcher sich
mehrere benachbarte Fürsten beteiligen. Die Hallenser
und Magdeburger wollten nämlich den Judenschutz an
sich reissen, was der Bischof dadurch vereitelte, dass er
das Vermögen der Juden beschlagnahmte.'*^ Am
7. Oktober 1261 vergleichen sich der Bischof Iring von
Wfirzburg und die Bürger der Stadt in Bezug auf die
dortigen Jnden dahin, dass die Bürger sich in den
Geschäftsverkehr zwischen dem Bischof und den Juden
nicht zum Schaden des Bischofs einmischen, sondern
den Bischof sein Recht und seine Herrschaft über die
Würzburger Judengemeinde ausüben lassen sollten, wie
sie auch die Jnden in nichts bedrücken und sie zu keinen
Leistungen für die Bürgerschaft anders als unter Zu-
stimmung des Bischofs zwingen zu wollen versprachen.**^
Am 26. Oktober 1261 versprechen der Bat und die Bürger
von Halberstadt auf die Bitte des dortigen Bischofs,
die dortige Judengemeinde nach Kräften zu schützen,
so dass weder der Bischof noch die Bürgerschaft oder
sonst jemand ihnen Gewalt anthun oder unregelmässige
Abgaben von ihnen erpressen sollte. Die Juden aber sollten
daAr dem Bischof die geziemenden gewöhnlichen Dienste
treu leisten. Ueber ihre Vergehen sollte nach altem Her-
kommen geurteilt werden und die Juden hatten das B-echt,
jederzeit fortzuziehen.^*'') Im Jahre 1262 verschreibt
König Peter der Grausame von Aragon seiner Gemahlin
Konstanze als Wittum die Stadt Gar onne und den Ertrag
der dortigen Judenstener. Im Jahre 1262 setzt König
Richard von Deutschland in dem Freiheitsrecht, das er der
Stadt Hagen au im Elsass verleiht, fest, dass die dortigen
Juden als königliche Kammerknechte nur der Beichs-
kammer dienen und des Königs Befehl gehorchen sollten,
ohne dass sie irgend jemand, wo es auch sei, zu anderen
Diensten sollte zwingen dürfen. Am 9. Juli 1262 wird in
dem Vergleich zwischen Walter von Geroldseck und
der Stadt Strassburg bestimmt, dass die Juden die
nächsten 5 Jahre abgabenfrei sein sollen.'**) Am
16. Oktober 1262 bestätigt König Richard von Cornwallis
von Deutschland den Bürgern von Hagen au das Frei-
heitsrecht, dass seine Kammerknechte die dortigen Juden
nur der Reichskammer dienen und desshalb von niemand
>*^ Aronios, Regelten lar Oescbichle der Jodeo, 8. 28L 282 f^ 284.
'n I>eppiDg, Juden in Mittelalter, 8. 800, 191.
— 268 —
SU ungesetzlicheii and ungewöhnlichen Diensten geiwnngen
werden sollen.^ Am 1. Mai 1263 wird die Jndenge-
meinde in Worms von König Richard yon Cornwallis
Ton Deutschland wieder dem Bischof Heinrich yon Speier
znrflckgegeben, nachdem dieselbe der Stadt Worms 220 Pfd.
Hlr. bezahlt hat'*^; aber schon im März 1265 zahlt die
Jadengemeinde zaWorms den dortigen Bürgern wieder
SOOPfd.Hlr. Jahresstener.***) Am 26. Angnst 1265 schliessen
der Bischof Iring yon Wfirzbnrg und die dortigen Bürger
einen Vergleich, nach dem der Bürger Sintram und die
anderen yertriebenen Freunde des Bischofs, Christen und
Juden, in die Stadt zurückkehren dürfen und wieder in ihre
Rechte eingesetzt werden. Klagen der Bürger gegen sie
sollte der Bischof inGüte beilegen.'**) Am 30. Noyember 1266
befreit König Konradin auf die Bitte der Bürger yon
Augsburg seine Kammerknechte die dortigen Juden
bis Oeorgi, den 24. April 1272, yon allen Leistungen an
ihn gegen 30 Pfd. Augsburger Pfennig im ersten Jahre
und je 10 Pfd. in den übrigen 4 Jahren. Lassen sich
weitere fremde Juden in Augsburg nieder, so haben die
Bürger Humloher und Ulrich Klaindienst mit den Juden
Dayid und Liebermann deren Steuer an den König ein-
zQschätzen; ein Einspruch des Königs hiegegen ist aus-
geschlossen. Scheidet einer der Vier aus, so wählen die
drei anderen einen Ersatzmann. Die Ausübung des könig-
lichen Judenschutzes besorgen der königliche Schutzyogt,
der Bürgermeister yon Augsburg, die Augsburger Schöffen
und die ganze Gemeinde. Im Jahre 1270 erwerben die
Bürger yon Augsburg auch den Ertrag der Steuergef&Ue
der dortigen bischöflichen Juden.**®) Der Ertrag der
Aagsburger Judensteuer fliesst also seither in die Stadt-
kammer, gehört aber selbstyerständlich nach wie yor als
Regal der kaiserlichen Kammer. Im gleichen Jahre
erneuert Köln der dortigen Judengemeinde ihr altes
Becht, keine Gauwercini oder Christen, die offen auf
Zins leihen (also nicht gewerbsmässig ist es erlaubt)
zu ihrem Nachteile in der Stadt Köln zu dulden. Die
betreffenden Bestimmungen werden in Stein gehauen und
öffentlich aufgestellt**^) Am 20. Dezember nimmt der
Erzbischof Werner yon Mainz die Bürger und Juden
zu Erfurt, die sich mit einander gestritten hatten, wieder
in seine Onade und hebt seinen Bann gegen die Bürger
auf, den er wegen der Juden über die Bürger yerh&ngt
***) Aroniat, Regetten sor Geschichte der Jaden, 8. 285, 290, 292,
297.817.298,808.
^ Btobbe, Joden in Dentachland, 8. 41.
^) Araitiu, Begeeten rar GeeeUchle der Joden, 8. 299. Slohbe, 91.
— 254 —
hatte. Die Jaden sollen ihre Freiheiten so lange ge-
messen , als sich ihre Priyilegien erstrecken. ^) Am
23. Angast 1268 erneuert der König Ottokar von Böhmen,
Herzog von Oesterreich und Steiermark, Markgraf
von Mahren, allen Jnden seines Beichs, da sie zu
seiner Kammer gehören and seines Schatzes bedürfen,
ihrer alten Freiheitsrechte."*) Am 28. April 1269 ver-
gleicht sich die Jadengemeinde in Worms mit König
Bichard dahin, dass sie gegen eine Jahresabgabe von
200 Mark Silber bis zum Jahre 1275 nicht mehr weiter
von ihm mit Stener belastet werden darf, worauf König
Bichard dem Baugrafen Buprecht, Bruder des Bischofs
von Worms, 20 Mark jährlich auf den 1. Mai zahlbar hei
den Wormser Juden anweist.***)
Mit dem Ausgang des 13. Jahrhunderts wird die
Frage des Bechts auf den Ertrag der Jndensteuer
unter den einzelnen Fürsten und Herrschaften immer
brennender und sch&rfer. So werden infolge eines Staats-
vertrags zwischen dem König Thibaud von Navarra,
Grafen von Champagne, und seinem Schwiegervater
König Ludwig IX., dem Heiligen, von Frankreich
an einem hiezu insgeheim festgesetzten Tage, dem
Kreuzerhöhungstage, also dem 14. September, 1266 alle
Juden in den beiderseitigen Ländern gefänglich einge-
zogen, ihre Pfandbriefe mit Beschlag belegt und auf
diese Weise genaue Listen angefertigt, welche Juden
nach Frankreich, nach Navarra und in die Cham-
pagne gehören, sowie eine Statistik der Grund-
schulden gewonnen, worauf man die betreffenden Juden
alsbald wieder freilässt und ihnen ihre Schuld-
titel zurückgibt Gleichzeitig wird bestimmt, dass
alle Juden in den beiderseitigen Ländern künftig auf der
Brust und auf dem Bficken ein Zeichen von scharlachroter
Farbe sollen tragen müssen.'^) Am 11. Dezember 1271 gibt
der Bischof Graf Hartmann von Dillingen der Juden-
gemeinde in Augsburg eine Urkunde, durch die er auf
Begehr der Bürger der Stadt die Juden, die dort
wohnen oder sich künftig dort niederlassen werden,
bis 11. November 1272 und von da an auf noch ein Jahr
aller ihm schuldigen Dienste ledig spricht, wenn ihm die
Bürger hiefdr je am 24. April 10 Pfd. Augsburger Pfennige
bezahlen. Die Juden sollten dafür im Patronate seines
Vogts, des Bürgermeisters, der Batmannen und der Stadt-
gemeinde stehen, und diese die Juden in seinem Namen
gegen Gewaltthaten und Beleidigungen, die etwa dem
*^*) AroDioB, Regesten lor Geschichte der Judeo, S. 810.
'^ Depping, Jaden im Mitteialter, B. lei f.
— 266 —
Yenprecben des Bischöfe zuwider gegen sie verübt werden
könnten, beschützen.'") Im Jahre 1279 verbietet das Par-
lament von Paris den königlichen Jaden inLangued'oc,
die Juden der Abtei von St. Antonin zur Steuerumlage
heranzuziehen.'^) Man sieht, es gibt auch hier zweierlei
Jaden, solche, welche in der unmittelbaren Vogtei der
französischen Krone stehen, und solche, welche dem
Patronat eines Landesherrn unterstehen. Aehnliche
Verhältnisse finden wir in Katalonien, wo im Jahre 1283
die Juden bei den Kortes von Barcelona beantragen,
man möge auch auf sie das Gesetz anwenden, nach dem
jeder Eüiwohner in der Gerichtsbarkeit dessen stehe,
anf dessen Burg oder Landesgebiet er wohne, einem
Wonsch, dem die Kortes auch willfahren '^), wobei man sieht,
dass den Juden das landesherrliche Patronat lieber
ist, als das Keichtspatronat. Um dieselbe Zeit sichert
der Herzog Heinrich IV. von Breslau den Juden seines
Herzogtums den Schutz ihrer Person, ihres Ver-
mögens, ihrer Religion, ihrer Schulen, d. h. Synagogen,
and ihres Handels zu, mit dem Bemerken, dass dieselben
künftig unmittelbar dem Gericht seines Pfalzgrafen
onterstehen sollen. Wenn ein Christ einem Juden auf
dessen Notruf nicht zu Hilfe eilen sollte, so solle er
am Gtold gestraft werden, auch sollte es verboten sein,
die Juden des Kindsmords anzuklagen, wenn nicht
3 christliche und 3 jüdische Zeugen aufgestellt werden
könnten, und jeden Ankläger, der eine solche Sache nicht
beweisen könnte, sollte die Strafe treffen, die der be-
zflchtigte Jude hätte leiden mfissen.'^^) Man findet derartige
Bestimmungen von Judenvögten, welche den Judenschutz
dadorch kräftig zu handhaben suchen, dass sie die Unter-
thanen zur Hilfeleistung verpflichten, damals all-
gemein. So macht z. B. im Jahre 1220 das Gericht von
Falaise alle Bürger von Bernai daf&r verantwortlich,
dass sie nicht herbeigeeilt seien und geholfen haben, als
in ihrer Stadt ein Jude, der ermordet wurde, um HUfe
gerufen habe.'^) So bestimmt im Jahre 1264 der Herzog
Boleslaus von Polen, wenn ein Jude bei Nacht um Hilfe
rufe, solle jeder christliche Nachbar, der ihm nicht zu
Hilfe komme, 30 Sous bezahlen mfissen.'^^)
In zunehmender Menge finden sich jetzt die Ver-
pfändungen der Judengefälle. Im Jahre 1286 ver-
pfändet König Rudolf von Habsburg dem Grafen Adolf von
Nassau 20 Mark aus dem jährlichen Ertrag der Beichs-
*^) Aronins, Regesten zur Geschichte der Jaden, S. 810.
'«*) Depping, Jodea im Mittelalter, S. 801, 19Ü, 151, 196, ISS.
— 268 —
jadensteaer von Frankfurt am Mais.^^ Meist findet
man jetzt, da8s sich der Ertrag der Jadenschutzstener
derart zwischen Reichsgewalt and Landesherrschaft
teilt, dass jeder von beiden Teilen die Hälfte der Ge-
fälle erhUt. So tritt z. B. im Jahre 1292 das Bistum
Magnelone der französischen Krone anter König Philipp
dem Schönen von Frankreich die Juden seiner Herr-
schaft ab anter der Bedingung, dass das Bistum die
H&lfte der von diesen Juden geleisteten Steuern und
Dienste erhalten solle. *^^ Auch in Deutschland finden
wir damals die Judensteuern nur noch sparsam im
Besitze der Reichsgewalt. So nimmt z. B. im Jahre 1298
nach den damaligen Judenkrawallen in Nflrnberg,
Augsburg u. s. w. das Reich unter König Albrecht I.
von Oesterreich die Judengemeinde von Nürnberg
wieder in den seitherigen Schutz und im Jahre 1299
verpfändet das Reich unter König Albrecht I. von
Oesterreich dem Erzbistum Mainz den Ertrag der Reichs-
judensteuer von Frankfurt am Main, wobei sich das
Reich yerpfiichtet, so lange als die Pfand sc haft des
Erzbischofs währe, den Juden keine ausserordentliche
Steuer aufzulegen.*^) Man sieht, wie es die wirtschaft-
liche Not ist, welche die Reichsgewalt zwingt, den Er-
trag ihrer Stenerquellen den Landesregierungen
zu überlassen.
So macht auch die deutsche Reichskammer, als König
Albrecht I. yon König Philipp IV. von Frankreich das
Königreich Arelat zurflckerhält , sofort der französischen
Krone gegenüber das Recht auf alle Steuern der Juden
geltend, welche in Frankreich wohnen, und zwar mit
der Begründung, die Juden haben von Anfang an
unter dem römischen Kaiser gestanden und seien
desshalb auch der Gerichtsbarkeit und dem Patronat des
römischen Reichs, dessen Inhaber Kaiser Albrecht I.
gegenwärtig sei, unterstellt worden. Info^e Staatsyertrags
zwischen Deutschland und Frankreich wurden denn
auch in Frankreich an einem bestimmten Tage alle
Juden im ganzen Lande festgenommen, ihr Vermögen
wurde mit Beschlag belegt und ihnen aufgetragen, binnen
eines Monats Frankreich zu verlassen und sich unter die
Herrschaft des römischen Kaisers zu stellen. Der Anstifter
dieser Judenaustreibung, welche wie in Frank-
reich gleichzeitig auch in Spanien erfolgte, war der
Gegenpapst Benedikt IX., der Aragonier Peter von
Luna. So strömten denn in den Jahren 1306 und 1307
"^ Stobbe, Juden in DeatadÜADd, S. 97, 96.
^^ Depping, Jaden im Mittelalter, 8. 169.
— 267 —
Hunderte Yon fransösischeii Judenfamilion nach
Bargund and Deutschland herein, wo das Reich sie
in Franken, Schwaben and Bayern unter seinem
Beichsschutze ansiedelte, oder sie sogen nach der Frö-
re nee, wohin ihnen der Herzog von Berri, Statthalter
der Langaed'oc, freien Durchzug gegen 20 Pariser
Sons Weggeld eingeräumt hatte. Ein Teil der ver-
triebenen Juden wanderte femer nach den Nieder-
landen, wo ihnen z. B. der Herzog Johann U. von
Brabant im Jahre 1308 die Gründung einer Gemeinde in
Oenappe gestattet.*^) Wie wenig erbaut freilich die
Borger der betreffenden Gemeinden yon diesem aufge-
zwungenen Zuwachse waren, geht daraus hervor, dass
z. B. in Genappe alsbald Aufstände der Bevölkerung
gegen die neuen Ankömmlinge entstehen, deren Seele die
dortigen lombardischen Geldwechsler und Geschäfts-
leute gewesen zu sein scheinen, denen die eingewanderten
Juden recht unangenehme Wettbewerber waren. Dass
die Lombarden damals eben so gut wie die Juden
noch als Gelddarleiher gerade in den romanischen
Landern sehr stark in Betracht kommen, während in
Deutschland die Juden die Oberhand hatten, steht fest
und geht aus zahlreichen Nachrichten hervor. Wenn man
den Juden vor die eine Thüre setzt, kommt der Lom-
barde zur andern Thüre herein. So schliesst z. B. im
Jahre 1315 das Delphinat unter dem Dauphin Johann von
Frankreich einen Vertrag mit den Erben des Edelmanns
Gaichard von Anthoine, durch welchen er diesen das
Becht verleiht, auf ihrem Gebiete Juden, Lombarden
and andere Gelddarleiher aufzunehmen, ohne dass
der Dauphin die herkömmliche Abgabe von ihnen erheben
sollte. "•)
Wie man hier den Ertrag der Judensteuem seitens der
Reichsgewalt immer mehr aus Geldnot den Landes-
herren zufallen sieht, so geht es auch in Deutschland
weiter. Wie unter König Albrecht L von Oesterreich, so
sehen wir auch unter seinem Nachfolger, König Heinrich VII.
yon Luxemburg, eine Beihe von Judengefällen
durch Pfandschaft in landesherrliche Hände über-
gehen.*^) So überlässt im Jahre 1308 Kaiser Heinrich VII.
demBistum Strassburg die Judensteuem von Molsheim,
Salz, Bufach u. s. w. in der Art, dass die dortigen
Jaden der genannten Kirche steuern und ihr mit vollem
Rechte angehören sollten, wie König Heinrich VII. auch
dem Bistum Würzburg gegen ein Darlehen von 2300 Mark
'^ DeppiDZ, Joden im Mittelalter, 8. 189, 262, 211, 206 f., 190.
17
— 268 —
Silber den Ertrag der Jadengteaem dieser Stadt pfandweise
fiberlassen moss.^ Wir sehen, wer von diesem Uebergang
des Jndenschntzes an die Landesregiernngen den grdssten
Vorteil hatte, das waren die Jnden selbst, die namentr
lieh nnter dem Nachfolger König Heinrichs, dem König
Ladwig dem Bayer, die besten Tage and die glSnzendate
Stellung haben. König Ludwig r&omt den Jnden in
Deutschland derartige Rechte ein, dass er MQhe hat,
das deshalb murrende Volk im Zaume zu halten,
so dass die Juden, denen es angesichts dieser Volks-
bewegung nicht mehr recht geheuer in Deutschland
und im burgundischen Reiche ist, den Versuch machen,
die französische Krone zu veranlassen, dass ihnen
wieder die Rückkehr in dieses Land bewilligt wird,
ein Versuch, der ihnen auch nnter grossen Oeldopfern
gelingt, indem sie von der Krone auf 12 Jahre die Er-
laubnis erhalten, zurflckzukehren. Im Jahre 1315 fiberlasst
die französische Reichskammer unter König Ladwig dem
Zänker den Reichsstanden von Langued'oc die von der
Regierung eingezogenen Liegenschaften der Jnden dieser
Provinz, wogegen diese auf die Ertragnisse der Juden-
steuern, welche ihnen durch die Austreibung der Jaden
entgangen waren, Verzicht leisteten, und verordnet aaf
die Bitte der geistlichen und weltlichen Landesherren
von Burg und, dass alle Juden, welche nach Frankreich
zurückkehren, wieder ihrer alten Landesherrschaft zufallen
sollten. Die gleiche Verordnung erfolgte für das Herzogtum
Nevers, wie denn überhaupt allen Juden auf 12 Jahre
das Recht eingeräumt wurde, nach Frankreich zorückza-
kehren. So gehen in ganz Frankreich die Kronliegen-
schaften, welche früher die Judengemeinden zu Lehen
besessen und welche die Reichskammer bei ihrer Ver-
treibung eingezogen hatte, wieder als Lehen an die
einzelnen Landesherrschaften über, wogegen diese auf den
teilweisen Ertrag der JudengefiLUe zu Gunsten der Krone
Verzicht leisten müssen. ^^*)
Da die beteiligten Reichsjudengemeinden oder
Reichsbürgergemeinden nnter diesen fortgesetzten Ver-
pfändungen durch die Reichskammer wirtschaftlich sehr
notlitten, weil diese stets damit endigten, dass die be-
treffenden Gemeinden die Pfandschaften namens der Reichs-
gewalt einlösen mussten, so halfen sich die betreffenden
Körperschaften damit, dass sie die Einlösung nur unter
der Bedingung auf sich nahmen, dass die Reichs-
kammer sich verpflichtete, ihre Stenergefälle künftig
nicht mehr zu verpfänden. So verpflichtet sich z. B.
'«*) Deppiog, Jaden im Mittelalter« 8. 201.
— 259 —
im Jahre 1815 die Begierung: ^^ OegenkOnigs Frie-
drich HL von Oesterreich der Stadt Hagenau
gegenüber, den Ertrag der dortigen Beichsbftrger-
Steuer und Heichsjadensteuer künftig an niemand
andern mehr za Yerpftnden oder zn verkaufen als an die
Bürger der Stadt So wird in den Jahren 1815 und 1816
der Ertrag der Beichssteuer der Jndengemeinde
Ton Worms vom Beiche an die Wormser Beichs-
bürgergemeinde yerpftndet und ebenso geht es im
Jahre 1316 in Augsbnrg.^^) So yerp&ndetim Jahre 1821
E5nig Lndwig der Bayer dem Freiherm von Biboan-
pierre im Elsass den Ertrag der Judensteuer von
Ribeauville für die Summe von 400 Mark Silber mit
der Bedingung, dass der betreffende Edelmann und seine
Erben diese Gefölle besitzen und alle Bechte daran üben
sollten y welche aus dieser Verpfbidung hervorgiengen.^^)
So wird femer im Jahre 1822 der Ertrag der Juden-
gemeinde vonBegensbnrg vom Beiche an das Herzog-
tum Niederbayern verpfändet.****)
Wie sich die einzelnen Körperschaften damals um die
Judengef&Ue zanken, sieht man z. B. daraus, wenn im
Jahre 1327 der Bat der Kölner Bürgergemeinde sich
dem Bitter Hermann Scherfgin, dem damaligen bischöflichen
Burggrafen von Köln, gegenüber ernstlich verbittet,
dass er künftig wieder Gtowaltthaten gegen einzelne Mit-
glieder der Kölner Judengemeinde sich erlaube und
dieselben in der Burg des bischöflichen Kämmerers ein-
sperre, wenn sie seinen Anforderungen nicht Folge leisten.
Wenn der bischöfliche Burggraf etwas mit einem Kölner
Jaden zn schaffen habe, solle er sich an den Vorstand der
Jadengemeinde wenden und diesem gegenüber seine
Ansprüche geltend machen. ^^) So wird im Jahre 1829
der Ertrag der Judensteuer in Augsburg seitens
der Beichskammer an den Grafen von Oettingen
verpfändet So wird im Jahre 1881 der Ertrag der
Steuern der Frankfurter Judengemeinde seitens der
Seichskammer an die dortige Beichsbürgergemeinde ver-
pfindet und dem dortigen Bat der Schutz der in Frank-
furt wohnenden Beichsjuden auf 10 Jahre übertragen, der
dem Beich gegenüber die Verpflichtung übernahm, die
Jaden gegen jede unrechtmässige Gewalt zu schützen;
selbst gegen den König und die Beichsgewalt sollte die
Stadt verpflichtet sein, den Frankfurter Juden beizustehen,
wenn diese das vereinbarte gewöhnliche Steuerkontingent
flberschreiten sollten.*^
^ Depping, Juden im MiUelalter, 8. 191. Stobbe, Jnden in Deutacb-
laiid, 8. 84. 60, 94. Wiener, 8. 40.
17*
— 280 —
Man sieht, wie viel den Jadengemeinden daran lag,
ihr Vermögen vor dem Hanger der aasgeleerten Beichs-
kammer sicher zn stellen, man sieht, wieviel den Joden
an einem kräftigen Schatz gelegen ist and wie sie diesen
am meisten von den anfblfihenden kraftigen Stadt ge-
meinden erwarten, so dass anch sie sich immer mehr
entschliessen, aas der Vogtei der Landesherrschaften
anszatreten and sich als Pfahlbürger oder Beiwohner
in den Schatz der aafblQhenden Stadtgemeinden zn be-
geben, indem sie diesen die Bflrgersteaer bezahlen^
wie die anderen Aasbürger, die geistlichen Körper-
schaften, die Kloster, oder einzelnen Eklellente, die
in das Ansbürgerrecht einer Stadt eintraten. Wie der
Abt von Reichenan, das Wengenkloster, das Kloster
Söflingen, wie zahlreiche Edellente, welche sich in den
Schatz der Stadt Ulm stellen, dafftr eine Entschädigung
an diese zn leisten haben, so mass der Jade, der in das
Bürgerrecht einer Reichsstadt eintritt, dieser hiefftr ein
Schatzgeld bezahlen, da ja der Stadtyerband dnrch diese
Aafnahme solidarisch haftbar wird für alle Unbill, welche
dem betreffenden Ansbfirger wiederfahrt So versteht man
es, wenn in den kritischen Zeiten des Jahres 1S49 die
Stadt Esslingen es als eine Erleichterang betrachtet, als
man ihr die Verpflichtnng abnimmt, Juden in ihre Mauern
aufzunehmen, man versteht aber auch, dass nachdem die
Wogen wieder ruhiger geworden sind, der wirtschaftliche
Vorteil, welcher den städtischen Kammern aus dem Ertrag
der Judenschutzgelder zufliesst, die Aufhahme von Juden
den Städten wieder als Vorteil erscheinen läset
Wie sehr die S teuer kraft der geldkräftigen Reichs-
juden gerade wie die der Reichsbürger seitens der
Reichskammem ausgenützt wird, zeigen viele Nachrichten.
So müssen im Jahre 1320 z. B. die f^anz(ysischen Juden-
gemeinden unter König Philipp dem Langen der Krone von
Frankreich eine Steuer von 100,000 Pfund bezahlen, wovon
die Jndengemeinde von Paris 5800 Pfund und die Juden-
gemeinden des Königreichs Navarra 15,000 Pfbnd trifft
Die Juden waren nur schwer zur Bezahlung dieser Summe
zu bewegen, zu der ein besonders reicher Jude, namens
Saul, allein mit 2000 Pfd. eingeschätzt wurde, entschlossen
sich aber schliesslich doch, das Geld zn beschaffen. Man
sieht, hier handelt es sich nicht um die regelmässige
jährliche Reichssteuer, sondern um einmalige
grössere direkte Steuerumlagen, wie sie damals
immer mehr in Gebrauch kommen, nachdem die regel-
mässigen Ertragssteuem des Reichs verschleudert sind.
So verpföndet im Jahre 1838 die Reichskammer unter König
— 261 —
Ladwig dem Baiern dem Bistum Speier die JadengefäUe
dieser Stadt and den Ertrag des Barggrafenamts, d. h.
die Steaergefalle der Börgergemeinde, za Landau and
yerpflichtet sich, einen dieser Pfandgegenstände nicht ohne
den andern einzulösen. So wird im Jahre 1227 in einem
Schiedssprüche zwischen dem Herzog Heinrich I. von
Schlesien und dem Bischof Lorenz von Breslau be-
stimmt, dass alle Freie und Juden, welche in der Ka-
stellanei, d. h. in der Burggemeinde, Beuthen Ackerbau
treiben, den vollen Zehnten sollen bezahlen müssen. Man
sieht auch hier wieder, die Juden sind freie Leute,
welche als Bürger in einen Marktyerband eintreten
nnd dort an den Nutzungen der Gemeindeliegen-
schaften als Marktgenossen und Waideberechtigte teil-
nehmen, weshalb sie auch als pflichtig erklärt wurden,
hiefQr den Zehnten oder Mietzins an den Lehensherm
and Eigentümer der Gemeindeliegenschaft zu bezahlen.^^')
10) Die elnselnen Steuerlelatnngeii der Jaden.
Wie anderwärts, so bezog auch im alten Königreiche
Juda der König als Grundeigentümer den Zehnten
TOR allen Grundbesitzern des Lands als Grundzins oder
Grundsteuer. Die ersten bedeutenden unmittelbaren
Steuern bei den Juden aber sind freiwillige Dank-
opfer an Jehoya für das Heiligtum desselben gewesen.
Die alten Kopfsteuern der Juden waren für Arme und
Reiche gleich, aber nur für die Männer über 20 Jahre,
womit die ersten Volkszählungen zusammenhängen,
während die Kriegssteuer nur die Reichen zahlten.
So ist denn auch von den den Juden im heiligen römischen
Beiche aufgelegten Steuern die älteste die Judenkopf-
steuer gewesen, welche von denselben unter dem Namen
des „goldenen Opferpfennigs^ erhoben wurde. ^^ So lange
der salomonische Tempel in Jerusalem bestana, berichten
die Chroniken, musste jeder jüdische Haushaltungsyor-
stand an die Schatzkammer dieses Tempels eine jährliche
Kopfsteuer von einer goldenen Doppeldrachme be-
zahlen; als jedoch Kaiser Titus den Tempel zerstörte,
fiel das Becht zur Erhebung dieser Kopfsteuer der
römischen Beichskammer zu und seither bildete die-
selbe einen steigende Bedeutung gewinnenden Teil der
"*) Depping, Jaden im Mittelalter, 8. 147, 198. Aronioi, Regesien
lur Oeaehiclite der Jaden, 8. 196.
') Boidier, Nationaiekonoinie, Bd. 4, 8. 260.
— 262 —
Einkünfte des römischen Reichs. Die römischen Kaiser
der alten Zeit yerstanden es mindestens so gut wie die
römischen Kaiser des Mittelalters, die wertvollen Eigen-
schaften des Jndenyolks als Stenerqnelle sn wQrdigen.
Sie standen, wie das bei der rein praktisch-nflchtemen
Anffieuisang der Hebr&er in derartigen Dingen kaum anders
möglich war, denselben nicht als Freunde, sondern als
Geschäftsleute gegenüber, sie behandelten dieselben
nach dem Grundsatze des „Do, ut des^ und der Grad
ihres Entgegenkommens wechselte je nach der mehr oder
weniger günstigen wirtschaftlichen Lage, in welcher
sich der jeweilige Beherrscher des Bömerreichs befiwd.
Herrscher wie Domitian (81—96), lassen die Juden
tüchtig bezahlen, büssen dies aber auch damit, dass sie
noch heute jedem Sekundaner als feige Despoten geschildert
werden; andere, wie Severus (307), die in wirtschaft-
licher Not sind, lassen sich zu grossen schwerwiegenden
Einräumungen an die Juden herbei und geben ihnen das
römische Keichsbürgerrecht, so dass die Juden des
Bömerreichs bald aus Verfolgten zu Verfolgern der Christen
werden. Dire beste Zeit feiern die Juden unter Kaiser
Julian dem Abtrünnigen (361 — 368), der den salomonischen
Tempel wiederherstellt und den goldenen Opferpfennig
diesem wieder überlässt, während unter Kaiser Theo-
dosius (894 — 395) diesen Opferpfennig im römischen
Beiche wieder die Beichskammer bezieht
Anders war es im arabischen Beiche der Abbasiden;
hier gehörte der Opferpfennig dem jüdischen Exil archen
und noch im Jahre 1175 regiert in Bagdad der jüdische
^Fürst der Gefangenschaft^, der „Ezilarch^, der höchste
jüdische Würdenträger der Juden des Ostens, der als
solcher von allen Juden des Ostens jährlich ein Goldstück
als Tribut *) bezieht, ii^Uirend ein weiteres Geldstück von
jedem Juden, z. B. in Mossul, als Tribut zur Hälfte der
Babbiner, d. h. die Kämmerei der betr. Ortsgemeinde,
zur andern Hälfte der Emir oder Burggraf erhält, wie
auch daselbst die Babbiner die kirchliche und bürgerliche
Gerichtsbarkeit über die Judengemeinde haben. *)
Ganz ähnlich finden wir denn auch die Steueryer-
hältnisse der Juden im Mittelalter im römischen Beiche
geordnet „Ghristianae legis et imperii praerogatiya, qna
dominamur et viyimus, seryi suntcamerae speciales''
ist die Erklärung Kaiser Friedrichs H. yon Hohenstaufen,
") Trilmtam ^ Zwangibeitrag des einzelnen Oemeindegenotfeo,
uninittelbare Stener; das Wort h&ngt mit „Treiben,*" „Eintreibiing** m-
Munmen.
*) Depping, Jaden im MitteUatttr, 8. 2i IL, 28, 138 f., 189.
— 268 —
mit der er allen Ansprflchen an die Steuerertrftgnisse der
Jodengemeinden von anderer Seite gegenflbertritt Die
Jaden sind Hintersassen des Reichs and ihr Patron
ist lediglich der rOmische Kaiser. So kam es denn
anchf dass die Jaden dnrch das ganze Mittelalter alljährlich
am Obersttage nnd gegen Michaelis einen „canonem'^, den
„goldenen Opferpfennig'' , in die Kammer des römischen
Kaisers bezahlen massten, weil sie „mit Leib und Gut
dahin gehörten*', wie Kaiser Karl lY. erkl&rte, eine Kopf-
steaer, welche z. B. in Nürnberg einen Jahresertrag von
jahrlich 3 — 4000 Golden ergab ^)y and diese Kopfstener
blieb dem Beiche denn auch von allen Jndengef&llen am
längsten erhalten. So verspricht z. B. im Jahre 1347
König Ladwig der Bayer den Jaden von Frank fnrt am
Main, sich 2V4 Jahre hindurch lediglich mit dem goldenen
Opferpfennig derjenigen Jaden zn begnügen , welche nach
Frankfurt zarflckkehren, während der Ertrag der übrigen
Jadengefälle den Bürgern der Stadt, d. h. der Stadt-
kammer, znfällt und erst im 15. Jahrhundert findet sich
bei der zunehmenden Geldnot des Reichs, dass König
Sigismund dem Herrn Sebald Pfinzing den golden Opfer-
pfenning von den Juden zu Nürnberg und zu Wöhrd bei
Nürnberg versetzt, während auch in Nürnberg die Juden
an das Beich keine weitere Anlagen mehr zu bezahlen
haben, nachdem sie im Jahre 1418 von Kaiser Sigismund
das Freiheitsrecht erlangt hatten, dass sie künftig ausser
dem gewöhnlichen Opferpfennig von Beichswegen mit
keiner andern Auflage mehr sollten beschwert werden,
ein Privilegium, das ihnen in den Jahren 1428 und 1480
von Kaiser Sigismund und im Jahre 1462 von Kaiser
Friedrich in. erneuert wurde, •)
1». Dif Solkitiagai dtr JideagtiMimdai.
Eine weitere Abgabe, welche die Juden zu bezahlen
hatten, war die Beichssteuer, welche die Judenge-
meinden der einzelnen Städte wie die bürgerlichen Ge-
meinden an das Beich oder an den betreffenden vom
Beiche aufgestellten Pfandherm zu bezahlen hatten, so oft
die Erhebung einer solchen Steuer erfolgte. Sind die
direkten Steuererhebungen des Mittelalters erst nur
ausserordentliche Zuschüsse zur Deckung augenblick-
lichen Mangels in der Beichskammer, so werden sie seit
dem 14. Jalirhundert immer mehr eine regelmässige
Einrichtung. Eine der gewöhnlichsten Veranlassungen
^ WSifel, Nflrnbergg Jadengemeiode, 8. 50.
*) Stobbe, Jaden in Deatiehlind, 8. 280. Wflrfel, Nflmbergs Jdden-
pamaäe, 8. 8» 50.
— 264 —
zur Erhebung solcher aasserordenüicher anmitteltiaren
Steuern waren die Feldzüge , so vor allem die BömerzQge
und Kreozzflge. So wird im Dezember 1187 nach dem
Falle Jerusalems von Kaiser Friedrich L namens des
Reichs auch von allen Jaden desselben eine massige Ver-
mögenssteuer zur Bestreitung der Kosten des Kreuzzugs
eingezogen.*) Im Jahre 1254 bezahlen die Juden von
Worms den dortigen Borgern eine Beisteuer (Bede?)
zu den Friedenskosten. Im Jahre 1255 kostet die
Sicherung des Landfriedens die Stadt Worms Aber
1000 Mark, wozu die Juden 150 Pfd. Hlr. zur Anwerbung
Yon Söldnern beisteuern. So muss im Jahre 1259 die
Judengemeinde in Worms der dortigen BOrgei^emeinde,
welche damals 400 Mark fttr Söldner ausgeben muss,
200 Pfd. Hlr. und 50 Mark Silber beisteuern, wie auch im
Juli 1260 die Judengemeinde in Worms zu den Fehde-
kosten der Stadt gegen Alz ei, die über 1000 Mark
betragen, 400 Pfd. Hlr. beizusteuern hat Im November 1261
zahlt die Judengemeinde in Worms der dortigen
Bürgerschaft 280 Pfd. Hlr. zur Ausbesserung der
Stadtmauer und 20 Pfd. Hlr. für die Freiheit vom Wein-
umgeld und im Jahre 1271 zahlt die Judengemeinde in
Worms der dortigen Bürgergemeinde 260 FfA. Hlr. zur
Erleichterung der Kosten des Zugs gegen die Herren yon
Lichtenstein.*) Im Jahre 1292 versucht König Adolf von
Nassau bei den Juden in Frankfurt Geld zu erhalten,
um die Kosten seiner Krönung zu bestreiten, wird aber vom
Beichsschultheissen von Frankfurt hieran verhindert^ Im
Jahre 1488 bescheidet König Albrecht IL die Judenschaft des
ganzen Reichs nach Nürnberg und belegt dieselbe nach
dem Beispiel der früheren Könige mit einer Schätzung,
die teils zur Bestreitung der Krönungskosten in
Aachen teils zu anderen Beichszwecken Verwendung
findet.^ Die Beichsfinanzpolitik des Mittelalters ist eben
damals längst auf dem Punkte angelangt, dass sie nur
noch mit dem Augenblicke rechnet Um ein augenblickliches
Bedürfnis zu decken, verzichtet man auf die wichtigsten
ordentlichen Besteuerungsgegenstände und sieht sieb
schliesslich mit Schrecken in die Lage versetzt, auf die
ausserordentlichen, d. h. unmittelbaren Steuern allein an-
gewiesen zu sein.^ Am 15. Januar 1248 befiehlt König
Konrad lY. dem Gerhard von K in zig, sofort von den
dortigen Juden 500 Mark, nötigenfalls durch Anwendung
*) Äronias, Regesten zur Oesdiichte der Juden, S. 145, 267, 968,
270, 276, 283, 817.
*) Stobbe, Juden in Deutachlaod, 8. 98, 25.
*) Kahler, Beichsbittorie, 8. 854.
— 266 —
von Haf ty für ihn einzatreiben.*) Am 7. Januar 1244 befiehlt
König Eonrad IV. von Hohenstanfen den Bewohnern von
Einzig und den dortigen Jaden, dass ihm die Christenge-
meinde 60Mark, die Jndengemeinde aber 20Mark>^) umgehend
zam Gebrauche der Beichskammer als B e d e einsenden solle J^
Am 16. Dezember 1266 verbannt der Bischof Heinrich IL
von Speier die Brüder Voltzo, Hartmut und Eonrad mit
ihren Genossen ans der Stadt, weil sie den Besitz der
Juden frech und mit Verachtung der Beichsgewalt ohne
Richtersprach geraubt und verhindert haben, dass das
Bistum die gewohnte Leistung im Namen des Kelchs
Ton den Juden empfange, indem sie dessen Sprach und
den der Richter verachteten.*) Man sieht, die geistlichen
Stadtherren sehen sich damals in zunehmender Weise fan
Bezug ihrer Jndengefälle bedroht So wird, als am
3. Oktober 1266 der Bischof Hartmann von Augsburg
dem König Eonradin von Schwaben die Schutzvogtei
Augsbarg flbertragt, hiebei die Bestimmung getroffeu, dass
was das Bistnm seither von Christen oder Juden einge-
trieben habe, auf keine Weise vom Schutzvogt dfirfe
zurückgefordert werden.^ So verpflichtet sich am 5. Ok-
tober 1212 König Friedrich ü. gegenüber dem Bischof
Luitpold von Worms, Beden bei den Bürgern oder
Juden in Worms nur durch den Bischof zu erheben.*)
Die belasteten BOrger- und Judengemeinden helfen
sich diesen erhöhten Anforderungen gegenüber dadurch,
dass sie sich den Meistbetrag ihrer Leistungen seitens
der Steuerbehörden urkundlich gewährleisten lassen. Im
September 1266 z.B. zahlt die Jndengemeinde in Worms
der dortigen Bflrgergemeinde eine Steuer von 250 Pfd.
Hlr. gegen das Versprechen, im folgenden Jahre nur mit
200 Pfd. belastet zu werden.*) Am 25. Januar 1265 be-
stätigen der SchultheiBS Marsilius von Trier und die
Brflder Heinrich und Diethard von Pfaffendorf, dass der
erwählte Bischof Heinrich von Trier seinen Juden in
Koblenz von Ostern den 5. April 1265 eine Gnade das
ganze Jahr hindurch gewährt und sie von allen Diensten
(servitium) befreit habe. Der Schnltheiss und die beiden
Brflder stellen Bürgschaft für allen Schaden und Zweifel
oder alle Feindschaft, falls der Bischof dies nicht hält*)
Am 4. Juni 1261 beschwert sich der Bischof Walter von
Strassburg über die Verletzung seiner Rechte durch
die dortigen Bürger, welche seine Juden durch ungesetz-
liche Auflagen und Quälereien belästigen und nach ihrem
^ Arontoi, Begesten zur Geschichte der Jaden, S. 2 1 ff., 292, 296,
m, 289 f.
*") Nach heotigem Geldwerte etwa 4800 Mark.
— 266 —
Belieben Oeld von ihnen erpressen.*^ ^^ 31* Angiut 1260
verspricht der Bischof Otto von Pas sau der dortigen
Jadengemeinde, zwei Jahre lang weder Steuern noch
Darlehen (Zwangsanlehen) von ihnen zn fordern, nach-
dem sie ihm znm Bückkaofe des Zehnten in L eis be-
hilflich gewesen seien. ") Im Jahre 1331 schliesst König
Ludwig der Bayer einen Vertrag mit ,,seinen lieben
Kammerknechten'', den Jaden in Frankfurt am Main
ab, durch welchen er sich verpflichtet, sich 10 Jahre lang
mit der gewöhnlichen Steuer zu begnügen und keine
weiteren iüiforderungen namens des Beichs in dieser Zeit
an die Frankfurter Juden zu machen, und im Jahre 1383
werden in Frankfurt am Main die Beichssteuern
auf zwei Jahre, im Jahre 1339 auf vier Jahre voraus
erhoben, was selbstverständlich auf eine Steuerer-
höhung hinauskommt, weil die folgenden Bechnungs*
Zeiträume auch nicht ohne Steuern bestehen können.
Beliebt sind namentlich seit dem 14. Jahrhundert die
sogenannten Tontinenanleihen, eine Art Leibrenten,
die ihren Namen von ihrem Eiflnder, dem Lombarden
Tonti, erhalten hatten. Sie wurden vor allem in Frank-
reich, wo sie noch heute mannigfach im Oebrauche sind,
bald überall gang und gäbe, während ihre Einbui^erung
in Deutschland weniger von statten gieng.^^
«. Dm DirartgtWl (iirrlthni) te Jalnu
Das Servitium ist bekanntlich die Ablösung einer
einem Bechtssubjekt zukommenden persönlichen Dienst-
verpflichtung dnrch Geld. Es ist das Entgeld f&r eine
Mflhewaltung, welche ein Bechtssabjekt selbst zu besorgen
hätte, und die Juden verstehen es seit dem 18. Jahr-
hundert in zanehmendem Masse, sich von diesen Diensten
dnrch Geldabflndung and contingentierte Steuerleistangen
frei zu machen. So bestimmt z. B. König Philipp der Kühne
von Frankreich, die Juden sollen nur in Städten
und bei festen Schlössern wohnen, aber zu den
Frohndiensten der Bürger nicht verpflichtet sein.'*) Die
Juden sind deshalb auch, wenn sie nicht dem stadtischen
Verband als Bürger eingegliedert sind, sondern auf dem
Grund und Boden eines Landesherrn bei einer Stadt oder
Burg wohnen, nicht verpflichtet, an den Leistungen der
betreffenden Stadtbewohner oder Bürger teilzunehmen.
") Aromas, Regesten zur Geschichte der Jaden, 8. 280, 876.
**) Wiener, Jaden, 8. 40. Rosclier, Nationalökonomie, Bd. 4, 8. 685.
Kostanecki, der öffentliche Kredit in Schmoller, Forscbongen, Bd. 9, 8. 40.
^") Depping, Jaden im Mittelalter, 8. 182.
— 267 —
Eine andere Leistong der Jaden war das ,,aaram
coronariom'' , die Krönnngssteuer der Jaden. ^*) Die
Juden mnssten nämlich dem römischen Kaiser and König
als ihrem alleinigen Herrn and Schinnyogt, wenn er das
Reich antrat, eine Kronsteaer geben, die ein Tribat oder
eine Willkommsschatzong war, eine Verpflichtnng , die
indes seitens der Jaden bisweilen angefochten wnrde. So
weigerte sich nach dem Urfehdebach der Stadt Nürn-
berg im Jahre 1441 der Jade Jakob von Gitadell, diese
Steuer za bezahlen.'^) Als im Jahre 1284 König Philipp
der Schöne Besitz von der Grafschaft Champagne
nimmt, mtkssen ihm die Jaden derselben eine „joyense
avenne'^ Ton 25,000 Pfand bezahlen.**) Kam der römische
Kaiser oder König nach Nürnberg, so mnssten die Jaden
unter Abzag der hiedurch entstehenden Kosten yon ihrer
Beichssteaer für die Bereithaitang der für den kaiserlichen
Hof nötigen Betten anf der Beichsbarg Sorge tragen.
Als nan im Jahre 1485 Kaiser Friederich nach Närn-
beig kam, weigerten sich die Jaden, dies zn than, worauf
der Bat dahin entschied, dass, wenn die Juden ihrer Ver-
pflichtung nicht nachkommen, der Bat die Sache selbst
besorgen and die entstandenen Kosten bei den Juden
einfordern lassen werde.*'') Auch sonst sehen wir die
Juden za mannigfachen Leistungen herangezogen.
So erscheint z. B. im Jahre 1119 die Juden ge-
rn ein de in Born bei der Neubesetzung des päpstlichen
Stuhls, um dem neuen Papste feierlich ihr G^etz-
buch zu überreichen und den althergebrachten Tribut
von 1 Pfund Pfeffer und 2 Pfund Zimmt zu tiberreichen.")
Im Jahre 1150 bezahlen die Juden von Aix der dortigen
Kirche einen Zins von Pfeffer und Ingwer. In Köln
erhält der Burggraf jährlich 10 Mark von der Judenge-
meinde und 6 Pfund Pfeffer. In Trier müssen die Juden
im 13. Jahrhundert jährlich 150 Mark bezahlen und Ar-
beiter in die erzbischöfliche Münze stellen, ferner mnss der
Judenbischof dem Erzbischof jährlich 10 Mark ohne Zinsen
leihen. Dazu kommen an bestimmten Tagen grosse Pfeffer-
lieferangen an den Erzbischof und dessen Kammer und
Kleiderstofflieferungen für den Erzbischof und dessen
M) Maurer, Deutsches Städteweseu, Bd. 2, S. 512.
^ Jakob, jud tou CitadeU suntert sich yon all den jueden zu Nürn-
berg, welche zur Krönung unseri Herrn Kaiser Friedench zu Terehren
▼erspiochen, kommt darumb anf zwen monate ins gefängnis und muss
sohlen. Tut dan urfet 1441. Warfei, Nürnbergs Judengemeinde, 8. 49 f.
>^ Depping, Juden im Mittelalter, 8. 147.
*|) Wflrfel, Narnbergs Judengemeinde, 8. 52.
^ Depping, Juden im Mittelalter, 8. 131 f., 142. Maurer, DentMhes
Bttdtewesen, fid. 2. 8. 512, 572.
— 268 —
Kapellan, den Eänunerer and dessen Fraa. In Worms mnss
jeder nene Jadenbischof dem Bischof 20 Pfd. Pfg. and jeder
neae Jadenrat 60 Pfd. Hlr. entrichten, wogegen es niemand
erlaubt ist, im Haase von Jaden Einqnartierang zu
fordern.**) Am 20. Janoar 1261 verordnet König Konrad IV.
von Hohenstaafen , da die Bürger von Regensbnrg von
den Reichsfeinden hart bedroht werden, sollen die Greist-
liehen, Laien und seine Kammerknechte, die Jaden, die
Verabredungen der Bürger mit ihnen über die Wachen und
Befestigungen genau beobachten.^*) Am 16. April 1252
wird der Streit zwischen dem Erzbischof Konrad und
den Bürgern von Köln wegen der Aendeningen der
Münzen, der Ton den Bürgern gewünschten Abschaffung
gewisser Zölle in Neuss u. s. w. darch einen Schiedssprach
beigelegt, laut dem auch die Juden von Köln in den
geschlossenen Vergleich einbegriffen sein sollten, welche
die Mauern der Stadt hatten bewachen helfen. So schliesst
im Jahre 1262 die Stadt Marseille Frieden mit dem
Herzog von Anjou als Grafen der Proren ce und giebt
darin zu, dass der Ertrag der Judensteuer von Marseille
dem Grafen gehöre und die Juden verpflichtet sein sollen,
zu den Kosten der Kriege des Grafen beizutragen, während
sie von den Gemeindeabgaben der Stadt Marseille frei
sein sollten.^) Seit dem 14. Jahrhundert zahlen die Juden
in Schlesien dem König einen Schutzzins sowie den
Zehnten, wenn sie Grundbesitz haben. In den Stadien
tragen sie nur zu den Wachkosten bei. Zünftige Ge-
werbebetriebe sind ihnen verboten. *•) So erteilt im
Jahre 1281 König Rudolf von Habsburg dem Reichsschult-
heissen von Frankfurt a. M. das jederzeit widerrufliche
Recht, von jedem neu sich in Frankfurt niederlassenden
Juden ein Dienstgeld (servitium) von einer Mark zu er-
heben*'), und im Jahre 1285 wird in Schweidnitz be-
stimmt, die Juden sollen von ihren Erbschaften den
Bürgern kein servitium geben und keine solutio thun
ausser den Wachen auf der Mauer**) und zur Sicherheit
der Stadt und im Jahre 1315 brauchen die Juden in
Breslau nicht zu wachen, müssen dafür aber eine Steuer be-
zahlen**), wie sie auch ihren Grundbesitz versteuern mflssen.
Im Jahre 1354 weigern sich die Juden von Lyon, ZQ
den Kosten der Stadtbefestigung und zu den Militär-
lasten beizutragen, obwohl sie davon den gleichen Nutzen
wie die Bürger haben. Es erscheint darauf ein Gesetz,
**) Aronius, Regesten zur Qeschichte der Joden, 8. 284, 218 f.
*U l>0PP^g* Juden im Mittelalter, 8. 261, 196.
* Stobbe, Juden in Üeutscfaland, 8. 97.
Maurer, Deutsches St&dtewesea, Bd. 2, 8. 795.
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durch welches aach den atenerbefreiten Klassen, den Edel-
lenten, Geistlichen nnd Jnden, die Pflicht auferlegt wird,
an den Gemeindelasten teilzanehmen nnd auch den Juden
von Lyon wurde infolge dessen auferlegt, diesem Befehl
anweigerlich nachzukommen. '*)
d, Di« üml«fug dar Jidaoatfmr.
Mit der wachsenden Höhe der Judensteuern begann
denn auch die Frage derUmlegung dieser Steuergefälle
auf die einzelnen Steuerträger eine zunehmende Bedeutung
ZQ spielen. Da es seitens der Reichskammer Sitte war,
die Steuer zu kontingentieren, so dass es den Juden-
gemeinden Oberlassen blieb, zu sehen, wie sie die be-
treffenden Summen aufbrachten, so führte diese Frage zu
mannigfachen Streitigkeiten unter den einzelnen Juden-
gemeinden. So beklagen sich z. B. unter König Heinrich IL
?on England (1154 — 1189) die Juden von London,
welche damals eine kontingentierte Reichsjudensteuer von
35,000 Mark Silber zu zahlen haben, dass diese Steuer
nicht im Verhältnis zur Steuerkraft der einzelnen
Mitglieder umgelegt werde, und im Jahre 1193 schliesst
der Burggraf (yicomte) von Beziers und Carcassonne bei
Gelegenheit eines Anlehens, das er bei den Juden macht,
einen Vertrag mit denselben, demzufolge er sich yerbind-
lich macht, jede Steuer, welche er ihnen auferlege, gleich-
massig auf die Judengemeinden von Limouz,
Carcassonne und Aleth zu verteilen. In den
Jahren 1321 bis 1322 wird vom französischen Parlament
den Juden von Frankreich eine Steuer yon 15,000 Pfd.
aufgelegt. Die Eintreibung der Beitrage bei den einzelnen
Jaden geschah in der Langue d'oui und in der Langue d'oc
durch eigene jfidische Beamte, welche die gerechte Um-
legung auf Grund des Vermögens zu überwachen hatten.
So traf die Juden der Reichslandyogtei Carcassonne
der Betrag von 25,000 Franken, die Juden der Reichsland-
Yogtei Beaucaire 20,500 Franken, während die Juden
von Toulouse 2,000 Franken, die Herrschaft Rover gue
1900 Franken, Poigard und Querie je 100 Franken
zu bezahlen hatten, was zusammen 49,500 Franken ergab.
Um der Zahlung sicher zu sein, mussten die reichsten
Jaden der einzelnen Steuerbezirke Bürgschaft leisten.
Wer nicht bezahlen wollte, durfte das Land verlassen.
Im Jahre 1338 hebt der Dauphin Humbert n. alle seit-
lierigen Steuerfreiheits- und sonstigen Rechte der Juden
and Lombarden in seinem Lande auf und fahrt eine neue
Ordnung fttr dieselben ein, nach der die Steuer künftig
**) Deppin^, Juden im Mittelalter, 8. 228 f.
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nach MliBSgabe des VemiGgeiig der einmlneii Genoaaen
umgelegt werden sollte. Fttr dieses nene Freiheitorecht
massten die Betreffenden der Kammer die Summe von
1000 Onlden bezahlen.*^)
f. DM SHüMkt d«r iidaa.
Da das Ertrftgnis der Jndensteaem ein sehr hohes
war, so war es Sitte, dass wenn ein Jade ans dem Gebiet
eines vom Reiche mit dem Recht zur Aufnahme von Juden
begabten Juden in das Gebiet eines andern derartigen
Grundherrn verzog, eine Entschädigung des seit-
herigen Patrons für den Schaden zu erfolgen hatte,
den dieser durch den Verlust des betreffenden Steuer-
zahlers an seinen Gefällen erlitt. So stellt, als im
Jahre 1208 der reichste Jude der Grafschaft Champagne,
Cresselin, nach Frankreich auswandert, die Gräfin
von Champagne an EOnig Philipp sofort das Ansuchen,
denselben zurückzugeben, was auch geschah, worauf
Cresselin sich verpflichten musste, künftig nicht mehr
aus der Grafschaft auszuwandern, und diese Verpflichtung
durch Geiseln sicherzustellen hatte, wie er auch der
l4iJidesherrschaft das Recht einräumten musste, im Falle
seines Wegzugs alle seine ausstehenden For-
derungen an sich zu ziehen. Frankreich dagegen
räumte Cresselin das Recht ein, im ganzen Gebiet
der Krone Geld auszuleihen.*^ So verlangt im
Jahre 1208 die Witwe des Grafen Thibaud von Cham-
pagne, dass diejenigen Juden der Grafschaft, welche
nach Frankreich ausgewandert waren, von Frankreich
wieder an die Champagne ausgeliefert werden. Frankreich
kommt denn auch diesem Wunsche nach, aber nur unter
der Bedingung, dass die betreffenden Juden lediglich
den regelmässigen Steuern unterworfen werden. So er-
lässt im Jahre 1280 König Ludwig IX. von Frankreich
mit den französischen Reichsständen ein Gesetz, demzufolge
künftig kein Jude mehr gezwungen werden darf, einer
Landesherrschaft Geld zu leihen; auch darf keine
Herrschaft die Juden einer andern Herrschaft zu-
rückhalten, sondern es soll jeder Landesherrschaft frei-
stehen, ihre Juden überall, auch ausserhalb des Königreichs,
wo dieselben gefunden werden, zu ergreifen und festzuhalten.
Man sieht, d